2016-01:Tar Sands: Unterschied zwischen den Versionen

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== "Tar Sands":<br/>Nachhaltige Zerstörung von Urwäldern und Feuchtgebieten, Enteignung indigener Menschen und größter Einzelverursacher des Treibhauseffekts ==
 
== "Tar Sands":<br/>Nachhaltige Zerstörung von Urwäldern und Feuchtgebieten, Enteignung indigener Menschen und größter Einzelverursacher des Treibhauseffekts ==
'''fb''' Die bisherigen Teile dieses Artikels gaben einen Überblick über die Tar Sands-Vorkommen und die Ölindustrie in Alberta. Weiterer Fokus waren die ökologischen Auswirkungen der Tar Sands-Industrie, die Technologie der Rohölerzeugung aus den Tar Sands von der Konditionierung bis zum Upgrading sowie die Abbauverfahren. In den letzten Teilen ging es um sogenannte "Renaturierungs"-Beispiele der Tar Sands-Industrie.
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fb '''Die bisherigen Teile dieses Artikels gaben einen Überblick über die Tar Sands-Vorkommen und die Ölindustrie in Alberta. Weiterer Fokus waren die ökologischen Auswirkungen der Tar Sands-Industrie, die Technologie der Rohölerzeugung aus den Tar Sands von der Konditionierung bis zum Upgrading sowie die Abbauverfahren. In den letzten Teilen ging es um sogenannte "Renaturierungs"-Beispiele der Tar Sands-Industrie.'''
  
  
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=== Brandkatastrophe ===
 
=== Brandkatastrophe ===
Aus aktuellem Anlass geht es in dieser Folge des Tar Sands-Berichts um den verheerenden Waldbrand, der Anfang Mai 2016 die Region der inoffiziellen Tar Sands-Hauptstadt Fort McMurray heimsuchte. Am 1. Mai startete südwestlich der kanadischen 78.000-Einwohner*innen-Stadt<ref>https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Alberta_municipal_censuses,_2015&oldid=713564568 - gesichtet 13. Mai 2016</ref> Fort McMurray, die formal den Status einer "Urban Service Area" hat<ref name="FortMcMurray">https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Fort_McMurray&oldid=719972275 - gesichtet 13. Mai 2016</ref>. Am 3. Mai erfasste es das Stadtgebiet, wo mehr als 2.400 Gebäude zerstört wurden. Es wird spekuliert, dass dieser Waldbrand zur teuersten Katastrophe in der Geschichte Kanadas werden könnte, falls die Hochrechnungen der Versicherungsgesellschaften zutreffen, die von Schäden in Höhe von etwa 9 Milliarden Kanadischer Dollar ausgehen<ref name="greenpeace2">http://www.greenpeace.org/canada/en/blog/Blogentry/forest-fires-a-face-of-climate-change/blog/56407/ - gesichtet 13. Mai 2016</ref>. Schon jetzt handelt es sich um die größte Waldbrand-Evakuierung, die die Provinz Alberta jemals erlebt hat.<ref name="Wildfire">https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=2016_Fort_McMurray_wildfire&oldid=720014662 - gesichtet 13. Mai 2016</ref>
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Aus aktuellem Anlass geht es in dieser Folge des Tar Sands-Berichts um den verheerenden Waldbrand, der Anfang Mai 2016 die Region der inoffiziellen Tar Sands-Hauptstadt<ref name="boingboing">http://boingboing.net/2016/05/10/oil-sands-production-in-canada.html - gesichtet 13. Mai 2016</ref> Fort McMurray heimsuchte. Am 1. Mai startete es südwestlich der kanadischen 78.000-Einwohner*innen-Stadt<ref>https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Alberta_municipal_censuses,_2015&oldid=713564568 - gesichtet 13. Mai 2016</ref> Fort McMurray, die formal den Status einer "Urban Service Area" hat<ref name="FortMcMurray">https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Fort_McMurray&oldid=719972275 - gesichtet 13. Mai 2016</ref>, eine Sonderform von Verwaltungseinheit in Alberta<ref>https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=List_of_communities_in_Alberta&oldid=719330754 - gesichtet 18. Mai 2016</ref>. Zwei Tage später erfasste es das Stadtgebiet, wo mehr als 2.400 Gebäude (über 10 % aller Häuser<ref name="ABCNews_tarindustry">http://abcnews.go.com/International/wireStory/alberta-officials-oil-sands-city-saved-fires-worst-38999927 - gesichtet 13. Mai 2016</ref>) zerstört wurden. Es wird spekuliert, dass dieser Waldbrand zur teuersten Naturkatastrophe in der Geschichte Kanadas werden könnte, falls die Hochrechnungen der Versicherungsgesellschaften zutreffen, die von Schäden in Höhe von etwa 9 Milliarden Kanadischer Dollar<ref name="cnbc_tarsands">http://www.cnbc.com/2016/05/08/canada-wildfire-explodes-in-size-approaches-oil-sands-project.html - gesichtet 13. Mai 2016</ref> ausgehen<ref name="greenpeace2">http://www.greenpeace.org/canada/en/blog/Blogentry/forest-fires-a-face-of-climate-change/blog/56407/ - gesichtet 13. Mai 2016</ref>. Schon jetzt handelt es sich um die größte Waldbrand-Evakuierung, die Kanada jemals erlebt hat<ref>https://www.washingtonpost.com/news/capital-weather-gang/wp/2016/05/04/hot-dry-and-windy-weather-stokes-the-violent-alberta-wildfire/ - gesichtet 14. Mai 2016</ref><ref>http://cdd.publicsafety.gc.ca/rslts-eng.aspx?cultureCode=en-Ca&boundingBox=&provinces=1,2,3,4,5,6,7,8,9,10,11,12,13&eventTypes=%27EP%27,%27IN%27,%27PA%27,%27AV%27,%27CE%27,%27DR%27,%27FL%27,%27GS%27,%27HE%27,%27HU%27,%27SO%27,%27SS%27,%27ST%27,%27TO%27,%27WF%27,%27SW%27,%27EQ%27,%27LS%27,%27TS%27,%27VO%27&eventStartDate=%2719000101%27,%2720161231%27&injured=&evacuated=&totalCost=&dead=&normalizedCostYear=1&dynamic=false - gesichtet 14. Mai 2016</ref>.<ref name="Wildfire">https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=2016_Fort_McMurray_wildfire&oldid=720014662 - gesichtet 13. Mai 2016</ref>
  
In "Vice News" beschreibt Matt Smith die Brandkatastrophe als "apokalyptische Szene": "Zehntausende fliehen vor einem heraneilenden Flächenbrand - und haben Probleme das nötig Benzin zu bekommen - im Herzen von Kanadas Oil Patch."<ref name="vice_climate">https://news.vice.com/article/heres-why-the-alberta-wildfire-just-might-have-a-lot-to-do-with-climate-change - gesichtet 13. Mai 2016</ref> Kanadische Rettungskräfte setzten Tanklaster auf dem Highway 63 für gestrandete Flüchtende ein - tausende PKW hatten hier versucht den Flammen zu entkommen<ref name="Alberta_Statement1">http://www.alberta.ca/release.cfm?xID=41701E7ECBE35-AD48-5793-1642C499FF0DE4CF - gesichtet 13. Mai 2016</ref>.
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In ''Vice News'' beschreibt Matt Smith Vorgänge im Verlauf der Brandkatastrophe als "apokalyptische Szene": "Zehntausende fliehen vor einem heraneilenden Flächenbrand - und haben Probleme, das nötige Benzin zu bekommen - im Herzen von Kanadas ''Oil Patch''."<ref name="vice_climate">https://news.vice.com/article/heres-why-the-alberta-wildfire-just-might-have-a-lot-to-do-with-climate-change - gesichtet 13. Mai 2016</ref> Kanadische Rettungskräfte setzten Tanklaster auf dem Highway 63 für gestrandete Flüchtende ein - tausende PKW hatten hier versucht, den Flammen zu entkommen<ref name="Alberta_Statement1">http://www.alberta.ca/release.cfm?xID=41701E7ECBE35-AD48-5793-1642C499FF0DE4CF - gesichtet 13. Mai 2016</ref>. Von der Katastrophe sind auch verschiedene kleine indigene Communities betroffen<ref>http://www.aadnc-aandc.gc.ca/eng/1462557391583/1462557442084 - gesichtet 16. Mai 2016</ref>, u.a. die ''Athabasca Chipewyan First Nation (ACFN)'', deren Mitglieder nicht nur in den teils von der Evakuierungsanordnung betroffenen Reservaten, sondern auch in Fort McMurray und anderen Siedlungen gelebt hatten<ref>http://www.acfn.com/#!donate/qvcu8 - gesichtet 14. Mai 2016</ref>.
  
