2014-03:Tar Sands

Aus grünes blatt
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Teil 6

"Tar Sands":
Nachhaltige Zerstörung von Urwäldern und Feuchtgebieten, Enteignung indigener Menschen und größter Einzelverursacher des Treibhauseffekts

fb Die bisherigen Teile dieses Artikels gaben einen Überblick über die Tar Sands-Vorkommen und die Ölindustrie in Alberta. Weiterer Fokus waren die ökologischen Auswirkungen der Tar Sands-Industrie und die Technologie der Rohölerzeugung aus den Tar Sands von der Konditionierung bis zum Upgrading. Zuletzt wurden die verschiedenen Abbauverfahren, insbesondere die In Situ-Technologie, genauer betrachtet.



In Situ-Verfahren vs. konventionelle Ölpumpen

Nach dem kurzen Einschub über verrückte Ingenieure, die mittels Atombomben Tar Sands unter Tage mobilisieren und abbauen wollten, geht es nun noch einmal zurück ins Reich der praktizierten In Situ-Technologien bei der Ausbeutung schwer erreichbarer Teersand-Lagerstätten.

Diese Abbauverfahren, bei denen Bohrungen vorgenommen und Rohstoffe aus der Tiefe zunächst "mobilisiert" und dann an die Oberfläche gepumpt werden, kommen nicht nur bei den Tar Sands zum Einsatz, sondern auch in anderen Bergbau-Bereichen. Von der konventionellen Ölgewinnung unterscheidet sich das Verfahren ganz wesentlich, auch wenn es auf den ersten Blick einige Ähnlichkeiten gibt.

Konventionelles Öl hat eine viel geringere Viskosität als die Teersande und ist dadurch deutlich fließfähiger als das Bitumen aus den Tar Sands. Bei einer konventionellen Öllagerstätte wird das Öl durch Energien aus der Gesteinsformation, z.B. Wasserdruck oder Erdgas, an die Oberfläche gepresst. Mit der Zeit verringert sich dieser Druck natürlich, dann kommen Pumpen und fortgeschrittene Gewinnungstechnologien zum Einsatz, um das Lager weitmöglichst auszubeuten.

Im Gegensatz dazu führen die hohe Viskosität des Bitumens im Zusammenspiel mit den niedrigen Temperaturen in der Lagerstätte dazu, dass der Rohstoff nicht fließt. Dadurch wird es schwierig die Tar Sands aus den Tiefen durch Bohrlöcher an die Oberfläche zu befördern. Die In Situ-Technologien brauchen daher etwas, um das zähe Bitumen zu mobilisieren - in der Regel geschieht dies durch Einführung von Hitze in die Formationen. Meist wird dazu oberirdisch Wasserdampf erzeugt - unter Verbrennung von Erdgas - und unter hohem Druck in den Untergrund gepresst. Die Hitze verflüssigt das Bitumen, reduziert seine Viskosität und macht ein Abpumpen erst möglich. Im Gegensatz zur konventionellen Erdölgewinnung erfordern In Situ-Tar Sands-Verfahren also die zusätzliche Verbrennung fossiler Rohstoffe - die sie eigentlich einsparen sollen.

Verharmlosung der Bitumen-Industrie

Scheinbar, um zu zeigen, dass die Verwendung von Tar Sands-Bitumen keine Erfindung der Industrie ist, zählt das Oil Sands Discovery Centre historische Einsatzbereiche auf. Indigene, die dieses Material als Dichtungsmasse verwendeten, um ihre Birkenrinden-Kanus wasserundurchlässig zu machen, müssen ebenso für die Propaganda der Ölindustrie herhalten, wie kleinere kommerzielle Anwendungen in allen möglichen Bereichen. Bedauert wird nur, dass das nahe Fort McMurray gewonnene Tar Sands-Bitumen bis vor einem halben Jahrhundert nicht konkurrenzfähig war und deshalb nicht sehr weit über die Region hinaus zum Einsatz kam.

Eine frühe Motivation Bohrungen in tiefe Tar Sands-Lager vorzunehmen, war wohl auch die Fehlannahme, dass unterhalb davon gewaltige konventionelle Ölbassins zu finden wären.

