2016-02:Kurzgeschichte "Moderne Interpretationen"

Aus grünes blatt
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Moderne Interpretationen

Ich hatte schon viele Jobs in meinem Leben. So war ich Metzger in einer veganen Gemeinschaft, Schneeschieber in der Sahara und Balljunge beim Speerwerfen. Leider hatte mich keiner dieser Jobs reich gemacht und so war ich gezwungen, auch Berufe anzunehmen, die eigentlich nicht meiner Neigung entsprechen.

Da in letzter Zeit einfach zu viele Pfarrer verrentet, verhaftet oder vernünftig wurden, suchte die Kirche händeringend nach neuen Angestellten. Als dann einer dieser Ringer mich erwischt hatte, musste ich mich der Realität fügen und Pfarrer werden.

Man teilte mir gleich zu Beginn mit, dass man nichts wirklich Neues erwarten würde, da die Jugend nicht mehr für die Kirche zu begeistern wäre. „Aber ich könnte mit modernen Interpretationen vielleicht ja doch noch jemanden erreichen.“ versuchte ich den Kirchenoberen zu überzeugen. „Von mir aus,“ sagte der Kirchenobere gelangweilt „solange sie bei der Bibel bleiben, ist mir das egal.“

So motiviert, landete ich auf der Kanzel einer kleinen Kirche, welche die einzige Kirche von gleich zwei kleinen Städten mit den Namen „Reich“ und „Himmel“ war, und hielt meine erste Predigt vor drei alten Leuten und einem jungen Mann. Der war versehentlich in der Kirche gelandet, weil er auf dem Weg von Reich nach Himmel vor einem Unwetter Unterschlupf gesucht hatte.

Das Thema der Predigt war noch vom Vorgänger ausgewählt worden und so predigte ich voller Leidenschaft: “Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert.“ Die alten Menschen in der Kirche nickten bedächtig, aber der junge Mann fragte irritiert: „Das verstehe ich nicht, was ist damit gemeint?“.

Ich kannte mich damit auch nicht sonderlich aus und interpretierte ganz frei: „Äh, damit ist gemeint, dass man sich auch irgendwelche Probleme anderer Menschen ans Bein binden soll, damit man anderen Christen folgen darf.“

„Wie bescheuert.", meinte der junge Mann. "Da such ich mir doch lieber einen anderen Regenschutz.“ und machte sich auf, zu gehen. Aber ich wollte nicht ein Viertel meiner Zuhörer gleich beim Ersten Auftritt verlieren und interpretierte daher neu „In echt bedeutet es, dass du, wenn du mit deiner Beziehung kommst, heute Abend bei mir eingeladen bist.“

„Echt jetzt?“ sagte der junge Mann. „Klingt interessant.“, und blieb auch noch die zwei folgenden Lieder, das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser, auch wenn er alles nicht richtig mitbekam, weil er lieber seine eigene Musik über Kopfhörer hörte.

Am Abend kam er dann wirklich mit seiner Freundin vorbei und wir hatten einen netten Abend, an dem wir, wenn ich mich recht entsinne, über bessere Musik für den Gottesdienst und ähnliches diskutierten. Ganz genau erinnerte ich mich leider nicht mehr daran, dafür musste ich am nächsten Tag neuen Messwein bestellen.

Der Erfolg gab mir aber recht. In der nächsten Woche hatte sich mein Publikum verdoppelt. Es waren zwei alte Menschen und ganze sechs Jungendliche da. Unter anderen der junge Mann vom letzten Mal mit seiner Freundin und irgendwelche seiner Bekannten. Wieder ging ich auf die Kanzel und weil ich mich aufgrund eines langen Katers genau so wenig auf die Predigt vorbereitet hatte wie letztes Mal, las ich einfach per Zufall: „Und er nahm die fünf Brote und zwei Fische und sah auf gen Himmel, dankte und brach die Brote und gab sie den Jüngern, und sie aßen alle und wurden satt.“

„Hä?“, fragte eine der jungen Frauen, „Kapier ich nicht.". „Das bedeutet, wenn man das, was man hat teilt, bekommen alle genug.“, versuchte ich eine Erklärung. „Ich will nicht teilen,“ sagte die Frau, „ich dachte, hier gäb es was umsonst.“ Die Jugend in der Kirche schaute enttäuscht und so bemühte ich mich weiter zu erklären: „Da die Kirche aber so viel mehr besitzt als ihr, bekommt ihr nur und müsst nichts geben.“

„Wieder bei dir zu Hause?“ fragte die Freundin, die schon mal bei mir gewesen war.„Natürlich, wenn Gott, oder ihr es so wollt.", sagte ich und nachdem wir auch noch zwei Christenrock-Lieder gehört hatten und ich dann noch ein Vaterunser vorgebetet hatte, feierten wir am Abend eine kleine aber feine Party. Am nächsten Tag versetzte ich erst einmal das Kirchensilber, um mir wieder was zu Essen zu kaufen, da alle Vorräte leer geworden waren, inklusive Messwein und Kirchenschnaps, aber ich schien auf dem rechten Weg zu sein.

In der nächsten Woche war die Kirche dann schon halb voll. Zwar waren die Alten bis auf einen alle weg, aber dutzende Menschen der jungen Generation hatte ich mit meinen Neuinterpretationen erreicht. Die Eltern der Kleinstadt versuchten noch ihre Kinder vom Gang in die Kirche abzuhalten, um sie vor einer Alkoholvergiftung zu bewahren, aber die Kinder waren so gläubig geworden, dass sie trotz aller Widerstände kamen.

