2011-02:Was tun wenn's grünt?

Aus grünes blatt
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Der Kapitalistenstaat will kein Atomstaat bleiben und färbt sich grün. Was heißt das für die radikale Umweltbewegung?

Die menschgemachte Tragödie von Fukushima ist bei weitem nicht zu der Wende geworden, die sie hätte sein müssen. Aber sie hat in Deutschland zu Entwicklungen geführt, auf die wir als emanzipatorische[1] und antagonistische[2] Umweltbewegung eingehen sollten. Dieser Artikel zielt nicht auf die rege Tätigkeit an der Basis der Anti-AKW-Proteste (die ja mal wieder ein neues Level an Aktivität erreicht hat und eine Untersuchung durchaus wert wäre), sondern auf das, was auf staatsoffizieler Seite passiert. Hier sind zwei parallel zueinander laufende Entwicklungen zu beobachten.

Zum einen der fortgesetzte Höhenflug der Grünen. Trotz federführender Beteiligung an der vorletzten Verlängerung der AKW-Laufzeiten, trotz weiterreichender Anti-Atomposition der Linkspartei, haben sie ganz maßgeblich von den Ereignissen profitiert – der „Markenkern“ der Parteien war wichtiger als ihre Politik. Die Grünen verzeichnen nicht nur bundesweit steigende Umfragewerte, sondern auch Erfolge bei Kommunal- und Landtagswahlen, bis hin zum ersten grünen Ministerpräsidenten in BaWü. Der provoziert die Debatte über Schwarz-Grün auf Bundesebene, und auch wenn noch beide Seiten entsetzt dementieren, ist fraglich, wie lange das noch so sein wird. „Zahlreiche unüberwindlich scheinende Hürden für eine Zusammenarbeit mit der Union haben die einstigen Ökopaxe längst beiseite geräumt, indem sie während ihrer Regierungszeit mit den Sozialdemokraten ihre Skrupel gegenüber deutschen Kriegsbeteiligungen, sozialem Kahlschlag und dem Abbau von Bürgerrechten überwanden. Wer Schröder, Clement und Scharping überlebt hat, hält es auch mit Merkel, Schäuble und de Maizière aus.“ (Pascal Beucker, Jungle World 25/2011). Es wird immer klarer wohin die Reise der Grünen geht: Von der Allianz der konservativen mit den linken/linksradikalen Umweltschützern, über die Entledigung von allen radikalen Strömungen, zu der Partei die den Kapitalismus mitgestalten darf bis hin zur Impulsgeberin und Vordenkerin des nächsten Kapitalisierungsschubes.
Die Grünen sind dabei nicht nur die Partei des mittelständischen Bürgertums, dass jenseits von Sozialer Frage und ernstgemeinter Kapitalismuskritik einen vermeintlich nachhaltigen Lebensstil praktizieren will (und sich das auch was kosten lässt). Wichtiger noch ist wen die Grünen ökonomisch repräsentieren: Die Eigenheimbesitzer_innen mit Solaranlage auf dem Dach, die Biobäuer_innen, die Hersteller, Installateure und Betreiber von Solaranlagen und Windrädern – sie alle verdienen als Kapitalist_innen durch Ausbeutung von Arbeitskraft und Vernutzung der Natur gutes Geld, und sie wollen eine Partei die eine für sie günstige Politik macht. Der gleichzeitige Niedergang der FPD ist kein Zufall, sondern Symptom dafür, dass die Grünen inzwischen besser im Bedienen von Kapitalinteressen sind.

