2010-01:strafe

Aus grünes blatt
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Die Logik des Einsperrens!

Warum Knast und Strafe falsch sind

jb Es ist noch nicht lange her, da waren die Mächtigen unter Druck - wenigstens ein bisschen. Politische Gruppen forderten das Ende des Elends von Knästen - jedenfalls ab und zu. Selbst bürgerliche Kreise stellten den Sinn es Einsperrens in Frage. Davon ist heute wenig zu sehen. Antirepressionsgruppen wollen nur noch Freiheit für ihre eigenen Leute - und von Uniformierten, RobenträgerInnen und verantwortlicher Politik kommt nur noch eine Parole: Härter bestrafen! Was soll das und wo kommt das her?

Seit Jahren steigen die durchschnittlichen Strafen an. Die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld führt fast zum nationalen Orgasmus. Nachträgliche Sicherungsverwahrung wird zum Standard gegen Menschen, die aus der Gesellschaft ausgeschieden werden sollen. Die Knäste werden voller, obwohl die meisten Straftaten abnehmen. Doch die Angst vor Kriminalität wächst. Die Suggestion der unsicheren Straßen zieht. Sie heizt Sicherheitsindustrie und innenpolitische Vorstellungen der Regierenden an. Die wollen Kontrolle, um ihre Politik der Verschärfung von Ausbeutung und Unterdrückung durchsetzen zu können. Sie verkaufen uns ihren Kontrollwahn als Rettungstat vor den bösen Fremden, die uns alle umbringen, vergewaltigen oder bestehlen wollen. Dabei liegen die Hauptorte der Gewalt zwischen Menschen woanders. Fast immer kennen sich TäterIn und Opfer, fast immer gibt es Vorphasen, in denen viele weggucken. Doch die alltägliche Gewalt in Familien, am Arbeitsplatz oder in Freizeitrunden bringt keine Einschaltquote. So wird gezielt eine falsche Wahrnehmung der Orte und Ursachen von Kriminalität produziert - zum Wohle derer, die mit der daraus entstehenden Angst Umsatz oder neue Sicherheitspolitiken machen.
Auszüge aus Kai Bammann, "Zur sozialen Konstruktion von Kriminalität und Strafrecht" in Forum Recht: "Das Etikett 'kriminell' beinhaltet eine Wertung. Kriminalität ist (ebenso wie abweichendes Verhalten) etwas Schlechtes. Das Etikett dient dazu, die betroffene Person aus- und uns von ihr abzugrenzen. ... Gerade dadurch, daß viele Menschen mit der wirklich schweren Kriminalität gar nicht in Berührung kommen, wird eine irrationale Angst gefördert.
Kriminalität erfüllt - dies macht ein Blick in die USA deutlich - noch einen anderen wichtigen Zweck: sie ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Kriminalität produziert Kriminalitätsfurcht. Hieraus folgt ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung. Und diese wiederum bringt eine ganze Industrie zutage: von privaten Sicherheitsunternehmen über Firmen, die Überwachungstechnik herstellen und montieren bis hin zu großen Konzernen, die ganze Haftanstalten bauen und privat betreiben."


