2019-01:Don‘t shut up - Shut down!

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Don‘t shut up - Shut down!

Im November 2017 fand die Klimakonferenz COP23 in Bonn statt. Begleitet wurde diese von vielseitigem Protest: Demonstrationen, kreativen Aktionen, einem Alternativgipfel und einer Ende Gelände-Massenaktion. Am 15.11.2017, dem dem Tag, an dem die „Klima-“Kanzlerin Merkel in ihrer Rede bei den Klimaverhandlungen mal wieder hohle Phrasen von sich gab, den Klimawandel zur Schicksalsfrage der Menschheit erklärte und versprach, Deutschland würde sich zur Einhaltung der Ziele „an die Arbeit machen“ ohne dabei ein Wort über einen baldigen Kohleausstieg zu verlieren - an diesem Tag drang eine Gruppe von Aktivist*innen in das Gelände des Braunkohlekraftwerks Weisweiler ein, besetzte dort mit technischen Hilfsmitteln über mehrere Stunden die Kohlezufuhr und erzwang dadurch das beinahe vollständige Abschalten des Kraftwerks. Das Kraftwerk musste im Laufe des Vormittags um 92% gedrosselt werden. Drei von vier Blöcken wurden ganz abgeschaltet. Damit wurde gezeigt: Es gehen nirgendwo die Lichter aus, auch wenn RWE und dem Konzern wohlgesonnene Politiker*innen das regelmäßigen behaupten.

Warum Kleingruppenaktionen?

Seit Jahren wächst die aktivistische Klimagerechtigkeitsbewegung in Deutschland. Was vor acht Jahren mit Klimacamps und Kohlezugblockaden mit wenigen hundert Menschen begann, zieht inzwischen mehrere Tausend Menschen aus ganz Europa jedes Jahr ins Rheinland und andere Braunkohlereviere. Ende Gelände hat es geschafft, mit großen Massenaktionen Berichterstattung zur besten Sendezeit zu bekommen, damit viele Menschen über die Thematik zu informieren und zu empören und dazu beigetragen, das Thema Kohleausstieg bis in die Koalitionsverhandlungen zu tragen. Das zeigt, dass Massenaktionen einen wichtigen Beitrag leisten, um Themen in die Breite zu tragen. Aber sie sollten unser Meinung nach nicht die einzige Antwort der Klimagerechtigkeitsbewegung auf die globale Ungerechtigkeit und die fortlaufende Zerstörung von Lebensgrundlagen sein. Wir wünschen uns ein qualitatives Wachstum der Bewegung, das durch immer größere Massenaktionen nicht automatisch erreicht wird. Steigende Aktivist*innenzahlen bei Großaktionen bedeuten nicht unbedingt auch eine nachhaltige Organisierung in Strukturen. Außerdem wird inzwischen schon ein Gleichbleiben der Zahlen medial und bewegungs-intern als Misserfolg gewertet. Wir begrüßen deshalb, dass sich der Fokus in den letzten Jahren mit skills-share-Events, Unterstützung von Kleingruppenaktionen und vielen neugegründeten Klimagruppen zumindest ein Stück weit verlagert und mehr Aktivitäten in engen Bezugsgruppen sichtbar werden.

Wir wollen dorthin gehen und stören, wo die Scheiße passiert. Nicht nur in Braunkohlegebieten; auch überall sonst, wo der Kapitalismus, Rechtsruck, Sexismus und globale Ausbeutung dafür sorgen, dass Menschen und Tiere ihrer Lebensgrundlagen beraubt werden. Kleingruppen können dabei unberechenbarer vorgehen und zum Teil mit weniger Aufwand wirkungsvoller Stören. Dabei können wir bedingungsloser unsere Forderungen stellen und müssen nicht auf die Gemeinnützigkeit unserer Bündnispartner*innen und das Wohlwollen von Geldgeber*innen Rücksicht nehmen. Auch die Leitlinien professioneller Pressearbeit müssen nicht strikt befolgt werden und es öffnet sich ein Spielraum für Experimente und den Aus- und Aufbau eigener Medien.

Warum wurde diese Aktion durchgeführt?

Mit der Aktion wollten die Aktivist*innen aktiv in die Klimazerstörung eingreifen. Dabei sollte auch gezeigt werden, dass es nicht viele Menschen braucht, um einen messbaren Effekt zu erreichen. Mit der Ortswahl wollten sie das Spielfeld für Aktionen, das sich bisher (abgesehen von einer spontanen Kraftwerksbesetzung in der Lausitz) weitestgehend auf Tagebaue, Kohlebagger und die Zugverbindung beschränkt, auf die Kohleversorgung im Kraftwerk erweitern. Andererseits wollten sie die internationale Medienpräsenz um die COP nutzen, um zu zeigen, dass die „Lichter“ selbst dann nicht „ausgehen“, wenn eines der größten Kohlekraftwerke Europas ausfällt.

