2020-01:Datteln vom Netz pflücken: Unterschied zwischen den Versionen

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== Datteln vom Netz pflücken ==
 
== Datteln vom Netz pflücken ==
'''anonym''' Viele Menschen auf der ganzen Welt machen sich Sorgen über die Erderwärmung. Zu Recht: Die Wissenschaft gibt immer dramatischere Prognosen über die immensen Schäden des Klimawandels ab. Die Auswirkungen sind aber längst bemerkbar. Dafür tut sich er-staunlich wenig in Sachen Schadstoffreduktion: Kaum ein Staat senkt den Ausstoß tat-sächlich. Und was auf nationaler und internationaler Bühne angekündigt wird, bleibt weit hinter dem Pariser Klimaabkommen zurück.
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Erfahrungsbericht einer Kraftwerksblockade
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'''anonym'''
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'''Kleiner Disclaimer:'''
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Der Text soll weniger ein Bericht aus der Aktion oder eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der 2020 offensichtlicherweise vollkommen absurden Steinkohleverstromung sein, davon gibt es schon einige, sondern die Vor- und Nachbereitungsphase als Erfahrungsbericht beschreiben (darüber wird ja sonst bei Aktionen oft wenig berichtet). Des Weiteren ist es wichtig, herauszustellen, dass das hier die persönliche Sichtweise einer an der Aktion beteiligten Einzelperson auf die Ereignisse beschreibt und keineswegs eine Stellungnahme der gesamten Aktivistigruppe ist, denn nur ich habe diesen Text geschrieben. Diese Aktivistigruppe ist keineswegs fest und fortbestehend, sondern Menschen aus verschiedensten Zusammenhängen der Klimagerechtigkeitsbewegung, die sich speziell zu diesem Thema, zum Zwecke dieser Aktion zusammengefunden haben, die unter keinem Namen und unter keinem Label stehen und diverse inhaltliche und persönliche Hintergründe haben.
  