Zum Zeitpunkt der Produktion dieser Ausgabe des grünen blatts ist das Feuer noch immer nicht vollständig gestoppt. Bislang sind 241.000 Hektar Fläche verbrannt<ref name="Alberta_Statement1" />, zwei indirekte Todesopfer wurden bisher erfasst. Etwa 88.000 Menschen mussten evakuiert werden - großteils über den einzigen die Stadt mit anderen Teilen Albertas verbindenden Highway 63, der teilweise ebenfalls vom Brand erfasst war<ref name="TheGlobe_Wildfire">http://www.theglobeandmail.com/news/a-week-in-hell-how-fort-mcmurrayburned/article29932799/ - gesichtet 13. Mai 2016</ref>, nachdem das Flächenfeuer ihn am Nachmittag des 4. Mais südlich Fort McMurrays überquert<ref name"nytimes_fire">http://www.nytimes.com/2016/05/04/world/americas/wildfire-empties-fort-mcmurray-in-albertas-oil-sands-region.html?_r=0 - gesichtet 13. Mai 2016</ref> hatte. Einige hundert Menschen mussten auf dem Luftweg in Sicherheit gebracht werden<ref name="Alberta_Statement1" />. Die Regierung Albertas sagte für die Evakuierten finanzielle Unterstützung in Höhe von 1.250 Kanadischer Dollar pro Erwachsenen und 500 Kanadischer Dollar für Kinder in Form von Debitcards zu; insgesamt wurden zunächst 200 Millionen Kanadische Dollar aus dem Desasterbewältigungs-Programm DRP für die Gemeinden und ihre Einwohner*innen bereitgestellt, welche vorsorglich bereits im 2016er Haushalt der Provinz für Notsituationen eingeplant worden waren<ref name="Alberta_Statement1" />. Tankstellen der hier die Tar Sands ausbeutenden Konzerne explodierten<ref name="TheGlobe_Wildfire" />, als das Feuer Besitz von der Stadt ergriff.<ref name="Wildfire" /> Neben der offenkunndigen Gefahren durch die Feuer stellen die Rauchwolken, die sich von Fort McMurray in südöstlicher und östlicher Richtung über hunderte Kilometer ausgebreitet haben und Auswirkungen bis in südliche Gebiete der USA zeigen, eine akute Gesundheitsgefahr für die betroffenen Menschen dar<ref name="Alberta_Statement1" />.
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Neben der Fort McKay First Nation stellten auch diverse Ölkonzerne<ref name="suncor-pi">http://www.suncor.com/newsroom/news-releases?articleId=2050892 - gesichtet 14. Mai 2016</ref><ref name="shell_update">http://www.shell.ca/en/aboutshell/media-centre/news-and-media-releases/2016/shell-continued-response-to-the-fort-mcmurray-wildfires.html - gesichtet 14. Mai 2016</ref><ref>http://www.shell.ca/en/aboutshell/media-centre/news-and-media-releases/2016/fort-mcmurray-wildfires.html - gesichtet 14. Mai 2016</ref> Flächen nördlich der brennenden Stadt für die Aufnahme Evakuierter zur Verfügung<ref name="vice_military">https://news.vice.com/article/the-worst-of-the-fire-is-not-over-canadas-oil-capital-burns-as-military-dispatches-aircraft - gesichtet 14. Mai 2016</ref>. - Zur Erinnerung: Die Fort McKay First Nation kämpfte über mehrere Jahrzehnte vehement gegen die Ölindustrie, die sich (vermutlich rechtswidrig) große Gebiete ihrer "traditional lands" aneignete und die lokale Natur zur Ausbeutung der Bodenschätze zerstörte. Ohne jegliche Unterstützung durch die sich damals am Pelzhandel der indigenen Community störenden kanadischen Öko-NGOs gab der Chief der First Nation schließlich den hoffnungslosen Kampf auf. Nun wurden indigene Unternehmensgründungen gestartetet, um zumindest durch Dienstleistungen für die Ölindustrie einen kleinen Teil der Gewinne aus dem Ölgeschäft der leidenden Community zukommen zu lassen. Viele Indigene arbeiten heute (unter schlechterer Bezahlung als die Nachfahren der weißen Siedler*innen) für die Ölkonzerne, weil es nahezu keine Beschäftigungsalternativen gibt, der Einfluss der Industrie auf die indigene Kultur und traditionelle Nahrungsbeschaffung aber marktwirtschaftliche Zwänge beschert hatte.
  
Zuerst wurde der Waldbrand mit der Seriennummer "MWF-009" (9. Waldbrand der Saison im Gebiet Fort McMurrays) von einer Mannschaft des Ministeriums für Landwirtschaft und Forstwirtschaft am Sonntagmorgen des 1. Mai lokalisiert. Zunächst wurde nichts bemerkenswertes daran befunden, obwohl bereits 500 Hektar außer Kontrolle<ref name"nytimes_fire" /> im Südwesten der Stadt brannten und alle Voraussetzungen für einen katastrophalen Flächenbrand inmitten dichten Borealen Waldes erfüllt waren: heißes trockenes Wetter, starke Winde und geringe Luftfeuchtigkeit. Im Gegensatz zum nächsten registrierten Waldbrand der Region, MWF-010, der schnell gelöscht werden konnte, stellte sich Nummer 9, nach dem Fluss an seinem Ausgangsort auch als "Horse River Fire" bezeichnet<ref name="Wildfire" />, als schwer zu bekämpfen heraus. Mehr als 1.700 Feuerwehrleute, 145 Helikopter, bis zu 28 Feuerlöschflugzeuge und eine riesige Flotte diverser anderen schweren Gerätes zur Brandbekämpfung waren im Einsatz<ref name="Alberta_Statement1" /> - darunter zur Unterstützung gesandte Kräfte aus den kanadischen Provinzen Manitoba, Quebec, Saskatchewan und Ontario. In der Zeitung "The Globe and Mail" wird der Manager der Forstwirtschaft Fort McMurrays zitiert, es sei ein "sehr komplexes Feuer mit vielfachen Fronten und explosiven Begleitumständen". Die Brandursache scheint bis heute nicht aufgeklärt.<ref name="TheGlobe_Wildfire" />
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Zum Zeitpunkt der Produktion dieser Ausgabe des grünen blatts ist das Feuer noch immer nicht vollständig gestoppt. Bislang sind 423.000 Hektar Fläche verbrannt<ref name="cbc_423hektar">http://www.cbc.ca/news/canada/edmonton/fort-mcmurray-wildfire-1.3587320 - gesichtet 19.Mai 2016</ref>, zwei indirekte Todesopfer aus einem Verkehrsunfall im Evakuierungschaos wurden bisher erfasst<ref name="cnbc_tarsands" />. Etwa 88.000 Menschen mussten evakuiert werden - großteils über den einzigen, die Stadt mit anderen Teilen Albertas verbindenden Highway 63, der teilweise ebenfalls vom Brand erfasst war<ref name="TheGlobe_Wildfire">http://www.theglobeandmail.com/news/a-week-in-hell-how-fort-mcmurrayburned/article29932799/ - gesichtet 13. Mai 2016</ref>, nachdem das Flächenfeuer ihn am Nachmittag des 4. Mais südlich Fort McMurrays überquert<ref name="nytimes_fire">http://www.nytimes.com/2016/05/04/world/americas/wildfire-empties-fort-mcmurray-in-albertas-oil-sands-region.html?_r=0 - gesichtet 13. Mai 2016</ref><ref name="washingtonpost_fire_evacuation">https://www.washingtonpost.com/news/morning-mix/wp/2016/05/04/a-canadian-oil-sands-town-on-fire-80000-residents-must-evacuate/?tid=pm_national_pop_b - gesichtet 14. Mai 2016</ref> hatte. Einige Tausend Menschen mussten auf dem Luftweg in Sicherheit gebracht werden<ref name="Alberta_Statement1" />. Die Regierung Albertas sagte für die Evakuierten finanzielle Unterstützung in Höhe von 1.250 Kanadischer Dollar pro Erwachsenem und 500 Kanadischer Dollar für Kinder in Form von Debitcards<ref name="alberta_update">http://www.alberta.ca/emergency.cfm - gesichtet 14. Mai 2016</ref> zu. In den ersten Wochen wurden bereits 65,7 Millionen Kanadische Dollar an Opfer der Katastrophe ausgeteilt<ref name="Alberta_Statement5">http://www.alberta.ca/release.cfm?xID=41701E7ECBE35-AD48-5793-1642C499FF0DE4CF - gesichtet 19. Mai 2016</ref><ref name="Alberta_Statement2">http://www.alberta.ca/release.cfm?xID=41701E7ECBE35-AD48-5793-1642C499FF0DE4CF - gesichtet 14. Mai 2016</ref>. Insgesamt wurden zunächst 200 Millionen Kanadische Dollar aus dem Desasterbewältigungs-Programm ''DRP'' für die Gemeinden und ihre Einwohner*innen bereitgestellt, welche vorsorglich bereits für den 2016er Haushalt der Provinz für Notsituationen eingeplant worden waren<ref name="Alberta_Statement1" />.
  
Eine Karte der Brandherde und des Ausbreitungsgebietes des Feuers zeigt, dass nahezu das ganze Stadtgebiet von den immer wiederkehrenden Bränden überrollt wurde. Lediglich ein kleiner Stadtkern und ein südlicher Zipfel scheinen verschont geblieben zu sein. Wie "The Globe and Mail" berichtet, wurden alle Kräfte aufgewandt um Schlüsselinfrastruktur-Flächen zu retten - so z.B. den Flughafen der Stadt und einen Teil der Innenstadt. Bis zum Morgen des 5. Mai hatten sich inzwischen auch fern des Hauptbrandgebietes unzählige kleinere Brandherde sowie ein weiterer Flächenbrand südöstlich und östlich von Fort McMurray gebildet. Bereits in der südlich von Fort McMurray gelegenen Siedlung Anzac evakuierte Menschen mussten ein weiteres mal vor den sich nähernden Flammen gerettet werden. Einen Tag später, am Freitag, den 6. Mai hatten sich die Brandflächen nochmals vervielfacht und umfassten nun mehrere riesige Flächenbrände. Die Ausbreitungsrichtung war im wesentlichen der Südosten von Fort McMurray, aber auch ein großes Gebiet weiter ab im Osten der Stadt.<ref name="TheGlobe_Wildfire" /> Insgesamt waren in den ersten zwei Maiwochen bis zu 49 Flächenbrände gleichzeitig aktiv<ref name="Alberta_Statement1" />.
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Mindestens eine Tankstelle der hier die Tar Sands ausbeutenden Konzerne explodierte<ref name="TheGlobe_Wildfire" /><ref name="washingtonpost_fire_evacuation" />, als das Feuer Besitz von der Stadt ergriff.<ref name="Wildfire" /> Neben den offenkundigen Gefahren durch die Feuer stellen die Rauchwolken, die sich von Fort McMurray in südöstlicher und östlicher Richtung über bis zu 3.400 Kilometer ausgebreitet haben und dabei Auswirkungen bis in südliche Gebiete der USA zeigen, eine akute Gesundheitsgefahr für die betroffenen Menschen dar<ref name="Alberta_Statement1" /><ref>http://weather.gc.ca/airquality/pages/multiple_stations/abaq-004_e.html - gesichtet 16. Mai 2016</ref><ref>http://www.albertahealthservices.ca/news/Page13108.aspx -gesichtet 9. September 2016</ref>. Mehr noch als bei gewöhnlichen Waldbränden dürfte das Feuer Schadstoffe einschließlich Quecksilber, andere Schwermetalle, und "polycyclic aromatic hydrocarbons (PAHs)" mobilisiert haben, die sich zuvor infolge der industrie- und siedlungsbedingten Luftverschmutzung auf Bäumen und in den Böden abgesetzt hatten. Auf dem Höhepunkt der Katastrophe haben die Einwohner*innen Fort McMurrays wahrscheinlich "die Lungen voller Toxine geatmet", so Wissenschaftler der Universität von Alberta David Schindler. Die giftigen Partikel in der Luft können zu schweren Lungenschäden führen. Forstökologin Ellen Macdonald, ebenfalls von der Universität von Alberta in Edmonton, zufolge wird dieses außergewöhnlich heftige Feuer auch massive Auswirkungen auf das Ökosystem haben<ref name="guardian_wildfire">http://www.theguardian.com/environment/2016/may/11/canada-wildfire-environmental-impacts-fort-mcmurray - gesichtet 14. Mai 2016</ref>.
  