Fallbeispiel Randerath

Das ist ein kleiner Ort zwischen Aachen und Mönchengladbach. Er wurde bekannt, als dort ein Mensch hinzog, der vorher 14 Jahre im Knast verbrachte. Er soll Mädchen gequält und vergewaltigt haben, lautete ein Urteil. Nun ist er wieder draußen. Gestanden hat er nie - das ist in der Logik der Justiz so ungefähr das Schlimmste, was es gibt. Justiz will nicht Ausgleich, Veränderung oder Resozialisierung, sondern Unterwerfung und Allmacht der Rechtsprechung. Darum muss Karl D. , wie er fortan in den Medien genannt wird und um dessen Persönlichkeit es in diesem Text nicht geht, die Strafe voll absitzen - und kommt dann nach Randerath. Die Reaktion vor Ort beschreibt das WAZ-Internetportal "Der Westen" so: "Der soll weg", sagt Cristina Schönen. Und Härteres: "Ich hab was gegen solche Leute." "Wissen Sie, was? Neun Millimeter", sagt ein 70-Jähriger, der seinen Namen dann doch lieber nicht nennen mag.
Im kleinen Dorf geht die Angst um. Nochmal "Der Westen": "Normal spielen die Kinder alleine draußen, das hat sich jetzt erledigt." Dann demonstrieren die Menschen. Karl D. soll weg, ist die harmlose Parole. Dass diese Logik nicht funktionieren kann, weil ja auch woanders Menschen leben, schimmert durch. Lynchjustiz beschreibt besser, was in Randerath ablaufen soll. Die Polizei schützt schließlich Karl D. Vielleicht auch nur, weil sie muss. Der Mob besteht aus BewohnerInnen der Gegend, mitunter mischen sich Nazis oder andere Trittbrettfahrer unter die DemonstrantInnen. Sie wollen ihren Ort vor Gewalt gegen Kindern und sexistische Übergriffe schützen. Dass es die bösen unbekannten Männer sind, die sowas machen, haben sie aus Bild, Aktenzeichen XY, Brüder Grimm und den Propagandaheftchen der Innenministerien. Denn tatsächlich findet die meiste dieser Gewalt ganz woanders statt: Im Ehebett, in Familien und Verwandtschaften, auf Partys und in Cliquen, in psychotherapeutischen Praxen, katholischen Zirkeln und vielerorts anders. Die aber bleiben unbehelligt.


,Weiter so' trotz Zweifeln

Der Unsinn härter Straforgien geschieht nicht im Geheimen. Immer dann, wenn Menschen die Nase in Statistiken oder Hintergrundrecherchen stecken, fällt sofort auf: Das ist alles kompletter Unsinn, was in der Ideologie des Strafens vermittelt wird. So kommentierte die Augsburger Allgemeine am 6.5.2010: "Die Jugend von heute wird immer brutaler, die Gewalt steigt. Und dem muss Einhalt geboten werden. Hört sich schlüssig und entschlossen an. Auf den ersten Blick mag der Befund - mit den schrecklichen Bildern jugendlicher Gewalttaten vor Augen - verbunden mit entsprechenden politischen Forderungen nachvollziehbar sein. Einer objektiven Betrachtungsweise halten die Behauptungen aber dabei oft nicht stand." Ein Beispiel von vielen. Es sind aber die gleichen Medien, die zusammen mit sicherheitsfanatischen PolitikerInnen, der Sicherheitsindustrie und dem denkfaulen BürgerInnenmob nach härteren Strafen rufen, wenn immer mal wieder eine neue Einzeltat zur Bedrohung der Kultur aufgebauscht werden kann.


Knastähnliche Orte

Strafe bedeutet die Aussonderung des Andersartigen - physisch (im Knast) oder symbolisch (als Stigmatisierung des Straftäters). Solche Mechanismen gibt es in der Gesellschaft viele. Minderjährig ist ein Begriff der Stigmatisierung. Krank und gesund waren und sind willkürlich gesetzte Begriffe, die sich im Laufe der Zeit durchaus wandeln. Homosexualität galt lange Zeit als Krankheit, die geheilt werden musste. Im Bereich der Psychiatrisierung abweichenden Verhaltens kommen heute sogar neue sogenannte Krankheiten groß heraus. ADHS ist in aller Munde und macht aus Menschen, die den Betrieb der Disziplinierung in Schulen oder anderswo nicht ruhig aushalten, einfach Kranke - zum Nutzen der Pharmaindustrie, die Ritalin & Co. auf die Menschen abwerfen können.
Die aktuellen Debatten um sexuellen Missbrauch in Heimen und Kircheneinrichtungen vernebelt immer noch die dahinterstehende grundlegende Grausamkeit: Menschen in Korsette pressen zu wollen. Wo aber Menschen über andere herrschen und vorgeben, was für diese gut, richtig oder gesund sein soll, ist Missbrauch eigentlich nichts als der Gebrauch dieser Macht. Der Normalfall also.


Warum gegen jeden Knast?