Brennende Geschichte

Die folgenreiche Erfolgsstory der Tar Sands-Industrie führt stolz auch die Produktionsstätte des Bergbau-Ingenieurs Max W. Ball auf, die am Horse River nahe Fort McMurray gelegen war. Unter dem Namen Abasand Oils Limited residierte sein Unternehmen ab 1936 in der Region und versuchte Gewinn aus der Ausbeutung der Natur zu schlagen, indem die Tar Sands der Petroleum-Wirtschaft schmackhaft gemacht werden sollten. Die Anlage brannte 1941 ab, wurde wieder aufgebaut, und brannte 1945 wieder ab. Kommentar der Tar Sands Lobby: "Abgesehen von diesen Problemen war das Projekt eine entscheidende technologische Weiterentwicklung". Leider führten derartige "Erfolgsgeschichten" nur zur Schließung des Unternehmens, nicht aber zur Beendigung der Versuche Teersande in großindustriellem Maßstab abzubauen.

Die Geschichte dieser Industrie beginnt aber schon 1670 mit der "Hudson's Bay Charta", die in Winnipeg, in der heutigen kanadischen Provinz Manitoba, unterzeichnet wurde. Damit begann offiziell der "Handel" mit den First Nations, was nichts anderes bedeutete, als dass per königlicher Urkunde durch Karl II. der Hudson's Bay Company (HBC) das Monopol auf Pelzhandel und andere Aktivitäten im riesigen Einzugsgebiet der Hudson Bay eingeräumt wurde. Die Indigenen mussten dann quasi nur mit diesem "ältesten kanadischen Unternehmen" Handel betreiben. Aus dem Netzwerk der HBC-Handelsposten sollen sich die späteren offiziellen Behörden des westlichen Kanadas und USA entwickelt haben.[1]

Mit dem Vorlegen von Tar Sands-Proben in York Factory, dem HBC-Hauptquartier, durch Cree-Vertreter Waupisoo erfolgten die ersten Schritte zur Ausbeutung dieses Rohstoffes schon in der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert. Ende des 18. Jahrhunderts stachen vor allem die britischen Erkunder Alexander MacKenzie (Schottland) und Peter Pond (England) hervor, von denen ersterer die erste detaillierte Beschreibung der Tar Sands sowie von Lagerstätten verfasste, während letzterer der erste Europäer sein soll, der diese zu sehen bekam.

Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Athabasca Tar Sands vom kanadischen Geological Survey erstmals begutachtet. Zu dieser Zeit etwa wurde auch eine HBC-Poststation im weiteren Umfeld der Lagerstätten eingerichtet. Von 1900-1910 bohrte dann Alfred von Hammerstein erfolglos nach Öl in der Region und stieß stattdessen nur auf Salzlager. Auch die ersten In Situ-Experimente geschahen zu dieser Zeit durch Jacob Absher.

Ansätze einer Theorie zur Verarbeitung der Teersande einschließlich Heißwasser-Separationsverfahren und futuristischen Einsatzgebieten entwickelte Dr. Sidney Ells zwischen 1914 und 1919, während er Tar Sands-Aufschlüsse in den Provinzen Alberta und Saskatchewan untersuchte. Zum Anfang der 20er Jahre wurde dann durch Dr. Karl A. Clark und Sidney M. Blair eine kleine Separationsanlage errichtet.

1924 bis 1930 begann die McMurray Asphaltum and Oil Company mit Experimenten zur Verwendung der Tar Sands als Straßenbelag. Am Bitumount errichtete Robert Fitzsimmons eine Heißwasser-Separationsanlage, die im Sommer 1930 300 Barrel Bitumen produzierte. Nun steigerten sich die Produktionszahlen immer weiter. Zwischen 1936 und 1945 wollte der schon genannte Max Ball Pachtverträge - wohl gemerkt nicht mit den indigenen Menschen, deren traditionelles Land hier ausgebeutet und zerstört werden soll, sondern mit den kanadischen Behörden - erwerben und plante eine Anlage, die täglich 400 Tonnen Tar Sands verarbeiten sollte. Abasands Oils Ltd. brannte aber immer wieder ab...

Der großindustrielle Einsatz begann schließlich 1967 mit dem Start der Tar Sands-Fabrik von Great Canadian Oil Sands Limited (GCOS, heute Suncor)[2], die täglich 45.000 Barrel Öl produzieren sollte.

