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Landgericht verhängt Maulkorb gegen Gentechnikkritik

jb Der Verlag SeitenHieb wehrt sich gegen ein Urteil des Landgerichts Saarbrücken, das eine kritische Veröffentlichung zur Gentechnik verbietet, ohne diese überhaupt zu benennen und die Richtigkeit zu überprüfen.
Der nicht-kommerzielle Verlag SeitenHieb protestiert scharf gegen das Verbot der Verbreitung kritischer Meinungen und Tatsachenbehauptungen. Das Landgericht Saarbrücken hatte in einem gerade zugestellten Urteil unter anderem untersagt, dem Chef des bundesweit wichtigsten Lobbyverbandes InnoPlanta und der Geschäftsführerin des rein Werbezwecken dienenden Gentechnik-Schaugartens BioTechFarm Propaganda vorzuwerfen. Außerdem darf nicht mehr behauptet werden, dass Steuermittel in reine Werbeprojekte fließen und bei der Antragstellung mit falschen Daten operiert wurde. Genau das wurde in der Schrift Organisierte Unverantwortlichkeit behauptet und minutiös belegt. "Das Gericht hat die Beweise nicht geprüft, sondern pauschal alles verboten", heißt es aus dem Verlag, der seinen Sitz im hessischen Reiskirchen hat und bewegungsnahe, politische Literatur vertreibt. Dort vermutet man politische Absprachen zwischen dem Gericht der in Saarbrücken ansässigen Anwaltskanzlei des ehemaligen Wirtschaftsministers von Sachsen-Anhalt, Horst Rehberger. Die Klage richtete sich gegen den Autor der Veröffentlichung, Jörg Bergstedt. Der Verlag blieb unangegriffen. Sonst wäre der Gerichtsort nach Gießen gewechselt - und das war offenbar nicht gewollt , vermutet der Verlag eine rechtswidrige, politische Vorabsprache mit dem Gericht in Saarbrücken. Das Urteil vom 26.4.2010 zeigt den Unwillen, die Vorwürfe zu prüfen. Das Gericht stellt in seinem Urteil ohne Beweisführung fest, dass die Vorwürfe gegenüber den Gentechnik-Seilschaften , wie sie dort benannt werden, gar nicht als Fakten gemeint seien, sondern als persönliche und daher nicht erlaubte Diffamierung. "Völliger Unsinn", empört sich auch Autor Jörg Bergstedt. "Ich habe dem Gericht Ausdrucke sämtlicher Belege zu allen Aussagen überreicht. Die RichterInnen haben sich dafür aber gar nicht interessiert, sondern beschlossen, was sie offenbar beschließen sollten im Dienste der Gentechnikkonzerne". Der Unterlegene wird nun zusammen mit seinem Anwalt Tronje Döhmer aus Gießen in die nächste Instanz gehen. "Wir werden sehen, ob ein derartig peinlicher Kniefall vor der Gentechnikindustrie und derber Schlag gegen die Meinungsfreiheit auch von höheren Gerichten mitgetragen wird."


Zu einigen Hintergrundfragen

Wieso kam das Gerichtsverfahren nach Saarbrücken?
Dass die 9. Zivilkammer des Landgerichts Saarbrücken handverlesen sein dürfte, war von Anfang an klar. Wie sonst hätte es zu dem Gerichtsort Saarbrücken kommen können, wenn nicht die Kontakte des Gentechnik-Förderers und Schrader-Freundes Horst Rehberg (Ex-FDP-Wirtschaftsminister) der Hauptgrund gewesen sind? So zeigte das Gericht dann auch von Beginn an deutliche Befangenheit. Ein Hauptsacheverfahren mit Beweisaufnahme wurde erst monatelang verschleppt und dann im Blitzverfahren ohne die Beweisaufnahme wieder beendet. Übler Attacken auf den Autor von Organisierte Unverantwortlichkeit bis zur ins Persönliche gehenden Forderung, der Beklagte solle Bücher schreiben, die das Volk auch lesen will, prägten den Ablauf. Ein Befangenheitsantrag kam nicht durch, d.h. die Gentechnik-Seilschaften können sich auch in Zukunft dieser willfährigen 9. Zivilkammer am Landgericht Saarbrücken bedienen. Um Saarbrücken formal auswählen zu können, behaupteten Schrader und Schmidt, die Broschüre würde vor allem über das Internet verbreitet - was Unsinn ist. Geprüft wurde das nie. Und: Die Internetseite gehört gar nicht dem Beklagten. Auch das war dem Gericht egal. Der Inhaber der Internetseite wurde bis heute nicht ein einziges Mal behelligt.