Knäste und alle anderen Zwangseinrichtungen dienen der Disziplinierung aller. Sie teilen in Normal und Andersartig, definieren Codes und erwünschtes Verhalten. Sie begleiten die Sozialisation, in der Menschen in vorgegebene Kanäle der Lebensführung gestoßen werden und ergänzen die diskursive Manipulation um autoritäre Mittel für alle, die nicht freiwillig in einen der Kanäle springen. Wer Emanzipation, also den Abbau von Fremdbestimmung und die Ausweitung der Handlungsmöglichkeiten will, muss Zwangseinrichtungen ablehnen und nicht nur Freiheit für seine Kumpels fordern. Der Knüppel als Drohung hinter der sozialen Zurichtung ist Teil des Problems, nicht der Lösung. Das wird auch eine politische Bewegung kapieren müssen, wenn sie emanzipatorische Ansprüche verfolgen will.


Alte und neue Bücher zu Strafe und Knast

Hans-Dieter Schwind u.a.: Strafvollzugsgesetz
(5. Auflage 2009, DeGruyter in Berlin, 1361 S.)
Der dicke Kommentar begleitet mit kompetenter Auslegung des geltenden Gesetzes gleichzeitig den Abschied dieses Rechts. Denn die Förderalismusreform hat den Bundesländern die Regelungskompetenz übertragen. Allerdings wird das alte Recht noch eine Weile gelten - und zumindest dafür hat der Kommentar seinen Sinn. Für KritikerInnen von Knast und Strafe bietet das Werk allerdings wenig Befriedigendes. Schon das Vorwort zeigt, dass die Autoren mit Abschiedsschmerz kämpfen. Das Strafvollzugsgesetz, das mitverantwortlich ist für eine unendliche Serie unmenschlicher Geschehnisse, verdeckt durch Mauern, wird als bewährtes Regelungswerk gegen nun folgende Veränderungen in Schutz genommen. Ganz formal-sachlich interpretiert der Kommentar folglich die Regelungen auch zu Zensur im Knast (siehe zu § 68), zu folterähnlichen Disziplinarverfahren oder zum Verbot von Radio und Fernsehen (z.B. zu § 69). Immer werden die schon bestehenden Landesregelungen erwähnt - Grundrechte und international anerkannte Menschenrechte spielen aber keine Rolle. Hier schreiben Praktiker des Einsperrens - und auch in der Praxis des Strafvollzugs spielen Menschenrechte kaum eine Rolle.

Joachim Münch: Der Knastführer
(1995, R.G. Fischer in Frankfurt, 111 S.)
Das Buch stammt aus alten Zeiten - wie so viele kritische Bücher zu Gefängnissen. Mit dem Verschwinden des Themas veralten auch die Bücher. Das ist schade. Auch dieser kleine Band könnte ein Update gebrauchen. Denn in seiner Mischung aus Informationen über den Knast und Eindrücken in Form von Urteilen, Briefen und Gedichten zeigt er einiges vom grausamen Geschehen hinter den Mauern. Für alle, die andere Menschen in Knäste wünschen, wäre das Buch ein guter Denkanstoß.

Paul Greinert: Erinnerungen eines Strafverteidigers aus der Provinz
(2008, edition Fischer in Frankfurt, 200 S., 9,80 Euro)
Ein trostloses Buch - vom Inhalt, aber auch vom Autor her. Da beschreibt ein Strafverteidiger in schlichten Worten die Oberflächlichkeiten und peinlichen Geschehnisse aus Gerichten. Das ist wichtige Aufklärung - gerade im Land des Glaubens an den Rechtsstaat und die robentragende Fraktion der Wahrheitsverkünder. Doch Greinert ist selbst Beispiel: Arrogant zieht er über seine MandantInnen her und inszeniert sich selbst als einzig schlauer Kopf im widerlichen Gemetzel der Gerichtssäle. Diese Brille haben da wohl alle auf.

Martin Neufelder/Wolfgang Trautmann: Kennzeichen Unrecht
(3. Auflage 2005, R.G. Fischer in Frankfurt, 364 S.)
Das Buch widmet sich einer wichtigen Frage: Woher kommt das Empfinden von Recht und Unrecht? Die These: Recht ist das, was übrig bleibt, wenn das Unrechte ausgeschieden wird. Diese negative Näherung zum Begriff von Recht wird im Buch selbst als problematisch, aber dennoch alternativlos dargestellt. In etlichen Kapiteln werden die vielen Einflussgrößen bei der Bildung des Rechtsverständnisses gezeigt. Leider wirkt die Darstellungsform sowohl vom Schriftsatz wie auch von der Aufbereitung der Informationen unübersichtlich, was das Lesen deutlich erschwert.

