2008-02:Atommeiler im Norden stehen still

Aus grünes blatt
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Krümmel, Brunsbüttel, Brokdorf - Atommeiler im Norden stehen still

Von Dieter Hanisch, Kiel
Ohne Strom aus Kernkraftwerken gehen die Lichter aus – so prophezeit es die Atomlobby. Genau diesen Zustand erlebt Schleswig-Holstein: Die Meiler in Brunsbüttel und Krümmel befinden sich seit Monaten in Reparatur, und nun ist auch noch der Reaktor in Brokdorf wegen einer routinemäßigen Revision vom Netz gegangen. Überraschung: Die Energieversorgung ist nicht zusammengebrochen!

Die besonders störanfälligen Siedewasserreaktoren von Brunsbüttel und Krümmel werden noch auf unbestimmte Zeit keinen Strom liefern. Vor fast genau einem Jahr wurden beide AKW an der Elbe abgeschaltet, als es in Brunsbüttel zu einem Kurzschluss kam und danach in Krümmel, ebenfalls nach einem Kurzschluss, ein Trafohaus in Flammen aufging und Rauchgas gar bis in die Leitwarte eindrang. Brunsbüttel ging kurz darauf wieder ans Netz, doch nach weiteren Pannen liegt der 1977 in Betrieb genommene Uraltmeiler seit dem 20. Juli 2007 ebenfalls still.

In Krümmel steht zwar seit Dezember wieder ein funktionsfähiger Trafo. Doch der Betreiber Vattenfall ist der bereits im hessischen AKW Biblis festgestellten Problematik fehlerhaft gesetzter Dübel nicht Herr geworden, was die Erdbebensicherheit gefährden könnte. Der Dübelaustausch ist noch längst nicht abgeschlossen, das Genehmigungsverfahren füllt zahlreiche Reihen von Aktenordnern.

Zusätzlich wurden in Krümmel winzige Haarrisse in Armaturen und Steuerleitungen festgestellt. Ein Austausch der Armaturen kommt laut Vattenfall aufgrund zweijähriger Wartezeiten nicht in Frage. Und die selbst entwickelte Schweißtechnik benötigt für die Rissbeseitigung durch feinste Materialauftragung ebenfalls pro Vorgang 14 Tage. Noch sind in Krümmel über zehn Armaturen zu schweißen. In Brunsbüttel sind es sogar mindestens 15, wobei diverse Armaturen noch gar nicht auf Schadhaftigkeit untersucht sind. Jüngst versagte zudem ein hydraulisches Fernschaltventil im Feuerlöschsystem. Ursache war ein festgeklebter Dichtungsring. Nun werden alle anderen entsprechenden Ventile unter die Lupe genommen.

Vattenfall wagt inzwischen keine Prognose mehr, wann man wieder mit der Stromproduktion beginnen kann. Beobachtern zufolge könnte sich das Wiederanfahren bis ins nächste Jahr hinziehen. Anfangs schimpfte der Energiekonzern über die zuständige Aufsichtsbehörde, das Sozialministerium in Kiel. Inzwischen spricht man von einer guten Zusammenarbeit. Vattenfall beziffert die täglichen Verluste auf 1,1 Millionen Euro.

Für Greenpeace ist es erschreckend, dass Risse oder das jüngste Ventilversagen aus dem laufenden Betrieb heraus passieren. »Die alten Meiler sind einfach nicht mehr sicher. Da spielt Verschleiß eine große Rolle«, sagt Heinz Smital, Experte der Umweltorganisation. Es sei notwendig, die alten Atomanlagen sofort stillzulegen und in anderen AKW die Rissproblematik in Armaturen zu untersuchen.

Greenpeace will ferner die Öffentlichkeit über die konkreten Gefahren informieren. Mit Verweis auf das Informationsfreiheitsgesetz klagt der Verband seit Jahren auf Akteneinsicht bezüglich einer Wasserstoffexplosion vom 14. Dezember 2001 in Brunsbüttel, bei der nahe am Reaktordruckbehälter ein Rohrleitungsstück zerbarst. AKW-Gegner sehen eine gravierende Gefahr, Vattenfall und Sozialministerium widersprechen. Greenpeace hangelte sich durch mehrere Instanzen und fand dann Gehör beim Bundesverwaltungsgericht. Nun rechnet man beim abschließenden Verfahren am Dienstag vor dem Oberverwaltungsgericht in Schleswig mit einem positiven Ausgang.

Quelle: http://www.neues-deutschland.de/artikel/130781.atommeiler-im-norden-stehen-still.html vom 23.06.2008