Der weltweite Protest von Fridays For Future fordert von der Politik ein, das einzuhalten, was sie sich vorgenommen hat. Dafür kriegt er viel Lob und Unterstützung. Komischerwei-se auch von denen, die der Protest kritisiert. Die Lage ist ernst. Da wäre es klug, sich damit auseinander zu setzen, an wen man da appelliert. 30 Jahre Klimapolitik – deren Ergebnisse und Gründe – geben Aufschluss darüber, dass der Staat kein guter Ansprechpartner ist, wenn es darum geht, den Planeten zu retten.
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'''Vor der Aktion:'''
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Zu Beginn hatten die, die sich die Idee zu der ganzen Sache überlegt hatten, angedacht, dass ein paar wenige Menschen alles planen und weitere Menschen auf Abruf verfügbar bleiben und schnell anreisen können. Der Grund dafür war, dass es bis dahin so aussah, als würde Uniper erst kurz vor der angeblich testläufigen Inbetriebnahme den genauen Anschaltezeitpunkt bekanntgeben. Es gab im Vorfeld also schon einige Absprachen und Telekonferenzen und so war die Vor-Planung bis zum Treffen nicht so inklusiv, wie sie hätte sein können. Am Montag sollte die Aktion dann stattfinden und wir hatten vor, uns 2 Tage früher alle schon einmalzu treffen, um die vorher in den Telefonkonferenzen besprochene Planung noch zu spezifizieren und alle Handelnden choreografisch aufeinander abzustimmen. Am Freitag Abend kam dann die Information, dass sich die Aktion wohl doch erst am Dienstag ereignen würde, und sich so auch unser Treffzeitpunkt auf Sonntag Mittag verschob. Der Grund für die Verschiebung lag in dem über eine regelmäßig überprüfte Website (https://www.eex-transparency.com/en/power/de/production/availability/
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) klar gewordenen Fakt, das Kraftwerk würde erst Montag um 11 Uhr Vormittags anlaufen, und die Vorstellung der Meisten war es, eine über das symbolische Signal hinausgehende Wirkung zu erzeugen.
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Bei der ersten Besprechung am Sonntag Nachmittag sagten wir zuerst in einer Runde unsere Aktionsnamen plus gewünschtes Pronomen. Ein paar Menschen hatten sich im Vorhinein Gedanken zu der TOPs und den ToDos gemacht und sie auf die Rückseite eines alten Plakats geschrieben. Nach Verschiebungen und Ergänzungen gingen wir sie durch. Die Besprechung dauerte über zwei Stunden und war anstrengend, aber produktiv. Wir bildeten ein paar Arbeitsgruppen zu Themen wie „wie kommen wir über den Zaun?“, „Aktionshandys einrichten“ oder „Material mit Spiritus putzen“ und sprachen auch einen groben Zeitraum ab, in dem sich die Bezugsgruppen untereinander nochmal absprechen konnten. Die beiden Lock-On-Gruppen waren bis Montag Mittag noch nicht komplett und die Planung des genauen Ablaufs auf dem Gelände gestaltete sich aufgrund von fehlender Ortskenntnis ebenfalls als schwierig. Bis kurz vor der Aktion war nicht ganz klar, wo genau sich die Menschen anlocken würden, und wer mit wem in einer Bezugsgruppe sein würde.
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In der letzten Besprechung vor der Aktion ritzten sich viele nebenbei die Fingerkuppen mit Rasierklingen ein (um Fingerabdruck-Scans zu verhindern) oder waren halbnackt, da sie dickflüssige Farbe auf ihren Tattoos trocknen lassen mussten, für die Identitätsverschleierung. Ein paar Menschen schmierten sich die schwarze Masse oder das weiße Silikon, das wir auch noch hatten, ebenfalls auf die Arme aus Solidarität mit den anderen, oder aufs Gesicht, um die Gesichtserkennungssoftware der Polizei zu verwirren. Um dennoch kein Black-Facing zu betreiben, malten sie mit bunten Farben über schwarz eingefärbte Gesichtsparts.
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Menschen, die sich dazu bereit erklärt hatten, sich um die Außenwirkung und Presseanfragen zu kümmern, verbrachten die meiste Zeit bereits im späteren Backoffice Am Montag Nachmittag sammelten sich einige Aktivistis, immer mindestens eine Person von allen Bezugsgruppen, in diesem Backoffice, um sich inhaltlich die möglichen Antworten auf die Fragen der Journis zu überlegen wie auch sich der Interviewsituation schon mal probeweise zu stellen. Im Vorhinein hatten wir ein Informationssammelpad im Netz angelegt, auf dem sowohl der wohl sinnvollste Umgang mit der Presse als auch Recherchiertes wie zum Beispiel die Herkunft der in Datteln4 verbrannten Steinkohle(Kolumbien & Russland) oder die Hintergründe des Stromkonzerns Uniper und seine Verbindung zu Finnland ausgetauscht wurden. Mit einer unerwartet realistischen Ernsthaftigkeit stellte einer der Pressemenschen uns dann, einen Edding als Mikrofon-Attrappe nutzend, die wahrscheinlichsten Fragen, von „Was macht ihr hier, was passiert hier?“ bis „Glaubt ihr nicht, dass ihr durch solche extremistischen Aktionen der AfD in die Hände spielt?“. Irgendwie ist es immer wieder bemerkenswert, wie sicher mensch sich mit dem glaubt, was es sich im Kopf zurecht gelegt hat, und wie durcheinander und von „äh“ und „und ja…“ durchzogen dann das, was am Ende von den Lippen perlt, doch ist und vor allem wie unzufrieden mensch am Ende selbst damit ist, wenn es sich dann das Probe-Interview auf dem Video ansieht, auch wenn andere sagen, es sei doch eigentlich sehr gut gewesen. Nichtsdestotrotz halfen die Probe-Interviews allen Beteiligten sehr, sich die eigenen Fehler nochmals bewusst zu machen und die eigenen unbeliebten Muster zu durchbrechen. Bedauerlicherweise sagten alle JournalistInnen, die vorgehabt hatten, mit uns auf das Gelände zu gehen, sehr kurz vorher aus verschiedensten Gründen ab.
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So versuchten wir, während der Blockade selbst Fotomaterial und direkte Telefoninterviews zu liefern, was aufgrund von schlechtem Internet, dem kurzlebigen Akku von alten Handys und dem Repressions- und kältebedingten Stress besser hätte funktionieren können.
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Am Montagabend begann dann der allseits bekannte Stress und immer mehr Menschen stellten fest, dass sie heute wohl nicht mehr zum Schlafen kommen würden. Der Zeitpunkt, an dem wir alle verschlafen aus unseren Schlafsäcken krabbeln und in die Autos fallen würden, die uns dann in den nah am Kraftwerk gelegenen Wald fahren würden, rückte immer näher. Mitten in der Nacht wurden wir geweckt. Trotzdem fing es bereits an, hell zu werden, sobald wir auf dem Kraftwerksgelände gelandet waren, was wir durch die frühe Uhrzeit eigentlich hatten vermeiden wollen.
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Eine kleine Gruppe von Menschen, zu der auch ich gehörte, fuhr, sobald sich der Montagabend verdunkelt hatte, mit den zwei Aluminium-Leitern los, um an einem dem das Kraftwerksgelände Umgebenden ähnelnden Zaun das Hinüberklettern, die Zeit, die dafür benötigte wurde, und die Lautstärke von Metall gegen Metall zu testen.
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Um kurz vor elf gab es dann eine Notfallbesprechung. Ein paar Menschen hatten erfahren,, dass zwei voll mit Kohle beladene Schiffe am Hafen des Kraftwerks im Kanal lagen. Darüber war die Vermutung entstanden, wir könnten zwar morgen blockieren, jedoch würde dies keinen realen Effekt auf die Menge des produzierten Stroms haben, da die Kohle auch ohne den Umweg über die Bunker, deren Funktion wir ja vorhatten zu blockieren, direkt von den Schiffen in den Heizkesssel geschickt werden könne. Es folgte eine längere Diskussion, ob wir die Aktion nun unabhängig davon, aufgrund des öffentlichkeitswirksamen Effekts und des symbolischen Charakters durchführen sollten oder lieber keine Kapazitäten daran verschwenden sollten und die Aktion besser verschieben, gegebenenfalls sogar bis in den Sommer. Auch kam der Vorschlag auf, dass nur die blockieren würden, denen der tatsächliche Effekt egal sei und die anderen nicht. Die Stimmung fiel dann darauf, dass erst mal eine Scoutgruppe zum Überprüfen der Situation mit den Schiffen losziehen würde und wir danach weiter sehen würden. In der Besprechung danach fiel dann der Konsens darauf, dass alle mitmachen würden, teils mit einem nicht vollkommen guten Gefühl und obwohl wir die Möglichkeit, keinen für Uniper gewinneinschränkenden Effekt zu erzielen, zwar für möglich, aber nicht für wahrscheinlich hielten.
  