Bei weitem nicht gegen alle Kapitalinteressen gerichtet ist auch die zweite Entwicklung,, die „Energiewende“, ein Begriff der weder ganz richtig noch ganz falsch ist. Die Kapitalist_innen die ihr Geld mit erneuerbaren Energien verdienen (und deshalb von manchen in der Bewegung regelrecht beworben werden) haben schon immer ein wirtschaftliches Interesse die AKWs zurückzudrängen. Auch die vier großen Energieriesen pumpen große Mengen an Kapital in erneuerbare Energien. Die Frage war immer nur, wie lange sie noch mit den AKWs Geld drucken dürfen, auf das danach sind sie gut vorbereitet. Außerdem werden selbst am aufwändigen Abbau der AKWs noch andere Leute Geld verdienen (und das erworbene Know-How vielleicht eins Tages sogar exportieren können).
Der Atomausstieg passt also sehr gut zu der Form des Kapitalismus die wir gerade erleben. Trotzdem: Vor einen halben Jahr war ein derartig weitreichender Ausstiegsbeschluss kaum vorstellbar. Das bezieht sich weniger auf das konkrete Ausstiegsjahr 2021, als auf die Tatsache, dass 8 AKWs (fast die Hälfte!) auf einen Schlag ausgeschaltet werden und der Rest in Etappen. Sicherlich, die Forderung nach dem sofortigen weltweiten Atomausstieg hat nichts von ihrer Richtigkeit verloren. Die Verschiebung der realpolitischen Koordinaten ist dennoch erstaunlich. Das wird auch für radikale Politik Konsequenzen haben. Es ist durchaus denkbar, dass der Zulauf zu den Anti-Atomaktionen jetzt wieder abnehmen wird, auch eine stärkere Delegitimierung im bürgerlichen Diskurs ist möglich.
Wichtiger noch als das Ende der AKWs ist der beschlossene Ausbau der Erneuerbaren Energien. Bisher erstaunlicher Weise selten kritisiert, sind diese Pläne alles andere als emanzipatorisch. Vorgesehen sind große, zentralisierte Anlagen vor allem im Norden des Landes (die Energieerzeugung würde zentralisierter erfolgen als durch die AKWs) und ein massiver Ausbau der Hochspannungsleitungen quer durchs Land. Dargestellt wird dies als die einzige mögliche Form der Nutzung Erneuerbarer Energien. Hier ist ein energischer Widerspruch in Theorie und Praxis nötig!

