2013-03:NSU & VS - Lügen, Vertuschung, Zensur

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NSU & VS - Lügen, Vertuschung, Zensur - Wie viel Staat steckt im "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU)?

kardan Müssen wir uns im Rahmen der allgemeinen Militarisierung nun auch an blutige Gewalt á la Nagelbomben und öffentliche Exekutionen mit Gesichtschüssen gewöhnen, wie sie von NS-Untergrund (NSU) verübt wurden?

Laut der WDR-Dokumentation “Nazis im BND” bestanden Verfassungsschutz (VS) und Bundesnachrichtendienst (BND) seit ihrer Gründung aus Nazis. Es scheint, als wurde nach dem Totrüsten der SU und Wegfall des Systemfeindes die NATO-Strategie der Spannung (Gladio) offiziell eingestellt und vom V-Leute-System abgelöst. Erfolgreich wurde die NPD in den Neuen Bundesländern durch den VS aufgebaut. Begründet wurde und wird dies damit, existierende rechte Kräfte unter Kontrolle zu bringen. Faktisch finanziert der Staat den rechten Sumpf jährlich mit 20 Mio. Euro und führt 130 Vertrauenspersonen in der NPD.

verfassungswidrige Praktiken des VS

Weil jeder siebte NPD-Funktionär Geld vom VS erhielt, lehnte das Bundesverfassungsgericht den NPD-Verbotsantrag ab: “Auch ihre Aussagen sollten als Beweise dienen. Die Richter mussten sich fragen: Sollten am Ende vom Staat bezahlte Informanten zur Systemfeindlichkeit beigetragen haben?” (spiegel). Wegen der „fehlenden Staatsferne“ erteilten die Richter dem VS die implizite Aufgabe vor einem erneuten Antrag die V-Leute abzuziehen. Doch die Wortwahl offenbart das Logikproblem: Es handelt sich nicht um vom Staat kontrollierbare Informanten, denn die V-Leute-Praxis umfasst die Anwerbung und Bezahlung von Straftätern mit rechter Gesinnung, faktisch Erpressung von Informationen für gewährte Straffreiheit.

“Als ich eine Anzeige gegen den Mann geschaltet habe, weil er auf mein Kind losgegangen ist, dauerte es keine halbe Stunde, bis der VS sich gemeldet hat”, V-Frau Franka stellt in der ZDF-Dokumentation "Brandstifter im Staatsauftrag?" dar, wie der VS ihre Situation ausnutzte: “entweder du unterschreibst, oder deine Kinder sind weg”. Für Bernd Wagner von der Naziausteigerorganisation Exit ist damit die Grenze der Nötigung überschritten: “Um den Staat mit Informationen zu versorgen, haben sie im Staatsauftrag Parteistrukturen aufgebaut für effektivere länderübergreifende Zusammenarbeit.” Im Dezember 2012 sprachen sich die Innenminister der Länder für einen erneuten Verbotsantrag aus, der noch 2013 eingereicht werden soll. Nur die CDU sperrt sich noch.

Doch das allein reicht nach den Vertuschungsskandalen nicht aus, um die strukturelle Rechtslastigkeit der übrigen Behörden zu beheben. Mindestens ist die Verfassungswidrigkeit des Verfassungsschutzes selbst zu prüfen: Der erste NPD-Verbotsantrag von 2001 war seitens der Antragsteller wesentlich mit Zitaten von Verfassungsschutzmitarbeitern begründet worden.

Die Forderung, den VS an sich abzuschaffen, nicht nur das explosive V-Leute-System, beantwortet Clemens Binninger (CDU) entlarvend: “Wer macht dann die Aufgabe der Überwachung, wenn Strukturen entstehen? Etwa die Polzei? Aber diese hätte doch die Aufgabe einzugreifen. Das wäre eine ganz seltsame Entwicklung, wo ich nur vor warnen kann.” Falls also die Forderung, V-Mittel auf 0 zu kürzen, nicht umgesetzt wird, hilft veilleicht nur konsequente Steuervermeidung.

