2016-02:Das theologische System Luthers

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Wahrheit definieren, Andersgläubige ausgrenzen oder vernichten

Das theologische System Luthers

jb Luthers Kritik am Papst und dem ganzen dekadenten Kirchenapparat unter römischer Führung gehört zu den zentralen Bausteinen seines Heldenimages. Da das Papsttum damals (und noch immer) eine zentralistisch-hierarchische Inszenierung von Macht und Definitionsgewalt über Richtig und Falsch war, glänzt Luthers Beitrag im Lichte der Befreiung von diesem Joch. Dass Luther selbst aber ebenfalls in alle möglichen Richtungen den Einsatz maßregelnder oder gar vernichtender Gewalt forderte, sagt schon viel über den Reformator aus - wird aber gern übersehen. Noch weniger beachtet wird das Motiv von Luthers Kritik am Papsttum. Denn mitnichten ging es ihm um Befreiung, sondern von Beginn an war es ein Glaubenskrieg, d.h. Kritik ist nicht an Luthers Praxis, sondern auch an seiner theologischen Ausrichtung zu üben.

Papst und Luther rangen darum, wer die Wahrheit gepachtet hat und Sprachrohr Gottes ist. Zwar sind von Luther keine finanziellen Eskapaden ähnlich den Ablassbriefen bekannt, doch ansonsten zeigt sich der Wittenberger Reformator eher ähnlich dem Alleinvertretungsanspruch des römischen Glaubensführers. Er setzte seine theologischen Überlegungen ebenso absolut, hielt sich für unfehlbar und phantasierte immer wieder, dass seine privaten Ergüsse und Hasstiraden direkt von Gott kämen. Anfangs leitete er daraus „nur“ das Recht ab, andere belehren oder bekehren zu dürfen. Später entstand ein eliminatorischer Hass auf alle Andersgläubigen und Abtrünnigen. Diese waren in Luthers Sicht durchgehend eine Erscheinung des Teufels. Luthers Bann, verbunden mit ständigen Aufforderungen zum Mord, traf nicht nur Juden, vermeintliche Hexen („Zaubererinnen“) und aufständische Bauern, sondern auch viele ehemalige Weggefährten, die zum Teil nur in theologischen Details von ihm abwichen, aber trotzdem von ihm für vogelfrei erklärt wurden. Was Luther selbst drohte und zu seinem sicheren Tod geführt hätte, wenn er nicht die Allianz mit den Mächtigen gesucht und gefunden hätte, geschah nun vielen Anderen. Luther rief selbst dazu auf oder lieferte den legitimatorischen Hintergrund. In dieser Haltung ähnelt er denen, die heute als Fundamentalisten bezeichnet werden (z.B. Salafisten).

Aufruf zur Denunziation

Ganz im Stil der katholischen Inquisitoren des Mittelalters ruft Luther die Bürger zum allgemeinen Denunziantentum auf: „Und ein Bürger ist schuldig, wo solcher Winkelschleicher einer zu ihm kommt, ehe denn er denselbigen hört oder lehren läßt, daß er seiner Obrigkeit ansage und auch dem Pfarrherrn, des Pfarrkind er ist. Tut er das nicht, so soll er wissen, daß er als ein ungehorsamer Untertan seiner Obrigkeit wider seinen Eid tut und als ein Verächter seines Pfarrherrn (dem er Ehre schuldig ist) wider Gott handelt, dazu selbst schuldig ist und gleich auch mit dem Schleicher ein Dieb und Schalk wird.“[1]

Aufklärer auf Luthers Scheiterhaufen?

Luthers nimmt die Bibel beim Wort und interpretiert sie zudem auf seine Art, die er als direkt von Gott gewollt definiert und damit zum Maßstab erhebt. Jede Abweichung ist verwerflich, wenn nicht die Sprache des Teufels und daher auszurotten. Das ist Öl ins Feuer der Scheiterhaufen. Luther zum Begründer der Neuzeit und Meilenstein zur Aufklärung zu erklären, ist angesichts dieser fundamentalistischen Glaubensauslegung grotesk. Im Gegenteil wären diejenigen, die der Aufklärung den Weg bereiteten, in Luthers Denken Ketzer und somit des Teufels gewesen - egal ob sie Zeitgenossen wie Sebastian Castellio, Kopernikus waren erst später lebten wie Galileo Galilei und andere Weltentdecker.

