2008-01:Barfuss zum Marathon

Aus grünes blatt
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Barfuß zum Marathon? Das Welthandelsprodukt Laufschuh

sp Die Laufschuhe an meinen Füssen – ja, ich gehöre zu den „Verrückten“, die sich durch Parks scheuchen –, letztendlich alle Sportschuhe, sind ein weitgereistes Produkt. Der größte Teil von ihnen wird in asiatischen Ländern hergestellt. Meistens sind es von Markenfirmen beauftragte ZuliefererInnen, in deren Fabriken die Laufschuhe entstehen. Es kommt vor, dass ZuliefererInnen für mehrere der „Großen“ im Sportschuhgeschäft produziert. Die Arbeitsbedingungen in den zuliefernden Fabriken sind ein großes Problem für die beschäftigten Menschen. Fehlende Sicherheitsvorkehrungen in den Fabriken führen immer wieder zu Arbeitsunfällen. Viele der Beschäftigten klagen über Atemwegserkrankungen oder Kopfschmerzen, weil dem Schutz vor chemischen Dämpfe wenig Bedeutung zugemessen wird. Manche dieser Fabriken sind mit Regelsystemen ausgestattet, die an Gefängnisse erinnern. Wer in der Li Kai Factory # 5, chinesischer Zulieferbetrieb für New Balance, dabei erwischt wird, den Rasen zu betreten, zu spät zur Arbeit zu kommen oder im Schlafraum zu sprechen, verliert einen Tageslohn. Gleich drei Tageslöhne sind fällig, wenn Beschäftigte ihren Vorgesetzten widersprechen. Zwischen 80 und 90%der Beschäftigten sind Frauen. Einige ZuliefererInnen haben interne Anweisungen, möglichst junge und weibliche Arbeitskräfte einzustellen. Neben den „normalen“ Arbeitsbedingungen kommen für sie in vielen Fällen sexuelle Nötigung und erniedrigende Behandlungen am Arbeitsplatz dazu. So müssen sich Frauen in der Li Kai Factory #5 von männlichen Sicherheitskräften durchsuchen lassen, wenn sie die Fabrik verlassen wollen. Gute Laufschuhe können zwischen 120 und 180 € kosten, manchmal auch mehr. Nur 0,4 % davon landen bei denen, die sie tagtäglich herstellen. Die Löhne in der Sportschuhproduktion sind so niedrig, dass die Beschäftigten trotz Überstunden nicht genug verdienen, um ihre Miete zu zahlen oder sich mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Umgerechnet 37 € bleibst den ArbeiterInnen in der Li Kai Factory #5übrig, nachdem die Fabrikleitung vom offiziellen Monatslohn 11 € für Unterkunft und Essen abgezogen hat. Die geforderten Produktionsziele sind so hoch angesetzt, dass die Arbeit extrem verdichtet und ohne viele Überstunden nicht zu bewältigen ist. Bevorzugt werden flexible Arbeitsverträge, die auf kurze Dauer angelegt sind. Von Arbeiterrechten oder gewerkschaftlicher Organisierung ist in diesen Fabriken nichts zu spüren. Das ist kein Zufall: Über 50% der Sportschuhproduktion sind in Ländern angesiedelt, in denen unabhängige Gewerkschaften nicht erlaubt sind, darunter China, Thailand und Vietnam.

Ebenso wie faire Arbeitsbedingungen steht Umweltschutz bei der Sportschuhproduktion hinten an. So werden viele synthetische Materialien und Chemikalien verwendet, die ökologisch und gesundheitlich bedenklich sind. Zwar haben sich Nike, Adidas, Puma oder Asics bereit erklärt, auf PVC in ihren Schuhen zu verzichten. Das ist nur einer der Stoffe, die als giftig gelten. Für die VerbraucherInnen ist all das schwer nachvollziehbar, da dem Schuhkarton nicht zu entnehmen ist, aus welchen Inhaltsstoffen die Treter bestehen.


Helfen Standards weiter?

