2016-01:Tar Sands

Aus grünes blatt
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Teil 10

"Tar Sands":
Nachhaltige Zerstörung von Urwäldern und Feuchtgebieten, Enteignung indigener Menschen und größter Einzelverursacher des Treibhauseffekts

fb Die bisherigen Teile dieses Artikels gaben einen Überblick über die Tar Sands-Vorkommen und die Ölindustrie in Alberta. Weiterer Fokus waren die ökologischen Auswirkungen der Tar Sands-Industrie, die Technologie der Rohölerzeugung aus den Tar Sands von der Konditionierung bis zum Upgrading sowie die Abbauverfahren. In den letzten Teilen ging es um sogenannte "Renaturierungs"-Beispiele der Tar Sands-Industrie.



Brandkatastrophe

Aus aktuellem Anlass geht es in dieser Folge des Tar Sands-Berichts um den verheerenden Waldbrand, der Anfang Mai 2016 die Region der inoffiziellen Tar Sands-Hauptstadt[1] Fort McMurray heimsuchte. Am 1. Mai startete südwestlich der kanadischen 78.000-Einwohner*innen-Stadt[2] Fort McMurray, die formal den Status einer "Urban Service Area" hat[3]. Am 3. Mai erfasste es das Stadtgebiet, wo mehr als 2.400 Gebäude (über 10 % aller Häuser[4]) zerstört wurden. Es wird spekuliert, dass dieser Waldbrand zur teuersten Katastrophe in der Geschichte Kanadas werden könnte, falls die Hochrechnungen der Versicherungsgesellschaften zutreffen, die von Schäden in Höhe von etwa 9 Milliarden Kanadischer Dollar[5] ausgehen[6]. Schon jetzt handelt es sich um die größte Waldbrand-Evakuierung, die Kanada jemals erlebt hat[7][8].[9]

In "Vice News" beschreibt Matt Smith die Brandkatastrophe als "apokalyptische Szene": "Zehntausende fliehen vor einem heraneilenden Flächenbrand - und haben Probleme das nötig Benzin zu bekommen - im Herzen von Kanadas Oil Patch."[10] Kanadische Rettungskräfte setzten Tanklaster auf dem Highway 63 für gestrandete Flüchtende ein - tausende PKW hatten hier versucht den Flammen zu entkommen[11]. Neben der Fort McKay First Nation stellten auch diverse Ölkonzerne[12][13][14] Flächen nördlich der brennenden Stadt für die Aufnahme Evakuierter zur Verfügung[15]. - Zur Erinnerung: Die Fort McKay First Nation kämpfte bis vor mehr als einem Jahrzehnt vehement gegen die Ölindustrie, die sich (vermutlich rechtswidrig) große Gebiete ihrer "traditional lands" angeeignet und die lokale Natur für die Ausbeutung der Bodenschätze zerstörte. Ohne jegliche Unterstützung durch die sich damals am Pelzhandel der indigenen Community störenden kanadischen Öko-NGOs gab der Chief der First Nation schließlich den hoffnungslosen Kampf auf und indigene Unternehmensgründungen starteten, um zumindest durch Dienstleistungen für die Ölindustrie einen kleinen Teil der Gewinne aus dem Ölgeschäft der leidenden Community zukommen zu lassen. Viele Indigene arbeiten heute (unter schlechterer Bezahlung als die Nachfahren der weißen Siedler*innen) für die Ölkonzerne, weil es nahezu keine Beschäftigungsalternativen gibt, aber die Auswirkungen der Industrie auf indigene Kultur und traditionelle Nahrungsbeschaffung marktwirtschaftliche Zwänge beschert hatten.

