2005-01:Martin Luther - Antisemit, Sozialrassist, Reaktionär

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Channeling mit einem Toten: Martin Luther - Antisemit, Sozialrassist, Reaktionär

von Markus Beime

In der Lutherstadt Wittenberg spielte sich ein großer Teil des Wirkens Martin Luthers ab. Er schlug hier 1517 seine 95 Thesen an das Tor der Schlosskirche. Die Stadtkirche war der Ort seiner Predigten, in der Wittenberger Universität hatte er die Bibelprofessur inne. Für Wittenberg ist Luther Wirtschaftsfaktor, der Tourismus ist eine wichtige Einnahmequelle. Die evangelisch-lutherische Kirche wiederum verehrt ihn als ihren Begründer und Reformator der päpstlichen Kirche. Die dunklen Seiten des "großen Deutschen", wie er gern genannt wird, werden zwar nicht verschwiegen, aber auch nicht extra benannt. Eine rühmliche Ausnahme bildet die Gedenktafel zur Wittenberger "Judensau" und eine begleitende Informationswand in Luthers alter Predigtkirche.

Eine Gruppe junger TheaterkünstlerInnen trat im Mai mit einem Luther-kritischen Stück in Wittenberg auf. Sie wollte auf "den anderen Luther" aufmerksam machen. In historischen Kostümen verkleidet, verkündeten sie in zeitgerechter Mundart Zitate des Reformators. Inszeniert wurde ein "Channeling" - ein Kanal in die Welt der Toten: ein Moderator stellte ihm Fragen, "Luther" antwortete mit Worten die er zu Lebzeiten bereits gesagt hatte. Auch zu aktuellen politischen Fragen wie den Hartz IV-Protesten wurde der Bezug hergestellt. Die eindrucksvoll modulierten Antworten des Luther des 16. Jahrhunderts waren erschreckend deutlich und unverblümt in ihrer Aussage. An verschiedenen Stellen griff der Moderator beschwichtigend ein und versuchte Luthers Äußerungen angesichts der fortgeschrittenen Geschichte zu relativieren.

Des Reformators Worte erschütterten trotzdem: so kannten ihn die vorbeiziehenden Touristen nicht. Er forderte das Anstecken von Synagogen und ihre Reste dem Erdboden gleich zu machen. In seiner Schrift "Von den Jüden und ihren Lügen" stellte er einen Sieben-Punkte-Plan auf, der neben ihrer Ermordung und der Zerstörung ihrer Häuser auch die Verwertung arbeitsfähiger Juden und Jüdinnen vorschlug. Die geistige Nähe zu den Konzentrationslagern der Nazis einige Jahrhunderte später ist unübersehbar. So ist es auch kein Wunder, dass Adolf Hitler in Martin Luther einen "große(n) Mann" sah. Weiter erklärte Hitler, "Ich tue nur, was die Kirche seit fünfzehnhundert Jahren tut, allerdings gründlicher".

Luthers Frauenbild war ebenso verächtlich geprägt. "Der Tod im Kindbett ist nichts weiter als ein Sterben im edlen Werk und Gehorsam Gottes. Ob die Frauen sich aber auch müde und zuletzt tot tragen, das schadet nichts. Lass sie nur tot tragen, sie sind darum da". Weiter meinte er, dass es die "größte Ehre, die das Weib hat" sei, "dass die Männer durch sie geboren werden". An anderer Stelle spricht er sich für die Ermordung "der Zauberinnen" aus. Behinderte Kinder wiederum bezeichnet Luther als "wahre Teufel".

Seine Schriften kennzeichnen den "großen Deutschen" als reaktionären Obrigkeitsverehrer, der zwar Kritik an der kirchlichen Auslegung der Bibel und der Praxis der Geistlichen übt, aber die Herrscher nie grundsätzlich in Frage stellen wollte. "Es ist besser, wenn Tyrannen hundert Ungerechtigkeiten gegen das Volk verüben, als dass das Volk eine einzige Ungerechtigkeit gegen die Tyrannen verübt".

Im Mai tauchten neue Thesen am Rathaus, Stadtinformation und kirchlichen Gebäuden auf: "Lutherkult abschaffen", "Selbstbestimmung statt Gottes Gnade", "Sei unter den Aufrührern". Aufkleber forderten "Statt FührerInnen-Kult - Leben selbst organisieren". Auf Luthers Obrigkeitshörigkeit zielte wohl die Veränderung einer Inschrift am Portal des Alten Rathauses ab. Stand dort zuvor der goldene Schriftzug "Fürchte Gott Ehre die Obrigkeit und sei nicht unter den Aufrührern", so ist nun nur noch "Fürchte die Obrigkeit und sei unter den Aufrührern" zu lesen.