Sind alle Kritikpunkte belegbar?
Ja. Die Broschüre arbeitet mit vielen Quellenangaben als Fußnoten. Die Originalquellen dazu und zu vielen weiteren Passagen der Broschüre sind im Internet als Download angeboten, auf der begleitenden CD enthalten und auch dem Gericht als vollständiger Ausdruck aller Quellen vorgelegt worden. Das Gericht hat nichts davon beachtet. Die Kläger, Uwe Schrader und Kerstin Schmidt, haben sogar gefordert, sich mit den Quellen nicht auseinanderzusetzen. Das Gericht ist dem gefolgt.

Muss ein Gericht bei Tatsachenbehauptungen nicht die Quellenlage prüfen?
Eigentlich ja. Das Gericht hat aber getrickst und die Aussagen umgedeutet zu Meinungsäußerungen (siehe kommentiertes Urteil unter www.projektwerkstatt.de/gen/filz/ unterlassung/urteil100426kommentiert.pdf). Bei Meinungsäußerungen gilt dann zwar eine weitgehende Meinungsfreiheit, aber die ist qualitativen Kriterien nicht zugänglich. Das Gericht machte abenteuerliche Interpretationen auch hier, um die Kritiken zu etwas unerträglich Schlimmen umzudefinieren. So würde z.B. der Begriff Propaganda nur in Diktaturen benutzt und darf daher gegen Demokraten wie Schmidt und Schrader nicht verwendet werden. Auch der Hinweis auf die Zugehörigkeit von Schrader zur FDP sei ganz schlimm usw.