=== Mensch und Natur - wofür sind sie gut? ===
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'''Bei der Aktion:'''
Mittlerweile hat es sich bei Vielen rumgesprochen: Wenn die Erderwärmung gebremst werden soll, müsste sich ziemlich viel ändern. Der Ausgangspunkt aller Klimapolitik waren und sind – trotz aller moralischer Appelle in Sachen Urlaubs-Flugreisen und Avocados – die kapitalistischen Unternehmen. Von denen hängt das gesamte Leben (Lohn, Steuern, Staatsschulden, Qualität einer Währung) einer bürgerlichen Volkswirtschaft ab. Daran will keine verantwortungsbewusste Regierung von links bis rechts etwas ändern.  
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Wir sprachen fast kein Wort, als wir in dem Lieferwagen zum abgemachten Rausspringort im Wald fuhren. Die vorherrschenden Gefühle waren Kälte und Müdigkeit, gemischt mit aufkeimendem Adrenalin und der Angst vor einer Enttäuschung, sollte die Aktion nicht gelingen. Einmal aus dem Wagen und die schwarz angemalten Leitern, die Lock-Ons und die Rucksäcke mit dem Proviant unter den Arm geklemmt, rannten wir über die Straße, sprangen über einen kleinen Graben und schmissen uns, aufgrund eines anderen herannahenden Autos, in das nasse Laub. Mein eigentlicher Plan war es gewesen, während der gesamten Abläufe Audiodateien aufzunehmen und an das Szeneradio aus München „RadioLora“ zu senden, jedoch hätte ich dafür das hell erleuchtete Smartphone rausholen müssen, was mir in dem Moment als sehr viel zu auffällig vorkam, aber im Nachhinein betrachtet vollkommen okay gewesen wäre. Es erwartete uns kein Tier und keine Kamera. Nicht mal Richtmikrofone oder Stacheldraht.
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Nachdem sich unsere beiden Gruppen nach 20 Minuten wiedergefunden hatten und wir ein Stückchen waldeinwärts gelaufen waren, durch Brombeerranken und Matschflächen, die dazu beitrugen, dass alles noch viel nasser und kälter wurde, konnten wir sie sehen: parallel angeordnete, rot blinkende Lichter in der Ferne, zwischen den dunklen Baumstämmen hindurch. Beim weiteren Weg traten Probleme mit der Routenfindung auf, denn irgendwie hatte letztlich doch niemand einen konkreten Plan vom genauen Weg. In der Situation waren alle überfordert und wenige Einzelpersonen sahen sich plötzlich in die schreckliche Verantwortung versetzt,  jetzt zu sagen, wo es lang gehen sollte. Nach einem Mini-Plenum an einem aufmerksamkeitserregungstechnisch sehr ungünstigen Ort unter einem Baum am Wegrand fiel die Entscheidung darauf, einfach über das große Feld den Luftlinienweg zum Kraftwerkszaun zu nehmen. Das Über-den-Zaun-Kommen war aufgrund von Kletterkarabinern gegen den Metallzaun und die Leiter sehr laut, funktionierte letztendlich aber problemlos.
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Über die Aktion selbst werde ich hier jetzt nicht viel berichten, da verschiedene Leute dies über diverse andere Medien schon getan haben. Insgesamt lässt sich sagen, dass die Portalkratzer und Absetzer mit Seil- und Freiklettern teilweise mit dem Körper, teilweise mit Locks blockiert wurden und  sich eine weitere Bezugsgruppe an einem schräg nach oben laufenden Fließband anlockte. Die Blockade dauerte von ca. fünf Uhr, als wir auf dem Gelände eintrafen, bis etwas 10 Uhr nachts, als alle geräumt waren. Die Supporties wurden als Erstes abgeführt, das Verhalten der Pozilei lässt sich als angespannt, diskriminierend und teilweise hasserfüllt beschreiben. Eines der größten Probleme war die windige Kälte. Die Blockadezeit über wurden wir erst von ein paar Streifen beobachtet, dann kamen die Feuerwehr, zwei ständig über uns kreisende und extrem laute Hubschrauber, über 30 Wannen und die technischen Einheiten, die erstaunlich schnell zur Stelle waren.
  
Dass „die Wirtschaft“ florieren muss, da sind sich alle einig. Und das geht so: Unternehmen wollen mit dem, was sie herstellen, mehr einnehmen, als sie dafür ausgegeben haben. Dafür wird Einkauf, Produktion und Verkauf darauf getrimmt, den Gewinn zu steigern. Lohnarbeiter*innen bekommen das zu spüren, wenn sie für weniger, gleichen und manchmal auch mehr Lohn immer mehr zu leisten haben. Genauso gehen Unternehmen auch mit der Natur um: Herausholen, was geht, so günstig wie möglich. Energie- und Rohstoffgewinnung und Abfallentsorgung sind nur Kostenpunkte. Vergiftung der Böden, Flüsse und auch der Atmosphäre kostet die Unternehmen erstmal nichts. 
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'''Nach der Aktion:'''
 