An verschiedenen Orten waren antisemitische und frauenfeindliche Lutherzitate plakatiert. Weitere Anti-Luther-Parolen waren an diversen öffentlichen Bauten zu finden. Auch das Lutherdenkmal blieb nicht verschont. Mit Klecksen und Farblachen wurde auch dieses angegriffen. In der Nähe war an einer Wand "95 Farbbeutel" zu lesen. Polizeisprecher Mirko Korbien zufolge gab es außerdem Graffities gegen fünf Streifenwagen der Polizei.

Die Theatergruppe hatte nun auch unter der misstrauischen Stimmung in Wittenberg zu leiden. Der Chef der Stadtinformation rief sofort die Polizei, als sich die jungen Leute kritisch zu Luther äußerten. Er habe einen Zusammenhang mit den lutherfeindlichen Graffities vermutet und die Polizei gebeten, das "abzuchecken". Und von der Stadt wurde nachgefragt, ob die Theaterkünstler für die vielen Schmierereien verantwortlich seien.

Kritische Theaterstücke gebe es immer wieder, meint Herr Winckelmann vom Verein WittenbergKultur e.V. Normalerweise sei sowas kein Problem, jetzt wäre allerdings ein ungünstiger Zeitpunkt. Winckelmann findet die antisemitischen Aussagen Luthers auch "wirklich schlimm", allerdings müssten sie in seiner Zeit gesehen werden. Darauf angesprochen erwiderte der Moderator des Theaters: "Müssen sich die Luther-Profiteure nicht fragen lassen, wie der Kult um eine Person, die sich derart menschenverachtend gezeigt hat, überhaupt vertretbar ist? Und dabei ist Luther nur ein Beispiel dafür, wie Helden glorifiziert und ihre Fehler weitgehend ausblendet werden".

Weitere Verwirrung stiftete ein NPD-Aufruf, der zu einer "nationalen Prozession zu Ehren Luthers" am Pfingstsonntag unter dem Motto "Luther - großer Ideengeber für die nationale und soziale Jugend" einlud. Der Wittenberger Pfarrer Andreas Volkmann vermutet, dass die Flugblätter gezielt in Briefkästen von Kirchenvertretern eingeworfen worden seien. "Es hat uns sehr schockiert, dass es noch Menschen mit solchem Geiste gibt", so Volkmann. Der Verweis auf die Unterstützung offizieller kirchlicher Stellen habe ihn jedoch verdutzt. Die Vereinigte evangelisch-lutherische Kirche (VELK) erstattete Strafanzeige gegen die NPD. Sie war in dem Flugblatt als Partnerin der rechtsextremen Partei benannt worden. Laut Mitteldeutscher Zeitung hat sich die NPD inzwischen von dem Flugblatt distanziert, die Polizei untersuche nun, ob es tatsächlich eine Fälschung sei. Es könne auch ein Zusammenhang zwischen den Graffities und dem Nazi-Flugblatt nicht ausgeschlossen werden.

Einzelne WittenbergerInnen warfen dem Theaterstück die Unterstützung der Nazis vor. In diesen Tagen war es nicht ungefährlich sich kritisch gegenüber dem Stadthelden und Tourismusgaranten zu äußern. Der Kirchen-vertreter Pfarrer Volkmann unterstellte gar einen Zusammenhang zwischen Theatergruppe und NPD-Schreiben. Andererseits sieht er Hinweise auf autonome Kreise als Quelle des Flugblatts.

Als Gegenveranstaltung zu der angekündigten Nazi-Demonstration hatte ver.di ein Kinder- und Familienfest auf dem Wittenberger Markt angekündigt, AntifaschistInnen riefen im Internet zu entschiedenem Auftreten "gegen NPD und Luther" auf. Der Evangelische Propst wandte sich in einer Kanzelrede am Pfingstsonntag an seine "Schwestern und Brüder". Die evangelische Kirche lehne "all diese Inhalte und auch die Art der Auseinandersetzung entschieden ab". In Kürze will die Kirche zu einem offenen Abend einladen, um sich mit der Luther-Kritik zu befassen.

Dieser Beitrag wurde vom Autor freundlicherweise bereitgestellt. Ursprünglich wurde er für die junge Welt geschrieben.


Hintergrundinfos:

http://www.luther-action.de.vu