2 Millionen Euro Schadensersatz? Portokasse?

Inzwischen sind die Repressionsorgane aktiv geworden. Fünf Aktivist*innen (alle anderen Beteiligten konnten nicht identifiziert werden) wird Hausfriedensbruch, Störung öffentlicher Betriebe und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vorgeworfen. Neu ist allerdings das RWE auch eine Schadensersatzklage in die Wege geleitet hat. Bescheidene zwei Millionen Euro soll ihre Anwaltskanzlei einklagen. Sowohl von der Klage wegen Hausfriedensbruch, als auch von der Forderung nach 2-Mio-Euro ist auch ein Fotograf betroffen, der die Aktion journalistisch begleitete.

Europas größter Klimakiller, dessen Kraftwerke weltweit Lebensgrundlagen zerstören, will also Millionen von einer Gruppe Menschen, die einen kleinen Teil des Schadens verhindert hat, den der Konzern jeden Tag anrichten. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass RWE wirklich die Hoffnung hegt, von den Angeklagten auch nur einen Bruchteil der geforderten Summe zu bekommen. Sollte das Verfahren nach ihren Vorstellungen verlaufen, dürfte klar sein das die Aktivist*innen zahlungsunfähig sein werden. Warum also der ganze Aufwand? Es geht um Einschüchterung. Offensichtlich wollen sie Menschen unbedingt davon abhalten, in Zukunft vergleichbare Aktionen zu machen.

Lebensversicherung für eine widerständige Existenz

Die Klage kommt nicht überraschend. In der Vorbereitung der Aktion wurde dieses Szenario von den Aktivist*innen in Betracht gezogen. Schließlich wurden noch nie zuvor in Deutschland von einer so überschaubaren Gruppe Kraftwerksblöcke gedrosselt. Aber was würde es heißen, wenn RWE wirklich Erfolg haben sollte? Die Betroffenen haben dann die Möglichkeit eine Vermögensauskunft abzugeben. D.h. das sie für 30 Jahre - danach werden die Schulden getilgt - nicht mehr als ca. 1000 Euro im Monat verdienen dürfen. Außerdem kann die*der Gerichtvollzieher*in bei ihnen zu Hause vorbei kommen, um wertvolle Gegenstände zu pfänden. Vllcht. vermutet die Leser*innenschaft dieser Zeitschrift ja bereits, das die Angeklagten weder über ein monatliches Einkommen von über 1000 Euro verfügen, noch ein Eigenheim vorzuweisen haben, dass ihnen weg-gepfändet werden könnte. Es ist durchaus möglich das Leben so einzurichten, dass RWE wirklich keinen Cent zu Gesicht bekommt. Aber die Zeiten ändern sich doch! Kommt nicht für alle irgendwann der Moment, in dem mensch sich mal etwas leisten möchte? Oder einfach die Zwänge der kapitalistischen Gesellschaft zu groß werden und ein Einlenken erzwingen. Job, Kinder, eine gute Ausbildung, eine geräumige Wohnung und mal nett Essen gehen? Die Klimagerechtigkeitsbewegung ist durchaus divers, was unterschiedliches Alter betrifft. Trotzdem wird auf jedem Klimacamp oder Plenum deutlich, dass die meisten Aktivist*innen unter 30 sind. Ein Berg Schulden ist somit zumindest eine Absicherung, der Menschen vor einer Existenz ohne widerständigen Alltag und Aktivismus bewahrt. Für viele also durchaus eine Überlegung wert. Dabei ist es wichtig zu betonen, dass derartige Gedanken aus einer privilegierten Position geäußert werden. Für Menschen die aufgrund von Rassismus Schwierigkeiten haben eine Wohnung zu finden, ist es vllcht. keine Option sich auch noch durch einen Schufa-Eintrag das Leben schwer zu machen. Oder wie ist es mit Menschen, die schon immer schwer arbeiten mussten, um über die Runden zu kommen und sich im Notfall nicht auf ein gut statuiertes Elternhaus verlassen können? Nichts destotrotz ist „Von uns kriegt ihr nix!“ eine kraftvolle Aussage, durch die die Einschüchterungsversuche durch RWE zurück gewissen werden. Direkte Aktionen gegen fossilen Industrien stehen in Solidarität mit den Betroffenen des Klimawandels, den Millionen von Menschen, die jetzt schon unter der Zerstörung leiden, und den hunderten von Millionen, die in den nächsten Jahrzehnten darunter leiden werden.

Die Kampagne WeDontShutUp

Aktionistisches Workshop-Angebot: