2011-02:und nächstes Mal... Die Konsumfrage

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Floh Als Titelthema für die Herbstausgabe, die Anfang November pünktlich zum Castor erscheinen soll, haben wir ein Thema gewählt, zu dem es zwar sowohl in der Öko-Bewegung wie auch in der Linksradikalen viel zu lesen gibt, allerdings wenig Sinnvolles: Die Frage danach wie was und ob mensch im Kapitalismus konsumieren soll oder kann.

Kinderarbeit, Umweltzerstörung, Tierausbeutung,... alle Missstände dieser Welt sollen durch die „richtige“ Entscheidung am Einkaufsregal behoben werden. Der Kunde_die Kundin sei also auch insofern König, dass er_sie über die Verhältnisse auf der Welt durch die eigenen Kaufentscheidungen entscheiden könne. Die bürgerliche Umweltbewegung fällt fast durchgehend auf diese systemstützenden LOHAS[1]-Märchen rein. Kein Wunder: Wer das Geld hat um bei Alnatura oder Reformhaus einkaufen zu gehen, schiebt die Schuld gerne auf diejenigen, die konventionell bei Aldi oder Lidl einkaufen gehen. Um nicht falsch verstanden zu werden: konventionelle, industrielle Landwirtschaft ist ein riesiges Problem, dessen sich besser heute als morgen entledigt wird. Aber diejenigen, die bei Aldi einkaufen, weil sie sich die gesünderen, ökologischer hergestellten Bio-Waren nicht leisten können, können insgesamt einen weit niedrigeren ökologischen Fußabdruck haben als die LOHAS-Mittelschicht – beispielsweise, weil sie nicht zweimal im Jahr nach Indien fliegen (nicht einmal unbedingt aus ökologischen Gründen, sondern weil sie es sich eben nicht leisten können).

Die „richtige Kaufentscheidung“ ist nicht mehr als ein moderner Ablasshandel, bei dem ausgerechnet jene sich von ihrer Schuld freikaufen wollen, die sich eine gesunde Ernährung leisten können. Eine ökonomische Analyse darüber, ob mit der Konsumentscheidung die zerstörerische Potenz des Kapitalismus relevant abgeschwächt werden kann, bleibt aus. Tatsächlich ist es wohl mehr die kapitalistische Grundlogik und Anreizsetzung, als die falschen Konsumgewohnheiten der Menschen, die für Zerstörungen aller Art verantwortlich sind, obwohl das eine natürlich zum anderen gehört. Oder anders gesagt: Ein wirklich ökologisches Konsumverhalten wäre scheiße für den Kapitalismus.

Die sogenannte „konsumkritische Bewegung“ ist größtenteils gar keine, sondern vielmehr eine „Konsumbewegung“ weil sie den Hebel für Veränderungen ja gerade im Konsum sehen. Aus einer herrschaftskritischen Sicht ist das besonders kritisch zu sehen, weil Entscheidungsmöglichkeiten hochgehalten werden, die bloß Entscheidungen zwischen A, B und C sind, also fertige Pakete vorhandener Entscheidungen, zwischen denen dann gewählt werden kann. Echte Entscheidungsmacht müsste aber die Entscheidung darüber ermöglichen was, wo, wie, wann, warum produziert wird.

Nicht besser, sondern nur anders blöd, sind jene Positionen zum Thema Konsum, die sich in der radikalen Linken derzeit zum Mainstream entwickeln. Die Redaktion der „Straßen aus Zucker“ fragt sich, ob es verkehrt ist, wenn sie in ihrer WG lieber bei McDonald’s was zu essen holen als selber zu kochen, bevor sie den Blockbuster konsumieren, und wie das mit Pornos sei. Das sei schon alles korrekt, geben sie sich selber die Antwort, weil es ja im Falschen nichts Richtiges gäbe (bei den Pornos differenzieren sie da noch, muss mensch ihnen zugute halten). Anstatt die falsche, bürgerliche Konsumkritik zu entlarven und sie um die Erkenntnis zu ergänzen dass es innerhalb kapitalistischer Logik keine korrekte Produktion geben kann und deshalb Konsum auf dem kapitalistischen Markt so weit wie möglich durch selbstorganisierte Lösungen zu ersetzen ist, wird der kritiklose Konsum kapitalistisch produzierter Güter zur unverkürzten Praxis verklärt. Und die Marken, die besonders in der Kritik der Konsum(-kritik)bewegung stehen werden zu progressiven Symboliken umgedeutet.

Wo Pest und Cholera als Pole einer binären Debatte zur Auswahl stehen, ist es Zeit ihnen tatsächlich emanzipatorische Alternativen entgegenzusetzen. Und zwar in Theorie und Praxis! Für die nächste Ausgabe wünschen wir uns also möglichst viele Beiträge zu einer tatsächlichen Konsumkritik genauso wie praktische Tipps um dem scheinbar alternativlosen Konsumwahn doch zu entkommen. Da das grüne blatt weiterhin ein offenes Medium ist und nichts gegen etwas mehr Kontroversität spricht, sind ebenfalls Artikel willkommen, die Positionen der beiden hier kritisierten Richtungen vertreten – oder ganz andere...

  1. „Lifestyles of Health and Sustainability“ (Lebensstile der Gesundheit und Nachhaltigkeit)