Zum Zeitpunkt der Produktion dieser Ausgabe des grünen blatts ist das Feuer noch immer nicht vollständig gestoppt. Bislang sind 241.000 Hektar Fläche verbrannt[11], zwei indirekte Todesopfer aus einem Verkehrsunfall im Evakuierungschaos wurden bisher erfasst[5]. Etwa 88.000 Menschen mussten evakuiert werden - großteils über den einzigen die Stadt mit anderen Teilen Albertas verbindenden Highway 63, der teilweise ebenfalls vom Brand erfasst war[16], nachdem das Flächenfeuer ihn am Nachmittag des 4. Mais südlich Fort McMurrays überquert[17][18] hatte. Einige hundert Menschen mussten auf dem Luftweg in Sicherheit gebracht werden[11]. Die Regierung Albertas sagte für die Evakuierten finanzielle Unterstützung in Höhe von 1.250 Kanadischer Dollar pro Erwachsenen und 500 Kanadischer Dollar für Kinder in Form von Debitcards[19] zu, wovon in den ersten beiden Wochen bereits 38 Millionen Kanadische Dollar ausgeteilt wurden[20]; insgesamt wurden zunächst 200 Millionen Kanadische Dollar aus dem Desasterbewältigungs-Programm DRP für die Gemeinden und ihre Einwohner*innen bereitgestellt, welche vorsorglich bereits im 2016er Haushalt der Provinz für Notsituationen eingeplant worden waren[11]. Tankstellen der hier die Tar Sands ausbeutenden Konzerne explodierten[16][18], als das Feuer Besitz von der Stadt ergriff.[9] Neben der offenkunndigen Gefahren durch die Feuer stellen die Rauchwolken, die sich von Fort McMurray in südöstlicher und östlicher Richtung über hunderte Kilometer ausgebreitet haben und Auswirkungen bis in südliche Gebiete der USA zeigen, eine akute Gesundheitsgefahr für die betroffenen Menschen dar[11].

Zuerst wurde der Waldbrand mit der Seriennummer "MWF-009" (9. Waldbrand der Saison im Gebiet Fort McMurrays) von einer Mannschaft des Ministeriums für Landwirtschaft und Forstwirtschaft am Sonntagmorgen des 1. Mai lokalisiert. Zunächst wurde nichts bemerkenswertes daran befunden, obwohl bereits 500 Hektar außer Kontrolle[17] 15 Kilometer[9] im Südwesten der Stadt brannten und alle Voraussetzungen für einen katastrophalen Flächenbrand inmitten dichten Borealen Waldes erfüllt waren: heißes trockenes Wetter, starke Winde und geringe Luftfeuchtigkeit. Im Gegensatz zum nächsten registrierten Waldbrand der Region, MWF-010, der schnell gelöscht werden konnte, stellte sich Nummer 9, nach dem Fluss an seinem Ausgangsort auch als "Horse River Fire" bezeichnet[9], als schwer zu bekämpfen heraus. Mehr als 1.700 Feuerwehrleute, 145 Helikopter, bis zu 28 Feuerlöschflugzeuge und eine riesige Flotte diverser anderen schweren Gerätes zur Brandbekämpfung waren im Einsatz[11] - darunter zur Unterstützung gesandte Kräfte aus den kanadischen Provinzen Manitoba, Quebec, Saskatchewan und Ontario[9]. Zeitweise waren auch Militärmaschinen zur Unterstützung der Rettungskräfte angefordert worden[15]. In der Zeitung "The Globe and Mail" wird der Manager der Forstwirtschaft Fort McMurrays zitiert, es sei ein "sehr komplexes Feuer mit vielfachen Fronten und explosiven Begleitumständen". Die Brandursache scheint bis heute nicht aufgeklärt - sowohl menschliche Auslöser als auch natürliche Phänomene wie Blitzschlag könnten die Katastrophe ausgelöst haben[21].[16]

