2016-01:Rezensionen47

Aus grünes blatt
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Bücher zu Macht und Herrschaftsfreiheit

Raymond Walden
Sentenzen von Freiheit
(2005, Angelika Lenz in Neustadt, 113 S.)
Das Buch besteht aus 926 Thesen und einem dreiseitigen Manifest. In ihnen sollen sich Aspekte von Freiheit ausdrücken. Tatsächlich sind sie aber zu einem großen Teil eher profan (z.B. Nr. 514 „Man kann tatsächlich Menschen dressieren“), zu einem anderen überraschend angepasst an die herrschenden Verhältnisse. Dazwischen finden sich schlaue und eher wirre Sprüche deutlichem Schwerpunkt auf der Kritik an Dogmen, Göttern und Religionen. Das Ziel der Zusammenstellung bleibt unklar.

Ian H. Robertson
Macht
(2014, dtv in München, 336 S., 12,90 €)
Erst der Untertitel verrät, worum es geht: Erfolg (und ebenso Misserfolg) wirken sich auf den Körper aus. Das Erleben brennt sich materiell ein und führt zu verändertem Handeln und Wahrnehmen. Diese Binsenweisheit moderner Biologie wird hier auf Erfolg und Misserfolg angewendet. Dabei will der Autor zeigen, dass ständige Erfolgsmeldungen eine Art Rausch erzeugen. Er erklärt damit den Missbrauch von Macht, der gerade durch die erfolgt, die viel Macht und danach süchtig werden. Eine doppelte Ausblendung dabei besteht zum einen durch den mangelnden Blick auf die Systemzwänge, die ebenso hineinwirken, und auf die seltsame Gleichsetzung zwischen Macht und Erfolg. Denn der Mensch ist, so jedenfalls moderne Evolutionsforschung, vor allem so erfolgreich geworden, weil er kooperiert – und nicht weil er ständig dominieren will.

Cerstin Gammelin/Raimund Löw
Europas Drahtzieher
(2014, Econ/Ullstein in Berlin, 384 S., 19,99 €)
Ein tiefer Blick hinter die Seilschaften der EU-Zentralen – sowohl auf eher unbekannte Personenkreise, die hinter den Kulissen an Strippen ziehen, als auch auf die bekannten Köpfe und ihren Einfluss. Heilsam für viele vereinfachte Welterklärer_innen in Deutschland dürften die Informationen sein, wie prägend deutsche Kreise sind. Schonungslos wird Angela Merkel als „Monarchin“ bezeichnet und ihre Dominanz beschrieben. Andere Kapitel handelt von den weniger sichtbaren Sphären der Führungsbeamt_innen hinter den gewählten Köpfen.

Martin H.W. Möllers
Volkssouveränität und Sicherheitspolitik
(2014, Verlag für Polizeiwissenschaft in Wiesbaden, 111 S., 16,80 €)
Ein kluges Buch – und im ersten Teil eher ein staatskundliches. Der Autor untersucht den Begriff der Volkssouveränität und kommt zu einem klaren Ergebnis: Es gibt sie nicht und gab sie nie. Sie ist nichts als eine Propagandalüge. Dem folgen Überlegungen, wie ein zumindest ein Hauch davon zukünftig doch verwirklicht werden kann. Dabei unterläuft aber ein schwerer Analysefehler. Denn nicht nur die Idee des Volkes als Souverän ist „Fiktion“, sondern das Volk selbst. Zweimal erwähnt der Autor das zwar (S. 22 und 33), hätte sich aus dieser Erkenntnis aber den Versuch sparen können, das Volk politisch aufzuwerten. Die zweite Hälfte widmet sich dann der Sicherheitspolitik und beschreibt, wie Innen- und Außenpolitik zu einem Geflecht verschiedener Akteure geworden sind, die Bedrohungen abwenden wollen. Auch hier dominiert eine Auslassung, nämlich dass machtförmige, vor allem bewaffnete Einheiten selbst das größte Sicherheitsrisiko sind – zumindest für die Menschen, während Staaten und Konzerne von ihnen oft profitieren.

Wolf-Dieter Narr
Niemands-Herrschaft
(2015, VSA in Hamburg, 316 S., 26,80 €)
Es ist nicht einfach, dieses Buch zu bewerten. Spannende Gedanken wechseln mit eher verschwurbelten Ausführungen, zusammengewürfelt in einem unübersichtlich gegliederten Buch. Es sind Skizzen, die etliche Kapitel ausfüllen und die dortigen Fragestellungen anregend erörtern. Andere, auch längere Passagen des Buches wirken hingegen in ihrer Skizzenhaftigkeit wirr oder zumindest unvollständig. Als Folge fällt das Lesen des kompletten Buches schwer, während das gezielte Auswählen einzelner Kapitel lohnenswert scheint.

