2016-02:Welt ändern? Lieber tomorrow

Aus grünes blatt
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Schon wieder ein Kinofilm, dessen Beliebtheit als seiner Beliebigkeit resultiert

Welt ändern? Lieber „tomorrow“ ...

jb Der nächste bitte ... Nach „Projekt A“, der aus der revolutionären Idee des „Anarchismus“ einen gepflegten Bettvorleger der Bürgerlichen machte (siehe grünes blatt Frühjahr 2016), füllt ein neuer Film die Kinos. Seine Mission ist etwas anders, aber ähnlich fatal und dem gleichen Ziel folgend: Widerstand ist nicht mehr nötig – ein bisschen Begrünung des kapitalistischen Wahns reicht.

Die Protagonist_innen des Films kommen aus gesellschaftlichen Eliten, sind dort auch nach wie vor aktiv (z.B. ist Mélanie Laurent laut Wikipedia Klima-Botschafterin für Ex-UNO-Chef Kofi Annan) und verhalten sich auch so. „Als die Schauspielerin Mélanie Laurent („Inglourious Basterds“, „Beginners“) und der französische Aktivist Cyril Dion in der Zeitschrift „Nature“ eine Studie lesen, die den wahrscheinlichen Zusammenbruch unserer Zivilisation in den nächsten 40 Jahren voraussagt, wollen sie sich mit diesem Horror-Szenario nicht abfinden“, steht als Eigenwerbung auf http://www.tomorrow-derfilm.de. Frage: In welchem Elfenbeinturm haben die eigentlich seit 1972 bzw. seit ihrer Geburt gelebt? Noch mehr deutet auf ein wohlbehütetes Aufwachsen in Reichenschichten hin. Denn: „Schnell ist ihnen jedoch klar, dass die bestehenden Ansätze nicht ausreichen, um einen breiten Teil der Bevölkerung zu inspirieren und zum Handeln zu bewegen. Also machen sich die beiden auf den Weg.“ Und zwar mit dem Flugzeug und vor allem zu Menschen, die jung, schön und gebildet wirken. Zusammen mit den Filmemacher_innen, die sich ausgiebig auch selbst zeigen, entsteht dort, wo sie filmen, eine Atmosphäre von Dauerparty für eine bessere Welt – inmitten von viel Elend, welches die Kamera nur auf den Reisen nebenbei streift. „Was sie finden, sind Antworten auf die dringendsten Fragen unserer Zeit.“ Dazu gehören die regionalen Währungen, ohne dass kritische Stimmen an solcher Verwertungsausdehnung in kleinste Lebensbereiche zu Wort kommen. Dann bekommen wir Briefumschläge aus dünnerem Papier als Weltlösung präsentiert. Neben dem ziemlich platten product placement (eingebettete Werbung) beeindruckt die lange Kamerafahrt durch riesige Kartonstapel - sie alle sind in Plastik eingeschweißt, was offenbar niemandem aufgefallen ist. Daneben gibt es Mikrokredite, die schon als Fehlschlag entlarvt waren, als das Filmprojekt startete, und Komposthaufen. Viele Passagen des Films wirken nicht nur oberflächlich, sondern schlampig. O-Ton: „Erneuerbare Energie ist also möglich, wenn wir Energie sparen und gleichzeitig weniger verbrauchen“. Aha. Bei Aussagen, dass menschliche Gemeinschaften „wie eine Zelle im Körper“ funktionieren würden, fehlt nicht nur – wie im gesamten Film – jegliche Herrschaftsanalyse, sondern hier füllt platter Biologismus das Denken. Am Applaus für den Film, der bis ins linke Lager (z.B. die Zeitung SoZ) reicht, ändert das nichts. Einziger Lichtblick: Ein Interviewter im Film berichtet von einem Forum über erneuerbare Energie in Texas. Den Erfolg führt er darauf zurück, dass die Mitwirkenden nicht gewählt, sondern ausgelost wurden. Das riecht ein bisschen anarchisch, aber die Filmemacher_innen scheinen es gar nicht bemerkt zu haben. So ist es kein Wunder, dass der Bewerbungsspruch oben auf www.tomorrow-derfilm.de von David Nabarro, dem UN-Beauftragten für Klimapolitik und nachhaltige Entwicklung, stammt. Die Herrschenden wird freuen, dass Umweltschutz, der Kampf für eine bessere Welt und selbst die Idee der Anarchie jetzt in den globalen, bürgerlichen Kapitalismus eingemeindet ist. Sie sind sozusagen die Kreide, die bei der Zerstörung der Welt neuerdings tonnenweise gefressen wird.