2011-02:Bloß weniger Wirtschaften, oder vor allem "ganz anders"?

Aus grünes blatt
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Ökonomie und Ökologie:

Bloß weniger Wirtschaften, oder vor allem „ganz anders“?

Floh Von der Unvereinbarkeit von Wachstum und Ökologie und Bewegungen die das erkennen, von der Unvereinbarkeit von Verwertungslogik und Ökologie und Bewegungen die das nicht erkennen. Von praktischen Ansätzen, die bloß alte Logiken reproduzieren, und welchen die es nicht müssten.

Eine neue Bewegung?

Wachstumsverweigerung, Décroissance, Postwachstumsgesellschaft, Schrumpfwirtschaft, Degrowth. Der Namen gibt es vieler einer neuen, sich hauptsächlich in Westeuropa breit machenden Bewegung, die Schluss machen will mit dem Wachstumszwang. Die erste Frage ist aber, ob es hier wirklich um eine Bewegung geht. Oder ob nicht alle verschiedenen Strömungen, die die simple Erkentniss teilen, dass endloses Wachstum bei endlichen Umweltressourcen nicht möglich ist, hier einfach zusammengeworfen werden. Von Anhänger_innen des elitären, patriarchalen Club of Rome, die diese Erkentniss erstmals massenwirksam verbreiteten, die heute aber hauptsächlich durch ihre Pro-Atom-Propaganda für den Klimaschutz auffallen, bis hin zu antikapitalistischen Strömungen. Von autoritären bis emanzipatorischen Bewegungen. Diese verschiedenen Strömungen sind genausowenig neu, wie sie sich vereinen lassen. Sie erhalten lediglich durch die Dringlichkeit der Klimaproblematik eine neue Brisanz. Ob es Sinn macht sie alle in einen Topf zu werfen um eine Bewegung zu konstruieren bleibt offen.

Der Green New Deal

Weiten Teilen der Anti-Wachstumsbewegung ist eine Kritik des Green New Deals gemein, also jener Programmatik, mit der der Kapitalismus eine Vereinbarkeit von Ökonomie und Ökologie suggerieren will. Vor einem Jahr, in der Sommerausgabe 2010 des grünen blattes schrieb Ernst Schnitter in einem Artikel über Décroissance : „Was ist zu tun angesichts der umfassenden Krise, die der Marktfundamentalismus zu verantworten hat? Der neoliberale Brandstifter spielt den Feuerwehrmann und hat die Antwort parat: Weiterwursteln! Das darf er aber nicht sagen. Deshalb tut er, was Ideologen in schwierigen Zeiten immer tun: Sie benennen um, was ihnen peinlich ist, und blockieren unser Denken mit einer Formel… Das neueste Beispiel in der Reihe der Worthülsen, mit denen man uns eine bessere Zukunft vorgaukelt, ist nun der ‚Green New Deal‘. Was damit gemeint ist? Weiterwursteln, aber grün und gerecht. Ein unauflösbarer Widerspruch! Die Farce wird dadurch zur Tragödie, dass politisch Rot und Grün einmal mehr als gelehrige Schüler das Spiel des liberalen Mentors mitspielen. Mäuse fängt man mit Speck und Rotgrüne mit dem Green New Deal.“

