2007-02:Verfassungsrichter heben Urteil gegen Polit-Aktivisten auf

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Verfassungsrichter heben Urteil gegen Polit-Aktivisten auf

Von Innenminister Bouffier veranlasste Verhaftung war rechtswidrig

von Falk Beyer

Durch drei gerichtliche Instanzen wurde der Gießener Polit-Aktivist Jörg B. wegen politischer Straftaten und Widerstands gegen Polizeibeamte verurteilt. Das Bundesverfassungsgericht hob das gegen ihn verhängte Urteil von 8 Monaten Freiheitsstrafe ohne Bewährung jetzt auf. Grund ist eine vom hessischen Innenminister Volker Bouffier veranlasste Verhaftung des Polit-Aktivisten, die rechtswidrig in dessen Grundrechte eingriff. Nun muss das Landgericht Gießen den Fall neu verhandeln.

Am 10. Januar 2003 hatte die Polizei die Räume eines politischen Projekts nahe Gießen wegen Anti-Wahl-Aktionen durchsucht. Diese Hausdurchsuchung wurde vom Landgericht Gießen für rechtswidrig befunden. Mit einer Spontandemonstration protestierte eine Gruppe Aktivisten am Folgetag gegen die Polizeimaßnahme und passierte dabei auch einen CDU-Wahlstand mit dem hessischen Innenminister Volker Bouffier. Dieser und der ebenfalls anwesende Gießener Polizeipräsident Manfred Meise wollten sich „das“ dem Karlsruher Urteil zufolge nicht bieten lassen. Die Polizei verhaftete Jörg B., wogegen sich dieser gewehrt haben soll. Im Zuge eines Tumults, der um seine Ingewahrsamnahme entstand, soll er einen Polizisten ins Gesicht getreten haben. Entlastende Zeugenaussagen nahmen die Gerichte nicht auf, sondern hielten sich ausschließlich an die teils widersprüchlichen Aussagen der Polizeizeugen.

Ausgiebig belehren die Verfassungsrichter in ihrem Urteil die Gießener Justiz über die Wahrung der Versammlungsfreiheit, die im vorliegenden Fall missachtet wurde. So vertraten alle hessischen Gerichte in dem Verfahren die Auffassung, dass die Verhaftung des Aktivisten zulässig gewesen sei, da die Versammlung „nicht genehmigt“ gewesen sei. „Der Schutz des Grundrechts besteht unabhängig davon, ob die Versammlung anmeldepflichtig und angemeldet war“, korrigiert das Bundesverfassungsgericht.

Die Karlsruher Verfassungsrichter entschieden, dass die Verhaftung des Aktivisten gegen Artikel 8 des Grundgesetz – das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit – verstieß und daher rechtswidrig war. Die Polizei hatte weder die Versammlung formal aufgelöst noch Jörg B. vor seiner Ingewahrsamnahme aus der Versammlung ausgeschlossen. Somit war sein Handeln vom Grundgesetz geschützt und hätte nicht nach allgemeinem Polizeirecht eingeschränkt werden dürfen. Eine Verurteilung des Aktivisten nach § 113 StGB (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) schloss das Bundesverfassungsgericht aus, da nach § 113 Abs. 2 StGB Widerstand gegen rechtswidrige Polizeimaßnahmen nicht strafbar ist. Jedoch wies das Gericht darauf hin, dass dies keine Aussage über eine mögliche Verurteilung nach anderen Strafgesetzparagraphen sei.

Zu dem Urteil äußerten sich die Staatsanwaltschaft Gießen und das erneut verhandelnde Landgericht bisher nicht. Auch die hessische Landesregierung nutzte die vom Karlsruher Gericht vor der Urteilsfassung eingeräumte Gelegenheit zur Stellungnahme nicht. Jörg B. dagegen sieht sich durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bestätigt. „Das Urteil sagt eindeutig aus, dass ich mit meiner Auffassung, die ich übrigens auch vor Gericht geäußert habe, Recht hatte.“ Allerdings ist er skeptisch in Hinsicht auf das weitere Vorgehen der Gießener Justiz: „Eigentlich wäre ja zumindest ein 'Entschuldigung' angebracht, wo ich bereits fünf Tage wegen dieses rechtswidrigen Urteils in Haft saß. Aber wahrscheinlicher ist, dass die Gießener Strafbehörden sich jetzt eine neue Strategie ausdenken, um mich doch noch wegsperren zu können.“