Seit einigen Jahren weisen Nichtregierungsorganisationen auf diese Missstände hin. Als Reaktion haben sich einige der großen HerstellerInnen bestimmte Standards, sogenannte „codes of conduct“, hinsichtlich der Arbeitsbedingungen gegeben. Die Markenfirmen wachen selbst über diese Standards und lassen Milde walten. „Es ist einfach, diese Standards zu missachten und die Verstöße zu verschleiern“, erklärt Paul Cooper von Blackspot Shoes, einem alternativen Schuhprojekt . Oftmals wissen die Beschäftigten in den zuliefernden Betrieben nicht von diesen Standards, weil niemand sie über ihre Rechte informiert. Öffentlich bekunden die Sportschuhmarken großen Eifer, um die Rechte ihrer Beschäftigten zu schützen. Während dessen verschieben sie ihre Produktion in Staaten, die nichts von Vereinigungsfreiheit halten, d.h. Organisationsansätze unterdrücken, die auf die Verfolgung gemeinsamer Interessen basieren (z.B. Gewerkschaften). Länder, in denen es am schwierigsten ist, für menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu kämpfen. So hat sich Nike von 1998 bis 2005 um 14% „gesteigert“, was die Auslagerung in gewerkschaftsfreie Zonen betrifft. Daher formulieren KritikerInnen, dass die „codes of conduct“ vor allem eine Wirkung hätten: Den Markenfirmen zu helfen, sich öffentlich mit einem sauberen Image zu schmücken.

Ansätze einer anderen Schuhproduktion

Okay, das ist heftig. Aber ich will weiter laufen, und mir ist es wichtig, einen stabilen und gut gedämpften Schuh zu tragen. Gibt es Alternativen? Nein, jedenfalls nicht greifbar. Der fair gehandelte Öko-Laufschuh ist ein Wunschtraum. Aber es gibt positive Ansätze, die Hoffnung machen können. So werden die Schuhe von Worn Again zu 99% aus recycelten und regional beschafften Materialien hergestellt. Lederbezüge aus verschrotteten Autos oder ausrangierte Feuerwehruniformen dienen als Rohstoff, um Schuhe herzustellen, die alles andere als alt aussehen. Die Schuhmarke Veja arbeitet auf der Grundlage von fairem Handel und biologischer Landwirtschaft. So stammt die für die Schuhe verwendete Bio-Baumwolle von einer brasilianischen Kooperative. Auch die Produktion ist in Brasilien angesiedelt. Um den Vertrieb der Schuhe kümmert sich eine französische Hilfsorganisation, die benachteiligte ArbeiterInnen dabei unterstützt, in den Arbeitsmarkt zurückzufinden. Auch Blackspot Shoes bricht mit einigen Aspekten der „normalen“ Schuhproduktion. Die Schuhe des Zusammenschlusses werden in einer Fabrik in Portugal produziert, zu einem Lohn, der über dem Landesdurchschnitt liegt. Die Schuhsohlen bestehen aus alten Reifen, das Obermaterial aus biologisch angebautem Hanf. Der besondere Clou bei Blackspot Shoes ist ein in der Schuhproduktion einzigartiges Beteiligungsmodell: Wer ein Paar dieser Marke erworben hat, darf mitentscheiden, welche weiteren Schritte das Unternehmen machen soll. So wird mittels Internet darüber diskutiert, ob neue Modelle entwickelt werden sollen. Die Trennung zwischen KonsumentInnen und ProduzentInnen verwischt. Leider beschränken sich diese und ähnlich arbeitende Firmen – bisher – auf Lifestyle-Schuhe. Sie beweisen aber, dass es möglich ist, soziale und ökologische Ansprüche mit der Schuhproduktion zu verknüpfen. (Solange jedoch die Profitlogik gilt, werden solche Ansätze eine Nische bilden. Für einen grundlegenden Wandel ist mehr als individuelles Umdenken nötig.)

Hürden auf dem Weg zum fairen Laufschuh

Es wird nicht einfach, einen ökologischen Laufschuh zu entwickeln, der in faire Arbeits- und Handelsbedingungen eingebettet ist. Sportschuhe stellen ein komplexes Produkt dar: Es gibt die Markenfirmen, ihre Zulieferer, die wiederum die verwendeten Materialien von anderen beziehen. Die Forderung nach fairen Bedingungen müsste in diesem ganzen Sektor umgesetzt werden. Dafür ist eine hohe Transparenz nötig. Ein weiteres Problem sind die für Sportschuhe verwendeten synthetischen Materialien. Es wird schwer, sie alle durch umweltschonende zu ersetzen. Andererseits denken SchuhentwicklerInnen intensiv darüber nach, wie Laufschuhe gestaltet sein müssen, um ihre Träger zu unterstützen. Würde ähnlich viel Kreativität dafür aufgebracht, ökologische Ansprüche zu berücksichtigen – warum sollte es dann keinen „grünen“ Laufschuh geben? Nehmen wir an, es wäre möglich. Wäre so ein Laufschuh nicht viel teurer? Das ist wahrscheinlich, aber nicht zwingend. Würde nicht jedes Jahr eine neue Kollektion auf den Markt geworfen, könnten Entwicklungskosten eingespart werden. Weniger Sponsoring, gerade im „Profibereich“, weniger Werbung, und schon könnten die höheren Ausgaben fairer Schuhherstellung aufgefangen werden.

