2016-01:Wohlfühl-Film Projekt A

Aus grünes blatt
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Wohlfühl-Film „Projekt A“

Widerstand ist zwecklos, die Anarchie wird assimiliert!

jb Aus bürgerlichen Quellen gefördert, urheberrechtlich gut geschützt zwecks kommerziellen Erfolgs - schon der Rahmen hat mit Herrschaftsfreiheit eher nichts zu tun. Die verschiedenen Geschichten des Film „Projekt A“ passen dazu. Nur im Athener Stadtteil Exarchia weht ein kleiner Hauch revolutionärer Ideen, doch die Kamera streift diese nur – fast wie versehentlich. Prägend bleibt ein absurder Brandanschlag auf ein Feuerwehrauto, um den gedanklichen Abschied von militanten Aktionsformen vorzubereiten, den der Film im Folgenden beschreitet.

Die weitere Darstellung zeigt Menschen, die auch im spießigen Bereich als Schwiegertöchter und -söhne in Frage kommen dürften – und mit jedem der vorgestellten Projekte wird das ein Stück schlimmer. Am Ende steht der Exodus katalonischer Aktivist_innen in die Wildnis der Peripherie und die Organisierung der Lebensmittelversorgung als straff geführte, solidarische Landwirtschaft. Dort fällt auch der beeindruckendste Satz des Filmes: Ein Macher der Münchener SoLaWi „Kartoffelkombinat“ erklärt der zum Zuhören verdammten Vollversammlung, dass Transparenz nicht bedeute, dass alle alle Informationen haben. Das an Mitentscheiden offensichtlich desinteressierte Publikum applaudiert. Das ist Anarchie 2.0 – kompatibel zu Kapitalismus und bürgerlichem Rechtsstaat bis zum Abwinken. In Film und Werbung wird das auch gar nicht verschwiegen. Die „Herrschaft des Volkes“, wird zum Leitbild dessen, was die Filmemacher und ihre auserwählten Protagonist_innen vorschlagen. Zitat: „Individuelle Freiheit ist das höchste Gut und soll sich bestenfalls im Kontext von Demokratie und Gleichheit entfalten.“ Anarchie ist also am besten, wenn sie ein Teil der Demokratie wird. Genau das zeigt „Projekt A“ - und genau deshalb hat der Film mit Anarchie eher nichts zu tun.