Eine Karte der Brandherde und des Ausbreitungsgebietes des Feuers zeigt, dass nahezu das ganze Stadtgebiet von den immer wiederkehrenden Bränden überrollt wurde. Lediglich ein kleiner Stadtkern und ein südlicher Zipfel scheinen verschont geblieben zu sein. Wie "The Globe and Mail" berichtet, wurden alle Kräfte aufgewandt um Schlüsselinfrastruktur-Flächen zu retten - so z.B. den Flughafen der Stadt und einen Teil der Innenstadt. Bis zum Morgen des 5. Mai hatten sich inzwischen auch fern des Hauptbrandgebietes unzählige kleinere Brandherde sowie ein weiterer Flächenbrand südöstlich und östlich von Fort McMurray gebildet. Bereits in der südlich von Fort McMurray gelegenen Siedlung Anzac evakuierte Menschen mussten ein weiteres mal vor den sich nähernden Flammen gerettet werden. Einen Tag später, am Freitag, den 6. Mai hatten sich die Brandflächen nochmals vervielfacht und umfassten nun mehrere riesige Flächenbrände. Die Ausbreitungsrichtung war im wesentlichen der Südosten von Fort McMurray, aber auch ein großes Gebiet weiter ab im Osten der Stadt.[16] Insgesamt waren in den ersten zwei Maiwochen bis zu 49 Flächenbrände gleichzeitig aktiv[11].

Aufgrund der Entwicklung einer eigenen Wetterlage einschließlich Blitzschlägen und Feuerwolken, die besonders hohe rußhaltige Wolken umfassen, die zu massiven Stürmen und Gewittern führen und weitere Flächenbrände auslösen können[22], wurde der Brand seit dem 4. Mai als "Feuersturm" bezeichnet. Durch die starke Hitzeentwicklung steigt heiße Luft über dem Brandherd hoch empor und zieht durch den entstehenden Kamineffekt Frischluft nach sich, die wiederum das Feuer weiter anfacht[23].[9]

Derzeit haben sich die Brände bis auf etwa 25 Kilometer an die Provinzgrenze westlich von Saskatchewan vorgearbeitet[11]. Greenpeace und andere Quellen gehen davon aus, dass es Wochen oder gar Monate[5] dauern wird, bis das Feuer gelöscht ist[9]; vermutlich werden es erst die naturbedingten Regenfälle sein, die es letztlich endgültig ersticken. Bis zur zweiten Mai-Woche hatte Alberta bereits 329[11] Waldbrände in diesem Jahr erlebt[24]. Bedenklich sei vor allem, dass die heißesten Monate erst noch bevorstehen. Der Tag, an dem das Horse River Fire begann, stellte einen Temperaturrekord für den Monat Mai in Fort McMurray dar: 32,6 °C - das sind etwa 20 °C mehr als durchschnittlich zu dieser Jahreszeit zu erwarten und immerhin 4,8 °C mehr als der bisher gemessene Höchstwert im Jahr 1945.[6] Der Frühling ist damit etwa einen Monat früher gekommen als gewöhnlich, ebenso begann die Waldbrandsaison statt wie gewöhnlich zu Anfang April bereits am 1. März dieses Jahres[24].

Waldbrandexperte Mike Flannigan von der Universität von Alberta zufolge führten die warmen Wetterbedingungen dazu, dass Brandherde, sobald sie sich einmal festgesetzt hatten, im Untergrund weiterschwellen konnten, sodass irgendwann aufkommende Winde sie immer wieder aufleben ließen. Einige Feuer seien bis zu zwei Meter tief in den Untergrund eingebrannt, so dass Feuerwehrleute die Brandherde regelrecht ausgraben oder den Untergrund mit Wasser fluten mussten. Es sei zu befürchten, dass die Region dieses Jahr eine sehr intensive Waldbrandsaison erleben wird.[24]