Aufgrund der Entwicklung einer eigenen Wetterlage einschließlich Blitzschlägen und Feuerwolken, die besonders hohe rußhaltige Wolken umfassen, die zu massiven Stürmen und Gewittern führen und weitere Flächenbrände auslösen können<ref>https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Pyrocumulus&oldid=134260897 - gesichtet 13. Mai 2016</ref>, wurde der Brand seit dem 4. Mai als "Feuersturm" bezeichnet. Durch die starke Hitzeentwicklung steigt heiße Luft über dem Brandherd hoch empor und zieht durch den entstehenden Kamineffekt Frischluft nach sich, die wiederum das Feuer weiter anfacht<ref>https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Feuersturm&oldid=151546929 - gesichtet 13. Mai</ref>.<ref name="Wildfire" />
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=== Ablauf der Ereignisse ===
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Zuerst wurde der Waldbrand mit der Seriennummer "MWF-009" (9. Waldbrand der Saison im Gebiet Fort McMurrays) von einer Mannschaft des Ministeriums für Landwirtschaft und Forstwirtschaft am Sonntagmorgen des 1. Mai lokalisiert. Zunächst wurde nichts bemerkenswertes daran befunden, obwohl bereits 500 Hektar außer Kontrolle<ref name="nytimes_fire" /> 15 Kilometer<ref name="Wildfire" /> im Südwesten der Stadt brannten und alle Voraussetzungen für einen katastrophalen Flächenbrand inmitten dichten borealen Waldes erfüllt waren: heißes trockenes Wetter, starke Winde und geringe Luftfeuchtigkeit. Im Gegensatz zum nächsten registrierten Waldbrand der Region, MWF-010, der schnell gelöscht werden konnte, stellte sich Nummer 9, nach seinem Ausgangsort als "Horse River Fire" bezeichnet<ref name="Wildfire" />, als schwer zu bekämpfen heraus. Mehr als 2.200 Feuerwehrleute, bis zu 208 Helikopter, bis zu 29 Feuerlöschflugzeuge und eine riesige Flotte diversen anderen schweren Gerätes zur Brandbekämpfung waren im Einsatz<ref name="Alberta_Statement5" /> - darunter zur Unterstützung gesandte Kräfte aus den kanadischen Provinzen Manitoba, Quebec, Saskatchewan und Ontario<ref name="Wildfire" />. Zeitweise wurden auch Militärmaschinen zur Unterstützung der Rettungskräfte angefordert<ref name="vice_military" />. In der Zeitung "The Globe and Mail" wird der Manager der Forstwirtschaft Fort McMurrays zitiert, es sei ein "sehr komplexes Feuer mit vielfachen Fronten und explosiven Begleitumständen". Die Brandursache ist bis heute nicht aufgeklärt - sowohl menschliche Auslöser als auch natürliche Phänomene wie Blitzschlag könnten die Katastrophe ausgelöst haben<ref name="nytimes_tarindustry">http://www.nytimes.com/2016/05/06/world/americas/canadian-wildfires-curtail-oil-sands-production.html?_r=0 - gesichtet 13. Mai 2016</ref>.<ref name="TheGlobe_Wildfire" />
  
Derzeit haben sich die Brände bis auf etwa 25 Kilometer an die Provinzgrenze westlich von Saskatchewan vorgearbeitet<ref name="Alberta_Statement1" />. Greenpeace und andere Quellen gehen davon aus, dass es Wochen oder gar Monate dauern wird, bis das Feuer gelöscht ist<ref name="Wildfire" />; vermutlich werden es erst die naturbedingten Regenfälle sein, die es letztlich endgültig ersticken. Bis zur zweiten Mai-Woche hatte Alberta bereits 329<ref name="Alberta_Statement1" /> Waldbrände in diesem Jahr erlebt<ref name="globalnews_experts">http://globalnews.ca/news/2675281/western-canada-wildfires-this-year-could-be-worse-than-last-say-experts/- gesichtet 13. Mai 2016</ref>. Bedenklich sei vor allem, dass die heißesten Monate erst noch bevorstehen. Der Tag, an dem das Horse River Fire begann, stellte einen Temperaturrekord für den Monat Mai in Fort McMurray dar: 32,6 °C - das sind etwa 20 °C mehr als durchschnittlich zu dieser Jahreszeit zu erwarten und immerhin 4,8 °C mehr als der bisher gemessene Höchstwert im Jahr 1945.<ref name="greenpeace2" /> Der Frühling ist damit etwa einen Monat früher gekommen als gewöhnlich, ebenso begann die Waldbrandsaison statt wie gewöhnlich zu Anfang April bereits am 1. März dieses Jahres<ref name="globalnews_experts" />.
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Eine Karte der Brandherde und des Ausbreitungsgebietes des Feuers zeigt, dass nahezu das ganze Stadtgebiet von den immer wiederkehrenden Bränden überrollt wurde. Lediglich ein kleiner Stadtkern und ein südlicher Zipfel scheinen verschont geblieben zu sein. Wie "The Globe and Mail" berichtet, wurden alle Kräfte aufgewandt, um Schlüsselinfrastruktur zu retten - so z.B. den Flughafen der Stadt und die Innenstadt. Bis zum Morgen des 5. Mai hatten sich inzwischen auch fern des Hauptbrandgebietes unzählige kleinere Brandherde sowie ein weiterer Flächenbrand südöstlich und östlich von Fort McMurray gebildet. Bereits in die südlich von Fort McMurray gelegene Siedlung Anzac evakuierte Menschen mussten ein weiteres mal vor den sich nähernden Flammen gerettet werden. Einen Tag später hatten sich die Brandflächen nochmals vervielfacht und umfassten nun auch mehrere riesige Flächenbrände. Die Ausbreitungsrichtung war im wesentlichen der Südosten von Fort McMurray, aber auch ein großes Gebiet weiter im Osten der Stadt.<ref name="TheGlobe_Wildfire" /> Insgesamt waren in den ersten zwei Maiwochen bis zu 49 Flächenbrände gleichzeitig aktiv<ref name="Alberta_Statement1" />.
  
