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Aktuelle Version vom 26. Juni 2009, 22:02 Uhr

Von Sophie Eisinger

Wie bringen es GentechnikkritikerInnen zustande mit knappem theoretischen Grundwissen einen komplexen Erkenntnisgegenstand hinlänglich zu kritisieren? Diese Frage brachte mich auf die Idee einen Aktivisten zu besuchen und mit ihm einen Nachmittag plaudernd zu verbringen. Beim Vorgespräch gestand er mir, er sei „Anarchist“. Wir machten einen Termin aus für meinen Besuch und schließlich fuhr ich voll Vorfreude nach Norden, um seine Ansichten kennen zu lernen.

Martin sitzt mir gegenüber und spricht mit ruhiger, verhaltener Stimme: „Mir war es wichtig alles Saatgut aus dem Boden zu holen, da ja schon jeder Teil dieser Pflanzen zur Kontamination des Bodens führen kann.“ Wir befinden uns in einem alten Bauernhaus im Wendland. Es ist Frühherbst und der hotspot für Aktivitäten gegen die ungeliebten Bauern und Firmen, die auf moderne Anbaumethoden setzen, neigt sich dem Ende zu. Martin meint er sein schon seit längerer Zeit politisch aktiv, nun hat er den Widerstand gegen die Grüne-Gen-Technik für sich entdeckt. Wie viele AktivistInnen aus dem sich selbst als „öko-anarchistisch“ definierenden Umfeld war er bei so einigen „Feldbesetzungen“ dieses Jahr mit dabei, auch an nächtlichen Ausflügen beteiligte er sich, um die ungeliebten Pflanzen vom Acker zu entfernen. Größeren Ärger mit den Ordnungskräften hatte er dabei bisher nicht. Angst verspürte er jedoch anfangs schon, wie er mir verrät, aber mit den Erfolgen der Saison kam auch ein Gefühl des Stolzes in ihm auf, und dazu die Sicherheit das „Richtige“ zu tun. Er fühlt sich als „Sieger dieses Jahr“. Den „herrschenden Konzernen – allen voran Monsanto“ hat er mit verschiedenen MitstreiterInnen „empfindlich Nadelstiche“ versetzt. Die „spektakulären Aktionen“, wie sie ein anderer Aktivist gerne nennt, richteten sich aber auch immer wieder gegen verschiedene Universitätsversuchsprojekte, und somit gegen die Freiheit der Forschung in diesem Bereich.

Waren in vergangenen Zeiten sich als AnarchistInnen verstehende Menschen der wissenschaftlichen Forschung und dem sich damit verbundenen Fortschritt durchaus begeistert zugeneigt, erscheint es heute so, als wäre Forschung für die „neuen“, sich nicht als „links“ verstehenden AnarchistInnen per se von übel. („Mit der Methode: was hätte Bakunin gesagt kommst du heute nicht mehr weit. Lies mal das Manifest von Ted Kacynski – Die industrielle Gesellschaft und ihre Zukunft“) Auf einer Internetseite der „Projektwerkstatt Saasen“ zum Beispiel beschweren sich die KämperInnen gegen den „Gen-Pfusch“. Die möglichen revolutionären Entwicklungen aber, die sich durch diesen Forschungsbereich ergeben könnten, böten zukünftigen Generationen zusätzliche vielfältige Möglichkeiten zur freien Assoziation von Produzierenden. Mehrheitlich verwerfen die neuen, sich selbst als „PrimitivistInnen“ bezeichnenden, MaschinenstürmerInnen jedoch freimütig diese sich öffnenden Möglichkeitsspielräume voreilig als „Lügen des Gen-Tech-Filzes“. Das emotionale Ressentiment übernimmt hier nur allzu schnell die Rolle stichhaltiger Argumente. Anstatt sich mit der Materie eingängig kritisch zu befassen, grassiert unter ihnen das irrationale Vorurteil. Betrachtet man die Agitation der voluntaristischen Gen-GegnerInnen kritisch, werden blauäugig wiederholend Greenpeace Glaubensbekenntnisse rezitiert; wird aus der Schrot&Korn blind abgeschrieben und von GendreckWeg werden wenig überzeugende Positionen repititiert, weshalb die Agrar-Biotechnologie überhaupt schädlich sei. Internet-Recherchen nach notwendig schlüssigen Beweisen der GegnerInnen erschöpfen sich schnell in den von AktivistInnen wie auswendig dahererzählten Allgemeinplätzen. Wissenschaftliche Beweise für eine Schädlichkeit der neuen Züchtungen gibt es tatsächlich kaum, und auch diese Berichte äußern meist nur Zweifel, und nicht klare Aussagen über etwaige Schädlichkeit der verpönten neuen Produktionsweise. Dafür tragen nicht die GegnerInnen Schuld, sondern dieser Umstand gründet sich darin, daß bisher kaum Forschungsaufträge oder Finanzmittel dafür bereitgestellt wurden. Kontakte zu möglicherweise kritisch forschenden WissenschaftlerInnen der Biotechnologie an den Universitäten, oder zum zahlreichen jungen ForscherInnen-Nachwuchs gibt es von der Bewegung ausgehend kaum. Allzu sehr wird ein solcher Diskurs im Augenblick durch dichotomische Feindbilderzeugung der AktivistInnen behindert.