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Mit Blaulicht und Sirene beförderte die Pozilei die Geräumten in die Gefangenensammelstelle, auf Nachfrage hin einfach aus Lust und Laune. In der Gesa gab niemensch die eigene Identität an. Die weiblich gelesenen Personen landeten in einem in einer Garage befindlichen Metallgitterkäfig mit Betonboden. Das Tor der Garage war die ganze Zeit über offen und es war sehr kalt. Veganes Essen bekamen wir, obwohl wir bei der Aufnahme danach gefragt worden waren, keines, durften aber nach kleiner Diskussion unseren eigenen Proviant aus dem Rucksack bekommen, der gegenüber in einem Metallschrank eingeschlossen war. Dass wir am Ende alle um 2 Uhr nachts des Mittwochs draußen waren, verdankten wir einer gehörigen Prise Glück. Die Pozilei war sich einig, dass sie alles versuchen würden, um uns für mindestens 7 Tage in der Gesa zu behalten, um ein allgemeines Exempel für alle Umweltaktivistis zu statuieren, ungeachtet der damit zur Schau gestellten Willkürjustiz. Ein paar Minuten bevor zwei Menschen, sehr gehetzt und unvermittelt, zur Haftrichterin gebracht wurden, kam ein anderer Mensch gerade vom EA-Telefonat in die Zelle und gab uns die Info weiter, dass es sehr sinnvoll wäre, bei der/dem HaftrichterIn einen eben informierten Anwalt anzurufen. Dieser Anwalt telefonierte mit der Haftrichterin und schaffte es tatsächlich, sie davon zu überzeugen, dass es nicht rechtens sei, uns mit der Begründung „Gefahrenabwehr“ weiter in der Gesa zu behalten, da hierfür keine Indizien nachgewiesen werden könnten und deshalb ein Platzverweis für das gesamte Gelände das mildere zu wählende Mittel sei.
Recycling wird dann gemacht, wenn es sich lohnt, z. B. wenn die Rohstoffe teuer sind – aber wenn nicht, dann nicht. Energie einsparen für den gleichen Output wird dann gemacht, wenn es sich lohnt – wenn nicht, dann nicht. Damit die Geldvermehrung immer umfangreicher vollzogen werden kann, muss die Produktion immer weiter wachsen und damit letztlich auch der Energieverbrauch. Das alles liegt nicht daran, dass Unternehmer*innen oder Manager*innen zu doof oder zu gierig sind.Sondern daran, wie die Wirtschaft hierzulande organisiert ist und was ihr Zweck ist: Private Gewinnvermehrung mittels Produktion für den zahlungsfähigen Bedarf.1
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Am nächsten Morgen gelang es uns, was nach Aktionen dieser Art leider nicht oft der Fall ist, eine Feedback-Runde zu machen. In dieser stellten wir unter anderem fest, dass wir unglaubliches Glück gehabt hatten. Wenn nur minimal etwas nicht so gelaufen wäre, wie es gelaufen war, wenn ein aufmerksameres Arbeiti auf dem Gelände gerade Schicht gehabt hätte, wenn wir es nicht doch noch geschafft hätten, im dunklen Wald den richtigen Weg zu wählen, ein paar Menschen durch die spontane Scoutaktion am Montagabend nicht zufällig herausgefunden hätten, dass der Weg, von dem wir dachten, wir könnten ihn zum Absetzen nutzen, gar nicht existierte oder wenn eine anwohnende Person mit Schlafproblemen an der Stelle einen nächtlichen Spaziergang gemacht hätte, dann wäre alles ins Wasser gefallen. In dieser Runde kamen viele Aspekte auf, die besser hätten laufen können. Zum Beispiel fühlten sich die Fahris, nachdem am Abend alle wieder am Safespace-Ort waren, insgesamt sehr unwohl, da sie durch fehlende Navis bei organisatorischen Fahrten Ewigkeiten sinnlos durch die Gegend gekurvt waren. Im Allgemein fanden wir das Fazit, dass in Zukunft aufgepasst werden müsse, das geäußerte Vermutungen nicht direkt als unumstößliche Fakten hingenommen werden, sondern besser nachgeforscht werden müsste.
 
 
=== Die Wirtschaft - wofür ist die gut? ===
 
Auch die Politik ist nicht blind, konfliktscheu oder korrupt, wenn sie genau dieses Wirt-schaftswachstum auf Kosten von Mensch und Natur fördert. Die Staaten (und Regier-ungen) der Welt setzen auf die kapitalistische Produktion als eine historisch unvergleich-bare Machtquelle. Nie zuvor hat eine Produktion einer Herrschaft soviel Reichtum zuge-spielt, um ihre Zwecke zu verwirklichen (z.B. Beamte bezahlen, Infrastruktur organisieren). Von A wie Arbeitsagentur bis Z wie Zulassungsstelle benutzt der Staat das Steuergeld, um die Gesellschaft am Laufen zu halten. Damit das gut und immer besser funktioniert, küm-mern sich Staaten darum, dass für die Unternehmen genug Energie zuverlässig und billig vorhanden ist. Und dass ihren Unternehmen die ganze Welt als Markt offen steht. Man denke nur an Deutschland mit seiner Autoindustrie, die ihre Karren weltweit absetzt.
 
 
 
Damit andere Staaten, die das gleiche Interesse für ihre Wirtschaft haben, da nicht zwi-schen funken, versucht jeder Staat, sich andere Staaten unterzuordnen: In Handels-verträgen versuchen sie der eigenen Wirtschaft möglichst viele Vorteile zu verschaffen. Der Staat macht sich zum Mittel der kapitalistischen Wirtschaft, weil er dadurch stark (die Grünen würden sagen „handlungsfähig“) wird. Der Erfolg der heimischen Wirtschaft ist dabei wiederum das Mittel der Staaten, um sich gegen andere Staaten durchzusetzen. In dieser Konkurrenz um Über- und Unterordnung, die für den Erfolg der eigenen Unter-nehmen geführt wird, ist der Erfolg der eigenen Wirtschaft das entscheidende Machtmittel. Nicht umsonst ist Deutschland als die Wirtschaftsmacht in Europa auch die Führungsmacht.
 
 
 
=== Umweltschutz - was kostet der Abfall? ===
 
Dass die Umwelt bei diesem volkswirtschaftlichen Programm vor die Hunde geht, wird dabei durchaus wahrgenommen. Mehr Leute, die sterben oder Landstriche, die nicht mehr ohne weiteres benutzt werden können, werden hochgerechnet in Kosten für die Volkswirt-schaft. Wo die Unternehmen die Menschen und die Umwelt eher als Umsonstladen be-nutzen, sorgt sich der Staat darum, dass beides auch morgen noch für ihn und die Wirt-schaft zur Verfügung steht – deshalb macht er Sozial- und Umweltpolitik.
 
 
 
Dabei hat der Staat ein Problem: Das kostet Geld, ist „eine Belastung für die Wirtschaft“ und verhindert manches profitable Geschäft (z.B. Fracking). Dem Staat stellt sich deshalb immer die Frage, ob das wirklich sein muss. Im Ergebnis wird dann umwelttechnisch manchmal einfach gar nichts gemacht, und stattdessen in öffentlichen Reden die Schädengeleugnet oder kleingeredet. Wenn dann doch was gemacht wird, dann zumeist so: Den Unternehmen wird möglichst viel Zeit gelassen, sich möglichst günstig entsprechend der neuen Vorgaben umzustellen. Im Laufe der Zeit werden dann mal Grenzwerte festgelegt, mal bekommen Verschmutzungen einen Preis – Emissionshandel oder CO2-Steuer.
 