Diese Kritik ist wichtig, und diese Analyse macht die „Schrumpfungsbewegungen“, die ihre Schwerpunkte in Frankreich und England haben, sympathisch, gerade angesichts einer deutschen Umweltbewegung die aktuell die Möglichkeit feiert den, Green New Deal per Stimmabgabe groß rauszubringen. Durch den Green New Deal wird suggeriert den innerkapitalistischen Antagonismus zwischen der Notwendigkeit wachsender Produktion (und Absatz) und endlicher (und derzeit dem Ende sehr nahen) Umweltressourcen aufheben zu können, indem in jene Wirtschaftszweige investiert wird (und somit das Wachstum darauf gelenkt wird), die als grün gelten. Vom Ganzen her betrachtet ist das also der Versuch die Lösung in technischer Effizienzsteigerung zu suchen und so Wachstum und Ressourcenverbrauch zu entkoppeln. Dass das nicht aufgeht, wird aber klar, wenn mensch sich die Geschichte technischer Entwicklungen ansieht, und feststellt, dass Effizienzsteigerungen selten zu einem geringeren Gesamtverbrauch geführt haben, sondern in der Überzahl sogar zu einem Mehrverbrauch, dadurch, dass die jeweilige Technologie durch Effizienzsteigerungen erst massentauglich wurde. Als Beispiel wird für dieses „Rebound“ genannte Phänomen meist die Entwicklung der Glühbirne herangezogen. „Zwischen 1920 […] und 2000 stieg die Effizienz der Straßenlaternen noch einmal um das Zwanzigfache (Anm.: Nachdem Sie schon vorher um das 4 fache gestiegen war) (von 10 auf 200 Lumen pro Watt). Die Beleuchtungsdichte (Lumen pro Straßenkilometer) nahm aber um mehr als das Vierhundertfache zu. Pro Kilometer Straße wird heute also mehr als zwanzig mal mehr Strom verbraucht.“[1] Nehmen wir eine Musterkategorie des Green New Deals: Elektroautos. Würde innerhalb der nächsten Jahre komplett umgestellt auf die scheinbar ökologischere Alternative des Antriebs des motorisierten Individualverkehrs, würden alleine der Produktionsenergieaufwand, den Klimawandel weit mehr vorantreiben, als das das Weiterfahren der bisherigen Blechkisten würde. Oder ein weiteres Musterbeispiel: alle jene Bereiche die sich virtuell und online abspielen, und in denen ein weiterer Boom erwartet wird, der scheinbar grün sein soll, weil kein direkter Ressourcenverbracuh damit verknüpft sei. Dass das Internet aber alles andere als immateriell ist, zeigt, dass der Energieverbrauch hier jährlich um 10 Prozent ansteigt, global gesehen. Alleine die Datenzentren in den USA verbrauchen dieselbe Menge an Strom mit der ganz Großbritannien versorgt werden könnte.

Emanzipation oder bloß Schrumpfung?

Ein grünes Wachstum gibt es also nicht, oder ist zumindest nicht in Sicht. Wer eins und eins zusammenrechnen kann, wird schnell begreifen, dass ein Wirtschaftssystem, das ohne Wachstum nicht auskommt, der Vergangenheit angehören muss. Zu welchen politischen Konsequenzen diese Erkenntnis führt, ist aber wie bereits erwähnt, bei den verschiedenen Flügeln dieser Bewegung sehr unterschiedlich. Konsequent emanzipatorische Perspektiven unter einem der „Schrumpfungslabels“ konnte ich bisher nicht finden. Fast immer werden Markt oder Staat zum Bezugspunkt von Appellen für Regulierungsmaßnahmen gegen das Wachstum gemacht. Inwieweit in selbstorganisierten Gesellschaften Anreize für ein nicht auf Wachstum basierendes Wirtschaften besteht, wird nicht oder kaum untersucht. „…seinem politischen Programm (Anm.: Paul Ariès, prominenter Vertreter der Décroissance-Bewegung) liegt der Begriff der ‚grattuite‘ (Kostenlosigkeit) zugrunde. Ein sinnvoller Gebrauch (bon unsage) von Gütern und Dienstleistungen müsste Ariès zufolge kostenlos sein. Ein umwelt- und klimaschädigender Verbrauch (mésusage) sollte hingegen verboten oder drastisch versteuert werden. Für Trink- und Duschwasser oder für Straßenbahnfahren soll man nicht bezahlen müssen. Das private Schwimmbad und die Autobahnfahrt im Porsche müssen dagegen abgeschafft oder unzumutbar teuer zu stehen bekommen“[2]. Sinnvolle Ansätze (bspw. Gemeingüter) werden dadurch zur Ökodiktatur, dass in zwei Ebenen unterteilt wird: Eine wie auch immer geartete gesetzgebende Instanz auf der einen Seite, die nur die richtigen Anreize setzen muss, um den individuellen Konsumbürger auf der anderen Seite zum guten Konsum anzuregen oder zu zwingen.

Ein weiteres großes Feld, innerhalb der Vorschläge aus der Postwachstumsbewegung sind, von der Antiglobalisierungsbewegung abgeschusterte, Finanzmarktregulierungen. Mit der Forderung nach einem regulierten Kapitalismus von linker Seite wird der bürgerliche Diskurs verfestigt, dass die Lösung lediglich im richtigen Mischungsverhältnis zwischen Staat und Kapitalismus zu suchen sei. Emanzipatorische Lösungen, die bloß außerhalb von beidem möglich sind, werden so marginalisiert. In dem Buch „Postwachstum“ von Passadakis und Schmelzer, eine von wenigen deutschsprachigen Publikationen, die in dieser Ausgabe rezensiert ist, wird zwar auf die Potentiale von Commens (Gemeingütern) verwiesen, und ein nicht warenförmiges Wirtschaften gutgehießen, es aber lediglich zum Ausprobieren auf unterster Ebene degradiert. Die entscheidende Produktion soll weiterhin der globalisierte Kapitalismus übernehmen, den mensch bloß richtig bändigen müsste.

