2010-02:Knastaufenthalt von Jörg B.

Aus grünes blatt
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Die Gefängnisse sind dazu da, um zu kaschieren, daß das Soziale insgesamt eingekerkert ist. Mit anderen Worten: Strafbaren Handlungen liegen soziale Konflikte zugrunde. Und damit es nicht zu einer sozialen Lösung dieser Konflikte kommt, gibt es Polizei, Gerichte und Gefängnisse. Sie machen aus den sozialen Konflikten Probleme der Überwachung, Kontrolle und Strafe. ...

Die Gefängnisse sind kein Spiegelbild der Gesellschaft, sondern ein Zerrspiegel. Die Ärmsten der Armen sind darin überrepräsentiert, genauso wie die Jugendlichen ohne Schulabschluß und mit extremer Gewalterfahrung in der Kindheit. Soziologisch orientierte Kritiker der Gefängnisse sagten vor 200 Jahren, daß jede Gesellschaft die Kriminalität hat, die sie verdient. Da in unserer Gesellschaft nicht alle gleich reich und mächtig sind, muß man das schärfer fassen: Jede Gesellschaft hat die Kriminalität, die für die jeweilige Regierungsform und Machtstruktur nützlich ist. In der Kriminologie spricht man heute von »Governing through Crime«, Regieren durch Kriminalität. Die allgemeine Unsicherheit durch die zunehmende soziale Polarisierung, durch Deregulierung und Privatisierung wird durch Politik und Medien in Kriminalitätsfurcht verwandelt. Der Wohlfahrtsstaat hat sich in einen strafenden Staat verwandelt. Der Staat läßt Teile der Jugendlichen verwahrlosen und bietet dann seinen Schutz vor ihnen an.

– Aus einem Interview mit Christiane Ensslin, Klaus Jünschke und Jörg Hauenstein, in: Junge Welt, 9.6.2007

Ein kleiner Überblick über meinen Knastaufenthalt

Warum sitze ich hier?

Jörg Weil ich ein Versuchsfeld der Uni Gießen mit gentechnisch veränderter Gerste nicht heimlich und geschickt nachts (wie es 2007 und 2009 offenbar Leute hinbekommen haben), sondern am 2.6.2006 angekündigt und offen beschädigt habe. Das Feld war mit Falschangaben in den Anträgen aus dem BioSicherheitsprogramm der Bundesregierung finanziert und vom hochverfilzten BVL genehmigt worden. Sicherheitsauflagen wurden nicht eingehalten – vom fehlenden Mäuseschutz bis zum mangelhaften Abernten aller Pflanzen im Herbst. Der Versuchsleiter, Prof. Kogel, inszenierte sich mit Lügen zum neutralen Wissenschaftler – was er aber nicht war. Darum entschlossen sich einige Personen, eine öffentliche Feldbefreiung anzukündigen. Vier gelangten auf das Feld, die Beschädigungen entstanden vor allem durch die Festnahme auf der kleinen Fläche. (http://www.projektwerkstatt.de/gen/befreiung06.htm) Von den vier Personen wurde nur ich in den Knast geschickt. Es ist die mit Abstand höchste Strafe, die bisher für eine Feldbefreiung verhängt wurde. Gegen zwei Beteiligte wurde das Verfahren trotz gleicher Tat eingestellt. Es ging also nicht nur um die Aktion, sondern genau, mich wegzusperren … (http://www.projektwerkstatt.de/gen/prozessverlauf.htm)

Warum hat es mich getroffen?

Das hat wahrscheinlich drei Gründe, von denen nur zwei mit meiner Person zu tun haben. Der andere hätte auch jedeN AndereN treffen können – nämlich, dass ein Exempel statuiert werden sollte. Hier ging es um Abschreckung. Die ist in diesem Themenbereich nötig, denn die Millionenetats in Regierungs- und Industriepropaganda haben keinen Meinungsumschwung in der Bevölkerung bewirkt. Gentechnisch veränderte Organismen sind auf dem Acker und auf dem Teller unerwünscht. Doch Auskreuzung findet auch von kleinen Flächen statt. Um die durchzubekommen, muss der Protest auf Demonstrationen und Protestmails begrenzt werden. Solange nur wenige Menschen Mut haben, sich den Feldern konkret entgegenzustellen, haben die Agro-GentechnikerInnen eine Chance. Die 6 Monate ohne Bewährung (meine erste Haftstrafe) waren daher an Signal an die vielen Anderen. Sie sollten Angst bekommen. Dafür hätten sie sich auch jemanden anders aussuchen können. Da hab’ ich einfach Pech gehabt.