Ermittlung unerwünscht

Schon 1997 wusste das BKA in einem internen geheimen Schreiben zu vermelden: “Es bestehen konkrete Anhaltspunkte, dass dadurch Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden vereitelt oder unterlaufen werden, wodurch letztlich nicht nur die Quellen, sondern die gesamte Szene vor Strafverfolgung geschützt wird.” Dass dies kein Anlass zu strukturellen Maßnahmen war, ist Beweis für die Motive des Innenministeriums, dem der VS untersteht. Nur mit attraktiven Anreizen sei es möglich, die immer brutaleren Nazis unter Kontrolle zu halten. Kanzleramtschef Friedrich verrät den Fachjargon für diese widersinninge Praxis: “ungewollte Anschubfinanzierung”. (ZDF-Doku "NSU im Staatsauftrag? vom 23.07.2013")

Von Helmut Röwer, Leiter des Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Thüringen – oder sollte ich sagen Heimatschutz – lernen wir: “Einen V-Mann zu schützen ist wichtiger als das Aufklären von Straftaten”. Am 21. Januar 1999 erklärte er auf einer Podiumsdiskussion in Jena vor den Nationalsozialisten des Thüringer Heimatschutzes: “Die sollten mal fragen, was sich für die meisten Menschen mit dem Dritten Reich noch verbindet. (…) Eine richtige Schlussfolgerung kann ein ganz normaler Mensch nur dann ziehen, wenn man ihm gesagt hat, was passiert ist, und zwar die schlechten und die guten Seiten. (…) Das Dritte Reich ist eine bestimmte Epoche in der deutschen Geschichte, und diese besteht nicht nur aus Verbrechen.“

Tino Brandt, V-Mann und Mitbegründer des Thüringer Heimatschutz (“Umweltschutz ist Heimatschutz gegen Drogendealer, Linke, Rote, Kriminelle – alles was irgendwie Probleme macht”), erhielt mehrere tausend DM und Strafverfahren gegen ihn wurden eingestellt. Als 2001 seine Tarnung aufflog, erklärt er freimütig vor der Kamera: “Das Geld ist definitiv in den Aufbau unserer Organisation geflossen”.

Dazu bei einer Presseerklärung befragt, erklärt der damalige Ministerpräsident von Thüringen, Köcker: “Die Vermutung kann ich nicht unterstützen” und schweigt die Kamera bei weiteren Nachfragen an. Sein Beisitzer, Thomas Sippel, Kollege von Röwer beim LfW des gleichen Landes, springt für ihn lachend ein: “Wenn wir das wissen würden oder wenn wir Erkenntnisse dazu haben würden, dann würden wir sie nicht hier vortragen vor der Presse”.

Michael Rott, NPD-Aussteiger und späterer V-Mann aus Mittweida beschwerte sich über seine Gruppe, Sturm 34: “Es wurde immer brutaler. Menschen wurden im Vorbeigehen grundlos zusammen geschlagen und an die Hauswand gedrückt”. Die brutale Gewalt sorgte für ein Klima der Angst, nicht nur für Geschäftsinhaber türkischer Abstammung, die primäres Ziel des NSU waren. Rott hielt es für unerklärlich, warum es so lange gedauert hat, bis die Behörden reagiert haben: “meine Hinweise wurden nicht gewertet und das hat dazu geführt, dass die Gewalttaten immer massiver wurden.” Bei der Anklage gegen ihn wurden die Akten, die beim sächsischen Innenministerium lagerten und ihn hätten entlasten können, nicht an das Gericht ausgehändigt “zum Wohle des Freistaates”.

NSU-Umfeld

Der in der Presse häufig nur als Trio dargestellte NSU hatte ein weites unterstützendes Umfeld: Mandy S., deren Identität Beate Zschäpe nach ihrem Untertauchen benutzt hat; Jan W. sollte Waffen besorgen; Thomas S. hat vor ihrem Untertauchen 1,4 Kilogramm Sprengstoff geliefert und war ab Ende 2000 als V-Mann tätig. machtelite.wordpress.com schreibt am 5.5.2013: “Benjamin Gärtner war schon V-Mann, als ihn Temme (BND) im Jahr 2003 übernahm. Er hatte Kontakt zur Kasseler rechten Szene, aber auch nach Thüringen und war 2001 bei einer Aktion des Thüringer Heimatschutzes (THS) in Eisenach festgenommen worden. Das war im Untersuchungsausschuss in Berlin zu erfahren. Zum rechtsextremen THS zählten auch Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe sowie die in München Angeklagten Ralf Wohlleben, Carsten Schultze und Holger Gerlach. Der THS war unter starker Mitwirkung des Verfassungsschutzes geschaffen worden und von zahlreichen V-Leuten durchsetzt. Ein führender Aktivist war der V-Mann Tino Brandt. Der thüringer Verfassungsschutz wurde vom hessischen aufgebaut. Aus dem Thüringer Heimatschutz ging das spätere NSU-Netzwerk um Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe und Wohlleben hervor”