Einblicke in das Urteil

Das Gericht verhängte alle von Uwe Schrader und Kerstin Schmidt gewünschten Maulkörbe. Es fand keine einzige Beweiserhebung statt. Schrader und Schmidt sind kein einziges Mal im Hauptsacheverfahren überhaupt vor Gericht erschienen. Dennoch behauptet das Gericht im Urteil, Schmidt würde keine Propaganda betreiben, es würden keine Fördermittel veruntreut usw. Woher weiß das Gericht das eigentlich alles? Das alles ist völlig unklar. Wahrscheinlich ist wohl etwas anderes: Das Gericht hatte ohnehin von Beginn an vor, den Maulkorb zu verhängen. Das dürfte mit Rehberger und Konsorten so abgeklärt gewesen sein. Ebenso war dem Gericht klar, dass es umso schwieriger werden dürfte, je näher hingeguckt wird. Wenn aber ohnehin Recht gebeugt werden sollte, dann könnte das auch arbeitssparend gleich und ohne Beweiserhebung erfolgen. Wie das Gericht sich um die Beweiserhebung drückte, soll an einem Beispiel gezeigt werden. In der Broschüre steht, dass das AgroBioTechnikum vor allem der Propaganda und der Veruntreuung großer Mengen von Steuergeldern dient. Das lässt sich auch belegen - und genau das tat der Beklagte. Doch nun machte das Gericht eine interessante Kehrtwendung - es definierte die Behauptung zur Meinungsäußerung um. Auszug aus dem Urteil: "ln diesem Zusammenhang ist der ebenso erhobene Vorwurf der Veruntreuung von Steuergeldern ebenfalls als Wertung zu sehen und nicht im juristischen Fachterminus einer Untreue nach dem Strafgesetzbuch. Der Beklagte will dadurch eine Verwendung von Steuergeldern darstellen, die nach seinem Dafürhalten dem Interesse der Steuerzahler zuwiderläuft. Die Aussage hat somit eine stark wertende Färbung, so dass in ihr insgesamt eine Meinungsäußerung und keine Tatsachenbehauptung liegt". Und - schwupps - musste sich das Gericht mit den Belegen auch gar nicht mehr auseinandersetzen. Dass der Autor der Broschüre Organisierte Unverantwortlichkeit den Vorwurf der Fördermittelveruntreuung nur symbolisch meinte, ist frei erfunden. Ganz im Gegenteil bot er viele Nachweise auf, dass tatsächlich bei Anträgen und Verwendungsnachweisen Betrügereien stattfanden. Das wollte das Gericht wohl lieber nicht prüfen und definierte alles zur Meinungsäußerung um.
Auch alle weiteren Ausführungen des Gerichts zeigen nur eines: Es wollte unbedingt eine Beweiserhebung verhindern - und definierte um, behauptete die Unmöglichkeit einer Beweisführung usw. Ohne auch nur irgendwas zu prüfen. Auszug aus dem Urteil, wo diese Strategie - mit zum Teil absurden bis verworrenen Deutungen - klar erkennbar wird: Der Begriff der Wäsche von Steuergeldern ist ebenfalls nicht in klassischem Sinne der Geldwäsche zu verstehen. Es ist vielmehr ein sprachliches Mittel in der Bezugnahme von Gehirnwäsche zu Geldwäsche. Indem Zusammenhang mit diesen negativen Begrifflichkeiten spricht der Beklagte von einem unübersichtlichen Gewirr von Firmen. Er möchte dabei darstellen, dass eine bewusste Verwirrung vorgenommen wird, um kriminelle Vorgänge zu verschleiern. Auch hierbei überwiegt der wertende Charakter der Aussage. Wann ein Konglomerat mehrerer, in irgendeiner Form zusammenhängender Unternehmen ein unübersichtliches Gewirr darstellt, ist einem Beweis nicht zugänglich. So zieht es sich durchs Urteil - um am Ende dann das erwartbare und simple Ende zu nehmen: "Der Beklagte greift konkret die Klägerin zu 1) (gemeint: Kerstin Schmidt) in ihrer Person an. Er veröffentlicht ein Bild von ihr und bringt sie in Zusammenhang mit sachwidriger Verwendung von Steuergeldern. Dabei verwendet er Begrifflichkeiten aus dem Strafrecht, wie Geldwäsche und Veruntreuung, sowie aus der Politikwissenschaft, die in Verbindung mit diktatorischen Systemen gebracht werden (gemeint ist der Begriff "Propaganda"!). Darüber hinaus wirft er ihr vor, an dem unübersichtlichen Gewirr von Firmen beteiligt zu sein. Insoweit spielen auch eigene Interessen des Beklagten eine Rolle, weil er sich selbst dem Leser gegenüber als denjenigen darstellt, der eine Entwirrung vornimmt und die kriminellen Machenschaften aufdeckt. Aus der Sicht eines objektiven Lesers stellt der Beklagte, die Person der Klägerin zu 1) gleichsam an den Pranger und diffamiert sie. Die Grenze zur unzulässigen Schmähkritik ist überschritten."
Nur zweimal sieht es das Gericht anders und bewertet etwas als Tatsachenbehauptung. Doch auch hier - im wahrsten Sinne des Wortes - kurzer Prozess. Beispiel: Bei der Aussage 'Die Beteiligten sacken für ihre dubiosen Firmenkonstrukte umfangreiche Firmen- und Steuergelder ein.' handelt es sich wiederum um eine Tatsachenäußerung. Es ist dem Beweis zugänglich, inwieweit die beteiligten Unternehmen und Personen Zahlungen erhalten. Auch hier hat der Beklagte keine konkrete Zahlung, die zu einem näher bestimmten Zeitpunkt geflossen sein soll, dargelegt, so dass ihm eine entsprechende Äußerung zu untersagen war. Der Beklagte hat die gesamte Broschüre Organisierte Unverantwortlichkeit und alle dort genannten Quellen als Ausdrucke ins Verfahren eingeführt. JedeR kann selbst die Broschüre aufschlagen und z.B. auf Seite 13 (2. Auflage, die vor Gericht verhandelt wurde) eine lange Liste von Zahlungen sehen. Ebenso auf Seite 20 (Zahlungen an InnoPlanta). Das Gericht aber behauptet einfach frech, es sei nichts benannt worden. So urteilt ein Gericht, dass lieber keine Beweiserhebung will, um das eigene Vorurteil nicht hinterfragen zu lassen ...