Der zweite, nun mich betreffenden Grund dürfte darin liegen, dass ich nicht nur Aktivist bin, sondern auch mit unangenehmen Recherchen die Gentechnikkritik mit voranbringe. Der Versuch, meine Schrift über Gentechnik-Seilschaften zu verbieten, schlägt in die gleiche Kerbe wie meine Haft. Es geht darum, einen lauten Kritiker mundtot zu machen (www.projektwerkstatt.de/gen/filz_brosch.htm).

Ein dritter Grund hat dann nichts mehr mit Gentechnik zu tun, sondern mit einer jahrelangen Auseinandersetzung zwischen Repressionsbehörden in Gießen und AktivistInnen aus dem Umfeld der Projektwerkstatt. Ich habe auch viel gearbeitet zur Kritik an Strafe, zu einer Welt ohne Knäste und zu den konkreten „fiesen Tricks von Polizei und Justiz“ in Gießen und Hessen. So heißt auch ein entsprechendes Buch im Untertitel (Haupttitel: „Tatort Gutfleischstraße“). Es ist nicht der erste Versuch, mich hinter Gitter zu bringen. Abenteuerliche Erfindungen sollten das in der Vergangenheit schon bewirken, so z.B. der ausgedachte „Anschlag“ auf die Gießener CDU und auf meinen langjährigen „Feind“ (FR), den damaligen Innenminister und jetzigen Ministerpräsidenten Volker Bouffier, der erfunden und mir untergeschoben wurde, während mich aber Sonderpolizeieinheiten beim Federballspielen beobachteten. Der Vorgang wurde letztens in der FR dargestellt und ist auch als Kapitel 14 ins Buch „Tatort Gutfleischstraße“ gekommen. Alle Versuche scheiterten jämmerlich – meist aber erst auf höheren Gerichtsebenen außerhalb des Gießener Filzes (www.fiese-tricks.de.vu). Es war daher klar: Kommt mal eine Möglichkeit, mich wegzusperren, dann würde die gnadenlos genutzt. Das ist jetzt geschehen – 6 Monate für einfache Sachbeschädigung.

Wie lange dauert das jetzt?

Am 23.9.2010 begann meine Haft, folglich ist sie am 22.3.2011 vorbei. Auf die 2/3-Strafe, also die Verkürzung um zwei Monaten auf Bewährung, werde ich verzichten, weil die völlig durchgeknallten BeamtInnen des Staatsschutzes Gießen dann Anlass hätten, ständig die Konfrontation mit mir zu suchen, um eine neue Straftat zu erfinden und mich damit wieder hinter Gitter zu bringen. Das würde auf Jahre so gehen.

Wie sieht die Zeit bis März 2011 aus?

Ich bin im offenen Vollzug. Dort soll ich einer Eigenbeschäftigung nachgehen dürfen – nämlich im Knast (in einem gesonderten Raum und auch nur zu bestimmten Zeiten) weiter an meinen Büchern arbeiten können. Außerdem kann ich pro Woche 21 Stunden den Knast verlassen. Wann ich das mache, kann ich frei einteilen. Ich werde wahrscheinlich eine ziemliche Regelmäßigkeit einführen. Nämlich diese:

  • In der Regel Dienstag und Donnerstag will ich ca. 3 Stunden und ungefähr zwischen 17 und 20 Uhr raus. Zudem am Sonntag, da aber ca. 13 bis 18 Uhr. Ich habe dafür in Gießen einen Arbeitsplatz eingerichtet, wo ich am Rechner und mit Internetzugang arbeiten kann. Ich habe das Projektwerkstatts-Handy 01522-8728353 dabei.
  • Am Samstag fahre ich dann in die Projektwerkstatt nach Saasen. 9 Stunden meines Ausgangs nutze ich dafür. Da Hin- und Rückreise ca. 1 Stunde dauert, werde ich meist zwischen 13 und 19.30 Uhr in Saasen und über 06401/903283 erreichbar sein.

Unterstützende Menschen haben einen Blog zu meiner Haft organisiert. Dort gibt es weitere Infos und Berichte aus meiner Haftzeit. Siehe http://weggesperrt.blogsport.eu.

Briefe, Pakete und Email

Briefe lassen sich in den Knast schicken. Pakete vielleicht besser in die Projektwerkstatt schicken, ich nehme dann am Samstag alles mit. Bei den Emails bitte überlegen, wer die bekommen soll. Für mich persönlich bitte nur noch an joerg AT projektwerkstatt.de[1]. Die gucke ich beim Ausgang immer mal rein, will aber nicht viel Zeit für Antworten vertun. Alle anderen Emails gehen in die Projektwerkstatt und werden dort – hoffentlich – gelesen und bearbeitet.