Eine weitere Manifestation fehlender Herrschafts- und Kapitalismusanalyse ist der Hype von Regional- und Tauschwährungen, verharmlosend auch Talentgeld genannt, in den Postwachstumsbewegungen. Ich will gar nicht bezweifeln, dass das Zirkulieren von Waren und Dienstleistungen auf lokaler Ebene anstatt auf globaler, das durch Regionalwährungen angeregt wird, einen wichtigen ökologischen Wert hat.

Wertkritik als Grundlage für Wachstumskritik

Am Kern kapitalistischer, unsinniger Anreizsetzung tut es aber nicht kratzen. Eine Besonderheit der meisten Regionalwährungen ist der Verfall des Geldes nach einer bestimmten Zeit. Damit soll ein Aufsparen des Geldes zur Spekulation verhindert werden. Gerade das setzt aber in der Praxis den Anreiz zeitig zu konsumieren, um nicht umsonst für das eigene Geld geschuftet zu haben. Eine konsumfördernde Anreizsetzung also, die mit dem Ziel einer wirtschaftlichen Schrumpfung nicht vereinbar ist. Zudem wird eine historisch und theoretisch sehr kritische Unterteilung in schaffendes und raffendes Kapital vorgenommen. Schlecht am Geld sollen also bloß die raffenden Elemente sein und alles schaffende an sich gut, ohne zu fragen, wem das Schaffen von Autobahnen, Panzern, Überwachungstechnologie und Gentechnik was bringen soll.

Es scheint, als ob weite Teile der genannten Bewegungen sich um eine Konsequenz drücken möchten: Dass mensch die Wachstumsgesellschaft am besten an ihrer Wurzel bekämpft: Die kapitalistische Anreizsetzung zur Produktion, die nicht in der Lage ist Bedürfnisbefriedigung und Sparsamkeit zum Schutz von Umweltressourcen in ein Verhältnis der dynamischen Abwägnung zu setzen. Stattdessen werden Bedürfnisse erzeugt, um die Akkumulation zu beschleunigen oder aufrecht zu erhalten. Durch Umweltressourcen + Arbeitskraft + Bedürfniserzeugung wird aus Geld mehr Geld gemacht. Wer bei der Anreizsetzung wirtschaftlichen Handelns den Hebel anlegen will, und das ist die einzige Möglichkeit nachhaltig den Wachstumszwang abzustreifen, muss noch tiefer ansetzen. Und zwar an der Inwertsetzung von Gebrauchs- und Konsumgegenständen. Erst dadurch, dass Gegenstände zu Waren werden, deren Wert am Markt verglichen wird, verschiebt sich die Motivation der Produktion weg von „nützliche Dinge produzieren“ hin zu „aus Wert mehr Wert machen“. Ab diesem Punkt ist eine Ausbeutung von Umweltressourcen wahrscheinlich, weil damit eine Abwälzung der Produktionskosten auf die Allgemeinheit und auf andere Weltregionen möglich wird. Um diese Abwälzung der Produktionskosten zu verhindern, soll nun an viel späterer Stelle eine Regulation durch Gesetze oder Marktregulationen stattfinden, anstatt sie an der Wurzel zu verhindern.

Alle auf Geld und Handel basierenden Wirtschaftsmodelle können der Notwendigkeit einer radikalen wirtschaftlichen Schrumpfung mit sozialem und emanzipatorischem Ansatz nicht gerecht werden. Wo Rüben und iPhones nur über den Markt per gleichwertiger Gegenleistung zugänglich sind, ganz egal ob durch feste oder regionale Währungen, oder ob über Tausch, steht der Anreiz von vornherein fest: Für die Zugänglichkeit der angebotenen Waren, den Wert auf der eigenen Haben-Seite zu erhöhen. Wie und womit wird zweitrangig.