Am Ende bleibt alles ... schwierig

Ich bin davon überzeugt, dass Sportschuhe anders hergestellt werden können. Nur bleibt das Problem, dass ich hier und jetzt keine Alternative herbeizaubern kann. Ich finde dass Sportschuhe für den alltäglichen Gebrauch überflüssig sind. Dann lieber im Umsonstladen nachschauen oder Straßenschuhe kaufen, die fair und ökologisch hergestellt wurden. Und nicht für jede sportliche Aktivität sind Schuhe oder spezielles Schuhwerk nötig. Aber Menschen, die viel laufen, Fußball im Verein spielen – die Liste ließe sich fortsetzen –, werden so nicht glücklich. Sie werden weiterhin Sportschuhe kaufen, die unter Umständen entstanden sind, die andere Menschen in Armut hält. Möglich ist, seltener zu konsumieren und genauer auszuwählen, nicht alle Firmen sind gleich. Ein grundsätzlicher Verzicht aber erscheint mir nicht möglich (wenn man gesunde Beine wichtig findet). Ich glaube, dass wir vorerst mit dem Widerspruch leben müssen. Und ich denke, dass man sich nicht auf das Kaufen mit Schmollgesicht beschränken muss. Es gibt viele Wege, um Öffentlichkeit dafür schaffen, welche Probleme mit Sportschuhen verbunden sind, und so auf eine Veränderung hinzuwirken. Von normaler Öffentlichkeitsarbeit, Aufklärung im eigenen Umfeld bist zu Direct Action ist alles möglich: Plakate mit kritischen Informationen zur Schuhproduktion, die in von vielen LäuferInnen durchquert Parks auftauchen ... ein Referat für die Schule oder Universität ... Aufkleber, die unauffällig auf Schuhkartons geklebt werden können ... Barfusslaufen beim nächsten öffentlichen Lauf.


Exkurs: Barfußlaufen als Ausweg?

Barfuß zum Marathon – war das nur ein witziger Aufhänger oder mehr? Jedes Sportschuhpaar, das ich kaufe, unterstützt profitträchtige Unternehmen, die ihre Beschäftigten ausbeuten. Könnte ich nicht auf Laufschuhe verzichten? Nicht einfach zu sagen. Bei Läufen durch Wiesen oder Wälder macht es mir Spaß, barfuß zu laufen. Der Kontakt zum Boden fühlt sich intensiver an. Barfuß zu laufen kann helfen, die Achtsamkeit für die eigenen Füße zu steigern und ein sauberes Abrollen zu üben. Wer frei von Knie- oder anderen Beinbeschwerden ist, sollte es ausprobieren, auf weichen Untergründen barfuss zu laufen. Wichtig ist dabei, vorher zu dehnen, ein gemütlichem Tempo anzuschlagen und sich langsam zu steigern, weil Barfußläufe die Beinmuskeln anders fordern. Wer viel auf asphaltierte Wegen unterwegs ist, braucht Schuhe, um den Aufprall zu dämpfen und sich vor Verletzungen (z.B. durch Scherben) zu schützen. Auch wer regelmäßig trainiert oder sich an der Belastungsgrenze bewegt, sollte aus gesundheitlichen Gründen nicht auf Schuhe verzichten. Ich finde, dass es kein Problem ist, für einzelne öffentliche Läufe auf Laufschuhe zu verzichten, sofern mensch sich gesunder Beine erfreut. Jede Nachfrage anderer LäuferInnen kann aufgegriffen werden, um die Gründe zu nennen, warum mensch barfuss läuft, um zu erklären, was in der Schuhproduktion schief läuft. In Weilheim fand im Ami 2006 ein Lauf unter dem Motto „Barfuß – für eine faire Welt“ statt. Beim Vienna City Marathon 2007 beteiligten sich 717 LäuferInnen an der Kampagne „Let’s run fair“ und trugen ein Trikot der Clean Clothes Kampagne.