2009-03:Um die erste Instanz betrogen ...

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Um die erste Instanz betrogen ...

jb Es häufen sich miese Tricks von Gerichten, mit denen diese auf offensive Prozessführung reagieren. Die Logik ist immer die Gleiche: Die Angeklagten werden aus ihrem eigenen Prozess rausgehalten, ganz oder hinsichtlich ihrer prozessoralen Rechte. Das ist illegal – aber wird trotzdem gemacht. Es ist attraktiv, da offensive Angeklagte den Gerichtsalltag erheblich blockieren können – und das voll im Rahmen der geltenden Strafprozessordnung!

Trick 1: Ausschluss von Angeklagten – mit anschließender Sperrberufung durch StaatsanwältIn

Erstmals angewendet wurde dieses Verfahren in der ersten Instanz des Feldbefreiungsprozesses in Gießen. Amtsgerichts-Vizechef Oehm wollte hart verurteilen, die Betreiber des skandalösen Versuchsfeldes der Uni Gießen, vor allem Prof. Karl-Heinz Kogel, vor Fragen schützen. Daher lud er den Hauptzeugen gar nicht vor. Zudem verbot er alle Fragen zur Gentechnik, schmiss schließlich den Angeklagten raus und verhandelte ohne ihn weiter. Das war nach § 231 StPO nicht zulässig. Um nun die logische Folge einer Sprungrevision (Rechtsfehlerüberprüfung nach erster Instanz) zu vermeiden, ging die Staatsanwaltschaft gegen das von ihr genau so gewünschte Urteil selbst in Berufung. Werden nämlich gleichzeitig Berufung und Revision eingelegt, geht die Berufung vor. So schützte die Staatsanwaltschaft mit ihrem Trick den Richter.
Eine Kopie dieser Vorgehensweise erlebten zwei Angeklagte dieses Jahr bei einem Prozess ebenfalls um eine Genfeldbefreiung in Kitzingen (http://de.indymedia.org/2009/09/259877.shtml).

Trick 2: Einlass verwehrt

Im Berlin wurde ein Angeklagter von Gerichtsdienern am Betreten des Gerichtssaals gehindert worden und deshalb wegen Abwesenheit verurteilt (http://de.indymedia.org/2009/08/258255.shtml). Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand scheiterte. Begründung: Das Geschehen am Eingang gehöre nicht zum Prozess und sei deshalb kein Grund für eine Beschwerde. Der Betroffene hat vor dem Verwaltungsgericht gegen die Maßnahmen Klage eingereicht – schließlich würde eine Akzeptanz solcher Tricks den Gerichten unhinterfragbare Handlungsmöglichkeiten eröffnen, willkürlich Prozesse zu verhindern, aber dennoch zu verurteilen.

Trick 3: Anwaltszwang schaffen und Prozesskostenhilfe verweigern

Dieser Trick wirkt bei Zivilprozessen und wurde jetzt bei einem Verfahren in Saarbrücken erprobt. Dort ging es um einen Maulkorb, den zwei zentrale Personen der Gentechnik-Seilschaften ihrem Kritiker verpassen wollten. Vor dem Landgericht herrschte Anwaltszwang, doch das Gericht bearbeitete den Prozesskostenhilfeantrag nicht. Folge: Versäumnisurteil. Im Widerspruchsverfahren wurde der Antrag dann zurückgewiesen: Der Beklagte solle arbeiten gehen. Schon das war ein rechtlich wie sozialpolitisch unglaubliches Urteil. Nach einem Einspruch und dem Hinweis, dass der Beklagte als Schriftsteller tätig sei, seine Bücher aber keine Mainstreamthemen betreffen und daher nicht gut verkäuflich sei, legte das Gericht noch eine Schippe drauf: Dem Beklagten sei zuzumuten, den Inhalt seiner künstlerischen Tätigkeit der Nachfrage anzupassen. Das Oberlandesgericht widersprach dem Landgericht, aber den Versuch der Prozessaussperrung hatte es gegeben. Mehr: http://www.biotech-seilschaften.de.vu.

Sehr ähnlich: Keine Akteneinsicht, kein Antragsrecht, keine Pausen, kein Rechtsbeistand und kaum Fragerechts

Neben den beschriebenen Tricks der Erstinstanzgerichte, die eine physische Abwesenheit eines Be- oder Angeklagtem in der Gerichtsverhandlung bewirken, greifen Versuche um sich, durch die Verweigerung der prozessoralen Rechte die angeklagte Person zwar nicht gleich selbst zu entfernen, sie aber weitgehend handlungsunfähig zu machen. Dieses gelingt auf mehrfache Weise – typischerweise treten sie gleichzeitig in einem Verfahren auf:

  • Verweigerung der Akteneinsicht: Nach § 147, Abs. 7 StPO in Verbindung mit der Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofes steht einem/r Angeklagten ohne Verteidigung ein eigenständiges Akteneinsichtsrecht zu, dass dem eines verteidigten Angeklagten nicht nachstehen darf. Trotzdem wird Akteneinsicht verweigert.
  • Beschneidung des Antragsrechts: Den Angeklagten wird einfach gesagt, dass jetzt kein Antrag gestellt werden könne. Maximale Gegenwehr ist der Antrag auf Gerichtsbeschluss, damit es zu Protokoll genommen wird, und schließlich ein Befangenheitsantrag aufgrund der Verweigerung des Antragsrechts. Aber selbst bei Befangenheitsanträgen ist es schon zu Versuchen gekommen, das Stellen selbiger zu verhindern.
  • Keine Pausen: Ein einfacher Trick, das Antragsrecht oder auch andere prozessorale Handlungsoptionen zu untergraben, ist das Verweigern von Pausen. Denn ohne diese ist kaum möglich, Anträge zu verfassen oder fragliche Punkte rückzuklären.
  • Verweigerung von Rechtsbeiständen und Pflichtverteidigung: Bei schwieriger Rechtslage oder zu erwartenden hohen Strafen haben Angeklagte das Recht auf eine Pflichtverteidigung. Diese wird regelmäßig verwehrt. Wer ohne AnwältIn agiert, kann beantragen, dass eine rechtskundige Person als Rechtsbeistand hinzugezogen wird und dann wie einE VerteidigerIn am Prozessgeschehen teilnimmt. Das aber wurde mehrfach verwehrt – und zwar mit Begründungen, die von der StPO nicht gedeckt sind.

Beispiele, wo solche Gerichtsstrategien auftragen, sind ein Verfahren in Frankfurt im Zusammenhang mit vermeintlichem Widerstand gegen Polizeibeamte (http://de.indymedia.org/2009/08/258677.shtml) und mehrere Verfahren in Kitzingen zu Genfeldbefreiungen.