Die Tar Sands-Vorkommen selbst waren eher nicht gefährdet in Brand zu geraten. Zum einen, weil der überwiegende Teil in tiefen Bodenschichten liegt und über Bohrungen extrahiert wird, was nicht so leicht Feuer fängt und dann nicht so stark brennt, zum anderen aufgrund der schwereren Entzündlichkeit des in Sand gebundenen Bitumens, selbst wenn es per Tagebau erschlossen ist und damit genügend Sauerstoffzufuhr erfährt. Im Gegensatz dazu hätten die oberirdischen Anlagen und Infrastruktur der Ölkonzerne in Brand geraten können. Der größte kanadische Ölkonzern Suncor hatte sich auf derartige Feuerkatastrophen bereits eingestellt und war in der Lage den auf das Gelände zukommenden Waldbrand durch Einsatz schwerer Maschinen wie Bulldozern zu stoppen, indem die Vegetation beseitigt und eine Feuerschneise angelegt wurde. Außerdem seien neben Tausenden Sensoren auch Sprinkleranlagen zum Schutz des Geländes installiert gewesen.[25]

Rettung der Ölbetriebe

"Das Feuer in Fort McMurray ist eine Tragödie, die kein Mensch und keine Gemeinde zu ertragen haben sollte." (NGO-Statement)[26]

Inhaltliche Kritik zu diesem Zeitpunkt, insbesondere die Thematisierung der Wechselwirkung zwischen Fort McMurrays Tar Sands-Industrie und Klimawandel, wird von verschiedenen Seiten als pietätlos betrachtet[9]. Die Direktoren von Greenpeace Kanada und neun andere Umwelt-NGOs gaben mit diesem Hintergrund am 6. Mai eine gemeinsame Erklärung zum Großbrand in Fort McMurray heraus, in der insbesondere zu Spenden an das Rote Kreuz[27] zur Unterstützung der Evakuierten aufgerufen und außerdem festgestellt wird: "Dies ist nicht der Zeitpunkt für Schuldzuweisungen. Es ist der Zeitpunkt zusammen zu stehen und dafür zu sorgen, dass die Menschen sicher sind und gut versorgt werden."[26] Trotzdem sollte ein kritischer Blick auf die Vorgänge und Hintergründe erlaubt sein...

Greenpeace-Kanada-Campaigner Mike Hudema weist darauf hin, dass dieser und die große Zahl in diesem Jahr in Alberta bereits registrierten Waldbrände höchstwahrscheinlich Auswirkungen des Treibhauseffekts sind und dass die Region um Fort McMurray durch die Eingriffe der letzten Jahrzehnte bereits prädestiniert waren. Der Einfluss des Klimawandels auf die Vermehrung und Verstärkung der Flächenbrände wird auch von Prof. Judith Kulig von der Universität von Lethbridge bestätigt[24]. Auch Wissenschaftlern der Universität von Alberta in Edmonton zufolge ist mit weiteren Katastrophen dieser Art und einer steigenden Häufigkeit zu rechnen. "Waldbrände waren immer Teil des natürlichen Kreislaufs", so Hudema. "Was wir nicht länger bestreiten können, ist dass wir uns weiter außerhalb der natürlichen Abläufe bewegen." Das Forstministerium der Nachbarprovinz British Columbia sagt im Entwurf seines Klimawandel-Waldbrand-Aktionsplan voraus, dass die Größe der Flächenbrände von durchschnittlich 7.961 auf 19.076 Hektar wachsen wird und dass die Schwere der Feuer um 40 % im Frühling und 95 % im Sommer steigern wird. Auch soll sich die Länge der Waldbrandsaison um 30 % ausdehnen.[6]

Erwartungsgemäß wurde ein Großteil der Rettungskräfte zum Schutz der Investitionen der Ölindustrie eingesetzt. So bestätigte beispielsweise der Repräsentant der Feuerbekämpfung der Provinz Alberta, Chad Morrison, Feuerlöschflugzeuge, Helikopter und Bulldozer seien eingesetzt worden, um die Stammbetriebe der kanadischen Tar Sands-Konzerne Suncor und Syncrude vor der Feuerwalze zu bewahren.[5]

