2010-01:Personifizierungskritik und Aktionsunfähigkeit

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Personifizierungskritik und Aktionsunfähigkeit

FLOH Dieser Artikel wurde eigentlich unabhängig des Artikels „Plädoyer für eine antikapitalistische Gentechnikkritik“ geschrieben, passt aber auch als Antwort auf die dort geäußerte Personifizierungskritik. Diese Kritik wird meist geübt aus einer antideutschen Ideologie heraus, die ich auch in diesem Artikel kritisieren möchte, was dann unabhängig des genannten Artikels von Vega ist.

Die allgemeine Personifizierungskritik lautet so, dass die Personifizierung eines Problems das Augenmerk weg von „dem Spiel“ dem Kapitalismus (im Zusammenhang mit dem bürgerlich-demokratischen Staat), hin auf die Spieler (also die einzelnen Konzerne, Konzernchefs, Politiker, u.s.w.) richtet. Das Problem wird also schnell individualisiert. Die Eigenheiten der einzelnen PolitikerInnen oder Unternehmen werden angeprangert, was die dahinterstehenden Strukturen oft legitimiert. Wo einzelne Methoden und Vorgehensweißen als „abnormal“ kritisiert werden, wird der kapitalistische Alltag zur gewünschten „Norm“. Die einzelnen Spieler müssen sich einfach an die geltenden Spielregeln halten, dann wird alles gut…

Eine solche verkürzte Kapitalismus- oder Herrschaftskritik, ist zwar zu kritisieren, das Problem das sich ergibt, wenn mensch die Personifizierungskritik konsequent zu Ende denkt, ist aber, dass kaum noch konkrete Aktionen gemacht werden dürften, und kaum noch konkrete Konfliktpunkte aufgegriffen werden dürften. Alles müsste auf die Kapitalismuskritik reduziert werden.

Natürlich ist es wichtig, Kapitalismuskritik immer mit zu thematisieren, denn natürlich gibt es in einer kapitalistischen Welt keine Konfliktpunkte, in die nicht kapitalistische Herrschaftsverhältnisse hineinspielen. Wo aber kapitalistische Funktionsweisen nicht mehr an konkreten Beispielen aufgezeigt und skandalisiert werden dürfen, bleibt Kapitalismuskritik unter sich, und vertut die Chance in andere Bewegungen hinein zu intervenieren. Und genau das ist die antideutsche Praxis, aus der dieser Kritik stammt: Lesezirkel und Diskussionsrunden, also „unter sich bleiben“.

Heutige Herrschaftsverhältnisse sind vor allem durch eine hohe Anonymität erfolgreich. Wer gegenüber wem Herrschaft ausübt, bleibt verschwommen. Anonyme Sachzwänge, oder Herrschafts-Apparate in denen alle selber nur Sachzwänge und ihren „Job“ ausüben, sind es, die das Leben der Menschen bestimmen. Konzernbosse, Politiker, Soldaten und andere Arschlöcher können sich prima hinter dieser Anonymität verstecken, und auf Sachzwänge verweisen.

Diese Sachzwänge sind auch real-existent für die meisten Menschen. Diese Allgegenwärtigkeit von herrschaftsförmigen Sachzwängen kann aber dadurch bekämpft werden, dass sie aus der Anonymität gerissen wird. Trotz Sachzwängen muss sich jeder Mensch entscheiden, welchen Scheiß sie/er mitmacht, und welchen nicht. Wer weiß dass sie/er für diesen Scheiß öffentlich verantwortlich gemacht wird, hat weniger Spaß dabei, und wird ihn mit einer höheren Wahrscheinlichkeit sein lassen.

Außerdem sind diese Sachzwänge ja nur Sachzwänge solange die Alternativen dazu unbekannt bleiben, sind also für die Menschen subjektiv. Durch die Objektivierung dieser Sachzwänge von Antideutschen wird die Alternativlosigkeit des Kapitalismus’ zementiert, obwohl doch viele Beispiele von Projekten der „Selbstorganisation im Alltag“ zeigen, dass durch die verschiedensten Arten der „Umsonstökonomie“ die Härten des Kapitalismus abgewandt werden können, also eine Alternative zur Unterwerfung unter Kapitalistische Verhältnisse besteht.

Zwar kann die Lösung nicht alleine in einer individuellen Lebensgestaltungskritik liegen, das Innenministerium wäre nicht besser ohne Schäuble, und die Deutsche Bank nicht besser ohne Ackermann. Wo die einen ihren Job wegen moralischen Bedenken hinwerfen (oder in den Phantasien vieler umgenietet werden) werden andere ihn weiterführen und nichts hat sich geändert.

Aber wo nicht mehr Menschen verantwortlich sind für das was passiert, sondern nur noch anonyme Strukturen, da besteht halt auch keine Möglichkeit, dass Menschen zu Subjekten für gesellschaftliche Veränderungen werden, wenn sie zuvor zu Objekten der bestehenden Verhältnissen verdammt wurden.

Denn die Kritik aus antideutscher Richtung geht oft insofern weiter, dass jeder Versuch, aus der kapitalistische Allgegenwärtigkeit auszubrechen, als „individuelle Lösung“ abgetan wird. „Es gibt nichts Richtiges im Falschen“. Das stimmt zwar, aber es gibt das Bessere im Falschen, und es gibt den Aufbau von Perspektiven für Veränderungen im Falschen. Und dabei kann das Aufbauen von Gegenstrukturen, in denen kapitalistische Herrschaftsverhältnisse weniger Allgegenwärtig sind, entscheidend sein.

Es stellt sich sowieso die Frage wie sich Antideutsche TheoretikerInnen transformative Prozesse und die Überwindung des K. vorstellen. Wenn Aktionen, die Herrschaftsverhältnisse konkretisieren, sowie das Aufbauen von Gegenrealitäten abgelehnt wird, bleibt alleine die Diskussion und die Überzeugungskraft der besseren Argumente als Werkzeug für Veränderungen übrig. Damit fallen sie vor 68 zurück, wo erkannt wurde, dass die „besseren Argumente“ alleine nicht ausreichen, sondern dass unter anderem direkte, kreative, spektakuläre, öffentlichkeitswirksame Aktionen nötig sind, um Inhalte mehr zu verbreiten, und direkte Aktionen, als Selbstermächtigung Verhältnisse selber zu gestalten.

Strategien, die die Transformation der herrschenden Verhältnisse zum Ziel haben, und nicht bloß die eigene Profilierung, müssen sich also immer im Spannungsfeld bewegen, zwischen nicht in verkürzte Kapitalismuskritik zu verfallen und trotzdem Aktionsfähig zu bleiben.