Von Martin Luther ist eine kritische Äußerung über die zentrale These des Kopernikus überliefert: „Der Narr will mir die ganze Kunst Astronomia umkehren! Aber wie die Heilige Schrift zeigt, hieß Josua die Sonne stillstehen und nicht die Erde!“ (M. Luther) unter Berufung auf Jos 10,12-13 LUT, die aus Luthers wörtlichem Verständnis des Bibeltextes resultiert. Nach dieser Bibelstelle ließ Gott die Sonne für einen Tag stillstehen, woraus Luther folgerte, dass sie normalerweise in Bewegung sein müsse. Galilei zeigte, dass dieser Gedankengang keineswegs zwingend war, sondern der Effekt des Joshua-Wunders im heliozentrischen Weltbild besser beschrieben werden kann als im geozentrischen. Eine Ablehnung der heliozentrischen Lehre erfolgte von protestantischer Seite, allen voran Luther und Melanchthon.[2]

Dem Geiste Luthers waren auch andere Kirchenmodernisierer nahe: So nahmen sich Kopernikus' Gegner die Bibel als Waffe. Der Reformator Johannes Calvin beispielsweise zitierte in einem Bibelkommentar den 93. Psalm: „Der Erdkreis ist fest gegründet, nie wird er wanken“ und fragte: „Wer will es wagen, die Autorität von Kopernikus über die des heiligen Geistes zu stellen?“ Philipp Melanchton, ein Mitarbeiter Martin Luthers, wies auf Kohelet 1,4-5 hin, wo es heißt: „Eine Generation geht, die andere kommt. Die Erde steht in Ewigkeit. Die Sonne, die aufging und wieder unterging, atemlos jagt sie zurück an den Ort, wo sie wieder aufgeht.“ Luther selbst zog noch mehr über Kopernikus her: „Es ward gedacht eines neuen Astrologi, der wollte beweisen, daß die Erde bewegt würde und umginge, nicht der Himmel oder das Firmament, Sonne und Monde; gleich als wenn einer auf einem Wagen oder einem Schiffe sitzt und bewegt wird, meinete, er säße still und ruhete, das Erdreich und die Bäume gingen um und bewegten sich.“ Hier bezieht er sich auf Josua 10,13: „Und die Sonne blieb stehen, und der Mond stand still, bis das Volk an seinen Feinden Rache genommen hatte“.

So machte die Kirche weiter: Die Indexkongregation, also die Behörde, die zu jener Zeit für die kirchliche Druckerlaubnis oder Zensur von Büchern zuständig war, bezeichnete Galileis Werk als „ganz und gar der heiligen Schrift widersprechend“ und verbot den weiteren Druck und die Verbreitung von „Sidereus Nuncius“. Auch Kopernikus' „De Revolutionibus Orbium Celestium“ wurde auf den Index gesetzt. Von der kopernikanischen Lehre durfte nur noch als Hypothese gesprochen werden, nicht mehr als Erkenntnis oder dergleichen. ... Die harte Haltung der katholischen Kirche läßt sich durch die geschichtliche Situation zu dieser Zeit erklären. Zu Beginn waren es hauptsächlich Protestanten, die das kopernikanische System bekämpften. Da sie als Glaubensgrundlage ausschließlich die Worte der Bibel anerkannten, lehnten sie es ab, den Wortlaut zu interpretieren. ...

Schon zwanzig Jahre nach Galileis Tod wollten zahlreiche Leute eine Revision des Urteils gegen ihn erreichen. Die Kirche reagierte prompt und rehabilitierte Galilei - am 2. November 1992 (zitiert aus „Das kopernikanische Weltbild und die Probleme, es im christlichen Europa durchzusetzen“, http://astronomische-vereinigung-augsburg.de/artikel/ astronomiegeschichte/kopernikus-weltbild/).