Michael Grandt
Die Grünen
(2015, Kopp-Verlag in Rottenburg, 326 S.)
Das Positive vorweg: Das Buch ist eine Fleißarbeit. Der Autor trägt eine Vielzahl von Zitaten zu unterschiedlen Themen zusammen, um damit die Grünen wahlweise als linksextremistische Partei oder als Verräter von „linken“ Positionen darzustellen. Das ist nützlich für alle, die zu den Grünen, ihrer Geschichte und ihren Themen recherchieren. Damit aber endet schon alles Lob, denn bereits darin liegt ein Widerspruch: Sind die Grünen nun radikal oder haben sie ihre Radikalität verraten? Dem Autor ist das sichtbar egal. Er hasst die Grünen und nutzt alles, was er bekommen kann. Das Buch wimmelt von Aufforderungen an die Leser_innen, in eine bestimmte Richtung zu denken. Wer aber, wie der Autor auf Seite 208, „Pädophile“ (also Menschen, die sexuelle Kontakte mit Kindern anregend finden – was ja eine sexuelle Orientierung ist, die mensch sich nicht aussucht) bereits für „Kinderschänder“ hält (also für solche, die das auch praktizieren), zeigt ebenso vor allem selbst eine ziemlich extreme politische und zudem diskriminierende Position wie bei der Denkvorgabe auf S. 44, wo „Profit“ und „Herrschaft“ als etwas erstrebenswert Gutes bezeichnet werden. Aus solchem Blickwinkel ist dann die Kritik an den Grünen derer Ehre zuviel.

Halina Wawzyniak
Demokratie demokratisieren
(2015, VSA in Hamburg, 198 S.)
Ein Buch der Präzision im Kleinteiligen. Die Autorin beschränkt sich darauf, Miniveränderungen im herrschenden parlamentarischen System aufzulisten. Dass das gesamte repräsentative System Mitbestimmungsrechte weitgehend ausschließt, wird dabei völlig ausgeblendet. Insofern ist das Buch aus der Feder einer Linken-Abgeordneten überraschend, andererseits innerhalb des Mikrokosmos von Machttechnologien rund um Parlamente und Wahlen eine recht umfassende und auch gut beschriebene Sammlung, was am Falschen etwas weniger falsch gemacht werden könnte.

Jörg Dräger/Christina Tillmann/Frank Frick
Wie politische Ideen Wirklichkeit werden
(2015, Verlag BertelsmannStiftung in Gütersloh, 151 S., 21 €)
Die Buchrückseite verspricht viel: „Früher sehen, klüger planen, besser entscheiden“ steht da. Das Buch solle sich an „Praktiker und Strategen in Politik, NGOs, Verwaltung und Verbänden“ richten. Doch für die Arbeit der Vielen, die in diese Reihe fallen, dürfte das Buch wenig Verwertbares bringen. Es betrachtet nämlich Führungsstile für die ganz oberen Sphären, vor allem die Bundesregierung. Fast alle Beispiele stammen aus deren Bereich. Auch die praktischen Vorschläge zur Organisierung, (manipulativen) Kommunikation und Bündnisbildung betreffen nur die obersten Führungsebenen der Republik. Daraus lässt sich dann doch ein Nutzen des Buches ableiten: Um Techniken moderner Herrschaft kennen zu lernen. Schließlich kommt das Buch direkt aus der Ecke, wo solche gesellschaftliche Steuerung auch praktiziert wird.

Slavoj Zizek
Gewalt
(2. Auflage 2011, Laika in Hamburg, 188 S., 19,90 €)
„Einer der bedeutendsten Intellektuellen der Linken“ (Bucheinband) schreibt „sechs abseitige Reflexionen“ über das Thema Gewalt. Was auch immer er als „abseitig“ bezeichnet – eine verwirrende Aneinanderreihung von Gedankensplittern, mitunter in geheimnisvoll wirkenden Formulierungen ist das Buch allemal. Durch den Schleier der tagebuchähnlichen Abschnitte scheint schemenhaft die Hauptmitteilung durch, dass Gewalt in allen Verhältnissen steckt und insbesondere die Norm definiert. Üblicherweise wird nur die Abweichung von der Norm als Gewalt dargestellt, nicht aber deren Existenz und Dominanz. Um solche versteckte Verhältnisse aufzuzeigen, hilft das Buch. Als Theoriewerk enttäuscht es, weil es das Niveau von Tagebuch- oder (moderner) Blog-Einträgen kaum übersteigt.