Zunächst einmal war und ist die Diskussion wie viele AKWs oder auch Windparks und Hochspannungsleitungen es brauche um „die“ Gesellschaft mit Strom zu versorgen schon immer absurd, weil nie die Frage gestellt wurde, was für eine Gesellschaft da mit Strom versorgt wird. Rüstungsindustrie, Massentierhaltung, Werbeapparate, Gefängnisse, Polizei und Militär sind nur ein paar Beispiele für Dinge, die in der bürgerlichen Gesellschaft Strom verbrauchen, nach einer Revolution aber vom Netz gehen würden ohne das sie jemand vermisst. "Die Versorgung von Bayer, BMW und BASF mit (bezahlbarem) Strom soll also ab sofort gemeinsames Ziel aller „Deutschen“ sein und besonders das von Atomkraftgegner_innen."[3] Aber welches Interesse haben wir daran, dass mit Ökostrom von der Nordsee in Süddeutschland Panzer gebaut werden?
Auch die konkrete Produktion und Verteilung dieses Stromes wird hochgradig unsozial und unökologisch abgewickelt werden. Um das Land mit Hochspannungsmasten zuzupflastern wird nicht nur einiges an Fläche verbraucht werden, es muss auch Eisenerz gefördert und zu Stahl geschmolzen werden – Szenen die dem deutschen Biobürgertum sicher nicht gefallen dürften, sich aber auch nicht unter ihrer Nase abspielen. Oberirdische Hochstromtrassen (die unterirdische Alternative wird aus Kostengründen kaum genutzt) führen sehr wahrscheinlich zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen wie z.B. erhöhten Raten von Kinderleukämie; von Geräuschbelästigung einmal abgesehen. Windräder können (je nach Standort) eine ökologische Beeinträchtigung für Vögel sein und durch Schlagschatten und Geräuschentwicklung der menschlichen Lebensqualität abträglich sein. Es gibt immer mehr unterstützenswerte Initiativen von Betroffenen, die sich gegen solche Projekte wehren. In der Diskussion um die „Energiewende“ kamen sie kaum vor, und wenn, dann um sie lächerlich zu machen.
Das passt gut, denn die zentralisierte Stromversorgung bedeutet zudem immer eine Zentralisierung von Macht und begünstigt dadurch eine herrschaftsförmige Organisation der Stromerzeugung. Das früher mal um eine dezentrale regenerative Stromerzeugung gestritten wurde, erscheint heute kaum noch vorstellbar. Der Begriff des Atomstaates soll auf den Punkt bringen, dass das Kapital die AKWs nur betreiben kann, solange ihnen der Staat den Rücken freiprügelt. Über die „Energiewende“ lässt sich aber letztlich das Selbe sagen. Sie ist eben kein Programm mit dem vorrangigen Ziel das Leben der Menschen zu verbessern (solche Programme kann es im Kapitalismus nicht geben), sie schafft vor allem dem ewig zur Suche nach Absatzmärkten verdammten Kapital neue Investitionsmöglichkeiten.
Unsere Kritik sollte daher nicht bei Zentralisierung stehenbleiben oder sich nur auf die Forderung nach unterirdischen Hochspannungsleitungen beschränken. Kapitalismus funktioniert auch dezentral gut, schon allein deshalb kann Dezentralisierung kein Wert für Sich sein. Genauso unsinnig erscheint mir die in der letzten Ausgabe aufgewärmte Debatte, die Öko-Stromkapitalist_innen davon überzeugen zu wollen, dass es viel besser für sie sei, nicht mehr als Kapital zu agieren, sondern zu einer Sektion der Anti-AKW-Bewegung zu werden. Hier scheint mir eine Fiktion vorzuliegen, wonach wer sein Geld mit Erneuerbaren verdiene eine besonders hohe Moral hätte und deshalb keinE richtiger Kapitalist_in sein könne. Es ist ein historischer und ökonomischer Fakt, dass die Vertreter_innen des Kapitals immer alles tun, um ihr Kapital zu erhalten. Die Vorstellung, dass in einer Gesellschaft die durch die abstrakt vermittelten Zwänge des Marktes strukturiert wird, mit Kapitalist_innen sachlich diskutiert werden kann, dass Kapitalist_in sein sich gar nicht für sie lohnt, erscheint mir weltfremd. Das Kapital (auch das kleine) ist nicht Opfer des Kapitalismus, und die Profiteure des Status Quo bringen keine positiven Veränderungen auf den Weg. Gerade jetzt, wo eine historisch aus der Umweltbewegung hervorgegangene Partei zu einem der angesehensten Repräsentanten des Kapitals geworden ist, müssen wir grundsätzlich betonen: Der Kapitalismus in all seinen Spielarten ist das Problem, weil er auf der endlosen Anhäufung von Kapital durch Ausbeutug basiert, weil er in einer endlichen Welt endlos wachsen muss und menschliches Glück und dem Schutz unserer Umwelt nicht im Mittelpunkt von Produktion und Verteilung stehen können. Wir dürfen deshalb nicht nur fragen, welche Technologie benutzt wird um Strom zu erzeugen (womit nicht geleugnet werden soll, dass auch im Kapitalismus das destruktive Potential von Windrädern kleiner ist als von AKWs). Anstatt immer nur von unbestimmt von der Zukunft der „Erneuerbaren“ zu sprechen, gehören weitere Fragen auf die Tagesordnung: Wem gehören die Anlagen? Welche Ziele haben die Betreiber_innen? Wo wird die Energie erzeugt? Wie wird sie transportiert? Welchen Einfluss haben die Betroffenen? Wofür wird der Strom produziert? Wer hat Zugang zu ihm und zu welchem Preis?
Wer diese Fragen herrschaftskritisch beantwortet, dürfte von allein in Opposition zu der Energiewende der Herrschenden geraten. Opposition heißt für mich nicht nur, sich vereinzelt Energieanlagen legal anzueignen und gegen bestimmte Formen der Energieerzeugung Widerstand zu leisten. Ziel muss sein, diese Kämpfe zuzuspitzen auf die Frage nach dem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem das hinter diesen konkreten Projekten (und vielen anderen) steht zu stellen . Egal ob Atomstaat oder Grüner Staat - wir haben es immer mit Staat und Kapital zu tun, die niemals die Verbündeten einer emanzipatorischen Bewegung werden können.


  1. Emanzipation: Befreiung des Menschen von Herrschaft
  2. Antagonismus: Grundsätzlicher Widerspruch zu etwas
  3. Zitiert aus "Ökostrom - zentralisiert oder selbstverwaltet?" von Floh, in der letzten Ausgabe des Grünen Blatts erschienen. Ein Artikel auf den ich später noch zu sprechen komme.