2009-02:Luft raus oder Atempause

Aus grünes blatt
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Luft raus oder Atempause

Widerstand gegen den Flughafenausbau seit der Räumung

vega Seit seiner Inbetriebnahme in den 30er Jahren wird der Frankfurter Flughafen permanent ausgebaut. Jede Ausbaustufe war und ist verbunden mit Privatisierung von öffentlichen Raum, Umweltzerstörung, Belastung für Klima und AnwohnerInnen.

Momentan versucht der Flughafenbetreiber Fraport im Kelsterbacher Wald eine neue Landebahn zu bauen. Der jahrelange Widerstand der Bürgerinitiativen erhielt Ende Mai 2008 Unterstützung, als eine handvoll AktivistInnen den Wald besetzten. Im folgenden dreiviertel Jahr wurde aus den paar Plattformen in den Bäumen ein Hüttendorf, in dem insgesamt viele hundert Menschen gewohnt haben. Ab diesem Zeitpunkt wurde das Thema auch wieder überregional für die radikale Umweltbewegung und andere Linksradikale interessant. Mitte Februar, nachdem große Teile des Waldes gerodet waren, kam dann die Räumung.

Ein Hausdachbesetzung 2 Tage später erregt noch einmal Aufmerksamkeit. Wie ging es danach weiter?

Die meisten AktivistInnen reisten in der Folgezeit ab, die kleinen aber sehr aktiven Zusammenhänge der Waldbesetzung begannen auseinander zufallen. Es gibt weiterhin eine Mahnwache im Kelsterbacher Wald, die als offener Anlaufpunkt dienen soll. Jedoch engagieren sich hier deutlich weniger Menschen als bei der Waldbesetzung, und genau wie die Waldbesetzung hat die Mahnwache immer wieder an internen Problemen zu knabbern.

Es gab auch im Frühjahr und Sommer eine Reihe direkter Aktionen gegen den Ausbau. Gemeinsamkeit war immer, dass sie schnell eine große (und oft auch wohlwollende) mediale Aufmerksamkeit zu erzielten, dass aber (anders als während der Waldbesetzung) sich ausschließlich die in der Region etablierten Polit-Zusammenhänge einbrachten.

„Horst, Dein Auto brennt!“ (FR vom 12.03.)

Horst Amann ist Chefplaner des Flughafenausbaus. In der Nacht des 10. März (sein Geburtstag!) haben Unbekannte seinen Dienstwagen abgefackelt. Es gibt kein BekennerInnenschreiben, fast alle BeobachterInnen gehen aber von einer politisch motivierten Tat aus. Der Frankfurter Rundschau ist ein brennendes Auto 3 Seiten Zeitung wert , inklusive Rückblick auf den jahrelangen, militanten Kampf gegen die Startbahn West und Interview mit einem Sprecher der Bürgerinitiativen. Dieser besitzt die Unverschämtheit, zu behaupten, die AktivistInnen gegen den Ausbau wären nicht radikal, sondern „die treuesten Staatsbürger“. Peinlich...

Demo in Walldorf

Nicht nur in Kelsterbach sondern auch im nahegelgenden Walldorf fiel Wald für den Flughafenausbau. Hier sollen Lagerhallen und sonstige Infrastruktur gebaut werden. Ein Bündnis lokaler Initiativen mobilisierte vor Ort sehr aufwendig für eine Demonstration zu den Rodungsflächen. Diese fand am 26. April statt, 450 Menschen nahmen teil, für viele schien es die erste Demo zu sein. Die Demo war eher bürgerlich geprägt und recht unspektakulär.

Feierlicher erster Spatenstich gestört

Am 8. Mai inszenierten die Flughafenbetreiber den feierlichen ersten Spatenstich für die Landebahn. Obwohl das Ganze unter der Woche während der Arbeitszeit stattfand, folgen etwa 100 Personen dem Aufruf zu einer Gegendemonstration auf der einzigen offiziellen Zufahrt. Trotz einem Großaufgebot der Polizei gelang es einigen Robin Wood AktivistInnen sich von einer Eisenbahnbrücke über der Straße samt Transparent („Klimaschutz statt Kahlschlagparty“) abzuseilen. Gemeinsam wird die Zufahrt für mehrere Stunden für Fahrzeuge blockiert, die meisten geladenen Gäste müssen durch ein Spalier wütender AnwohnerInnen laufen. Schließlich räumte die Polizei sehr brutal eine Sitzblockade, die KletterInnen wurden per Hubwagen geräumt.

Bäume gepflanzt

Am 10. Mai pflanzten knapp 50 Personen vor Augen der Lokalpresse junge Bäume auf der Rodungsfläche. Die meisten auf einer Fläche außerhalb des Bauzauns, einige überwanden aber auch den Zaun und pflanzten im eingezäunten Bereich. Die Polizei war nach einer Weile mit einigen Streifenwagen vor Ort – nicht genug um einzugreifen.

Proteste vor dem VGH Kassel

Am 2. Juni (nachdem ein großer Teil des Waldes längst gerodet war) beginnen beim Verwaltungsgerichtshof Kassel die Verhandlungen über die Rechtmäßigkeit des Ausbaus. Eine Fahrradkarawane von AktivistInnen fährt 5 Tage lang von der Mahnwache bis zum Gericht. Vor dem Gericht findet eine Kundgebung der Bürgerinitiativen statt.