Brauche ich Unterstützung?

Ja und nein. Im Knast komme ich klar. Geldfrei lebe ich ja auch draußen weitgehend. Das ist drinnen noch einfacher – da sind Geldspenden für mich unnötig. Macht also mit Eurem Geld und Eurer Kraft lieber Aktionen – z.B. gegen die Felder, Firmen, Institutionen usw. Schön ist für mich, wenn ich drinnen mitbekomme, was draußen so läuft, d.h. ein paar beigelegte Kopien von Berichten, Presseartikeln usw. freuen mich. Ich freue mich über Briefe und führe auch gerne Debatten per Brief. Zum Schreiben per Post besteht dabei wenig Alternative, weil mir die wenigen Stunden draußen zu schade wären für lange Email-Debatten.

Ansonsten kann die Kritik an den Gentechnik-Seilschaften weitergehen: Die Broschüre „Organisierte Unverantwortlichkeit“ ist noch ausreichend vorhanden in der Projektwerkstatt. Dort gibt es auch mehr Material für Büchertische (siehe http://www.aktionsversand.de.vu). Und die DVD mit meinem Vortrag. Das heißt: Auch wenn ich nicht als Referent zur Verfügung stehe – der Vortrag ist trotzdem möglich auf der Leinwand. In München ist das letztens mal ausprobiert worden und kam wohl gut an. Die Ausrede, warum ich nicht kommen kann, ist zudem ja auch ganz überzeugend... Ich freue mich, wenn Ihr das in Arbeit befindliche Buch zu diesem Thema unterstützen könnt. Es wird wie die Broschüre ein Einblick in die Seilschaften zwischen Konzernen, Behörden, Wissenschaft und Lobbyverbänden sein – aber noch viel genauer und nicht auf einzelne Verbände und Firmen beschränkt. Es ist für Ende 2010 angekündigt. Ob ich das jetzt aber noch schaffen kann, ist unsicher. Sonst aber Anfang 2011, das sollte klappen. Es wäre schön, wenn es für das Buch viele Vor- und Sammelbestellungen gibt (www.aktionsversand.de.vu), damit wir möglichst viele schon direkt von der Druckerei in Gießen wegschicken können. Die ist hier nämlich gleich in der Nähe vom Knast...

Soweit ein Überblick mit Stand vom 8.10.2010. Meine Adresse im Knast: Jörg Bergstedt, c/o JVA, Gutfleischstr. 6, 35390 Gießen. Sonstige Kontakte gehen auch über die Projektwerkstatt, Ludwigstr. 11, 35447 Reiskirchen, 06401/903283.

Euch alles Gute und Gruß aus Zimmer 143 in der berüchtigten Gutfleischstraße, Jörg

Wenn man die Geschichte erforscht, nicht in den gereinigten Ausgaben, die für Volksschüler und Gymnasiasten veranstaltet sind, sondern in den echten Quellen aus der jeweiligen Zeit, dann wird man völlig von Ekel erfüllt, nicht wegen der Taten der Verbrecher, sondern wegen der Strafen, die die Guten auferlegt haben; und eine Gemeinschaft wird unendlich mehr durch das gewohnheitsmäßige Verhängen von Strafen verroht als durch das gelegentliche Vorkommen von Verbrechen. Daraus ergibt sich von selbst, dass je mehr Strafen verhängt werden, um so mehr Verbrechen hervorgerufen werden, (und die meisten Gesetzgebungen unserer Zeit haben dies durchaus anerkannt und es sich zur Aufgabe gemacht, die Strafen, soweit sie es für angängig hielten, einzuschränken).

Je weniger Strafe, um so weniger Verbrechen. Wenn es überhaupt keine Strafe mehr gibt hört das Verbrechen entweder auf, oder, falls es noch vorkommt, wird es als eine sehr bedauerliche Form des Wahnsinns, die durch Pflege und Güte zu heilen ist, von Ärzten behandelt. ... Wenn das Privateigentum abgeschafft ist, wird es keine Notwendigkeit und keinen Bedarf für Verbrechen geben; sie werden verschwinden.

– Oscar Wilde, 1891, "The soul of man unter socialism", übersetzt: Der Sozialismus und die Seele des Menschen, Diogenes 2003 (S. 30 f.)

  1. Zum Schutz vor automatischen Mailadressen-Robots, die nach Adressen suchen und diese dann mit Spam-Mails überfluten, ist diese Mailadresse für diese Robots unleserlich formatiert. Um eine korrekte Mailadresse zu erhalten muss ÄTT durch das @-Symbol ersetzt werden.