So wundert man sich kaum, daß sich relativ bald verzerrte Perspektiven ergeben, wie das – doch eher – enge Weltbild von Martin und seiner „nomadischen“ FreundInnen nachhaltig belegt. Seine Argumentation unterscheidet sich kaum wesentlich vom Standpunkt der NPD-Landtagsfraktion Mecklenburg-Vorpommern, oder dem rechten Magazin Umwelt&Aktiv aus Bayern, welches ebenfalls massiv und professionell für die sogenannten Feldbefreiungen warb. Scheinbar nichts davon ahnend freut sich Martin. Konnte er doch „sein Thema“ verstärkt auch in den „bürgerlichen“ Medien platzieren: „die Bedrohung der bäuerlichen Landwirtschaft und das Problem der Einflußnahme der großen Chemie-Konzerne auf die Saatgut-Züchtung und der Monopolisierung von Leben“. Damit hat er die Hauptargumente auch der nationalen sozialistischen GegnerInnen von Syngenta, Bayer und Co. in seinem Satz benannt. Während wir uns unterhalten nennt er mir weitere Gründe für sein Tun: „irgendwas mit Gentechnik drin will kein Mensch in Deutschland essen“ und „die Bauern in Indien bringen sich doch scharenweise um, weil sie von Monsanto verarscht wurden und der Bollwurm die Baumwollkapseln trotz der angeblichen Giftabsonderung der Pflanze leer frisst“. Martin gehört somit einer wachsenden Zahl von jungen Menschen an, die ihre Verbundenheit zur „Natur“ für sich wiederentdeckt haben. Auf meine Frage, ob denn nicht auch die Gen-Technik zur Natur gehöre, oder nicht auch die Chemie-Fabriken seiner „Feinde“ Bestandteil der uns umgebenden Natur wären, antwortet er mir entschieden: „Nein, die Natur ist das, was uns außerhalb menschlicher Ansiedlungen und Eingriffe umgibt – und auf die der industriell geprägte Mensch noch keine Einfluß nehmen konnte – Wälder und Flüsse, das was da eben schön ist, und voller Poesie.“ In diesem Moment frage ich mich ernstlich, ob die Forderung anarchistischer PädagogInnen, wie Kropotkin, Tolstoi, Bakunin oder Ferrer nach umfassender materialistischer Bildung des Menschen, welche die unverbrüchliche Grundlage seiner und der mit ihm lebenden GenossInnen sein müsse, nicht erneut überdacht gehört.