Bürgerbegehren in Kelsterbach

Während die ersten Bäume fielen, schloss der Bürgermeister von Kelsterbach einen Vertrag mit den Flughafenbetreiber. Inhalt: Die Stadt Kelsterbach verzichtet auf Klagen gegen den Ausbau, verkauft das Gebiet auf dem die Landebahn liegt und viele weitere Grundstücke, und kriegt dafür einen Batzen Geld. Einige Kelsterbacher BürgerInnen beantragten ein Bürgerbegehren, welches den Vertrag stoppen soll, und sammelten auf Anhieb die nötigen Unterschriften. Das Referendum hatte nicht nur die Funktion, in staatliche Entscheidungsprozesse einzugreifen. Viele Betroffene, die bis dato wenig über die Materie wussten und keine Meinung hatten, sollten auf einmal Stellung beziehen. So gelang es recht effektiv, den Ausbau in Kelsterbach zu thematisieren. Am 5. Juli war die Wahl: Mehr als 60 Prozent der TeilnehmerInnen stimmten gegen den Verkauf. Das Bürgerbegehren wurde nicht rechtskräftig, da 264 Personen zu wenig gegen den Vertrag gestimmt haben. Jetzt soll das Stadtparlament noch einmal über den Verkauf entscheiden. Die letzte Sitzung zu dem Thema wurde von AusbaugegnerInnen gesprengt...

Wahnsinnstage statt Klimacamp

Ursprünglich war geplant, im August ein Klimacamp bei Kelsterbach zu organisieren. Doch mit dem Auseinanderfallen der Waldbesetzungszusammenhänge dünnte auch der Vorbereitungskreis sehr aus, deutliche Überbelastung war die Folge. Schließlich wurde der Entschluss gefasst, statt des Klimacamps ein Klimawochenende an der Mahnwache zu organisieren.

Diese sogenannten Wahnsinnstage waren gut besucht, und eine bunte Mischung aus Workshops, Vorträgen und Diskussionen zu Umweltthemen, Kulturprogramm und einigen Aktionen. So wurde zum Beispiel mit Wolle stundenlang eine Zufahrt zur Baustelle der Landebahn versperrt, außerdem gab es mehrere nächtliche Angriffe auf den Bauzaun...

Noch eine Baumbesetzung

In den letzten Augusttagen, gelang eine weitere Besetzung der noch auf dem Landebahngelände verbleibenden Bäume. Obwohl der Rest-Wald eingezäunt und bewacht war, gelang es einer Handvoll Robin Wood-AktivistInnen, zwei Plattformen und Transparente zwischen den Kronen zweier Bäume zu befestigen. 3 KletterInnen hielten die Besetzung für knapp 3 Tage aufrecht und wurden schließlich von einer Klettereinheit der Polizei geräumt.

Stell dir vor, es ist Rodung und niemand geht hin...

Ein Tag später, am 1. September begann die Rodung des bis dato verbleibenden Klesterbacher Waldes. Während tagsüber die BewohnerInnen der Mahnwache aufgrund ihrer geringen Zahl nur ohnmächtig zusehen konnten, waren die Bürgerinitiativen abends nicht in der Lage mehr als 50 Mensch zu einer spontanen Kundgebung am Kelsterbacher Bahnhof zu mobilisieren.

Pläne die Rodungen zu behindern, indem sich Menschen in unmittelbarer Nähe der Bäume aufhalten scheiterten, weil die HölzfällerInnen die Sicherheitsvorschriften komplett missachteten. Ein einwöchiger Hungerstreik einer Mahnwachenbewohnerin erregte etwas mediale Aufmerksamkeit, änderte aber nichts an den Rodungen. Inzwischen ist das gesamte Gelände der Landebahn gerodet. Die Bauarbeiten laufen, geplante Inbetriebnahme ist 2011.

Wie geht’s weiter?

Die Zusammenhänge der Waldbesetzung haben sich weitgehend aufgelöst. Die Resignation bei den Bürgerinitiativen und der unorganisierten Bevölkerung ist momentan sehr hoch. Das liegt wahrscheinlich an zwei Dingen: Die Räumung der Waldbesetzung, die bis dahin vielen Mut gemacht hatte und viele Menschen neu für das Thema aktiviert hat. Zum andern das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Kassel, der den Ausbau juristisch durchgewunken hat. Herzu ist kritisch anzumerken, dass ein Teil der BIs seine Hoffnungen auf Gerichte gesetzt hat, anstatt sich selbst für ihre Belange zu engagieren – eine Position die immer noch vom gemäßigten Flügel der Bürgerinitiativen vertreten wird.

Trotz des eher desolaten Zustandes des Widerstandes vor Ort, ist das Thema für eine emanzipatorische Umweltbewegung weiterhin wichtig und lohnend. In Zeiten sowohl des immer bedrohlicheren menschgemachten Klimawandels einerseits und des weltweiten Ausbaus von Flughäfen anderseits, sollte der Flugverkehr (die klimaschädlichste Fortbewegungsart) im Fokus der Kritik stehen.

Der Frankfurter Flughafen ist momentan das größte Ausbauprojekt im deutschsprachigen Raum. Auch wenn der symbolträchtige Wald gerodet wurde – solange hier noch nicht die geplante Steigerung der Flugbewegungen um 50% Prozent stattgefunden hat, kann das Schlimmste noch verhindert werden. Außerdem steht längst fest, dass der Ausbau mit Inbetriebnahme der Landebahn noch lange nicht vorbei ist.

Aktionen gegen den Ausbau sind für die Presse in Hessen längst eine feste Größe, auch dass es UmweltaktivistInnen ohne eine Organisation im Hintergrund gibt, ist bis in die Redaktionen vorgedrungen. Momentan gibt es Pläne, die Mahnwache im Kelsterbacher Wald auch über den Winter fortzuführen. Das alles spricht für eine Anknüpfung an den Widerstand der letzten Jahre.

Hauptaufgabe der radikalen und emanzipatorischen Umweltbewegung sollte es sein, Strukturen zu entwickeln, die diese Kämpfe fortführen und wieder aufleben lassen.