2019-01:Geflüchteten-Soliarbeit - Welche Worte, wann und warum: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 13:58, 5. Mär 2019

Geflüchteten-Soliarbeit - Welche Worte, wann und warum

Warum sprechen einige von „Flüchtlingen“, andere von „Geflüchteten“ oder benutzen die englischen Begriffe „refugees“, „non-citizens (Nicht-Staatsbürger*innen)“ oder gar „freedom fighters (Freiheitskämpfer*innen)“?

Und warum finden wieder andere alles unpassend?

Manchmal scheint es, als ginge es mehr um die ‚korrekten‘ Begriffe als um die Inhalte der individuellen und politischen Handlungen. Manchmal scheitert die Zusammenarbeit von unterschiedlichen Gruppen daran, dass nicht die scheinbar ‚richtigen‘ Begriffe benutzt werden. Viele fühlen sich von diesen – oft in akademischen Zirkeln geführten Diskussionen – eingeschüchtert oder haben das Gefühl, dies hätte nichts mit den Problemen des Alltags zu tun.

Ist Sprache nun tatsächlich so wichtig, wenn es doch eigentlich darum geht zu handeln?

Ja, finden wir. Warum? Weil Sprache einen großen Einfluss darauf hat, wie wir über unterschiedliche Themen denken. Denn wir denken in Wörtern und Bildern, die sich in Sprache ausdrücken. Dadurch ist Sprache wichtig dafür, wie wir die Wirklichkeit verstehen (können). Darum ist es notwendig, darüber nachzudenken, welche Metaphern wir benutzen, was sie in uns auslösen und welche Interessen dahinter stehen könnten.

Fragen wir uns doch einmal, welche Bilder uns in den Kopf kommen, wenn wir zum Beispiel das Wort „Asylbewerberflut“ hören? Das Wort ‚Flut‘ steht normalerweise für eine Naturkatastrophe. Wenn es um Flucht und Migration geht, wird auffällig oft in einer Sprache gesprochen, die an eine Katastrophe denken lässt. Was hat das für Konsequenzen? Die flüchtenden Menschen werden so als Teil einer Naturkatastrophe und einer bedrohlichen ‚Masse‘ wahrgenommen. Dies kann dazu führen, dass eine Bevölkerung die Flüchtenden „klaglos“ aufnimmt, denn einer Naturkatastrophe kann man ja nicht entkommen. Meist wird diese Metapher aber benutzt, um das Gegenteil zu provozieren: Um in Aufnahmegesellschaften die Ansicht zu verbreiten, die Geflüchteten müssten mit entsprechenden Gegenmaßnahmen – wie eine ‚Flut‘ – eingedämmt werden.

Auch der oft verwendete Begriff „Flüchtlingskrise“ legt nahe, dass die flüchtenden Menschen das Problem seien und nicht beispielsweise ein die Flucht auslösender Krieg. Auch wird durch so eine Sprache ignoriert, dass unzureichende Aufnahmestrukturen und mangelhafte Organisation in den Aufnahmeländern (zum Beispiel in Deutschland) die ‚Krise‘ ausgelöst haben könnten. Dadurch werden menschengemachte Phänomene aus ihrem geschichtlichen, gesellschaftlichen und politischen Zusammenhang gerissen. Geflüchteten Menschen die Berechtigung für ihre Migration abzusprechen, wird dadurch sehr viel leichter!

Denn: Sprache wird als politisches Instrument benutzt

Wir beobachten, wie in den Medien und in der Politik ein unsensibler oder offen rassistischer sprachlicher Umgang mit Flucht und Migration genutzt wird, um Flüchtende zu verunglimpfen, als Bedrohung darzustellen oder ihre Rechte einzuschränken.

Auch aus diesem Grund ist der Begriff „Flüchtlingskrise“ problematisch, denn er ignoriert die politische Verantwortung der Länder, in welchen flüchtende Menschen ankommen. Aber die ‚Krise‘, die spätestens seit dem Sommer der Migration 2015 sehr häufig behauptet wurde, hatte vor allem mit überforderten Aufnahmestrukturen zu tun. Dies führte zu Unterbringungen in Turnhallen und Containern oder den unzumutbaren Zuständen vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo).

Warum aber war Deutschland offenbar so überfordert? Dies lag nur zum Teil an der hohen Zahl von Ankommenden, die innerhalb weniger Wochen über Österreich nach Deutschland kamen. Es lag vor allem daran, dass die deutsche Politik seit vielen Jahren die Strukturen für Geflüchtete zurückgebaut hat. Das heißt: Es gab weniger Unterbringungsplätze, weniger Personal beim Jugendamt, Sozialamt, Ausländerbehörden und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie viel zu wenig Sprachkurse, etc. Auf Ebene der Europäischen Union hatten insbesondere die Mittelmeerländer Italien, Spanien und Griechenland seit vielen Jahren auf die nun eingetretene hohe Anzahl Geflüchteter nach Europa hingewiesen, die sich aus den wirtschaftlichen, politischen und sozialen Umbrüchen im Nahen Osten, unter anderem durch den Arabischen Frühling und den Krieg gegen Libyen ausgelöst, ergeben würden. Doch Deutschland und andere Länder schlugen diese Warnungen demonstrativ in den Wind und unternahmen zu wenig, um sich auf die zu erwartende Migration vorzubereiten. Vielleicht dachte die Bundesregierung, sich durch das Dublin-System abschotten zu können.