Zuallererst wurde der Highway 63 wieder für die Tar Sands-Industrie freigegeben, "um Arbeitern und Zulieferern der Ölsand-Betriebe die Rückkehr und Wiederaufnahme der Produktion zu ermöglichen", während der öffentliche Zugang weiterhin verwehrt blieb[4]. Die südlich von Fort McMurray auf den Highway 63 treffende zweite Verbindungsstraße aus der Region in den Zentralteil der Provinz, Highway 881, wurde aufgrund der Waldbrände auf den nördlichsten etwa 100 Kilometern[28] ebenfalls gesperrt. Unzähligen Fahrzeugen war auf der zum Teil hunderte Kilometer weiten Flucht aus der Ölindustrie-Stadt[5][15] Fort McMurray in südliche und nördliche Richtung das Benzin ausgegangen, sodass sie am Straßenrand stehen gelassen wurden. Die kanadische Polizei tankte sie für die Besitzer kostenlos auf, nachdem sie im Zuge der Aufräumarbeiten abgeschleppt worden waren. So sieht Service für eine katastrophengeschädigte Industrieregion aus, die bis letztes Jahr noch als floriendste Stadt Kanadas galt - die steigenden Profite aus der Tar Sands-Industrie hatten als einzige ernste Herausforderungen das ungezügelte Wachstum, die Wohnungsnot und daraus resultierende soziale Probleme erscheinen lassen[17].[11]

Die Stadt Fort McMurray selbst wird im Gegensatz zur Ölindustrie, die bereits innerhalb der nächsten Tage bis Wochen wieder auf Höchstleistung gebracht werden soll, noch für längere Zeit[19] nicht bewohnbar sein. Konkrete Angaben zum Zeitraum, bis Betreten oder gar Bewohnen der Region wieder erlaubt wird, wollte die Regierung Albertas bisher nicht machen. Selbst die Bewohner*innen unzerstörter Häuser dürfen vorerst nicht zurück. Zunächst muss die Infrastruktur einschließlich Schulen, Gesundheitsversorgung, Behörden und Polizei wieder hergestellt werden; ebenso müsse erst die lokale Verwaltung wieder eingerichtet werden[20]. Außerdem ist das Stromnetz der Stadt beschädigt, die Erdgasversorgung wurde abgestellt und das Trinkwasser ist kontaminiert. Einige Evakuierte werden im Nachrichtenportal CNBC International zitiert sie rechneten erst einmal damit für ein Jahr woanders leben zu müssen. Dass die Einwohner*innen Fort McMurrays letztlich trotz der zur Zeit desaströsen Lage zurück kehren würden, ist sich der städtische Pressearbeitsmitarbeiter Curtis Philipps nach einer Ansprache in einem der Auffanglager sicher, denn die würden schon allein von der Aussicht auf hohe Löhne und weitere Vorteile angezogen werden.[5]

Sofern die derzeit noch unvollständigen Daten korrekt sind, wurden neben den Tausenden Wohnhäusern auch der historisch wertvolle "Heritage Park" eine Museums-Siedlung aus vielzähligen Blockhäusern aus der Siedlerzeit sowie das Oil Sands Discovery Center, das Propaganda-Museum der Tar Sands-Industrie, von dem diverse in diesem Artikel verwendete Bilder stammen, vom Horse River Fire erfasst[16]. Die Internetseite der Tar Sands-Lobbyeinrichtung gibt bisher keine Informationen preis, ob und in welchem Umfang es vom Brand betroffen wurde[29].