Hass gegen Philosophen

Deutliche Ablehnung brachte Luther auch den Philosophen seiner Zeit entgegen. „Ich wenigstens glaube, Gott diesen Gehorsam zu schulden, gegen die Philosophie wüten [wörtl.: „bellen“, nach dem Bilde des Wachhundes] (...) zu müssen.“ (WA LVI 371) Der Hexen-, Ketzer- und Sektenjäger Luther verteufelt und verfolgt in seinem Wahn, der einzige wahre Verkünder des Evangeliums zu sein, alle, die von seiner Glaubens- und Moraldoktrin abweichen.M25f „Ebenso wie Erasmus habe ich auch Müntzer getötet; sein Tod liegt auf meinem Hals.“M78 Die Vernunft hatte sich laut Luther von einer erleuchteten Dienerin des Geistes Gottes zu einer „Teufelshure“ und „Teufelsbraut“, zu einem lästerlichen Weibstuck, „Frau Hulda“, zu einer Gegnerin Gottes pervertiert. Sie sei nun konstitutiv „Widersacherin Gottes“ und seines heiligen Willens und könne im Grunde nur noch „blinde Finsternisse“ vermitteln. Das „Spekulieren“ über Gott und die tragenden ontologischen und ethischen Grunderkenntnisse und -werte des menschlichen Lebens, dieses „Erklügeln“-Wollen der Wahrheit über Gottes und unseren Willen gehe grundsätzlich in die Irre und Leere. Die natürliche Vernunft sei in dieser Hinsicht nichts, total nichts“M79f (zum Streit mit Erasmus von Rotterdamm siehe u.a. in „Kampfplätze der Philosophie“ von Kurt Flasch).


Nicht nur Luther: Selbst Gegenspieler Müntzer ein Glaubenskrieger

Einer seiner Ex-Weggefährten, dann aber von Luther als vom Teufel besessen ausgestoßen, war Thomas Müntzer. Ihn beflügelte zunächst die Denkfreiheit, die aus den neuen Formen religiöser Betätigung folgte, und entwickelte diese zu einer revolutionären Perspektive weiter. Manch spätere politische Strömung hat Müntzer zur Gallionsfigur von Befreiungskämpfen erhoben. Doch war er wirklich der revolutionäre Gegenspieler, der auf das „Volk“ setzte statt auf die Fürsten, der also eine Befreiung statt eine modernisierte Herrschaft wollte? Armin Gebhardt tritt dem in seinem Buch „Thomas Müntzer“ (2004, Tectum in Marburg, 80 S., 19,90 €) vehement entgegen. Er beschreibt den Werdegang und die Meinungsverschiedenheiten zwischen Martin Luther und Thomas Müntzer als theologische Auseinandersetzung. Müntzer agierte zunächst nicht in der Sphäre der Bauern, als deren Anführer er erst spät, dann aber heftig und mit grausamen Ende für Zigtausende auftrat. Die Überhöhung, die Müntzer später insbesondere in der DDR erfuhr, basierte auf zahlreichen Ausblendungen, insbesondere der religiösen Ausrichtung von Müntzers Übernahme der Führung in aufständischen Strömungen. Viele derer, die heute als von jeweiligen politischen Strömungen oder nationaler Identitätsschaffung als Vorbilder oder gar Helden dargestellt werden, waren selbst in ideologische bis religiöse Machtkämpfe verwickelt. Eine emanzipatorische Perspektive, die auf die Befreiung der Menschen und deren Selbstentfaltung setzt, war selten bzw. wird von kaum einer Strömung heute als positiv gewertet. Held_innen sind die Rambos der Geschichte, die - oft mit viel Blut - ihre dogmatischen Ideen durchzusetzen versuchten.


  1. Hubert Mynarek: "Luther ohne Mythos", 29
  2. Wikipedia