Um nicht missverstanden zu werden: Die dargestellten Projekte sind aus ihrem jeweiligen Blickwinkel und bei Verzicht auf einen herrschaftskritischen Anspruch durchaus begrüßenswert. Aber damit sind sie eben genau das nicht: Anarchie. Anarchie ist der Anspruch, Herrschaft zu überwinden. Statt Experimente dieser Art und die Schwierigkeiten zu zeigen, das „richtige Leben im falschen“ zu erreichen, zeigt der Film, dass alles ganz einfach ist. Bürgerliches Leben und anarchistische Attitüde seien nicht nur vereinbar, sondern passten super zueinander. Da freut sich der Mainstream – und die langen Schlangen vor dem Kino sprechen eine deutliche Sprache. Es ist kaum zu erwarten, dass der Film kritisch beäugt wird: Anarchie verkommt zum Werbegag und zum Wohlfühlprojekt des Anarchischen im Bürgerlichen. Personen als Projekte zu bezeichnen, folgt erkennbar Marketinggründen. Dass jedoch alle dargestellten Fallbeispiele auf politische Positionen weitgehend verzichten, in den Binnenverhältnisse der Porträtierten klare Hierarchien ganz normal erscheinen und nirgendwo der Anspruch erkennbar wird, das Herrschaftskritische überhaupt zu thematisieren, deutet im günstigsten Fall darauf hin, dass hier ein Film entstehen sollte, der gut ankommt statt verändert. Im schlechteren Fall ist es das Ziel des Films, einen der letzten uneroberten Bereiche für den Kapitalismus einzugemeinden. Für Letzteres sprich leider einiges: Der peinliche Jubel der drei Hauptprotagonist_innen (beide Filmemacher und die Einzeldarstellerin) über den Applaus des bürgerliches Publikum, der bürgerlichen Presse und über die Großzügigkeit bürgerlicher Geldgeber, dazu die pressetaugliche Präsentierung und der kommerzielle Rahmen. „Projekt A“ wäre damit eher ein „Projekt Omega“ – nämlich das Ende der Idee der Anarchie. Der bürgerlich verklärte Kapitalismus ist so erfolgreich, weil er einfach alles vereinnahmt. Aus den Riots gegen die globalisierte Ausbeutung wurden Attac und andere Politikberatungsinstitutionen. Aus den - ohnehin kaum (noch) staatskritischen - Initiativen gegen Atom- und Gentechnik, gegen Freihandelsabkommen & Co. wuchs der Politkonzern Campact ... übrigens auch aufgebaut von ehemaligen Anarchist_innen, die in der heutigen NGO-Hauptstadt Verden eigentlich eine anarchistische Unterwanderung starten wollten. Arbeitstitel damals: „Projekt A“. Klingelt es? Der Film gemeindet nun die ganze Anarchie in die unpolitische Landschaft des Gutbürger_innentums ein. Dass ein stylischer Punk mit Doktortitel, der den gut bezahlten Staatsjob mit einem „Arbeit-ist-Scheiße“-Hemd verknüpft, diesen Film sogenannt „wissenschaftlich beraten“ hat, passt. Radikaler Charme ist nur noch in Attitüde - werbetaktisch umgesetzt in der kommerziellen Filmwerbung, in der - wie so oft - mit dem Filmgeschehen wenig verbundenen Hintergrundmusik und auf einigen verblassten T-Shirts rüber. Das war's. Warum auch mehr? „Ein solcher Lifestyle-Anarchismus wird vom Feuilleton geliebt und von der Kulturindustrie vereinnahmt, weil er gesellschaftliche Verhältnisse nicht wirklich in Frage stellt, mit der neoliberalen Ideologie kompatibel ist, aber einen rebellischen Glamour verbreitet“, kritisierte Peter Bierl 2015 in seinem Text „Making Anarchism a Threat again?“. Die meisten Anarchist_innen kommen aus gut situierten Schichten, fühlen sich dort wohl und dürften - von einigen identitätssichernden Scharmützeln mit der Polizei abgesehen - eher selten im Streit mit der Obrigkeit liegen. Sie sind die Revolutionsromantik in der Begleitfolklore des Unabwendbaren, zu der politischer Protest heute fast überall verkommt. „Projekt A“ macht aus der Anarchie ein Projekt zum Zugucken - gegen Bezahlung selbstverständlich. Das Publikum, selbst auf der Suche nach einfachen Lösungen, wie die eigene Lebenspraxis mit der Sehnsucht einer besseren Welt zumindest gefühlsmäßig in Einklang zu bringen ist, wird „Projekt A“ nicht nur unreflektiert hinnehmen, sondern sich sogar freuen. Der Trailer belohnt sie gleich zu Beginn mit dem Spruch: „Keine Angst, es wird kein Putsch geplant.“ Wie schön, richtig niedlich. Und etwas später: „Das ist jetzt keine Revolution. Aber es hilft!“ Mit dem Ringen um Herrschaftsabbau hat das Ganze eher wenig zu tun - mit dem Kampf gegen die Herrschaftsverhältnisse in uns und um uns ohnehin nicht. Die komplizierte Idee, Herrschaftsfreiheit in einer herrschaftsförmigen Welt auszuprobieren, verschwindet im Film in einem Brei guten Willens und guten Gefühls. Nach der Premiere gab es denn auch keine Straßenschlacht, keine Kommunikationsguerilla, Besetzung oder Schwarzkopieraktion des urheberrechtsgeschützten Films, sondern Trinken und Tanzen. Prost A!