Club of Vienna
Arbeit: Wohl oder Übel?
(2015, Mandelbaum in Wien, 169 S., 15 €)
Gesammelte Gedanken zu Sinn und Unsinn der Erwerbsarbeit. Nach einem – eher kurzen – Kapitel zum System Arbeit und seiner Einbettung in gesellschaftliche Organisation werden konkrete Aspekte abgehandelt, so die Fragen von Niedriglohn, Arbeitsverteilung und die Wirkung eines Grundeinkommens.

Meinhard Creydt
Wie der Kapitalismus unnötig werden kann
(2014, Westfälisches Dampfboot in Münster, 419 €)
Keine Frage: Das Buch ist nicht leicht zu lesen. Es geht in die Tiefe der gesellschaftlichen Verhältnisse und Beziehungen, die der Kapitalismus schafft oder prägt. Der Autor verabschiedet sich von vereinfachenden Schablonen, z.B. der Einteilung in Klassen – zumindest ein Stück weit. Mehr Mut hätte hier sogar gut getan, denn mit der Behauptung einer Konsument_innenmacht (S. 51) werden neue Schubladen gebildet, die erstens nicht bestehen und zweitens als Konstrukt vor allem der Propaganda von Kapitaleigner_innen dienen. Doch jenseits solcher Nachlässigkeiten ist das Buch insgesamt geeignet, beim Begreifen gesellschaftlicher Verhältnisse und damit dem Nachdenken über nötige und mögliche Veränderungen zu helfen.

Giacomo Corneo
Bessere Welt
(2014, Goldegg in Wien, 368 S., 24,90 €)
Das spannendste beim Lesen des Buches ist die bis kurz vor dem Ende offene Frage, ob der Autor es schaffen wird, dem herrschenden Wirtschaftssystem eine echte Alternative entgegen zu setzen – oder doch nur in kleinen Reparaturarbeiten hängen zu bleiben. Dazu trägt auch die ungewöhnliche Schreibweise bei: Die Handlung entsteht aus einem Streitdialog zwischen Vater und Tochter, der eine Suche nach Alternativen zum Kapitalismus nach sich zieht. Am Ende aber kommt doch nicht der ganz große Entwurf heraus. Ängstlich klammer sich Corneo an die Überzeugung, dass das ständige Konkurrieren im Markt doch etwas Gutes hat. Er verknüpft das mit dem Glauben an das Gute an Regulierung und tauft sein Mischwesen dann Marktsozialismus. Aus manchen Gedanken im Buch hätte etwas Spannendes entstehen können. Doch dazu kommt es nicht, in Gegenteil: Am Ende stimmt die unzufriedene Tochter den Vorschlägen zu, die doch irgendwie nur ein Viertel des nötigen Weges darstellen.

Richard Wilkinson/Kate Pickett
Gleichheit ist Glück
(2009, Haffmanns&Tolkemitt in Berlin, 368 S., 19,90 €)
Die Lage der Welt aus nur einem Blickwinkel zu betrachten, führt regelmäßig nicht zu einem umfassenden Bild des Ganzen. Und es beinhaltet die Gefahr, aus der einseitigen Beleuchtung vorschnell abzuleiten, den entscheidenden Mechanismus herausgegriffen zu haben. Denn in einer komplexen Welt hängt alles mit allem zusammen. Das aber beweist eben gerade nicht, dass der jeweils betrachtete Punkt nur deshalb der Wichtigste ist, weil er überall hineinwirkt. So ist es auch mit der Gleichheit – dem Aspekt, der in diesem Buch im Mittelpunkt steht. Es ist dennoch lohnenswert, die Beispiele, Zahlen und Tabellen nachzulesen. Denn es ist schon erstaunlich, wie stark Gleichheit als Mitursache und als Indikator für menschlichere Gesellschaftsverhältnisse in Frage kommt. Insofern ist das Buch eine Fleißarbeit mit erstaunlicher Eindeutigkeit.

Jens Libbe
Orientierungen für kommunale Planung und Steuerung
(2014, Dt. Institut für Urbanistik in Berlin, 211 S.)
Das Buch soll strategische Hilfen geben für Planungsprozesse in einer Stadt. Das gilt z.B. für die Schulentwicklungsplanung und die Energieversorgung – zwei Beispiele, die im Buch immer wieder im Mittelpunkt stehen. Zu ihnen sind auch die Fallbeispiele gesammelt aus mehreren Orten. Vorher geht es in den systematischen Abhandlungen zu Planungsverfahren, Entscheidungsfindung und Erfolgskontrolle allgemeiner um die Möglichkeiten kommunaler Politiken.