Ich selbst musste aber einsehen, dass ich etwas zu weit gegangen war. Ich und die Kirche besaßen fast keine Ressourcen mehr zum Verteilen. Und eine Party für so viele Menschen wäre ruinös. Deshalb hatte ich mir diesmal gezielt einen Abschnitt aus der Bibel für die Predigt herausgesucht, der den jungen Menschen klar machen sollte, dass unser Leben nicht nur aus Partys bestehen konnte. So predigte ich: „Der Knecht aber bleibt nicht ewiglich im Hause; der Sohn bleibt ewiglich.“

„Was bedeutet das?“ rief jemand von hinten. „Was soll das?“ jemand von vorne und aus der Mitte fragte jemand demütig: „Wann geht die Party jetzt los?“. „Das bedeutet, dass ich hier noch häufiger hinkommen muss, ihr aber auch woanders feiern könnt.“ schmetterte ich meine Interpretation der Jugend entgegen.

„Oder aber, dass dein Haus heute für alle offen steht.“ interpretierte einfach jemand selbst. „Genau, und dass wir nicht aufräumen müssen, weil wir ja wieder gehen.“, ging die Interpretation weiter. „Und das wir Pizza und Bier auf Rechnung bestellen dürfen, weil das ja alles an dein Haus geht.“, rief noch eine junge Frau hinterher. Ich versuchte noch dagegen zu argumentieren, aber der Sound des folgenden Punkliedes übertönte mich um Längen. Danach zog die Gemeinde in mein Haus und grölte dabei irgendwas mit: „Pastor im Himmel, gib uns unser Bier wie auch wir Saufen mit dir.“

Zwei Tage später war ich wieder nüchtern und in die Kirche eingezogen, weil die Rechnungen den Wert meines Hauses überstiegen hatten. Ich musste der Sache ein Ende setzen. Und diesmal für die Ewigkeit. Daher las ich die ganze Bibel bis ich eine passende Zeile für den nächsten Sonntag gefunden hatte. Diesmal war die Kirche brechend voll, nur alte Personen konnte ich nicht mehr entdecken. Etwas mulmig trat ich auf die Kanzel und predigte in höchster Not: „Wachet und betet, daß ihr nicht in Versuchung fallet! Der Geist ist willig; aber das Fleisch ist schwach.“

Im Chor riefen die jungen Menschen: „Und was bedeutet das?“.

„Das ihr stark sein müsst und diese Woche nichts bekommt.“, rief ich zurück. Die Reaktion war vernünftig und gläubig. Man diskutierte darüber mich zu kreuzigen. Nur ein paar Altchristen waren, friedfertig wie sie sind, für Steinigung, während moderne Interpretationen auch den Scheiterhaufen in Betracht zogen. Ich sah mich schon auf dem Weg zu meinem Schöpfer, aber da ich meinen Vater noch nie sehr leiden konnte, fiel mir im letzten Moment noch ein: „Das kann man natürlich auch so interpretieren, dass ich die Stärke haben soll die Kirche zu verkaufen, damit ihr eure Riesenparty haben könnt.“ Und die Gemeinde schrie laut wie aus einer durstigen Kehle „Amen.“, legte ein paar Deathmetal Scheiben auf und startete die Feier direkt in der Kirche.

Die Party dauerte drei Tage und drei Nächte. Noch mal so lang dauerte es bis die meisten wieder aufstanden. Sie wirkten wie schon mal gestorben, lächelten aber wie erleuchtet, was wohl daran lag, dass sie die Kirchenglocken gegen gutes Hasch getauscht hatten. Vier Tage später war es ruhig geworden in der Kirche. Und da ich keinen Zutritt mehr hatte, die alten Leute, welche die Kirche gekauft hatten, ließen mich nicht mehr rein, konnte ich keine neuen Predigten mehr riskieren. So teilte ich der großen jungen Gemeinde vor der Kirche mit, dass meine Kirche pleite sei und im Weggehen las ich ihnen noch ein bisschen aus meiner Bibel vor, das einzige Objekt was mir geblieben war: „Selig sind die geistig Armen, denn ihnen gehört das Himmelreich.“.

Die Krawalle die darauf ausbrachen und die beiden Städte vernichteten, waren verständlich. Die Jugend war sich sicher, dass sie in Himmel und Reich lebten und, da sie ja geistig und arm waren, es auch verkaufen, versetzen oder anzünden durften. Ich hatte mich diesmal aber rechtzeitig aus den Staub gemacht. Und wenn Sie zufällig noch einen Pfarrer suchen, der auch ihre Gemeinde „erleuchtet“, melden Sie sich. Bei mir ist selbst das Armageddon kein leeres Versprechen, sondern nur eine Frage der Interpretation.

Jean Trauerweide

Der Autor hat eine Menge Kurzgeschichten und mehrere Bücher verfasst. Das meiste davon sind Originalausgaben, die bislang nur einem exklusiven Kreis von Freund*innen zugänglich sind. Im grünen blatt dürfen wir die eine oder andere der aus dem Politleben des Schreibers gegriffenen und oft witzig überzogenen Geschichten abdrucken, von denen Jean Trauerweide in einer Inhaltsangabe sagt: "Manche dieser Geschichten sind politisch korrekt. Oder überhaupt politisch. Dies ist keine ernsthafte Literatur." Und: "Sämtliche Rechtschreibfehler stammen aus Freilandhaltung und sind antiautoritär erzogen worden."