Waldbrandexperte Mike Flannigan von der Universität von Alberta zufolge führten die warmen Wetterbedingungen dazu, dass Brandherde, sobald sie sich einmal festgesetzt hatten, im Untergrund weiterschwellen konnten, sodass irgendwann aufkommende Winde sie immer wieder aufleben ließen. Einige Feuer seien bis zu zwei Meter tief in den Untergrund eingebrannt, so dass Feuerwehrleute die Brandherde regelrecht ausgraben oder den Untergrund mit Wasser fluten mussten. Es sei zu befürchten, dass die Region dieses Jahr eine sehr intensive Waldbrandsaison erleben wird.<ref name="globalnews_experts" />
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Aufgrund der Entwicklung einer eigenen Wetterlage einschließlich Blitzschlägen und Feuerwolken<ref name="guardian_causes">http://www.theguardian.com/world/2016/may/15/alberta-wildfire-the-beast-fort-murray-canada - gesichtet 15. Mai 2016</ref>, die besonders hohe rußhaltige Wolken umfassen, die zu massiven Stürmen und Gewittern führen und weitere Flächenbrände auslösen kann<ref>https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Pyrocumulus&oldid=134260897 - gesichtet 13. Mai 2016</ref>, wurde der Brand seit dem 4. Mai als "Feuersturm" klassifiziert. Durch die starke Hitzeentwicklung steigt heiße Luft über dem Brandherd hoch empor und zieht aufgrund des entstehenden Kamineffekts Frischluft nach sich, die wiederum das Feuer weiter anfacht<ref>https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Feuersturm&oldid=151546929 - gesichtet 13. Mai</ref>.<ref name="Wildfire" />
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Derzeit haben sich die Brände bis auf etwa 5 Kilometer an die Provinzgrenze westlich von Saskatchewan vorgearbeitet<ref name="cbc_423hektar" />. Wissenschaftler*innen, Greenpeace und andere Quellen gehen davon aus, dass es Wochen oder gar Monate<ref name="cnbc_tarsands" /> dauern wird, bis das Feuer gelöscht ist<ref name="Wildfire" /><ref name="guardian_wildfire" /><ref name="TheStar_Trudeau">https://www.thestar.com/news/canada/2016/05/13/justin-trudeau-to-visit-fort-mcmurray-today.html -gesichtet 15. Mai 2016</ref>; vermutlich werden es erst naturbedingte starke Regenfälle sein, die es letztlich endgültig ersticken.<ref name="greenpeace2" /> Ellen Macdonald befürchtet, dass das Feuer trotz Regen in der dicken Torfschicht weiter glimmen und einige Hotspots monatelang überleben könnten, die dann im wieder trockeneren Herbst erneut entfacht werden könnten und neue Waldbrände auslösen würden<ref name="guardian_wildfire" />.
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=== Hintergründe ===
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Bis zur zweiten Mai-Woche hatte Alberta bereits 329<ref name="Alberta_Statement1" /> Waldbrände in diesem Jahr erlebt<ref name="globalnews_experts">http://globalnews.ca/news/2675281/western-canada-wildfires-this-year-could-be-worse-than-last-say-experts/- gesichtet 13. Mai 2016</ref>. Greenpeace zufolge sei vor allem bedenklich, dass die heißesten Monate erst noch bevorstehen. Der Tag, an dem das Horse River Fire begann, stellte einen Temperaturrekord für den Monat Mai in Fort McMurray dar: 32,6 °C - das sind etwa 20 °C mehr als durchschnittlich zu dieser Jahreszeit zu erwarten und immerhin 4,8 °C mehr als der bisher gemessene Höchstwert im Jahr 1945.<ref name="greenpeace2" /> Der Frühling ist damit etwa einen Monat früher gekommen als gewöhnlich, ebenso begann die Waldbrandsaison statt wie normalerweise zu Anfang April bereits am 1. März<ref name="globalnews_experts" />.
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"Wir haben schon höhere Brandgeschwindigkeiten und größere Flächenbrände erlebt", erläutert Chad Morrison, Manager der Waldbrandbekämpfung in Alberta, gegenüber ''The Guardian'', "doch seine Auswirkungen und wo es sich ausgebreitet hat - das ist definitiv neu in der Geschichte. Ich glaube nicht, dass wir jemals eine Gemeinde dieser Größe und Bedeutung hatten, die einem Waldbrand dieser Größe und Bösartigkeit ausgeliefert war."<ref name="guardian_causes" />
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Waldbrandexperte Mike Flannigan von der Universität von Alberta zufolge führten die warmen Wetterbedingungen dazu, dass Brandherde, sobald sie sich einmal festgesetzt hatten, im Untergrund schwelen konnten, sodass irgendwann aufkommende Winde sie immer wieder aufleben ließen<ref name="guardian_causes" />. Einige Feuer seien bis zu zwei Meter tief in den Untergrund gebrannt, so dass Feuerwehrleute die Brandherde regelrecht ausgraben oder den Untergrund mit Wasser fluten mussten. Es sei zu befürchten, dass die Region dieses Jahr eine sehr intensive Waldbrandsaison erleben wird.<ref name="globalnews_experts" />
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Die Tar Sands-Vorkommen waren dagegen wenig gefährdet selbst in Brand zu geraten. Zum einen, weil der überwiegende Teil davon in tiefen Bodenschichten liegt und nur über Bohrungen extrahiert wird, wodurch sie nicht so leicht Feuer fangen und dann nicht so stark brennen können, zum anderen aufgrund der schwereren Entzündlichkeit des in Sand gebundenen Bitumens, selbst wenn es per Tagebau erschlossen ist und damit genügend Sauerstoffzufuhr erfährt. Im Gegensatz dazu hätten die oberirdischen Anlagen und Infrastruktur der Ölkonzerne in Brand geraten können. Der größte kanadische Ölkonzern Suncor hatte sich auf derartige Feuerkatastrophen bereits eingestellt und war dadurch in der Lage, ein auf das Gelände zukommendes Feuer durch Einsatz schwerer Maschinen wie Bulldozern zu stoppen, welche die Vegetation beseitigt und eine Feuerschneise angelegt hatten. Außerdem waren neben Tausenden Sensoren auch Sprinkleranlagen zum Schutz des Geländes installiert worden.<ref name="discovery">http://news.discovery.com/earth/canada-wildfire-wont-set-oil-sands-ablaze-160509.htm - gesichtet 13. Mai 2016</ref>
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=== Kritik nicht erwünscht ===
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"Das Feuer in Fort McMurray ist eine Tragödie, die kein Mensch und keine Gemeinde zu ertragen haben sollte." ''(NGO-Statement)''<ref name="greenpeace1">http://www.greenpeace.org/canada/en/blog/Blogentry/executive-directors-at-environmental-groups-u/blog/56393/ - gesichtet 13. Mai 2016</ref>
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Inhaltliche Kritik zu diesem Zeitpunkt, insbesondere die Thematisierung der Wechselwirkung zwischen Fort McMurrays Tar Sands-Industrie und Klimawandel, wird von verschiedenen Seiten als pietätlos betrachtet<ref name="Wildfire" />. Die Direktoren von Greenpeace Kanada und neun andere Umwelt-NGOs gaben vor diesem Hintergrund am 6. Mai eine gemeinsame Erklärung zum Großbrand in Fort McMurray heraus, in der insbesondere zu Spenden an das Rote Kreuz<ref>http://globalnews.ca/news/2695879/red-cross-donations-where-fort-mcmurray-wildfire-funds-are-going/?utm_source=Article&utm_medium=EditorsPick&utm_campaign=2015 - gesichtet 14. Mai 2016</ref> zur Unterstützung der Evakuierten aufgerufen und außerdem festgestellt wird: "Dies ist nicht der Zeitpunkt für Schuldzuweisungen. Es ist der Zeitpunkt zusammen zu stehen und dafür zu sorgen, dass die Menschen sicher sind und gut versorgt werden."<ref name="greenpeace1" /> Auch andere gegen die Tar Sands-Industrie Kampagnen führende NGOs, wie der kanadische Sierra Club, drückten in erster Linie Solidarität aus und deuteten die Zusammenhänge mit der die ganze Region direkt und via Klimawandel austrocknenden Industrieaktivitäten lediglich am Rande an<ref>http://www.sierraclub.ca/en/our-friends-in-alberta-need-our-support - gesichtet 15. Mai 2016</ref>. Trotzdem sollte ein kritischer Blick auf die Vorgänge und Hintergründe erlaubt sein...
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Greenpeace-Kanada-Campaigner Mike Hudema weist darauf hin, dass dieser und die große Zahl in diesem Jahr in Alberta bereits registrierten Waldbrände wahrscheinlich Auswirkungen des Treibhauseffekts sind und dass die Region um Fort McMurray durch die Eingriffe der letzten Jahrzehnte bereits prädestiniert war. Der Einfluss des Klimawandels auf die Vermehrung und Verstärkung der Flächenbrände wird auch von Prof. Judith Kulig von der Universität von Lethbridge bestätigt<ref name="globalnews_experts" />. Wissenschaftlern der Universität von Alberta in Edmonton zufolge ist mit weiteren Katastrophen dieser Art und einer steigenden Häufigkeit zu rechnen. "Waldbrände waren immer Teil des natürlichen Kreislaufs", so Hudema. "Was wir nicht länger bestreiten können, ist dass wir uns weit außerhalb der natürlichen Abläufe bewegen." Das Forstministerium der Nachbarprovinz British Columbia sagt im Entwurf seines Klimawandel-Waldbrand-Aktionsplan voraus, dass die Größe der Flächenbrände von durchschnittlich 7.961 auf 19.076 Hektar wachsen wird und dass sich die Schwere der Feuer um 40 % im Frühling und 95 % im Sommer steigern wird. Auch soll sich die Länge der Waldbrandsaison um 30 % ausdehnen.<ref name="greenpeace2" />
  
 
=== Rettung der Ölbetriebe ===
 
=== Rettung der Ölbetriebe ===
"Das Feuer in Fort McMurray ist eine Tragödie, die kein Mensch und keine Gemeinde zu ertragen haben sollte." ''(NGO-Statement)''<ref name="greenpeace1">http://www.greenpeace.org/canada/en/blog/Blogentry/executive-directors-at-environmental-groups-u/blog/56393/ - gesichtet 13. Mai 2016</ref>
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Erwartungsgemäß wurde ein Großteil der Rettungskräfte zum Schutz der Investitionen der Ölindustrie eingesetzt. So bestätigte beispielsweise Albertas Waldbrandbekämpfungs-Manager Chad Morrison, Feuerlöschflugzeuge, Helikopter und Bulldozer seien eingesetzt worden, um die Stammbetriebe der kanadischen Tar Sands-Konzerne Suncor und Syncrude vor der Feuerwalze zu bewahren.<ref name="cnbc_tarsands" /> Diese Firmen haben ihren Sitz aber im Norden Fort McMurrays, wo so gut wie nichts von der Feuerkatastrophe ankam.
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Zuallererst wurde der Highway 63 wieder für die Tar Sands-Industrie freigegeben, "um Arbeitern und Zulieferern der Ölsand-Betriebe die Rückkehr und Wiederaufnahme der Produktion zu ermöglichen", während der öffentliche Zugang weiterhin verwehrt blieb<ref name="ABCNews_tarindustry" />. Die südlich von Fort McMurray auf den Highway 63 treffende zweite Verbindungsstraße aus der Region in den Zentralteil der Provinz, Highway 881, wurde aufgrund der Waldbrände auf den nördlichsten etwa 100 Kilometern<ref>http://www.openstreetmap.org/directions?engine=mapzen_car&route=55.8991%2C-110.7411%3B56.7234%2C-111.3743#map=9/56.2998/-111.0649 - gesichtet 13. Mai 2016</ref> ebenfalls gesperrt.<ref name="Alberta_Statement1" />
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Unzähligen Fahrzeugen war auf der zum Teil hunderte Kilometer weiten Flucht aus der Ölstadt<ref name="cnbc_tarsands" /><ref name="vice_military" /> Fort McMurray in südliche und nördliche Richtung das Benzin ausgegangen, sodass sie am Straßenrand stehen gelassen wurden. Die kanadische Polizei tankte sie für die Besitzer kostenlos auf, nachdem sie im Zuge der Aufräumarbeiten abgeschleppt worden waren. So sieht Service für eine reiche katastrophengeschädigte Industrieregion aus, die bis letztes Jahr noch als florierendste Stadt Kanadas galt - die steigenden Profite aus der Tar Sands-Industrie hatten als einzige ernste Herausforderungen das ungezügelte Wachstum, die Wohnungsnot und daraus resultierende soziale Probleme erscheinen lassen<ref name="nytimes_fire" />.<ref name="Alberta_Statement1" />
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Die Stadt Fort McMurray selbst wird im Gegensatz zur Ölindustrie, die bereits innerhalb der nächsten Tage bis Wochen wieder auf Höchstleistung gebracht werden soll, noch für längere Zeit<ref name="alberta_update" /> nicht bewohnbar sein. Konkrete Angaben zum Zeitraum, bis Betreten oder gar Bewohnen der Region wieder erlaubt wird, wollte die Regierung Albertas bisher nicht machen. Selbst die Bewohner*innen unzerstörter Häuser dürfen vorerst nicht zurück. Zunächst muss die Infrastruktur einschließlich Schulen, Gesundheitsversorgung, Behörden und Polizei wiederhergestellt werden; ebenso muss erst die lokale Verwaltung wieder eingerichtet werden<ref name="Alberta_Statement2" />. Außerdem ist das Stromnetz der Stadt beschädigt, die Erdgasversorgung wurde abgestellt und das Trinkwasser ist kontaminiert. Einige Evakuierte werden im Nachrichtenportal ''CNBC International'' zitiert, sie rechneten erst einmal damit, für ein Jahr woanders leben zu müssen. Dass die Einwohner*innen Fort McMurrays letztlich trotz der zur Zeit desaströsen Lage zurückkehren würden, ist sich der städtische Pressearbeitsmitarbeiter Curtis Philipps nach einer Ansprache in einem der Auffanglager sicher, denn die würden schon allein von der Aussicht auf hohe Löhne und weitere Vorteile angezogen werden.<ref name="cnbc_tarsands" />
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Sofern die derzeit noch unvollständigen Informationen korrekt sind, wurden neben den Tausenden Wohnhäusern auch der historisch wertvolle "Heritage Park", eine Museums-Siedlung aus vielzähligen Blockhäusern aus der Siedlerzeit, sowie das Oil Sands Discovery Center, das Propaganda-Museum der Tar Sands-Industrie, von dem diverse in diesem Artikel verwendete Bilder stammen, vom Horse River Fire erfasst<ref name="TheGlobe_Wildfire" />. Auf den Internetseite der Tar Sands-Lobbyeinrichtung und des Heritage Parks ist bisher zu deren Status allerdings noch nichts zu erfahren<ref>http://history.alberta.ca/oilsands/ - gesichtet 13. Mai 2016</ref><ref>http://fortmcmurrayheritage.com/2016/05/fort-mcmurray-heritage-wildfire-appeal/ - gesichtet 16. Mai 2016</ref>. Auf einem NASA-Satellitenbild deuten die grünen Flecken an der Stelle, wo deren Gelände sein müssten, inmitten brauner verbrannter Flächen, darauf hin, dass Rettungskräfte speziell diese Orte geschützt hatten<ref>http://earthobservatory.nasa.gov/NaturalHazards/view.php?id=87990 - gesichtet 15. Mai 2016</ref>.
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=== Auswirkungen auf Tar Sands-Unternehmen ===
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Die in einem früheren Teil dieser Artikelserie beschriebene Tar Sands-Industrieanlage von Syncrude etwa 35 Kilometer im Norden Fort McMurrays<ref name="cnbc_tarsands" /> wurde am 7. Mai vorläufig stillgelegt<ref name="Wildfire" /><ref name="suncor-pi" /> und etwa 1.500 Beschäftigte von dort auf dem Luftweg evakuiert.<ref name="Alberta_Statement1" /> Der Betrieb zweier Syncrude-Abbaue und des Upgraders, der unter enormem Energieaufwand und Schadstofffreisetzung aus dem gewonnenen Bitumen synthetisches Rohöl herstellt, wurden auf Minimalbetrieb umgestellt. Auch der größte im Tar Sands-Geschäft aktive kanadische Ölkonzern Suncor, der einen weiteren Tagebau 25 Kilometer nördlich Fort McMurrays<ref name="globalnews_issues">http://globalnews.ca/news/2677885/mayor-issues-warnings-as-fire-situation-in-fort-mcmurray-intensifies/ - gesichtet 14. Mai 2016</ref> betreibt, dessen Südflanke vom Flächenbrand erfasst wurde,<ref name="discovery" /> teilte die Stilllegung von Betriebsteilen<ref name="suncor2">http://www.suncor.com/en-CA/Newsroom/News-Releases?articleId=2050574 - gesichtet 14. Mai 2016</ref> bzw. reduzierte Produktionsmenge und die Ausfliegung von Mitarbeiter*innen mit.<ref name="suncor-pi" />. Shell Canada legte alle in der Region operierenden Betriebe bis auf den Minimalbetrieb in seiner 60 Kilometer nördlich von Fort McMurray gelegenen "Albian Sands"-Mine still<ref name="shell_update" />. Ein weiterer Tar Sands-Konzern, Husky Oil, verringerte seine Produktion um zwei Drittel auf täglich 10.000 Barrel.<ref name="nytimes_tarindustry" />
  