Die in einem früheren Teil dieser Artikelserie beschriebene Tar Sands-Industrieanlage von Syncrude etwa 35 Kilometer im Norden Fort McMurrays[5] wurde am 7. Mai vorläufig stillgelegt[9][12] und etwa 1.500 Beschäftigte von dort auf dem Luftweg evakuiert.[11] Der Betrieb zweier Syncrude-Abbaue und des Upgraders, der unter enormen Energieaufwand und Schadstofffreisetzung aus dem gewonnenen Bitumen synthetisches Rohöl herstellt, wurden auf Minimalbetrieb umgestellt. Auch der größte im Tar Sands-Geschäft aktive kanadische Ölkonzern Suncor, die einen weiteren Tagebau 25 Kilometer nördlich Fort McMurrays[30] betreiben, dessen Südflanke bereits vom Flächenbrand erfasst wurde,[25] teilte die Stilllegung von Betriebsteilen[31] bzw. reduzierte Produktionsmenge und die Ausfliegung von Mitarbeiter*innen mit[12]. Shell Canada legte alle in der Region operierenden Betriebe bis auf den Minimalbetrieb in ihrer 60 Kilometer nördlich von Fort McMurray gelegenen "Albian Sands"-Mine still[13]. Ein weiterer Tar Sands-Konzern, Husky Oil, verringerte seine Produktion um zwei Drittel auf täglich 10.000 Barrel. Aufgrund der Marktsituation waren bereits einige sehr kleine Demonstrationsanlagen geschlossen worden, mehrere neue Abbauvorhaben wurden ausgesetzt sowie die Ausweitung schon bestehender Betriebe abgebrochen.[21] Industrieangaben zufolge wurden infolge des Feuers etwa 1 Million Barrel Öl pro Tag weniger extrahiert[9]; aber das Wiederanfahren der Produktion beginnt bereits[4], peinlicherweise von Shell-Oil Sands-Vizepräsidentin Zoe Yujnovich damit gerechtfertigt, dass der Konzern nur so in der Lage sei den Rettungskräften ein bisschen Benzin zu geben - obwohl die Tar Sands-Industrie hier im wesentlichen Bitumen fördert und im besten Falle synthetisches Rohöl produziert, das erst noch in Raffinerien für den Einsatz in Fahrzeugen veredelt werden muss[32]. Leider werden die hierdurch bewirkten massiven CO²-Reduktionen von den freigesetzten Treibhausgasen infolge der Flächenbrände wieder wettgemacht. Wie im Atomsektor scheint einzig die wirtschaftliche Seite - der mögliche Bankrott der Firmen infolge langer Stillstandszeiten nach dem Feuer - eine realistische Chance auf dauerhafte CO²-Minimierung darzustellen.

Im Süden Fort McMurrays wurden einige Ölindustrie-Betriebe vom Feuer überrollt, was Suncor-Direktor Williams zufolge bei dieser Art Brand in der Regel wenig Auswirkung auf die eigentlichen Anlagen habe, aber noch zu prüfen sei.[4]

Die nichtkonventionelle Ölindustrie hatte zuvor zwar mit fallenden Ölpreisen auf dem Weltmarkt zu kämpfen, das hatte aber keine relevanten Auswirkungen auf die Betriebe. Erst das Horse River Fire bewirkte nun zur starken Drosselung der Produktion in mehreren Tar Sands-Betrieben und in einem Fall gab ein Unternehmen die Einstellung seiner Aktivitäten bekannt. Konkrete Zahlen wollte die Lobbyorganisation der Industrie, die "Canadian Association of Petroleum Producers", nicht geben und zog sich darauf zurück derzeit nur auf die Evakuierungsmaßnahmen zu blicken. "Niemand kann sagen, wie lange die vermindnerte Produktion anhalten wird, ebenso wenig, wie jemand prognostizieren kann, wann das Feuer sich ausbrennen wird", resümiert die New York Times. Allerdings sei klar, dass dies erhebliche Auswirkungen auf die kanadische Wirtschaft haben wird, da die Tar Sands-Industrie derzeit 2,1 Millionen Barrel der kanadischen Tagesproduktion von 3,9 Millionen Barrel ausmacht - wovon fast alles an die USA abgeleitet wird.[21]

ABC News gibt Albertas Premierministerin Rachel Notleys Aussage wieder, dass "Tausende Kanadier*innen einschließlich Ölunternehmen und Regierungen" schwer darunter zu leiden hätten, wenn die klimaschädliche Tar Sands-Industrie nicht wieder zu vorigen Höchstleistungen angekurbelt würde. "Wir werden schnellstmöglich wieder zur Normalität zurück kehren", so Notley gegenüber ABC News.[4]