 
 
=== Klimapolitik - was kostet die Welt? ===
 
Wenn die Regierungen der Welt zusammen kommen, um gegen den Klimawandel etwas zu unternehmen, dann sind sie sich in der Regel uneinig. Erstens ganz fundamental darin, wie dringend gehandelt werden muss, denn bis zu welcher Grenze die Erwärmung der Erde noch zu akzeptieren ist, stellt sich für Staaten höchst unterschiedlich dar. Für viele kleine Inselstaaten sind schon 1,5 Grad globale Erwärmung zu viel. Für Länder wie Russland geht selbst eine Erwärmung um 2 Grad sogar mit allerlei erhofften Vorteilen einher. Staaten sind sehr unterschiedlich von den Folgen des Klimawandels betroffen.2
 
 
 
Zweitens verfolgen sie unterschiedliche Klimaschutzstrategien, die sich oft genug wider-sprechen und wechselseitig behindern. Denn Staaten verfolgen bestimmte Klimaschutz-maßnahmen sehr gerne und andere wiederum überhaupt nicht – je nach Vorteil für die nationale Wirtschaft. So ist für die meisten Industriestaaten die Abhängigkeit von Öl- und Gaslieferländern schon länger eine ärgerliche Nebenwirkung ihrer Energiepolitik. Die Er-zeugung von Energie jenseits von Verbrennung von Öl und Gas ist deshalb für diese Staaten interessant – und zwar erstmal völlig unabhängig von der Klimapolitik. Zur unabhängigen Energieversorgung der nationalen Wirtschaft setzen deshalb manche Staaten auf die För-derung von erneuerbaren Energien. Je unabhängiger man sich von anderen Energieliefer-anten macht, desto besser kann man gute Öl- und Gaspreise bei den Lieferländern aushandeln.
 
 
 
Wenn dann in diesem Sinne eine neue Industrie aufgebaut wird, ist sofort der wirt-schaftspolitische Gedanke da, daraus einen Exportschlager zu machen, wie es mit der Solarenergie in Deutschland bis 2012 versucht wurde. Als Chinas Solarproduktion sich dann doch als konkurrenzfähiger erwiesen hat und von der deutschen Energiesubvention profitierte, wurde die Förderung umgehend wieder eingestellt. Öl- und Gasstaaten und die Transitländer der Rohstoffe finden hingegen die neue Energiepolitik der Industriestaaten naturgemäß nicht gut. Andere Staaten sehen wiederum eine Chance, durch die Bereitstel-lung großer Flächen für Biomasse und Solarfelder wenigstens ein bisschen Miete von den kapitalistischen Großmächten bzw. von deren Unternehmerschaft abzugreifen.
 
Gibt es in einer Wirtschaft entscheidende Schlüsselindustrien – wie in Deutschland die Autoindustrie – sorgt das für Widerstand gegen Maßnahmen, die diese Industrie gefähr-den. Daher trat die deutsche Regierung, egal ob CDU/SPD, CDU/FDP oder SPD/Grüne, immer wieder auf die Bremse, wenn Frankreich hier ein paar weitergehende Klimaschutzmaßnahmen vorschlug. Anders verhält es sich, wenn der deutschen Autoin-dustrie ihr Spitzenplatz streitig gemacht werden soll, zum Beispiel wenn China die Klima-frage nutzt, um mit nationalen E-Auto-Vorgaben endlich selbst einen Weltautokonzern auf die Beine zu stellen. Da will sich VW nicht abhängen lassen - zu aussichtsreich sind die Absatzchancen in China und darüber hinaus. Das leuchtet auch der Bundesregierung ein, die das Unterfangen unterstützt, bspw. indem sie den Ausbau von Ladestationen beschleunigt.
 
 
 
=== Fazit - Mit Klimapolitik in die Klimakrise? ===
 
So ging und geht die Klimapolitik voran. Maßnahmen, die Kostennachteile für die eigene Volkswirtschaft bringen, werden schlichtweg vermieden. Maßnahmen, die die eigene Volkswirtschaft voranbringen, zum Beispiel wenn sie Absatzmärkte für eigene „grüne“ Weltmarkt-Champions eröffnen, werden durchgezogen. Der technische Fortschritt ist dabei als Mittel für neues kapitalistisches Wachstum wie immer voll eingeplant – einmal als Mittel für Weltmarktexpansionen nationaler Produkte, und einmal als Hoffnungsträger für zukünftige technische Innovationen. So besteht in der Politik die leise Hoffnung, dass mit einer Erfindung „made in Germany“ der Klimawandel oder seine Folgen abgewendet werden können. Dann erübrigen sich auch Entscheidungen, die schwer fallen, zum Beispiel strenge Emissionsgrenzen.
 
 
 
Das alles meint Merkel, wenn sie die Klimaproteste für ihr ehrenwertes Anliegen lobt und zugleich daran erinnert, dass Vieles zu bedenken ist. „Wir müssen Arbeitsplätze und Wirtschaftskraft auf der einen Seite mit den Zielen des Klimaschutzes versöhnen.“ Und etwas anderes ist auch nicht abzusehen, wenn sich derzeit Bündnis90/Die Grünen fit für die Machtübernahme machen. Trittin als Umweltminister hat in dieser Hinsicht schon mal gezeigt, was zu erwarten ist (Atomausstieg mit langen Laufzeiten, Abwehr von Vorschlägen aus Frankreich für weitergehende Klima-Ziele).
 