Inhaltliche Kritik zu diesem Zeitpunkt wird von verschiedenen Seiten als pietätlos betrachtet. Die Direktoren von Greenpeace Kanada und neun andere Umwelt-NGOs gaben mit diesem Hintergrund am 6. Mai eine gemeinsame Erklärung zum Großbrand in Fort McMurray heraus, in der insbesondere zu Spenden an das Rote Kreuz zur Unterstützung der Evakuierten aufgerufen und außerdem festgestellt wird: "Dies ist nicht der Zeitpunkt für Schuldzuweisungen. Es ist der Zeitpunkt zusammen zu stehen und dafür zu sorgen, dass die Menschen sicher sind und gut versorgt werden."<ref name="greenpeace1" /> Trotzdem sollte ein kritischer Blick auf die Vorgänge und Hintergründe erlaubt sein...
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Aufgrund der Marktsituation waren zuvor einige sehr kleine Demonstrationsanlagen geschlossen worden, mehrere neue Abbauvorhaben wurden ausgesetzt sowie die Ausweitung schon bestehender Betriebe abgebrochen.<ref name="nytimes_tarindustry" />
  
Greenpeace-Kanada-Campaigner Mike Hudema weist darauf hin, dass dieser und die große Zahl in diesem Jahr in Alberta bereits registrierten Waldbrände höchstwahrscheinlich Auswirkungen des Treibhauseffekts sind und dass die Region um Fort McMurray durch die Eingriffe der letzten Jahrzehnte bereits prädestiniert waren. Der Einfluss des Klimawandels auf die Vermehrung und Verstärkung der Flächenbrände wird auch von Prof. Judith Kulig von der Universität von Lethbridge bestätigt<ref name="globalnews_experts" />. Auch Wissenschaftlern der Universität von Alberta in Edmonton zufolge ist mit weiteren Katastrophen dieser Art und einer steigenden Häufigkeit zu rechnen. "Waldbrände waren immer Teil des natürlichen Kreislaufs", so Hudema. "Was wir nicht länger bestreiten können, ist dass wir uns weiter außerhalb der natürlichen Abläufe bewegen." Das Forstministerium der Nachbarprovinz British Columbia sagt im Entwurf seines Klimawandel-Waldbrand-Aktionsplan voraus, dass die Größe der Flächenbrände von durchschnittlich 7.961 auf 19.076 Hektar wachsen wird und dass die Schwere der Feuer um 40 % im Frühling und 95 % im Sommer steigern wird. Auch soll sich die Länge der Waldbrandsaison um 30 % ausdehnen.<ref name="greenpeace2" />
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Industrieangaben zufolge wurden infolge des Feuers etwa 1 Million Barrel Öl pro Tag weniger extrahiert<ref name="Wildfire" />; aber das Wiederanfahren der Produktion beginnt bereits<ref name="ABCNews_tarindustry" />, peinlicherweise von Shell-Oil Sands-Vizepräsidentin Zoe Yujnovich damit gerechtfertigt, dass der Konzern nur so in der Lage sei, den Rettungskräften ein bisschen Benzin zu geben - obwohl die Tar Sands-Industrie hier im wesentlichen Bitumen fördert und im besten Falle synthetisches Rohöl produziert, das erst noch für den Einsatz in Fahrzeugen veredelt werden muss<ref>http://www.shell.ca/en/aboutshell/media-centre/news-and-media-releases/2016/production-restarts-at-reduced-rates-at-albian.html - gesichtet 14. Mai 2016</ref>.
  
Zuallererst wurde der Highway 63 wieder für die Tar Sands-Industrie freigegeben, "um Arbeitern und Zulieferern der Ölsand-Betriebe die Rückkehr und Wiederaufnahme der Produktion zu ermöglichen", während der öffentliche Zugang weiterhin verwehrt blieb. Die südlich von Fort McMurray auf den Highway 63 treffende zweite Verbindungsstraße aus der Region in den Zentralteil der Provinz, Highway 881, wurde aufgrund der Waldbrände auf den nördlichsten etwa 100 Kilometern<ref>http://www.openstreetmap.org/directions?engine=mapzen_car&route=55.8991%2C-110.7411%3B56.7234%2C-111.3743#map=9/56.2998/-111.0649 - gesichtet 13. Mai 2016</ref> ebenfalls gesperrt. Unzähligen Fahrzeugen war auf der zum Teil hunderte Kilometer weiten Flucht aus Ölindustrie-Stadt Fort McMurray in südliche und nördliche Richtung das Benzin ausgegangen, sodass sie am Straßenrand stehen gelassen wurden. Die kanadische Polizei tankte sie für die Besitzer kostenlos auf, nachdem sie im Zuge der Aufräumarbeiten abgeschleppt worden waren. So sieht Service für eine katastrophengeschädigte Industrieregion aus, die bis letztes Jahr noch als floriendste Stadt Kanadas galt - die steigenden Profite aus der Tar Sands-Industrie hatten als einzige ernste Herausforderungen das ungezügelte Wachstum, die Wohnungsnot und daraus resultierende soziale Probleme erscheinen lassen<ref name"nytimes_fire" />.ref name="Alberta_Statement1" />
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Leider werden die hierdurch bewirkten massiven CO²-Reduktionen von den freigesetzten Treibhausgasen infolge der Flächenbrände vermutlich wieder wettgemacht. Wie im Atomsektor scheint einzig die wirtschaftliche Seite - der mögliche Bankrott der Firmen infolge langer Stillstandszeiten nach dem Feuer - eine realistische Chance auf dauerhafte CO²-Minimierung darzustellen.
  