Die einzige Möglichkeit die Befriedigung von verhandenen Bedürfnissen zum Anreiz und Ausgangspunkt einer Produktion zu machen, setzt also eine entprivatisierte Nutzung der Gebrauchsgegenstände und Lebensmittel voraus. Eine Planwirtschaft von unten sozusagen, in der in frei gewählten und losen Bezugsgrößen auf der einen Seite die Bedürfnisse zusammengetragen werden und auf der anderen Seite die Produktion oder der Anbau zusammen organisiert wird. Wenn das Ganze auf der Ebene eines lokalen Netzwerkes beruht, ist der Anreiz, Produktionskosten oder -Aufwand (für Kosten würde es ja keine festen Größen mehr geben) auszulagern, durch den Verbrauch von Umweltressourcen gering. Denn die „Kosten“, also Negativauswirkungen der Umweltzerstörung wären unmittelbar und auf der gleichen Ebene, also lokal, spürbar.

Transition Town

Als praktische Umsetzung vieler Ideen aus den „Schrumpfungsbewegungen“ ist die „Transition-Town“-Bewegung zu sehen. Sympatisch macht die Bewegung das, was viele linke Diskursführende in Angst und Schrecken versetzt: Der Versuch sich auf lokaler Ebene zu organisieren und Konzepte in die Praxis umzusetzen. Betont wird dabei das Prinzip Hoffnung: Durch das gemeinsame Erlernen von ökologischen und sozialen Organisierungsformen die Welt bereits ein Stück weit zu verändern und so Vorbild zu sein und das Unmögliche möglich und sichtbar zu machen. Einige konkrete Ansätze sind dann auch sehr nett, wie das Errichten von Gemeinschaftsgärten und ähnlichem. Sehr sympatisch ist auch das dezentrale Konzept von Transition Town. Die einzelnen lokalen Initiativen bestimmen selber wie sie aktiv werden wollen, was jeweils zu sehr unterschiedlichen Aktivitäten und Ausformungen führt.

In der Überzahl werden bei TT-Initiativen aber eben die Konzepte umgesetzt, die bei der Postwachstumsbewegung durch eine fehlende Analyse auf der theoretischen Ebene entwickelt werden. Tauschwährungen einführen oder mit lokalen Politikern anbändeln, um sie dazu zu bewegen Konzepte aus der TT-Bewegung zu übernehmen, schließlich sei das auch für die lokale Wirtschaft nicht schlecht, so wird oft argumentiert. Im Kleinen wird also genau das gemacht, was im Großen als Green New Deal erkannt wurde und zurecht kritisiert wird: Ökologie und Wachstum vereinen zu wollen. Nur eben auf der lokalen Ebene. Und das ist nicht mehr als die logische Konsequenz aus der unterbliebenen ökonomischen Analyse. Durch das Appellieren an lokale Stellvertreter_innen unterbleibt ebenfalls eine Herrschaftsanalyse, und eine darüber wie Herrschaft eine Vorraussetzung für Umweltzerstörung ist, oder diese zumindest begünstigt (wie das, auf der ökonomischen Ebene, oben beschrieben ist).

Weil der grundsätzliche Widerspruch zwischen Ökologie und Ökonomie uns vor ein akutes Klimaproblem stellt, reicht es aber nicht aus diskursive Räume zu gestalten, und bei der radikalen Kritik zu bleiben. Stattdessen ist es notwendig auch materielle Räume zu gestalten, so wie das von der TT-Bewegung versucht wird. Ziel einer emanzipatorischen Umweltbewegung müsste es also sein, konkrete Konzepte, die nicht bloß neuer Aufguß alter Verwertungslogik sind, umzusetzen und in den Kontext emanzipatorischer Ansätze gegen Wachstumszwang und Umweltzerstörung zu setzten. Seien es Umsonstläden, Gemeinschaftsgärten, offene Räume, jede Form offen zugänglicher Infrastruktur oder Wissens. Und zwar nicht nur für ein Nischendasein für die lokale oder reproduktive Ebene, sondern als gesellschaftliches Konzept. Glauben, dass es allerdings möglich wäre DIY-Projekte zu verbreitern und damit die Verwertungslogik anzugreifen, ohne irgendwann in den Konflikt mit dieser Logik zu geraten, sollte mensch allerdings nicht. Und auch das ist ein zu naiver Ansatz der Transition Town-Bewegung. Gesellschaftliche Veränderung muss nach dem altbewährten Konzept funktionieren: Zu gleichen Teilen das bestehende System abbauen (also auch angreifen) und Alternativen aufbauen (die bitte nicht auf denselben Logiken beruhen sollen).


  1. Marcel Hänggi, Wir Schwätzer im Treibhaus, 2008
  2. Ernst Schnitter, grünes blatt, Sommer 2010, Wachstumsverweigerung