 
 
Klimapolitik geht also, aber sie geht in einer kapitalistischen Nationalökonomie eben so. Dass das ausreichen würde, um Kipppunkte zu vermeiden, ist nicht sehr wahrscheinlich. Von daher ist eine Umweltbewegung, die sich an die Politik wendet, verkehrt. Vielleicht werden durch die Klimapolitik dauerhaft klimaschädliche Stoffe reduziert. Sehr wahrscheinlich ist das nicht. Und wenn, dann mit allen beschriebenen Nebenwirkungen moderner Politik. Es steht daher an, sich gegen die Zwecke und Ziele der herrschenden Politik zu richten. Appelle an Politik und Wirtschaft der Sorte „strengt euch bitte mehr an“ sind dagegen völlig fehl am Platze.
 
 
 
''Ein Flugblatt anlässlich der Klimaproteste am 29.11.2019 von Kritik im Handgemenge Berlin, organisiert bei den Gruppen gegen Kapital und Nation – http://gegner.in ''
 
  
  

Version vom 11:19, 12. Apr 2020

Datteln vom Netz pflücken

Erfahrungsbericht einer Kraftwerksblockade anonym Kleiner Disclaimer: Der Text soll weniger ein Bericht aus der Aktion oder eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der 2020 offensichtlicherweise vollkommen absurden Steinkohleverstromung sein, davon gibt es schon einige, sondern die Vor- und Nachbereitungsphase als Erfahrungsbericht beschreiben (darüber wird ja sonst bei Aktionen oft wenig berichtet). Des Weiteren ist es wichtig, herauszustellen, dass das hier die persönliche Sichtweise einer an der Aktion beteiligten Einzelperson auf die Ereignisse beschreibt und keineswegs eine Stellungnahme der gesamten Aktivistigruppe ist, denn nur ich habe diesen Text geschrieben. Diese Aktivistigruppe ist keineswegs fest und fortbestehend, sondern Menschen aus verschiedensten Zusammenhängen der Klimagerechtigkeitsbewegung, die sich speziell zu diesem Thema, zum Zwecke dieser Aktion zusammengefunden haben, die unter keinem Namen und unter keinem Label stehen und diverse inhaltliche und persönliche Hintergründe haben.