Sofern die derzeit noch unvollständigen Daten korrekt sind, wurden neben den Tausenden Wohnhäusern auch der historisch wertvolle "Heritage Park" eine Museums-Siedlung aus vielzähligen Blockhäusern aus der Siedlerzeit sowie das Oil Sands Discovery Center, das Propaganda-Museum der Tar Sands-Industrie, von dem diverse in diesem Artikel verwendete Bilder stammen, vom Horse River Fire erfasst<ref name="TheGlobe_Wildfire" />. Die Internetseite der Tar Sands-Lobbyeinrichtung gibt bisher keine Informationen preis, ob und in welchem Umfang es vom Brand betroffen wurde<ref>http://history.alberta.ca/oilsands/ - gesichtet 13. Mai 2016</ref>.
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Im Süden Fort McMurrays wurden einige Ölindustrie-Betriebe vom Feuer überrollt, was Suncor-Direktor Williams zufolge bei dieser Art Brand in der Regel wenig Auswirkung auf die eigentlichen Anlagen habe, aber noch zu prüfen sei.<ref name="ABCNews_tarindustry" />
  
Die in einem früheren Teil dieser Artikelserie beschriebene Tar Sands-Industrieanlage von Syncrude im Norden Fort McMurrays wurde am 7. Mai vorläufig stillgelegt und etwa 1.500 Beschäftigte von dort evakuiert.<ref name="Alberta_Statement1" />
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Die nichtkonventionelle Ölindustrie hatte zuvor zwar mit fallenden Ölpreisen auf dem Weltmarkt zu kämpfen, das hatte aber keine relevanten Auswirkungen auf die Betriebe. Erst das Horse River Fire bewirkte nun die starke Drosselung der Produktion in mehreren Tar Sands-Betrieben und in einem Fall gab ein Unternehmen die Einstellung seiner Aktivitäten bekannt. Konkrete Zahlen wollte die Lobbyorganisation der Industrie, die "Canadian Association of Petroleum Producers", nicht geben und zog sich darauf zurück, derzeit nur auf die Evakuierungsmaßnahmen zu blicken. "Niemand kann sagen, wie lange die verminderte Produktion anhalten wird, ebenso wenig, wie jemand prognostizieren kann, wann das Feuer sich ausbrennen wird", resümiert die New York Times. Allerdings sei klar, dass dies erhebliche Auswirkungen auf die kanadische Wirtschaft haben wird, da die Tar Sands-Industrie derzeit 2,1 Millionen Barrel der kanadischen Tagesproduktion von 3,9 Millionen Barrel ausmacht - wovon fast alles in die USA abgeleitet wird.<ref name="nytimes_tarindustry" />
  
=== Einfluss des Klimawandels ===
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Albertas Premierministerin Rachel Notleys sagte in ''ABC News'', dass "Tausende Kanadier*innen einschließlich Ölunternehmen und Regierungen" schwer darunter zu leiden hätten, wenn die Tar Sands-Industrie nicht wieder zu vorigen Höchstleistungen angekurbelt würde. "Wir werden schnellstmöglich wieder zur Normalität zurückkehren", so Notley gegenüber ABC News.<ref name="ABCNews_tarindustry" /> Nach seinem überfälligen Besuch der Krisenregion fast zwei Wochen nach Ausbruch der Katastrophe versprach Kanadas Ministerpräsident Justin Trudeau "erhebliche Bundesmittel" für die "Wiederbelebung und den Wiederaufbau der Ölsand-Stadt"<ref name="TheStar_Trudeau" />.
Nordwest-Kanada hat sich im Vergleich zum Rest des Landes in den letzten Jahren stärker erwärmt, berichtet Matt Smith in seiner Reportage zum Klimaeinfluss auf die Brandkatastrophe in Alberta. Dadurch sind Pflanzen und abgestorbenes Gehölz trockener geworden, während umliegende Feuchtgebiete ebenfalls austrocknen und zu Zunder für entstehende Waldbrände werden. Gleichzeitig sorge das wärmere Wetter zu mehr Blitzen, die derartige Feuer entzünden können. Waldbrand-Experte Flannigan weist darauf hin, dass einer aktuellen Studie zufolge eine Temperaturerhöhung von nur 1 °C zu 12 % mehr Blitzeinschlägen führt. Obwohl nur etwa 3 % der beobachteten Waldbrände zu Zerstörungen über 200 Hektar führten, seien diese wenigen Feuer doch für 97 % der vernichteten Flächen verantwortlich. Und es wird schlimmer: "Im Augenblick erleben wir zwei oder drei wirklich schlimme Waldbrandjahre pro Jahrzehnt, aber bis zur Mitte dieses Jahrhunderts erwarte ich fünf schlimme Jahre pro Jahrzehnt", erklärt Flannigan den Vice News.<ref name="vice_climate" />
 
  
  
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Aktuelle Version vom 7. Oktober 2018, 18:58 Uhr

Teil 10

"Tar Sands":
Nachhaltige Zerstörung von Urwäldern und Feuchtgebieten, Enteignung indigener Menschen und größter Einzelverursacher des Treibhauseffekts

fb Die bisherigen Teile dieses Artikels gaben einen Überblick über die Tar Sands-Vorkommen und die Ölindustrie in Alberta. Weiterer Fokus waren die ökologischen Auswirkungen der Tar Sands-Industrie, die Technologie der Rohölerzeugung aus den Tar Sands von der Konditionierung bis zum Upgrading sowie die Abbauverfahren. In den letzten Teilen ging es um sogenannte "Renaturierungs"-Beispiele der Tar Sands-Industrie.



Brandkatastrophe

Aus aktuellem Anlass geht es in dieser Folge des Tar Sands-Berichts um den verheerenden Waldbrand, der Anfang Mai 2016 die Region der inoffiziellen Tar Sands-Hauptstadt[1] Fort McMurray heimsuchte. Am 1. Mai startete es südwestlich der kanadischen 78.000-Einwohner*innen-Stadt[2] Fort McMurray, die formal den Status einer "Urban Service Area" hat[3], eine Sonderform von Verwaltungseinheit in Alberta[4]. Zwei Tage später erfasste es das Stadtgebiet, wo mehr als 2.400 Gebäude (über 10 % aller Häuser[5]) zerstört wurden. Es wird spekuliert, dass dieser Waldbrand zur teuersten Naturkatastrophe in der Geschichte Kanadas werden könnte, falls die Hochrechnungen der Versicherungsgesellschaften zutreffen, die von Schäden in Höhe von etwa 9 Milliarden Kanadischer Dollar[6] ausgehen[7]. Schon jetzt handelt es sich um die größte Waldbrand-Evakuierung, die Kanada jemals erlebt hat[8][9].[10]

In Vice News beschreibt Matt Smith Vorgänge im Verlauf der Brandkatastrophe als "apokalyptische Szene": "Zehntausende fliehen vor einem heraneilenden Flächenbrand - und haben Probleme, das nötige Benzin zu bekommen - im Herzen von Kanadas Oil Patch."[11] Kanadische Rettungskräfte setzten Tanklaster auf dem Highway 63 für gestrandete Flüchtende ein - tausende PKW hatten hier versucht, den Flammen zu entkommen[12]. Von der Katastrophe sind auch verschiedene kleine indigene Communities betroffen[13], u.a. die Athabasca Chipewyan First Nation (ACFN), deren Mitglieder nicht nur in den teils von der Evakuierungsanordnung betroffenen Reservaten, sondern auch in Fort McMurray und anderen Siedlungen gelebt hatten[14].

Neben der Fort McKay First Nation stellten auch diverse Ölkonzerne[15][16][17] Flächen nördlich der brennenden Stadt für die Aufnahme Evakuierter zur Verfügung[18]. - Zur Erinnerung: Die Fort McKay First Nation kämpfte über mehrere Jahrzehnte vehement gegen die Ölindustrie, die sich (vermutlich rechtswidrig) große Gebiete ihrer "traditional lands" aneignete und die lokale Natur zur Ausbeutung der Bodenschätze zerstörte. Ohne jegliche Unterstützung durch die sich damals am Pelzhandel der indigenen Community störenden kanadischen Öko-NGOs gab der Chief der First Nation schließlich den hoffnungslosen Kampf auf. Nun wurden indigene Unternehmensgründungen gestartetet, um zumindest durch Dienstleistungen für die Ölindustrie einen kleinen Teil der Gewinne aus dem Ölgeschäft der leidenden Community zukommen zu lassen. Viele Indigene arbeiten heute (unter schlechterer Bezahlung als die Nachfahren der weißen Siedler*innen) für die Ölkonzerne, weil es nahezu keine Beschäftigungsalternativen gibt, der Einfluss der Industrie auf die indigene Kultur und traditionelle Nahrungsbeschaffung aber marktwirtschaftliche Zwänge beschert hatte.

Zum Zeitpunkt der Produktion dieser Ausgabe des grünen blatts ist das Feuer noch immer nicht vollständig gestoppt. Bislang sind 423.000 Hektar Fläche verbrannt[19], zwei indirekte Todesopfer aus einem Verkehrsunfall im Evakuierungschaos wurden bisher erfasst[6]. Etwa 88.000 Menschen mussten evakuiert werden - großteils über den einzigen, die Stadt mit anderen Teilen Albertas verbindenden Highway 63, der teilweise ebenfalls vom Brand erfasst war[20], nachdem das Flächenfeuer ihn am Nachmittag des 4. Mais südlich Fort McMurrays überquert[21][22] hatte. Einige Tausend Menschen mussten auf dem Luftweg in Sicherheit gebracht werden[12]. Die Regierung Albertas sagte für die Evakuierten finanzielle Unterstützung in Höhe von 1.250 Kanadischer Dollar pro Erwachsenem und 500 Kanadischer Dollar für Kinder in Form von Debitcards[23] zu. In den ersten Wochen wurden bereits 65,7 Millionen Kanadische Dollar an Opfer der Katastrophe ausgeteilt[24][25]. Insgesamt wurden zunächst 200 Millionen Kanadische Dollar aus dem Desasterbewältigungs-Programm DRP für die Gemeinden und ihre Einwohner*innen bereitgestellt, welche vorsorglich bereits für den 2016er Haushalt der Provinz für Notsituationen eingeplant worden waren[12].

Mindestens eine Tankstelle der hier die Tar Sands ausbeutenden Konzerne explodierte[20][22], als das Feuer Besitz von der Stadt ergriff.[10] Neben den offenkundigen Gefahren durch die Feuer stellen die Rauchwolken, die sich von Fort McMurray in südöstlicher und östlicher Richtung über bis zu 3.400 Kilometer ausgebreitet haben und dabei Auswirkungen bis in südliche Gebiete der USA zeigen, eine akute Gesundheitsgefahr für die betroffenen Menschen dar[12][26][27]. Mehr noch als bei gewöhnlichen Waldbränden dürfte das Feuer Schadstoffe einschließlich Quecksilber, andere Schwermetalle, und "polycyclic aromatic hydrocarbons (PAHs)" mobilisiert haben, die sich zuvor infolge der industrie- und siedlungsbedingten Luftverschmutzung auf Bäumen und in den Böden abgesetzt hatten. Auf dem Höhepunkt der Katastrophe haben die Einwohner*innen Fort McMurrays wahrscheinlich "die Lungen voller Toxine geatmet", so Wissenschaftler der Universität von Alberta David Schindler. Die giftigen Partikel in der Luft können zu schweren Lungenschäden führen. Forstökologin Ellen Macdonald, ebenfalls von der Universität von Alberta in Edmonton, zufolge wird dieses außergewöhnlich heftige Feuer auch massive Auswirkungen auf das Ökosystem haben[28].