Der größte Teil der Tar Sands-Betriebe der Region beutet die Natur im nördlich von Fort McMurray aus, aber einige operieren auch im Süden, wo das Feuer seine Hauptschneise zog. So musste aufgrund des sich nähernden Waldbrandes beispielsweise der Betrieb "Long Lake project" des Sub-Unternehmens Nexen des chinesischen Ölkonzerns CNOOC eingestellt werden. Dies ist einer der bisher bestätigten von Feuerschäden betroffenen Betriebe der Ölindustrie[5]. Aber auch Unternehmen im Norden mussten ihre Produktion reduzieren - einerseits wegen der auf ein Minimum reduzierten Belegschaft von Betrieben, die soviele Arbeiter*innen wie nur möglich evakuieren wollten, andererseits aufgrund der limitierten Transportmöglichkeiten, die sich durch die Stilllegung der Pipelines in den Süden ergaben. Diese befinden sich in der Regel direkt am Straßenrand des vom Feuer ebenfalls überrannten Highway 63. Zu schaffen macht der Industrie auch einmal mehr die begrenzten Verkehrskapazitäten: Normalerweise führt von Fort McMurray nur eine Straße (Highway 63) in den Süden, von der dann als zweite Option ebenfalls in südliche Richtung der Highway 881 abzweigt. Außerdem gibt es eine "Winterstraße" in den Norden der Provinz, die aber durch Feuchtgebiete führt und daher nur bei starkem Bodenfrost befahrbar ist. Aufgrund der Jahreszeit ist die Winterstraße derzeit überhaupt nicht nutzbar, während die beiden Highways vom Feuer zeitweise komplett unzugänglich gemacht wurden, und insgesamt zumindest extrem limitiert in ihren Transportkapazitäten sind. Die Abbaugebiete und Industrieanlagen sind daher quasi vom Rest Albertas abgeschnitten. Alternative Luft- und Wasserwege sind zu beschränkt, um die Operation solch gigantischer Betriebe zu gewährleisten.[21]

Einfluss des Klimawandels

Nordwest-Kanada hat sich im Vergleich zum Rest des Landes in den letzten Jahren stärker erwärmt, berichtet Matt Smith in seiner Reportage zum Klimaeinfluss auf die Brandkatastrophe in Alberta. Dadurch sind Pflanzen und abgestorbenes Gehölz trockener geworden, während umliegende Feuchtgebiete ebenfalls austrocknen und zu Zunder für entstehende Waldbrände werden. Gleichzeitig sorge das wärmere Wetter zu mehr Blitzen, die derartige Feuer entzünden können. Waldbrand-Experte Flannigan weist darauf hin, dass einer aktuellen Studie zufolge eine Temperaturerhöhung von nur 1 °C zu 12 % mehr Blitzeinschlägen führt. Obwohl nur etwa 3 % der beobachteten Waldbrände zu Zerstörungen über 200 Hektar führten, seien diese wenigen Feuer doch für 97 % der vernichteten Flächen verantwortlich. Und es wird schlimmer: "Im Augenblick erleben wir zwei oder drei wirklich schlimme Waldbrandjahre pro Jahrzehnt, aber bis zur Mitte dieses Jahrhunderts erwarte ich fünf schlimme Jahre pro Jahrzehnt", erklärt Flannigan den Vice News.[10]


Fortsetzung folgt! Weiter geht es mit diesem Hintergrundbericht in der nächsten Ausgabe - oder, wer nicht so lange warten will, kann auf der Internetseite des grünen blatts bereits weiter lesen.

Dieser Artikel basiert auf Vorort-Recherchen in Alberta, Interviews mit Vertreter*innen von kanadischen Umwelt-NGOs, First Nations, aus Ölindustrie und Politik sowie auf Internet-Recherchen.


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