Vor der Aktion: Zu Beginn hatten die, die sich die Idee zu der ganzen Sache überlegt hatten, angedacht, dass ein paar wenige Menschen alles planen und weitere Menschen auf Abruf verfügbar bleiben und schnell anreisen können. Der Grund dafür war, dass es bis dahin so aussah, als würde Uniper erst kurz vor der angeblich testläufigen Inbetriebnahme den genauen Anschaltezeitpunkt bekanntgeben. Es gab im Vorfeld also schon einige Absprachen und Telekonferenzen und so war die Vor-Planung bis zum Treffen nicht so inklusiv, wie sie hätte sein können. Am Montag sollte die Aktion dann stattfinden und wir hatten vor, uns 2 Tage früher alle schon einmalzu treffen, um die vorher in den Telefonkonferenzen besprochene Planung noch zu spezifizieren und alle Handelnden choreografisch aufeinander abzustimmen. Am Freitag Abend kam dann die Information, dass sich die Aktion wohl doch erst am Dienstag ereignen würde, und sich so auch unser Treffzeitpunkt auf Sonntag Mittag verschob. Der Grund für die Verschiebung lag in dem über eine regelmäßig überprüfte Website (https://www.eex-transparency.com/en/power/de/production/availability/ ) klar gewordenen Fakt, das Kraftwerk würde erst Montag um 11 Uhr Vormittags anlaufen, und die Vorstellung der Meisten war es, eine über das symbolische Signal hinausgehende Wirkung zu erzeugen. Bei der ersten Besprechung am Sonntag Nachmittag sagten wir zuerst in einer Runde unsere Aktionsnamen plus gewünschtes Pronomen. Ein paar Menschen hatten sich im Vorhinein Gedanken zu der TOPs und den ToDos gemacht und sie auf die Rückseite eines alten Plakats geschrieben. Nach Verschiebungen und Ergänzungen gingen wir sie durch. Die Besprechung dauerte über zwei Stunden und war anstrengend, aber produktiv. Wir bildeten ein paar Arbeitsgruppen zu Themen wie „wie kommen wir über den Zaun?“, „Aktionshandys einrichten“ oder „Material mit Spiritus putzen“ und sprachen auch einen groben Zeitraum ab, in dem sich die Bezugsgruppen untereinander nochmal absprechen konnten. Die beiden Lock-On-Gruppen waren bis Montag Mittag noch nicht komplett und die Planung des genauen Ablaufs auf dem Gelände gestaltete sich aufgrund von fehlender Ortskenntnis ebenfalls als schwierig. Bis kurz vor der Aktion war nicht ganz klar, wo genau sich die Menschen anlocken würden, und wer mit wem in einer Bezugsgruppe sein würde. In der letzten Besprechung vor der Aktion ritzten sich viele nebenbei die Fingerkuppen mit Rasierklingen ein (um Fingerabdruck-Scans zu verhindern) oder waren halbnackt, da sie dickflüssige Farbe auf ihren Tattoos trocknen lassen mussten, für die Identitätsverschleierung. Ein paar Menschen schmierten sich die schwarze Masse oder das weiße Silikon, das wir auch noch hatten, ebenfalls auf die Arme aus Solidarität mit den anderen, oder aufs Gesicht, um die Gesichtserkennungssoftware der Polizei zu verwirren. Um dennoch kein Black-Facing zu betreiben, malten sie mit bunten Farben über schwarz eingefärbte Gesichtsparts. Menschen, die sich dazu bereit erklärt hatten, sich um die Außenwirkung und Presseanfragen zu kümmern, verbrachten die meiste Zeit bereits im späteren Backoffice Am Montag Nachmittag sammelten sich einige Aktivistis, immer mindestens eine Person von allen Bezugsgruppen, in diesem Backoffice, um sich inhaltlich die möglichen Antworten auf die Fragen der Journis zu überlegen wie auch sich der Interviewsituation schon mal probeweise zu stellen. Im Vorhinein hatten wir ein Informationssammelpad im Netz angelegt, auf dem sowohl der wohl sinnvollste Umgang mit der Presse als auch Recherchiertes wie zum Beispiel die Herkunft der in Datteln4 verbrannten Steinkohle(Kolumbien & Russland) oder die Hintergründe des Stromkonzerns Uniper und seine Verbindung zu Finnland ausgetauscht wurden. Mit einer unerwartet realistischen Ernsthaftigkeit stellte einer der Pressemenschen uns dann, einen Edding als Mikrofon-Attrappe nutzend, die wahrscheinlichsten Fragen, von „Was macht ihr hier, was passiert hier?“ bis „Glaubt ihr nicht, dass ihr durch solche extremistischen Aktionen der AfD in die Hände spielt?“. Irgendwie ist es immer wieder bemerkenswert, wie sicher mensch sich mit dem glaubt, was es sich im Kopf zurecht gelegt hat, und wie durcheinander und von „äh“ und „und ja…“ durchzogen dann das, was am Ende von den Lippen perlt, doch ist und vor allem wie unzufrieden mensch am Ende selbst damit ist, wenn es sich dann das Probe-Interview auf dem Video ansieht, auch wenn andere sagen, es sei doch eigentlich sehr gut gewesen. Nichtsdestotrotz halfen die Probe-Interviews allen Beteiligten sehr, sich die eigenen Fehler nochmals bewusst zu machen und die eigenen unbeliebten Muster zu durchbrechen. Bedauerlicherweise sagten alle JournalistInnen, die vorgehabt hatten, mit uns auf das Gelände zu gehen, sehr kurz vorher aus verschiedensten Gründen ab. So versuchten wir, während der Blockade selbst Fotomaterial und direkte Telefoninterviews zu liefern, was aufgrund von schlechtem Internet, dem kurzlebigen Akku von alten Handys und dem Repressions- und kältebedingten Stress besser hätte funktionieren können. Am Montagabend begann dann der allseits bekannte Stress und immer mehr Menschen stellten fest, dass sie heute wohl nicht mehr zum Schlafen kommen würden. Der Zeitpunkt, an dem wir alle verschlafen aus unseren Schlafsäcken krabbeln und in die Autos fallen würden, die uns dann in den nah am Kraftwerk gelegenen Wald fahren würden, rückte immer näher. Mitten in der Nacht wurden wir geweckt. Trotzdem fing es bereits an, hell zu werden, sobald wir auf dem Kraftwerksgelände gelandet waren, was wir durch die frühe Uhrzeit eigentlich hatten vermeiden wollen. Eine kleine Gruppe von Menschen, zu der auch ich gehörte, fuhr, sobald sich der Montagabend verdunkelt hatte, mit den zwei Aluminium-Leitern los, um an einem dem das Kraftwerksgelände Umgebenden ähnelnden Zaun das Hinüberklettern, die Zeit, die dafür benötigte wurde, und die Lautstärke von Metall gegen Metall zu testen. Um kurz vor elf gab es dann eine Notfallbesprechung. Ein paar Menschen hatten erfahren,, dass zwei voll mit Kohle beladene Schiffe am Hafen des Kraftwerks im Kanal lagen. Darüber war die Vermutung entstanden, wir könnten zwar morgen blockieren, jedoch würde dies keinen realen Effekt auf die Menge des produzierten Stroms haben, da die Kohle auch ohne den Umweg über die Bunker, deren Funktion wir ja vorhatten zu blockieren, direkt von den Schiffen in den Heizkesssel geschickt werden könne. Es folgte eine längere Diskussion, ob wir die Aktion nun unabhängig davon, aufgrund des öffentlichkeitswirksamen Effekts und des symbolischen Charakters durchführen sollten oder lieber keine Kapazitäten daran verschwenden sollten und die Aktion besser verschieben, gegebenenfalls sogar bis in den Sommer. Auch kam der Vorschlag auf, dass nur die blockieren würden, denen der tatsächliche Effekt egal sei und die anderen nicht. Die Stimmung fiel dann darauf, dass erst mal eine Scoutgruppe zum Überprüfen der Situation mit den Schiffen losziehen würde und wir danach weiter sehen würden. In der Besprechung danach fiel dann der Konsens darauf, dass alle mitmachen würden, teils mit einem nicht vollkommen guten Gefühl und obwohl wir die Möglichkeit, keinen für Uniper gewinneinschränkenden Effekt zu erzielen, zwar für möglich, aber nicht für wahrscheinlich hielten.