Ablauf der Ereignisse

Zuerst wurde der Waldbrand mit der Seriennummer "MWF-009" (9. Waldbrand der Saison im Gebiet Fort McMurrays) von einer Mannschaft des Ministeriums für Landwirtschaft und Forstwirtschaft am Sonntagmorgen des 1. Mai lokalisiert. Zunächst wurde nichts bemerkenswertes daran befunden, obwohl bereits 500 Hektar außer Kontrolle[21] 15 Kilometer[10] im Südwesten der Stadt brannten und alle Voraussetzungen für einen katastrophalen Flächenbrand inmitten dichten borealen Waldes erfüllt waren: heißes trockenes Wetter, starke Winde und geringe Luftfeuchtigkeit. Im Gegensatz zum nächsten registrierten Waldbrand der Region, MWF-010, der schnell gelöscht werden konnte, stellte sich Nummer 9, nach seinem Ausgangsort als "Horse River Fire" bezeichnet[10], als schwer zu bekämpfen heraus. Mehr als 2.200 Feuerwehrleute, bis zu 208 Helikopter, bis zu 29 Feuerlöschflugzeuge und eine riesige Flotte diversen anderen schweren Gerätes zur Brandbekämpfung waren im Einsatz[24] - darunter zur Unterstützung gesandte Kräfte aus den kanadischen Provinzen Manitoba, Quebec, Saskatchewan und Ontario[10]. Zeitweise wurden auch Militärmaschinen zur Unterstützung der Rettungskräfte angefordert[18]. In der Zeitung "The Globe and Mail" wird der Manager der Forstwirtschaft Fort McMurrays zitiert, es sei ein "sehr komplexes Feuer mit vielfachen Fronten und explosiven Begleitumständen". Die Brandursache ist bis heute nicht aufgeklärt - sowohl menschliche Auslöser als auch natürliche Phänomene wie Blitzschlag könnten die Katastrophe ausgelöst haben[29].[20]

Eine Karte der Brandherde und des Ausbreitungsgebietes des Feuers zeigt, dass nahezu das ganze Stadtgebiet von den immer wiederkehrenden Bränden überrollt wurde. Lediglich ein kleiner Stadtkern und ein südlicher Zipfel scheinen verschont geblieben zu sein. Wie "The Globe and Mail" berichtet, wurden alle Kräfte aufgewandt, um Schlüsselinfrastruktur zu retten - so z.B. den Flughafen der Stadt und die Innenstadt. Bis zum Morgen des 5. Mai hatten sich inzwischen auch fern des Hauptbrandgebietes unzählige kleinere Brandherde sowie ein weiterer Flächenbrand südöstlich und östlich von Fort McMurray gebildet. Bereits in die südlich von Fort McMurray gelegene Siedlung Anzac evakuierte Menschen mussten ein weiteres mal vor den sich nähernden Flammen gerettet werden. Einen Tag später hatten sich die Brandflächen nochmals vervielfacht und umfassten nun auch mehrere riesige Flächenbrände. Die Ausbreitungsrichtung war im wesentlichen der Südosten von Fort McMurray, aber auch ein großes Gebiet weiter im Osten der Stadt.[20] Insgesamt waren in den ersten zwei Maiwochen bis zu 49 Flächenbrände gleichzeitig aktiv[12].

Aufgrund der Entwicklung einer eigenen Wetterlage einschließlich Blitzschlägen und Feuerwolken[30], die besonders hohe rußhaltige Wolken umfassen, die zu massiven Stürmen und Gewittern führen und weitere Flächenbrände auslösen kann[31], wurde der Brand seit dem 4. Mai als "Feuersturm" klassifiziert. Durch die starke Hitzeentwicklung steigt heiße Luft über dem Brandherd hoch empor und zieht aufgrund des entstehenden Kamineffekts Frischluft nach sich, die wiederum das Feuer weiter anfacht[32].[10]

Derzeit haben sich die Brände bis auf etwa 5 Kilometer an die Provinzgrenze westlich von Saskatchewan vorgearbeitet[19]. Wissenschaftler*innen, Greenpeace und andere Quellen gehen davon aus, dass es Wochen oder gar Monate[6] dauern wird, bis das Feuer gelöscht ist[10][28][33]; vermutlich werden es erst naturbedingte starke Regenfälle sein, die es letztlich endgültig ersticken.[7] Ellen Macdonald befürchtet, dass das Feuer trotz Regen in der dicken Torfschicht weiter glimmen und einige Hotspots monatelang überleben könnten, die dann im wieder trockeneren Herbst erneut entfacht werden könnten und neue Waldbrände auslösen würden[28].

Hintergründe

Bis zur zweiten Mai-Woche hatte Alberta bereits 329[12] Waldbrände in diesem Jahr erlebt[34]. Greenpeace zufolge sei vor allem bedenklich, dass die heißesten Monate erst noch bevorstehen. Der Tag, an dem das Horse River Fire begann, stellte einen Temperaturrekord für den Monat Mai in Fort McMurray dar: 32,6 °C - das sind etwa 20 °C mehr als durchschnittlich zu dieser Jahreszeit zu erwarten und immerhin 4,8 °C mehr als der bisher gemessene Höchstwert im Jahr 1945.[7] Der Frühling ist damit etwa einen Monat früher gekommen als gewöhnlich, ebenso begann die Waldbrandsaison statt wie normalerweise zu Anfang April bereits am 1. März[34].

"Wir haben schon höhere Brandgeschwindigkeiten und größere Flächenbrände erlebt", erläutert Chad Morrison, Manager der Waldbrandbekämpfung in Alberta, gegenüber The Guardian, "doch seine Auswirkungen und wo es sich ausgebreitet hat - das ist definitiv neu in der Geschichte. Ich glaube nicht, dass wir jemals eine Gemeinde dieser Größe und Bedeutung hatten, die einem Waldbrand dieser Größe und Bösartigkeit ausgeliefert war."[30]

Waldbrandexperte Mike Flannigan von der Universität von Alberta zufolge führten die warmen Wetterbedingungen dazu, dass Brandherde, sobald sie sich einmal festgesetzt hatten, im Untergrund schwelen konnten, sodass irgendwann aufkommende Winde sie immer wieder aufleben ließen[30]. Einige Feuer seien bis zu zwei Meter tief in den Untergrund gebrannt, so dass Feuerwehrleute die Brandherde regelrecht ausgraben oder den Untergrund mit Wasser fluten mussten. Es sei zu befürchten, dass die Region dieses Jahr eine sehr intensive Waldbrandsaison erleben wird.[34]

Die Tar Sands-Vorkommen waren dagegen wenig gefährdet selbst in Brand zu geraten. Zum einen, weil der überwiegende Teil davon in tiefen Bodenschichten liegt und nur über Bohrungen extrahiert wird, wodurch sie nicht so leicht Feuer fangen und dann nicht so stark brennen können, zum anderen aufgrund der schwereren Entzündlichkeit des in Sand gebundenen Bitumens, selbst wenn es per Tagebau erschlossen ist und damit genügend Sauerstoffzufuhr erfährt. Im Gegensatz dazu hätten die oberirdischen Anlagen und Infrastruktur der Ölkonzerne in Brand geraten können. Der größte kanadische Ölkonzern Suncor hatte sich auf derartige Feuerkatastrophen bereits eingestellt und war dadurch in der Lage, ein auf das Gelände zukommendes Feuer durch Einsatz schwerer Maschinen wie Bulldozern zu stoppen, welche die Vegetation beseitigt und eine Feuerschneise angelegt hatten. Außerdem waren neben Tausenden Sensoren auch Sprinkleranlagen zum Schutz des Geländes installiert worden.[35]

Kritik nicht erwünscht

"Das Feuer in Fort McMurray ist eine Tragödie, die kein Mensch und keine Gemeinde zu ertragen haben sollte." (NGO-Statement)[36]

Inhaltliche Kritik zu diesem Zeitpunkt, insbesondere die Thematisierung der Wechselwirkung zwischen Fort McMurrays Tar Sands-Industrie und Klimawandel, wird von verschiedenen Seiten als pietätlos betrachtet[10]. Die Direktoren von Greenpeace Kanada und neun andere Umwelt-NGOs gaben vor diesem Hintergrund am 6. Mai eine gemeinsame Erklärung zum Großbrand in Fort McMurray heraus, in der insbesondere zu Spenden an das Rote Kreuz[37] zur Unterstützung der Evakuierten aufgerufen und außerdem festgestellt wird: "Dies ist nicht der Zeitpunkt für Schuldzuweisungen. Es ist der Zeitpunkt zusammen zu stehen und dafür zu sorgen, dass die Menschen sicher sind und gut versorgt werden."[36] Auch andere gegen die Tar Sands-Industrie Kampagnen führende NGOs, wie der kanadische Sierra Club, drückten in erster Linie Solidarität aus und deuteten die Zusammenhänge mit der die ganze Region direkt und via Klimawandel austrocknenden Industrieaktivitäten lediglich am Rande an[38]. Trotzdem sollte ein kritischer Blick auf die Vorgänge und Hintergründe erlaubt sein...

Greenpeace-Kanada-Campaigner Mike Hudema weist darauf hin, dass dieser und die große Zahl in diesem Jahr in Alberta bereits registrierten Waldbrände wahrscheinlich Auswirkungen des Treibhauseffekts sind und dass die Region um Fort McMurray durch die Eingriffe der letzten Jahrzehnte bereits prädestiniert war. Der Einfluss des Klimawandels auf die Vermehrung und Verstärkung der Flächenbrände wird auch von Prof. Judith Kulig von der Universität von Lethbridge bestätigt[34]. Wissenschaftlern der Universität von Alberta in Edmonton zufolge ist mit weiteren Katastrophen dieser Art und einer steigenden Häufigkeit zu rechnen. "Waldbrände waren immer Teil des natürlichen Kreislaufs", so Hudema. "Was wir nicht länger bestreiten können, ist dass wir uns weit außerhalb der natürlichen Abläufe bewegen." Das Forstministerium der Nachbarprovinz British Columbia sagt im Entwurf seines Klimawandel-Waldbrand-Aktionsplan voraus, dass die Größe der Flächenbrände von durchschnittlich 7.961 auf 19.076 Hektar wachsen wird und dass sich die Schwere der Feuer um 40 % im Frühling und 95 % im Sommer steigern wird. Auch soll sich die Länge der Waldbrandsaison um 30 % ausdehnen.[7]

Rettung der Ölbetriebe

Erwartungsgemäß wurde ein Großteil der Rettungskräfte zum Schutz der Investitionen der Ölindustrie eingesetzt. So bestätigte beispielsweise Albertas Waldbrandbekämpfungs-Manager Chad Morrison, Feuerlöschflugzeuge, Helikopter und Bulldozer seien eingesetzt worden, um die Stammbetriebe der kanadischen Tar Sands-Konzerne Suncor und Syncrude vor der Feuerwalze zu bewahren.[6] Diese Firmen haben ihren Sitz aber im Norden Fort McMurrays, wo so gut wie nichts von der Feuerkatastrophe ankam.