Zitate aus und über Film und Begleitmaterial

Projekt A

Chaos, Gewalt und Umsturz sind die Vorstellungen, die viele mit Anarchismus verbinden. Mit anarchistischer Lebenswirklichkeit und Utopie haben diese Assoziationen jedoch wenig gemein. In der heutigen Gesellschaft wird Anarchismus fälschlicherweise oft mit Zerstörung und Desorganisation gleichgesetzt, dabei existiert durchaus eine Organisationsstruktur (Gemeineigentum, Selbstverwaltung etc.). Diese aber wird hierarchie-, zwangs- und gewaltfrei gedacht, individuelle Freiheit ist das höchste Gut und soll sich bestenfalls im Kontext von Demokratie und Gleichheit entfalten.

Aus dem Blog der Internetseite zum Film (eine Art Tagebuch der Filmemacher) und dem Haupttext im Pressekit
Bedanken möchten wir uns an dieser Stelle auch bei allen Stiftungen und Gruppen, die uns die Filmtour ermöglichen: Petra Kelly – Heinrich-Böll Stiftung Bayern / Umdenken – Heinrich-Böll Stiftung Hamburg / Heinrich-Böll Stiftung Mecklenburg-Vorpommern / Heinrich-Böll Stiftung Sachsen-Anhalt / FAU Dresden / Attac Regionalgruppe Dresden / UT Connewitz / Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg / Bildungswerk Berlin der Heinrich-Böll-Stiftung / Stern e.V. / Kulturbüro Stadt Burghausen / FAU Regensburg / Ostentor Kino Regensburg / und manche die noch dazu kommen und andere, die wir vergessen haben.

Das Kartoffelkombinat ist nach der Selbstdefinition der Genossen kein anarchistisches Projekt, im Kontext des Films ist es für uns dennoch von großem Interesse. ... Die Vorstände Daniel und Simon vertreten einen pragmatischen Ansatz ohne einen ideologischen Hintergrund und verzichten auf einige der weitverbreiteten anarchistischen Organisationsformen, wie z.B. das basis-demokratische Entscheiden im Konsens.

Aus dem Blog des Kartoffelkombinats (die Macher kommen z.T. aus öko-kommerziellen Kreisen wie Utopia)
Nur 5 Prozent sind demnach als sehr aktiv einzustufen, weitere 18 Prozent weisen einen mittleren Grad an Aktivität auf. Der Großteil der Mitglieder, 77 Prozent, sind stille Genießer, die nur selten an gemeinschaftlichen Aktivitäten teilnehmen. ... Vegetarier und Veganer sind mit einem Anteil von jeweils 8 Prozent in der Minderheit.

Aus „Punk im System“ über den wissenschaftlichen Berater des Films, auf: DeutschlandRadio, 2.6.2014
„Arbeit ist Scheiße!“ Den Werbespruch der Anarchistischen-Pogo-Partei-Deutschland würde Peter Seyferth heute gewählter formulieren. Doch mit dem Inhalt identifiziert er sich noch. Und das, obwohl Peter einen ganz normalen Job hat. Er ist Dozent für Politik.

Als Peter Seyferth Dozent an der Uni in München wurde, musste er erstmal seine Klamotten wechseln. Er sah vorher aus wie ein klassischer Punk. Jetzt ist ihm eine gewisse Affinität zu dieser Lebenseinstellung immer noch anzuerkennen, doch kann er sich im Wissenschaftsbetrieb bewegen, ohne Aufsehen zu erregen. Er hat sogar einen Doktortitel.

Und noch einen Wandel musste Peter vollziehen: Bisher war er immer radikal, er wollte mit seiner Meinung provozieren. Jetzt als Dozent muss er auch andere Meinungen zulassen. „Wenn ein Student einen konservativen Standpunkt vertritt und diesen gut begründen kann, dann muss ich ihm zuhören und ihm sogar eine gute Note geben“, sagt er.

Obwohl Peter beruflich nicht mehr sonderlich punkig unterwegs ist - die Ideen findet er immer noch gut. Die Ablehnung jeglicher Herrschaft sitzt tief, sagt er. Und fragt sich: Wie kann man eine Gesellschaft ohne Machtstrukturen organisieren?