Renaturierung

Das kanadische Gesetz schreibt vor, dass die Industrie nach der Ausbeutung des Bodens den ursprünglichen Naturzustand wiederherstellen muss[3]. In Kanada wird das als "Reclamation" bezeichnet. Die gängige Praxis ist allerdings keinesfalls, dass die zerstörten Biotope und Ökosysteme wieder hergestellt würden - das wäre wohl auch kaum möglich. Vielmehr scheint es zu genügen, wenn nach dem Bergbau alles wieder "grün" ist. D.h. es werden ein paar Bäume angepflanzt, teilweise Gras ausgesät. Weder sind die alten Lebensgemeinschaften nach dem industriellen Eingriff wieder da, noch ist überhaupt irgendeine ökologische Vielfalt gegeben. In der Regel handelt es sich um Monokulturen mit wenigen Arten und Altersklassen-Wälder ohne Diversität.

Die wenigen "Renaturierungs"-Projekte der Tar Sands-Industrie werden werbewirksam präsentiert und sollen suggerieren, dass nach der Zerstörung der Ökosysteme und Rohstoffgewinnung alles wieder gut ist. Beispiele hierfür sind der Crane Lake, der wie ein Naturlehrpfad hergerichtet ist, oder der Bison View Point, wo Tourist*innen "Büffel" in einer Graslandschaft vorgeführt werden. Beides sieht auf den ersten Blick nett aus, bei näherer Betrachtung wird aber schnell offenkundig, dass keinerlei ökologische Qualität besteht.

Der erste Eindruck am Crane Lake ist blühende Natur - ein See, diverse Wasservögel, ein Birkenwäldchen, Nadelwald, und ein Wanderweg mit vielen Tafeln führt einmal rings herum. Wer sich mit Ökologie nicht auskennt, wird nicht bemerken, dass die Artenvielfalt beschränkt, der Wald ein gleichaltriger Forst ist und dass die standorttypischen Arten fehlen. Es ist eine einfache Kulturlandschaft, wie sie für einen Park geeignet wäre. Dieses (von der Tar Sands-Lobby) hoch gepriesene Renaturierungs-Vorzeigeprojekt hat dagegen rein gar nichts von dem wieder hergestellt, was dort einst war. Und dabei wäre es hier sehr leicht gewesen, verglichen mit den Altlasten, an die sich - in diesem Falle seitens Suncors - noch nicht herangetraut wurde. Denn unter dem grünen Mäntelchen liegt "lediglich" ein Tagebau, kein Tailing Pond...

Im Interview mit dem Chief der indigenen Community, die hier für die Tar Sands-Industrie gearbeitet hat, erklärte dieser, dass sie vorgeschlagen hatten die standorttypischen Arten anzupflanzen und auch eine höhere Zahl von Arten zu verwenden. - Aber selbst diese kleine Verbesserung war der Industrie trotz Modellcharakter des Standorts zu teuer und aufwendig.

Was dann eigentlich auch unwissenden Touristen beim Besuch des Crane Lake auffallen müsste, ist der Gestank nach Petroleum, der überall vorherrscht, und leicht Kopfschmerzen verursacht. Außerdem sind in kurzen Abständen die Propanexplosionen zu hören, die die Wasservögel vom verderblichen Landen in den Tailing Ponds abhalten sollen - was oft nicht funktioniert. Das ganze ist so überhaupt nicht "erholsam" - entgegen dem ersten Eindruck. Einige Hochstände im Wald rund um den Crane Lake ermöglichen nicht nur den Blick über die Reclamation-Fläche, sondern auch auf die umgrenzenden Gebiete. Wohin mensch blickt sind da Anlagen der Ölindustrie zu sehen. Selbst mit seinen Mängeln ist Crane Lake doch eine winzige Insel in einer viel kaputteren Umgebung...


Fortsetzung folgt! Weiter geht es mit diesem Hintergrundbericht in der nächsten Ausgabe.

Dieser Artikel basiert auf Vorort-Recherchen in Alberta, Interviews mit Vertreter*innen von kanadischen Umwelt-NGOs, First Nations, aus Ölindustrie und Politik sowie auf Internet-Recherchen.


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