Hellmut G. Haasis: Den Hitler jag ich in die Luft
(2009, Nautilus in Hamburg, 384 S., 19,90 Euro)
Das Buch ist für viele und aus vielen Blickwinkel wichtig. Die Biografie von Georg Elser, der Hitler per Bombenattentat ausschalten wollte, bevor dieser Kriege anzettelte und Millionen unerwünschter Menschen vernichtete, holt nicht nur einen interessanten Menschen aus der Versenkung. Er ist auch ein Schlag ins Gesicht all derer, die Gewalt als Mittel des Widerstandes ablehnen oder als Ausnahmen nur solche Attentäter abfeiern, die selbst faschistisch oder zumindest rechts-national sind (Stauffenberg und Co.). Elser gehörte nicht zu den gesellschaftlichen Eliten. Er setzte nicht auf Parteien und Apparate. Er handelte selbst und scheiterte nur knapp.


Bücher zur Haft per Diagnose:

Bevormundung, Aufbewahrung, Psychiatrisierung - bringt die Patientenverfügung wirklich neue Handlungsoptionen?
Das Thema hat eine ziemlich lange Geschichte, aber erst eine kurze auch gesetzlich gesicherte Praxis. Mit der Patientenverfügung können Menschen festlegen, wie mit ihnen umgegangen bzw. wer das entscheidet, wenn sie nicht mehr als selbst entscheidungsfähig gelten. Fremdbestimmte Vormundschaften lassen sich so ebenso verhindern wie bestimmte Behandlungsmethoden. Das gilt, theoretisch, für ärztliche Behandlung, lebenserhaltende Maßnahmen, Pflege oder auch psychiatrische Unterbringung und Behandlung . All diese Formen können schnell zu Zwang mutieren - das Urteil gegen einen Stuttgarter Richter, dessen fortgesetzte Rechtsbeugung nur durch eigene Dummheit auffiel und sich dann mit dem Argument verteidigte, es würden sich doch alle nicht an das Recht halten, zeugt von den Problemen im Alltag. Praxis und gesetzlicher Anspruch weichen deutlich voneinander ab. Daher muss auch die Erfolgsaussicht der Patientenverfügung skeptisch betrachtet werden. Nichts tun ist aber die noch aussichtslosere Perspektive. Daher bleibt als Weg sinnvoll, solche Festlegungen zu treffen und trotzdem aufmerksam-kämpferisch zu bleiben, um sich oder andere vor den Zwangsapparaten der Apparate dieser Gesellschaft zu schützen.

Wolfgang Lange: Inhalt und Auslegung von Patientenverfügungen
(2009, Nomos in Baden-Baden, 423 S.)
Die Dissertation bietet einen umfangreichen Einblick in die Rechtsprechung und die Erfahrungen mit Patientenverfügungen. Deutlich kommt die große Unsicherheit zum Vorschein, die bei diesem Thema herrscht. 212 Formulare für solche Patientenverfügungen werden vorgestellt - aber keine kommt ohne Bedenken weg. Viele werden als völlig ungeeignet und stark lückenhaft eingestuft. Insofern bleibt die Wahl zwischen der am wenigsten schlechten Lösung oder doch dem Versuch, etwas Eigenes zu formulieren - wofür die umfangreichen Texte zu möglichen und notwendigen Inhalten einer solchen Verfügung im ersten Teil des Buches helfen.

Cornelia Brink: Grenzen der Anstalt
(2010, Wallstein in Göttingen, 552 S., 46 Euro)
Seit ca. 200 Jahren wird Wahnsinn als Krankheit begriffen. Krank dient der Abtrennung von Menschen aus dem Normalen. Das Buch wirft kritische Blicke auf die Geschichte von Trennung, Stigmatisierung und die immer wieder aufkommende Debatte um den Sinn und Unsinn der Krankheitskategorien. Es ist intensiv geschrieben, die Autorin begreift die Psychiatrie als Ordnungsfunktion in der Gesellschaft - wie das Gefängnis auch. Passend dazu wird die Trennung in Innen und Außen besonders thematisiert. jb