Bei der Aktion: Wir sprachen fast kein Wort, als wir in dem Lieferwagen zum abgemachten Rausspringort im Wald fuhren. Die vorherrschenden Gefühle waren Kälte und Müdigkeit, gemischt mit aufkeimendem Adrenalin und der Angst vor einer Enttäuschung, sollte die Aktion nicht gelingen. Einmal aus dem Wagen und die schwarz angemalten Leitern, die Lock-Ons und die Rucksäcke mit dem Proviant unter den Arm geklemmt, rannten wir über die Straße, sprangen über einen kleinen Graben und schmissen uns, aufgrund eines anderen herannahenden Autos, in das nasse Laub. Mein eigentlicher Plan war es gewesen, während der gesamten Abläufe Audiodateien aufzunehmen und an das Szeneradio aus München „RadioLora“ zu senden, jedoch hätte ich dafür das hell erleuchtete Smartphone rausholen müssen, was mir in dem Moment als sehr viel zu auffällig vorkam, aber im Nachhinein betrachtet vollkommen okay gewesen wäre. Es erwartete uns kein Tier und keine Kamera. Nicht mal Richtmikrofone oder Stacheldraht. Nachdem sich unsere beiden Gruppen nach 20 Minuten wiedergefunden hatten und wir ein Stückchen waldeinwärts gelaufen waren, durch Brombeerranken und Matschflächen, die dazu beitrugen, dass alles noch viel nasser und kälter wurde, konnten wir sie sehen: parallel angeordnete, rot blinkende Lichter in der Ferne, zwischen den dunklen Baumstämmen hindurch. Beim weiteren Weg traten Probleme mit der Routenfindung auf, denn irgendwie hatte letztlich doch niemand einen konkreten Plan vom genauen Weg. In der Situation waren alle überfordert und wenige Einzelpersonen sahen sich plötzlich in die schreckliche Verantwortung versetzt, jetzt zu sagen, wo es lang gehen sollte. Nach einem Mini-Plenum an einem aufmerksamkeitserregungstechnisch sehr ungünstigen Ort unter einem Baum am Wegrand fiel die Entscheidung darauf, einfach über das große Feld den Luftlinienweg zum Kraftwerkszaun zu nehmen. Das Über-den-Zaun-Kommen war aufgrund von Kletterkarabinern gegen den Metallzaun und die Leiter sehr laut, funktionierte letztendlich aber problemlos. Über die Aktion selbst werde ich hier jetzt nicht viel berichten, da verschiedene Leute dies über diverse andere Medien schon getan haben. Insgesamt lässt sich sagen, dass die Portalkratzer und Absetzer mit Seil- und Freiklettern teilweise mit dem Körper, teilweise mit Locks blockiert wurden und sich eine weitere Bezugsgruppe an einem schräg nach oben laufenden Fließband anlockte. Die Blockade dauerte von ca. fünf Uhr, als wir auf dem Gelände eintrafen, bis etwas 10 Uhr nachts, als alle geräumt waren. Die Supporties wurden als Erstes abgeführt, das Verhalten der Pozilei lässt sich als angespannt, diskriminierend und teilweise hasserfüllt beschreiben. Eines der größten Probleme war die windige Kälte. Die Blockadezeit über wurden wir erst von ein paar Streifen beobachtet, dann kamen die Feuerwehr, zwei ständig über uns kreisende und extrem laute Hubschrauber, über 30 Wannen und die technischen Einheiten, die erstaunlich schnell zur Stelle waren.

Nach der Aktion: Mit Blaulicht und Sirene beförderte die Pozilei die Geräumten in die Gefangenensammelstelle, auf Nachfrage hin einfach aus Lust und Laune. In der Gesa gab niemensch die eigene Identität an. Die weiblich gelesenen Personen landeten in einem in einer Garage befindlichen Metallgitterkäfig mit Betonboden. Das Tor der Garage war die ganze Zeit über offen und es war sehr kalt. Veganes Essen bekamen wir, obwohl wir bei der Aufnahme danach gefragt worden waren, keines, durften aber nach kleiner Diskussion unseren eigenen Proviant aus dem Rucksack bekommen, der gegenüber in einem Metallschrank eingeschlossen war. Dass wir am Ende alle um 2 Uhr nachts des Mittwochs draußen waren, verdankten wir einer gehörigen Prise Glück. Die Pozilei war sich einig, dass sie alles versuchen würden, um uns für mindestens 7 Tage in der Gesa zu behalten, um ein allgemeines Exempel für alle Umweltaktivistis zu statuieren, ungeachtet der damit zur Schau gestellten Willkürjustiz. Ein paar Minuten bevor zwei Menschen, sehr gehetzt und unvermittelt, zur Haftrichterin gebracht wurden, kam ein anderer Mensch gerade vom EA-Telefonat in die Zelle und gab uns die Info weiter, dass es sehr sinnvoll wäre, bei der/dem HaftrichterIn einen eben informierten Anwalt anzurufen. Dieser Anwalt telefonierte mit der Haftrichterin und schaffte es tatsächlich, sie davon zu überzeugen, dass es nicht rechtens sei, uns mit der Begründung „Gefahrenabwehr“ weiter in der Gesa zu behalten, da hierfür keine Indizien nachgewiesen werden könnten und deshalb ein Platzverweis für das gesamte Gelände das mildere zu wählende Mittel sei. Am nächsten Morgen gelang es uns, was nach Aktionen dieser Art leider nicht oft der Fall ist, eine Feedback-Runde zu machen. In dieser stellten wir unter anderem fest, dass wir unglaubliches Glück gehabt hatten. Wenn nur minimal etwas nicht so gelaufen wäre, wie es gelaufen war, wenn ein aufmerksameres Arbeiti auf dem Gelände gerade Schicht gehabt hätte, wenn wir es nicht doch noch geschafft hätten, im dunklen Wald den richtigen Weg zu wählen, ein paar Menschen durch die spontane Scoutaktion am Montagabend nicht zufällig herausgefunden hätten, dass der Weg, von dem wir dachten, wir könnten ihn zum Absetzen nutzen, gar nicht existierte oder wenn eine anwohnende Person mit Schlafproblemen an der Stelle einen nächtlichen Spaziergang gemacht hätte, dann wäre alles ins Wasser gefallen. In dieser Runde kamen viele Aspekte auf, die besser hätten laufen können. Zum Beispiel fühlten sich die Fahris, nachdem am Abend alle wieder am Safespace-Ort waren, insgesamt sehr unwohl, da sie durch fehlende Navis bei organisatorischen Fahrten Ewigkeiten sinnlos durch die Gegend gekurvt waren. Im Allgemein fanden wir das Fazit, dass in Zukunft aufgepasst werden müsse, das geäußerte Vermutungen nicht direkt als unumstößliche Fakten hingenommen werden, sondern besser nachgeforscht werden müsste.