Zuallererst wurde der Highway 63 wieder für die Tar Sands-Industrie freigegeben, "um Arbeitern und Zulieferern der Ölsand-Betriebe die Rückkehr und Wiederaufnahme der Produktion zu ermöglichen", während der öffentliche Zugang weiterhin verwehrt blieb[5]. Die südlich von Fort McMurray auf den Highway 63 treffende zweite Verbindungsstraße aus der Region in den Zentralteil der Provinz, Highway 881, wurde aufgrund der Waldbrände auf den nördlichsten etwa 100 Kilometern[39] ebenfalls gesperrt.[12]

Unzähligen Fahrzeugen war auf der zum Teil hunderte Kilometer weiten Flucht aus der Ölstadt[6][18] Fort McMurray in südliche und nördliche Richtung das Benzin ausgegangen, sodass sie am Straßenrand stehen gelassen wurden. Die kanadische Polizei tankte sie für die Besitzer kostenlos auf, nachdem sie im Zuge der Aufräumarbeiten abgeschleppt worden waren. So sieht Service für eine reiche katastrophengeschädigte Industrieregion aus, die bis letztes Jahr noch als florierendste Stadt Kanadas galt - die steigenden Profite aus der Tar Sands-Industrie hatten als einzige ernste Herausforderungen das ungezügelte Wachstum, die Wohnungsnot und daraus resultierende soziale Probleme erscheinen lassen[21].[12]

Die Stadt Fort McMurray selbst wird im Gegensatz zur Ölindustrie, die bereits innerhalb der nächsten Tage bis Wochen wieder auf Höchstleistung gebracht werden soll, noch für längere Zeit[23] nicht bewohnbar sein. Konkrete Angaben zum Zeitraum, bis Betreten oder gar Bewohnen der Region wieder erlaubt wird, wollte die Regierung Albertas bisher nicht machen. Selbst die Bewohner*innen unzerstörter Häuser dürfen vorerst nicht zurück. Zunächst muss die Infrastruktur einschließlich Schulen, Gesundheitsversorgung, Behörden und Polizei wiederhergestellt werden; ebenso muss erst die lokale Verwaltung wieder eingerichtet werden[25]. Außerdem ist das Stromnetz der Stadt beschädigt, die Erdgasversorgung wurde abgestellt und das Trinkwasser ist kontaminiert. Einige Evakuierte werden im Nachrichtenportal CNBC International zitiert, sie rechneten erst einmal damit, für ein Jahr woanders leben zu müssen. Dass die Einwohner*innen Fort McMurrays letztlich trotz der zur Zeit desaströsen Lage zurückkehren würden, ist sich der städtische Pressearbeitsmitarbeiter Curtis Philipps nach einer Ansprache in einem der Auffanglager sicher, denn die würden schon allein von der Aussicht auf hohe Löhne und weitere Vorteile angezogen werden.[6]

Sofern die derzeit noch unvollständigen Informationen korrekt sind, wurden neben den Tausenden Wohnhäusern auch der historisch wertvolle "Heritage Park", eine Museums-Siedlung aus vielzähligen Blockhäusern aus der Siedlerzeit, sowie das Oil Sands Discovery Center, das Propaganda-Museum der Tar Sands-Industrie, von dem diverse in diesem Artikel verwendete Bilder stammen, vom Horse River Fire erfasst[20]. Auf den Internetseite der Tar Sands-Lobbyeinrichtung und des Heritage Parks ist bisher zu deren Status allerdings noch nichts zu erfahren[40][41]. Auf einem NASA-Satellitenbild deuten die grünen Flecken an der Stelle, wo deren Gelände sein müssten, inmitten brauner verbrannter Flächen, darauf hin, dass Rettungskräfte speziell diese Orte geschützt hatten[42].

Auswirkungen auf Tar Sands-Unternehmen

Die in einem früheren Teil dieser Artikelserie beschriebene Tar Sands-Industrieanlage von Syncrude etwa 35 Kilometer im Norden Fort McMurrays[6] wurde am 7. Mai vorläufig stillgelegt[10][15] und etwa 1.500 Beschäftigte von dort auf dem Luftweg evakuiert.[12] Der Betrieb zweier Syncrude-Abbaue und des Upgraders, der unter enormem Energieaufwand und Schadstofffreisetzung aus dem gewonnenen Bitumen synthetisches Rohöl herstellt, wurden auf Minimalbetrieb umgestellt. Auch der größte im Tar Sands-Geschäft aktive kanadische Ölkonzern Suncor, der einen weiteren Tagebau 25 Kilometer nördlich Fort McMurrays[43] betreibt, dessen Südflanke vom Flächenbrand erfasst wurde,[35] teilte die Stilllegung von Betriebsteilen[44] bzw. reduzierte Produktionsmenge und die Ausfliegung von Mitarbeiter*innen mit.[15]. Shell Canada legte alle in der Region operierenden Betriebe bis auf den Minimalbetrieb in seiner 60 Kilometer nördlich von Fort McMurray gelegenen "Albian Sands"-Mine still[16]. Ein weiterer Tar Sands-Konzern, Husky Oil, verringerte seine Produktion um zwei Drittel auf täglich 10.000 Barrel.[29]

Aufgrund der Marktsituation waren zuvor einige sehr kleine Demonstrationsanlagen geschlossen worden, mehrere neue Abbauvorhaben wurden ausgesetzt sowie die Ausweitung schon bestehender Betriebe abgebrochen.[29]

Industrieangaben zufolge wurden infolge des Feuers etwa 1 Million Barrel Öl pro Tag weniger extrahiert[10]; aber das Wiederanfahren der Produktion beginnt bereits[5], peinlicherweise von Shell-Oil Sands-Vizepräsidentin Zoe Yujnovich damit gerechtfertigt, dass der Konzern nur so in der Lage sei, den Rettungskräften ein bisschen Benzin zu geben - obwohl die Tar Sands-Industrie hier im wesentlichen Bitumen fördert und im besten Falle synthetisches Rohöl produziert, das erst noch für den Einsatz in Fahrzeugen veredelt werden muss[45].

Leider werden die hierdurch bewirkten massiven CO²-Reduktionen von den freigesetzten Treibhausgasen infolge der Flächenbrände vermutlich wieder wettgemacht. Wie im Atomsektor scheint einzig die wirtschaftliche Seite - der mögliche Bankrott der Firmen infolge langer Stillstandszeiten nach dem Feuer - eine realistische Chance auf dauerhafte CO²-Minimierung darzustellen.

Im Süden Fort McMurrays wurden einige Ölindustrie-Betriebe vom Feuer überrollt, was Suncor-Direktor Williams zufolge bei dieser Art Brand in der Regel wenig Auswirkung auf die eigentlichen Anlagen habe, aber noch zu prüfen sei.[5]

Die nichtkonventionelle Ölindustrie hatte zuvor zwar mit fallenden Ölpreisen auf dem Weltmarkt zu kämpfen, das hatte aber keine relevanten Auswirkungen auf die Betriebe. Erst das Horse River Fire bewirkte nun die starke Drosselung der Produktion in mehreren Tar Sands-Betrieben und in einem Fall gab ein Unternehmen die Einstellung seiner Aktivitäten bekannt. Konkrete Zahlen wollte die Lobbyorganisation der Industrie, die "Canadian Association of Petroleum Producers", nicht geben und zog sich darauf zurück, derzeit nur auf die Evakuierungsmaßnahmen zu blicken. "Niemand kann sagen, wie lange die verminderte Produktion anhalten wird, ebenso wenig, wie jemand prognostizieren kann, wann das Feuer sich ausbrennen wird", resümiert die New York Times. Allerdings sei klar, dass dies erhebliche Auswirkungen auf die kanadische Wirtschaft haben wird, da die Tar Sands-Industrie derzeit 2,1 Millionen Barrel der kanadischen Tagesproduktion von 3,9 Millionen Barrel ausmacht - wovon fast alles in die USA abgeleitet wird.[29]

Albertas Premierministerin Rachel Notleys sagte in ABC News, dass "Tausende Kanadier*innen einschließlich Ölunternehmen und Regierungen" schwer darunter zu leiden hätten, wenn die Tar Sands-Industrie nicht wieder zu vorigen Höchstleistungen angekurbelt würde. "Wir werden schnellstmöglich wieder zur Normalität zurückkehren", so Notley gegenüber ABC News.[5] Nach seinem überfälligen Besuch der Krisenregion fast zwei Wochen nach Ausbruch der Katastrophe versprach Kanadas Ministerpräsident Justin Trudeau "erhebliche Bundesmittel" für die "Wiederbelebung und den Wiederaufbau der Ölsand-Stadt"[33].


Fortsetzung folgt! Weiter geht es mit diesem Hintergrundbericht in der nächsten Ausgabe - oder, wer nicht so lange warten will, kann auf der Internetseite des grünen blatts bereits weiter lesen.

Dieser Artikel basiert auf Vorort-Recherchen in Alberta, Interviews mit Vertreter*innen von kanadischen Umwelt-NGOs, First Nations, aus Ölindustrie und Politik sowie auf Internet-Recherchen.


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  2. https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Alberta_municipal_censuses,_2015&oldid=713564568 - gesichtet 13. Mai 2016
  3. https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Fort_McMurray&oldid=719972275 - gesichtet 13. Mai 2016
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  5. 5,0 5,1 5,2 5,3 5,4 http://abcnews.go.com/International/wireStory/alberta-officials-oil-sands-city-saved-fires-worst-38999927 - gesichtet 13. Mai 2016
  6. 6,0 6,1 6,2 6,3 6,4 6,5 6,6 http://www.cnbc.com/2016/05/08/canada-wildfire-explodes-in-size-approaches-oil-sands-project.html - gesichtet 13. Mai 2016
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