organisiertes Wegschauen

Es ist oft von "Ermittlungspannen" und "Staatsversagen" zu lesen neuerdings. In einem Dokument des LfV Dresden vom 28.04.2000 heißt es jedoch: “Das Vorgehen der Gruppe ähnelt der Strategie terroristischer Gruppen, die durch Arbeitsteilung einen gemeinsamen Zweck verfolgen.” Zweck der Vereinigung sei es, “schwere Straftaten gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung zu begehen”. Es sei “eine deutliche Steigerung der Intensität bis hin zu schwersten Straftaten feststellbar.”

Report Mainz dazu: “Absender des Schreibens mit Briefkopf des Präsidenten ist das Landesamt für Verfassungsschutz in Dresden. Gerichtet ist es unter anderem an den damaligen Innenminister Klaus Hardraht (CDU) und mehrere Verantwortliche seines Hauses. Vom Brief selbst gibt es nur zwei Ausfertigungen. Mit dem Schreiben wird eine sogenannte G10–Beschränkungsmaßnahme gegen das Neonazi-Trio und vier weitere namentlich genannte Unterstützer beantragt. Es geht also um die geheime Überwachung von deren Telefonen und Briefen.” Diese Überwachung, Operation Terzett, wurde jedoch nur halbherzig durchgeführt und brachte kaum Ergebnisse.

Über die Unterstützer heißt es in dem Dokument: "Die schnelle, professionelle und praktisch spurlose Flucht des Trios (1998) ist ein Anhaltspunkt dafür, dass sie “ohne die entsprechende Unterstützung … so nicht realisierbar gewesen wäre. Nur durch engste Bindungen in einem abgeschlossenen Zirkel mit wenigen verschwiegenen Mitwissern wird eine solche Flucht möglich.”

Prof. Christian Pfeiffer: “Hier hat es eine Behörde gegeben, den VS, die schon im Jahr 2000, vier Monate vor dem ersten Mord, deutlich gesagt hat: Die Drei sind terrorgefährlich im Sinne rechten Terrors.”.

vereitelte Festnahme

Die Durchsuchung der Erfurter Garage am 26. Januar 1998 lieferte aus Sicht eines Ermittlers traumhafte Beweise: Rohrbomben, TNT, Propagandamaterial und die Adressliste mit relevanten Kontakten der Naziszene. Was geschieht? Ein Polzist raunt dem Anwesenden Uwe zu “Jetzt bist du fällig.”, ein letzter Wink zum Abtauchen. Die zuständigen Ermittler sind auf Lehrgang oder im Urlaub, die Adressliste verschwindet für Jahre in einer Plastetüte in einer Aservatenkammer.

Der Kripobeamte Timo Melzer habe verstärkt versucht, die drei aus dem Verkehr zu ziehen und entschuldigte sich später, dass er nicht hartnäckiger gegenüber Vorgesetzten geblieben sei. Diese teilten seinen Eifer nicht. Wenn es darum geht, Quellen zu schützen, ist es nicht im Interesse der Ermittler, Bombenbauer zu stoppen.

Dass das Trio 1998 untertauchen konnte, ist also Mitarbeitern der Behörden zu verdanken. Doch warum sollte nicht ermittelt werden? Es scheint, dass was passiert ist, in der Absicht des Verfassungsschutzes lag. Erst als eine Polizeistreife Opfer der Anschläge wurde, war Schluss. Focus schreibt “Jahrelang wird gemordet quer durch Deutschland. Ein Jahrzehnt lang übersieht die Polizei Gemeinsamkeiten von Morden und Banküberfällen. Die Häufigkeit, mit der Fahrräder an den Tatorten gesehen werden. Die Rucksäcke, die immer wieder zu beobachten sind. Die Beschreibungen der mitteleuropäischen Täter – macht nichts, die Beamten ermitteln in Richtung süd- oder osteuropäischer Mörder.”

verminderter Aufklärungswillen

Schon 2004 wusste Innenminister Schily direkt nach der ersten Explosion noch bevor die Ermittlungen weitere 9 Jahre unterdrückt wurden, das fragliche Umfeld sei “nicht terroristisch, sondern aus kriminellem Milieu”. Aus Versehen werden Akten geschreddert, können wieder zusammengepuzzelt werden. Anschließend wird festgestellt, es seien keine relevanten Informationen enthalten. Je höher Befragte in der Hierarchie stehen desto auffäliger ist die Tendenz zur Amnesie.