Im Original:



Betroffener kündigt Schritte gegen das Urteil an

Der unterlegene Autor sieht im jetzigen schnellen Ende des Prozesses vor dem offensichtlich befangenen Landgericht auch etwas Gutes: Es wäre absurd gewesen, die ganzen Beweise diesem Gericht vorzutragen und ZeugInnen dazu zu vernehmen, wenn das Gericht von Anfang an sein Urteil schon gefällt hat. So bin ich diese peinlichen willigen VollstreckerInnen von Gentechnik- und FDP-Interessen wenigstens los und wir können in die nächste Instanz gehen! Das wird zunächst das Oberlandesgericht des Saarlandes sein. Denkbar ist aber auch, dass am Ende das Bundesverfassungsgericht entscheiden muss. Schließlich geht es um Meinungsfreiheit - und die hat Verfassungsrang. Was in Saarbrücker Landgerichten offenbar nicht bekannt ist. Ob der Saarlandfilz auch eine Etage höher reicht, wird sich nun zeigen ...


Text zum Verfahren (vor dem Urteil) im Saarspiegel Mai 2010 (S. 1):

Gentechnik-Gegner mundtot machen ...? Scheinbar ein Fall für die Saar-Justiz!

Gentechnik in der Landwirtschaft wird laut Umfragen vom Großteil der deutschen Bevölkerung strikt abgelehnt. Der in Hessen ansässige Gentechnik-Kritiker Jörg Bergstedt soll nun offensichtlich durch die saarländische Justiz zum Schweigen gebracht werden, weil er in einer Druckschrift (www.biotech-seilschaften.de.vu) etwas zu detailliert die Verbindungen zwischen der Agro-Gentechnik-Industrie und der Politik aufgezeigt hat. Zwei wichtige Personen dieses Netzwerks, die mehrfache Geschäftsführerin von Unternehmen dieser Sparte, Kerstin Schmidt, sowie der Chef der Firma InnoPlanta und FDPLandtagsabgeordnete in Sachsen-Anhalt, Uwe Schrader, fühlen sich durch die Broschüre "Organisierte Unverantwortlichkeit" in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt und versuchen, die darin geübte Kritik verbieten zu lassen. Das Gerichtsverfahren findet in Saarbrücken statt, wo einer Verurteilung Bergstedts größte Chancen eingeräumt werden. Kein geringerer als der ehemalige saarländische Wirtschaftsminister, Rechtsanwalt und Befürworter der "grünen Gentechnik", Dr. Horst Rehberger (FDP), zog das Verfahren nach Saarbrücken, damit seine Kanzlei die Kläger "auf kürzestem Wege" vor Gericht vertreten kann. Die Durchführung des Verfahrens in Saarbrücken ist durch einen juristischen Schachzug möglich, indem man die Publikation im überall verfügbaren Internet angreift. Obwohl Bergstedt nicht für den Inhalt der betroffenen Webseite verantwortlich ist, wurde ihm per Einstweiliger Verfügung bereits eine Strafe in Höhe von 250.000 Euro Strafe angedroht.
Schrader, der Rehberger zu dessen Wirkungszeit in Sachsen-Anhalt einen großen Teil seiner Parteikarriere zu verdanken hat, gilt heute dort als wichtiges Bindeglied zwischen Industrie und Politik in Sachen Gentechnik. Nach mehrfacher Vertagung wird nun hinter verschlossenen Türen beraten. Der gesamte Prozessverlauf ist auf der vorgenannten Webseite dokumentiert. Das Urteil soll in diesen Tagen verkündet werden. Kniefall vor Gentechnikindustrie