Kurz: Die ‚Krise‘ ist auch eine Krise der Politik, die zu erheblichen Mängeln geführt hat. Von ihr als „Flüchtlingskrise“ zu sprechen, verschleiert diesen Zusammenhang. Da dieser Begriff dennoch momentan so viel genutzt wird, kann es aber sinnvoll sein, von der ‚sogenannten Flüchtlingskrise‘ zu sprechen, um auf die Problematik hinzuweisen, die dieser Begriff ausdrückt.

Sprache schafft Menschenbilder

Auch der Begriff ‚Flüchtling‘ reduziert die Menschen auf diese eine – wenn auch prägende – Erfahrung der Flucht. Die Nachsilbe ‚-ling‘, dient in der deutschen Sprache der Verniedlichung und – wenn wir einmal darauf achten – auch einer negativen und abwertenden Beschreibung. So zum Beispiel der Wüstling, der alles kaputt macht und gewalttätig ist; der Feigling, der sich nichts traut; der Neuling, der noch nicht so viel weiß und keine Erfahrung hat. Darüber hinaus beschreibt die Nachsilbe ‚-ling‘ den Begriff oder die Person als männlich. Somit gibt es keine weibliche Form von ‚Flüchtling‘. Frauen, die sich ebenso wie Männer auf gefährliche und extrem anstrengende Fluchtrouten begeben, werden damit nicht benannt. Viele Menschen reden deshalb von „Geflüchteten“. Zum einen ist diese Begrifflichkeit geschlechtsneutral und keine Verniedlichungsform, zum anderen ist geflüchtet ein Adjektiv, dass uns dazu einladen kann, zu bedenken, dass es sich um geflüchtete Menschen handelt, die so individuell und unterschiedlich sind wie alle anderen auch.

Warum ist Sprachpolitik wichtig für Unterstützungsarbeit?

Etwas anderes ist es, wenn wir selbst Geflüchtete sind und dann von uns selbst in einer bestimmten Form sprechen. Einige sagen: „Wir sind non-citizens (Nicht-Staatsbürger*innen).“ Andere sagen bewusst: „Wir sind Flüchtlinge und führen einen politischen Kampf für unsere Rechte.“

Wenn wir Angehörige der Mehrheitsgesellschaft sind, haben wir aber beim Reden über Geflüchtete eine privilegierte Position, eine sprachliche Verantwortung und sollten die jeweiligen unterschiedlichen Selbstbezeichnungen akzeptieren.

Wie oben beschrieben, formt unsere Sprache die Denkmuster, mit denen wir unsere Umgebung und die anderen Personen in ihr erfassen. Für solidarische Unterstützungsarbeit ist es entscheidend, dass wir versuchen, uns gegenseitig auf Augenhöhe zu begegnen. Es ist wichtig, Menschen als Individuen wahrzunehmen, die sehr unterschiedlich auf Situationen reagieren, zum Beispiel auf die Strukturen in einer neuen Unterstützungsgruppe, oder auf Alltag oder Isolation im Lager.

Keiner der von uns benutzten Begriffe ist immer richtig. Der Begriff ‚Geflüchtete‘ wird – zurecht – vielfach kritisiert. Denn auch deutsche Behörden benutzen in letzter Zeit vermehrt ebenfalls die Begriffe ‚Flüchtlinge‘ und ‚Geflüchtete‘. Als Flüchtlinge werden die bezeichnet, die Aussicht auf eine Aufenthaltsgenehmigung haben, als Geflüchtete die, die keine Chancen auf ein Bleiberecht haben. Hier wird versucht, zwischen „guten“ und „schlechten“ Neuankommenden zu unterscheiden. Darum wird auch der Begriff ‚Geflüchtete‘ wahrscheinlich bald nicht mehr angemessen sein.

Es geht uns auch nicht darum, abschließend einen ‚korrekten‘ Begriff vorzuschlagen, denn diese sind auch immer abhängig von Zeitpunkt und Situation. Viel wichtiger ist es uns, Denkprozesse über die Denk- und Handlungsmuster anzustoßen, die sich in Begriffen verstecken können. Bei dieser Reflexion über Sprache geht es uns keinesfalls darum, Begriffe einfach zu ersetzen. Denn die ‚korrekte‘ Bezeichnung für eine gesellschaftliche Gruppe oder ein Phänomen ist noch lange nicht ausreichend. Selbst wer die scheinbar ‚richtigen‘ Begriffe benutzt, kann damit etwas ‚Falsches‘ sagen. Die eigene Sprache zu überdenken und zu verändern ist nur ein Element auf dem Weg zu besseren Verhältnissen, nicht dessen Ende. Kritisches Denken muss sich auch – und vor allem – in Handlungsweisen widerspiegeln.

Dieser Text ist der Einleitung aus der Broschüre "Willkommen ohne Paternalismus" von glokal e.V. entnommen. Er wurde unter der Creative Commons-Lizenz BY-NC-SA veröffentlicht und darf unter Nennung des Urhebers (und des Links zur Broschüre auf dessen Homepage) für nichtkommerzielle Zwecke unter Beibehaltung dieser Lizenz frei verwendet werden.