Es sind Details, die vermuten lassen, wie tief dieser Rechtsstaat im braunen Sumpf wurzelt. Wenn BKA-Chef Jörg Ziercke beim Kiesewetter-Mord öffentlich von einer geplanten Beziehungstat spricht und daraufhin vom Vater der Polizistin tätlich angegriffen wird: “Es habe niemals Kontakt zwischen seiner Stieftochter oder einem anderen Familienmitglied und der Gruppe um Uwe Mundlos gegeben, sagte Ralf Kiesewetter der „Ostthüringer Zeitung“. Die Meldung sei „frei erfunden, wonach ich ein Lokal besessen haben soll, in dem sich die rechte Szene traf“. Treffender lässt es sich nicht zusammenfassen. Laut BKA sei 2007 ein Koch bei Kiesewetters Stiefvater eingestellt worden, der denselben Geburtsnamen wie Beate Zschäpe trägt.

Der Vorgesetzte der ermordeten BFE-Polizistin war Mitglied eines deutschen Ku-Klux-Klan-Ablegers, gegründet von Achim Schmidt, V-Mann des LfV Baden-Württemberg, angeblich als Fliegenfalle für (ostdeutsche) Neonazis. Tatsächlich waren darin nicht nur Polizisten aktiv, sondern auch Thomas Richter aus Halle, der auch auf Uwe Mundlos' Liste steht. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) führte diesen von 1994-2012 als Corelli. Die Fäden zwischen Neonazis, NSU und Polizei laufen also beim VS zusammen. Günter Stengel, damals Mitarbeiter des LfV in Stuttgart, erhielt von einem ostdeutschen Informanten Hinweise auf den NSU und kannte den Namen Uwe Mundlos. Er musste seinen Bericht löschen: “Eine Gruppe namens NSU sei nicht bekannt”.

Motiv der Behörden?

Es ist bekannt, dass Opfer rechter Gewalt zur Zielscheibe der Ermittler werden, wenn sie sich an Behörden wenden. Auch Angehörige von NSU-Mordopfern wie die Witwe Boulgaridis musste eine Vernehmung wegen Drogen- und Menschenschmuggel über sich ergehen lassen. Das passt leider ins verstörende Bild der seit Jahren bundesweit üblichen rassistischen Kontrollen.

Beim Morden an türkischen und griechischen Kleinunternehmern wird weggesehen. Bei einem Mord an deutschen Polizeibeamten ist die Grenze überschritten. Eva Pau sagte nach Veröffentlichung des Untersuchungsberichtes: “Wenn wir nicht deutlich sagen, dass das Problem in dieser Gesellschaft Rassismus heißt, dann kann das immer wieder geschehen und das ist die erschreckende Erkenntnis aus diesem Ausschuss.” Das stimmt, aber war vorher bekannt.

weitere Infos

“Es ist ein Wald, in dem Leute lauter Bäume pflanzen und man verläuft sich. Gebt nicht auf, denn es ist eine einmalige Gelegenheit, um den Staat am offenen Herzen zu analysieren und zu verstehen, wie diese Strukturen funktionieren.”, Wolf Wetzel, Autor von „VS-NSU-Komplex“

Das “antirassistische Bildungsforum Rheinland”, “a.i.d.a. e. V.” (München), das “Antifaschistische Infoblatt” (AIB), das “antifaschistische pressearchiv und bildungszentrum berlin” (apabiz), das “Antifa Recherche Team Dresden” (ART), das antifaschistische Magazin “Der Rechte Rand”, das “Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus”, die antifaschistische Zeitschrift “LOTTA” und andere haben sich nach der Selbstenttarnung des NSU am 4. November 2011 zur Initiative “NSU-watch: Aufklären und Einmischen!” zusammengeschlossen.

Ziele sind eine Begleitung, unabhängige Dokumentation und Bewertung des NSU-Strafverfahrens und der Ermittlungen, sowie die Veröffentlichung von Protokollen der Prozesstage auf: www.nsu-watch.info