Überschaut man die szeneeigene Berichterstattung, sticht bald ins Auge, daß sehr wenige selbstkritische Artikel aufzufinden sind. War es früher allemal angesagt gemeinsam Maneauver-Kritik zu halten, und diese auch (wenigstens in den einschlägigen eigenen Publikationen) zu veröffentlichen, herrscht heute der hohle Brustton der moralisch korrekteren Überzeugung vor, die dann jedoch nur von einigen wenigen Wortführern, (und hier überwiegt der Anteil der Texte von Männern) wie des Saaseners Jörg Bergstedt „unters Volk gebracht“ werden. Auf diese Weise wird die richtige Gesinnung aufdringlich „ins Feld geführt“ und auf „selbstorganisierten“ Veranstaltungen schon mal ein mißliebiger „Störer aus den eigenen Reihen“ lautstark mehrfach des Raumes verwiesen. Im Vorfeld von Demonstrationen des „herrschaftskritischen Lagers“, bei der dann der ein oder andere nationale Sozialist fleißig mitmarschieren und anti-amerikanische Parolen skandieren darf, kommt es zu spontanen Demoverweisen durch selbsternannte Ordner, aber eben nicht zu dem der „US-Konzern“-KritikerInnen, sondern: weil ein Flugblatt eines Mahners zur Vernunft „kontraproduktiv“ und deshalb „unerwünscht hier“ sei. Berichten anschließend derlei Behandelte von diesen Umtrieben in einem „offenen Nachrichtenmedium“, wird die Tatsache zuerst vom Demonstrations-Anmelder als „Lüge“ denunziert und verschwindet wenig später einfach komplett aus dem Netz. So manchem Versuch von, so von ihnen beschimpften, „Sesselpupsern“ Partei zu ergreifen für einen vernünftigen Umgang mit dem Thema, widersetzen sich die neu entstandenen Ökologismus-Sekten hartnäckig. Sie verschließen sich jedem kritischen Räsonement. Diesem racket klar zu machen, wie schlüpfrig deren Bekenntnis zu heimatlich reinem Boden, und einheimischer Bauernschaft sei und derem Aufruf zum blinden Fraternisieren mit egal welchen selbsternannten Feinden des erkannten Hauptschuldigen aus den USA, führten zu wahren Freudenausbrüchen der kuschelnden Gefühlsanarchisten, wenn sich schließlich die wenigen RuferInnen in der Wüste entnervt aus e-mail-Listen zurückziehen. Man ist eben lieber harmonisch ungestört durch Gegenstimmen unter sich und seinesgleichen, und wärmt sich an seiner muffigen Wandervogel-Lagerfeuerromantik.

Sind sie dann mit staatlicher Repression konfrontiert, ist die Bestürzung in den Reihen der AktivistInnen sehr groß und laut. Während ein Teil „der Bewegung“ den von den alten Friedensfreunden favorisierten Weg des „zivilen Ungehorsams“ und der „Gewaltlosen Aktion“ verfolgt, und mit Äußerungen wie folgenden brilliert: „da wenige Konzerne grade die Kontrolle über unser aller (sic!) Nahrungsmittel erlangen wollen ist Widerstand dagegen sicherlich legitim“, (Die angeklagten AktivistInnen bekräftigen meist vor Gericht ihre Taten und schildern weshalb sie bewußt so handelten, schließlich akzeptieren sie bereitwillig die verhängten Strafen, weil sie auf diese Weise dem Souverän klar machen wollen, daß geltende Gesetze für sie so nicht hinnehmbar sind; daß diese Gesetze für alle falsch sind und geändert gehören.) versucht der andere Teil sich auf einen herbeiphantasierten „Notstand“ zu berufen. So schriebt Jörg von der „Projektwerkstatt“ auf der Internetseite zu seinem Prozeß, kürzlich im hessischen Giessen: „Nur zu naheliegend wäre es hier gewesen, sich auf Art. 20 Abs. 4 des Grundgesetzes zu besinnen, wo das Recht auf Widerstand verbrieft ist.“ So kommt es zu folgender Aporie: ein notorisch bekennender Anarchist beruft sich in einem Prozeß vor einem Staatsapparat, den er ansonsten in Bausch und Bogen ablehnt und behauptet zu bekämpfen, treu auf die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, welche das Ergebnis der re-education nach der bedingungslosen Zerschlagung der deutschen Volksgemeinschaft durch die Alliierten war. (allen voran die USA und GB) Wohin sind die Zeiten entwichen, in denen AnarchistInnen Staatsapparate schlicht auslachten, stolz erhobenen Hauptes ins Gefängnis gingen und dann versuchten so schnell wie möglich von dort wieder zu entfliehen, um weiterhin revolutionär zu wirken?

Martin entschuldigt sich schließlich bei mir, er hätte jetzt keine Zeit mehr für weiter Fragen, denn morgen ginge es früh los für ihn, da wolle er nach Süden trampen, um sich mit weiteren AktivistInnen zu treffen, er wolle Vorbereitungen für nächstes Jahr verabreden. Auf meine abschließende Frage, wie er es denn halte, wenn er mal vor Gericht müsse zuckt er leicht die Schultern, das sehe er dann schon. Eine Strategie habe er noch nicht, aber es kämen meist genug coole Menschen zu solchen Prozessen zusammen, und dann könnte man diesen ja kreativ als Plattform dazu benutzen, um Rabatz zu machen und in dieser Art das Thema noch mehr in die Medien zu bringen – steter Tropfen höhle schließlich den stärksten Stein. Ich wünsche ihm zum Abschied viel Glück und mache mich seltsam nachdenklich wieder zurück auf den Weg in die Zivilisation.