2009-03:Plädoyer für eine antikapitalistische Kritik der Agro-Gentechnik

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Plädoyer für eine antikapitalistische Kritik der Agro-Gentechnik

vega Der Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft ist auch in Deutschland auf dem Vormarsch. Eine breite Mehrheit der Bevölkerung lehnt ihn ab. Ihr Einsatz ist für die Konzerne hochgradig rufschädigend und erfordert das volle Instrumentarium staatlicher Gewaltanwendung. Warum haben Staat und Kapital ein so großes Interesse an der Durchsetzung dieser Technologie? Was können emanzipatorische KritikerInnen dem theoretisch entgegensetzen?

Die Basics: Kapitalismus und die Grenzen der Verwertbarkeit

Das Gesellschaftssystem in dem wir leben, und das diese Welt dominiert, ist der Kapitalismus. Seine Hauptmerkmale sind die Existenz des Kapitals als Hauptakteur der Wirtschaft, und die Existenz des bürgerlichen Staates, der dem Kapital die zu seiner Entfaltung benötigten Rahmenbedingungen bereitstellt (z.B. Sicherung von Privateigentum).

Als Kapital gilt eine Ansammlung von Reichtum (genauer: Werten), deren einziges Ziel es ist, sich selbst zu vermehren (sprich: zu verwerten).[1] Das passiert durch Produktion und Verkauf immer neuer Waren, unter Zuhilfenahme und Ausbeutung der LohnarbeiterInnen – denn die menschliche Arbeitskraft erzeugt mehr Wert, als sie zu ihrer Reproduktion benötigt. Damit Menschen überhaupt auf die Idee kommen, ihre Arbeitskraft an Kapitalisten zu verkaufen, muss sichergestellt werden, dass das Kapital die Produktionsmittel (Maschinen, Rohstoffe, Werkzeuge..) und die Verteilung des produzierten Reichtums kontrolliert.

Das Kapital will sich immer weiter verwerten (wie erwähnt durch den Verkauf von immer mehr Waren), stößt aber regelmäßig an die Grenzen der Verwertbarkeit. Die Menge der produzierten Waren lässt sich technisch permanent steigern – irgendwann wird aber der Punkt erreicht, an dem so viel produziert wurde, dass es sich nicht mehr verkaufen lässt. Folge ist eine Wirtschaftskrise, wie wir sie gerade erleben. Sie führt nicht nur zur Verelendung vieler Menschen, sondern auch zum wirtschaftlichen Untergang der schwächeren Kapitalisten.[2]

Um diese regelmäßig wiederkehrenden Krisen zu vermeiden, ist das Kapital bemüht, immer neue Märkte zu erschließen, in die es investieren kann. Dies hat genauso fatale Folgen wie alle anderen Aspekte der kapitalistischen Wirtschaftsweise auch. Aktuelle Beispiele für das Erschließen neuer Märkte sind z.B. Krieg und Besatzung anderer Staaten und ihrer Volkswirtschaften (der sog. Imperialismus) oder wirtschaftlich weniger entwickelte Länder zum Abbau von Zollschranken und Privatisierung von Staatseigentum zu zwingen (wie das z.B. IWF und Weltbank tun).[3] Die Agro-Gentechnik ist nur eine weitere Methode, die Grenzen der Verwertbarkeit zu verschieben.

GenTec und Verwertung

Dies geschieht durch unterschiedliche Methoden:

Die eine ist die Produktion von Hybridsaatgut. Dies unterscheidet sich von herkömmlichem Saatgut dadurch, dass aus der Ernte keine neue Saat gewonnen werden kann. Der Vorteil für das Kapital liegt auf der Hand: Wenn die LandwirtInnen ihr Saatgut nicht mehr selbst produzieren können, sind sie gezwungen es jedes Jahr bei den Firmen zu kaufen – der Markt wächst. Der Nachteil für die BäuerInnen ist ebenfalls deutlich: Bisher konnten sie ihr Saatgut selbst produzieren, dadurch hat dieser Teil der Produktionsmittel ihnen selbst gehört. Dadurch waren sie ein kleines Stück unabhängiger vom Markt, konnten daher selbstbestimmter leben. Hybridtechnologie verschärft für sie die Zwänge des Marktes zuungunsten individueller Autonomie.

Die zweite Methode ist die Patentierung bestimmter Gensequenzen und daraus resultierend das Privateigentum an kompletten Lebensformen. Eine Bedingung dafür, dass eine Ware verkauft werden kann ist, dass der Käufer keine andere Möglichkeit hat, auf die Ware zuzugreifen. Anders formuliert: Etwas das allen gehört, lässt sich nicht verkaufen. Daher ist das Privateigentum eine der Grundlagen des Kapitalismus.

Die Patentierung von Lebensformen ist nichts völlig Neues. Bisher konnten durch Züchtung entstandene Lebensformen von ihren Züchter_innen patentiert werden. Die Gentechnik vereinfacht die Patentierung von Lebensformen aber ungemein. Es reicht aus, völlig irrelevante aber patentgeschützte Gene in ein Lebewesen einzukreuzen – schon ist es Privateigentum von jemandem. Dies schafft zahlreiche neue Möglichkeiten der Verwertung. Schlimmer noch: Die Verseuchung der Natur mit „seinen“ Lebensformen wird zum Glücksfall für jeden Kapitalisten.

Ein weiterer Mechanismus, der zwar den Markt nicht vergrößert, aber einzelnen Kapitalisten Vorteile bringt, ist die Abstimmung einer Pflanzenart auf ein bestimmtes Spritzmittel. Der Kapitalist, der dieses Spritzmittel verkauft, hat einen klaren Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen. Wie weiter unten erläutert wird, vergrößert der Einsatz von Gentechnik außerdem den Markt für Spritzmittel.

Zwischenbilanz 1

Wie gezeigt wurde, gibt es innerhalb kapitalistischer Verwertungslogiken mindestens vier gute Gründe, die Agro-Gentechnik einführen zu wollen. Genauso wie bei imperialistischen Kriegen Tod und Vertreibung von Menschen billigend in Kauf genommen werden, sind hier die negativen Folgen der Gentechnik irrelevant. Ungeklärte gesundheitliche Folgen, Gefahr der Kontamination der Natur mit fatalen ökologischen Konsequenzen, Unmöglichkeit der Koexistenz mit andern Formen der Landwirtschaft... das alles braucht das Kapital nicht zu interessieren, solange die Kasse stimmt!

Würde das alles im Mainstream-Diskurs[4] über Gentechnik vorkommen, dann wären sowohl diese Technik als auch der Irrsinn der kapitalistischen Produktion diskreditiert. Dass es nicht soweit kommt, dafür tragen die Befürworter_innen der Gentechnik Sorge – und paradoxerweise oft auch ihre KritikerInnen.

Verschleiern I – Die Befürworter_innen

Eins Vorneweg: Es gibt in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem nur einen Grund, warum etwas produziert wird: Mensch kann es gewinnbringend verkaufen. Es wird kein Brot gebacken, weil Leute hungrig sind. Die erneuerbaren Energien werden nicht ausgebaut, weil der Klimawandel sich zu verselbständigen droht. Brot, Windräder und alle anderen Produkte werden hergestellt, weil sie sich profitabel verkaufen lassen. Sättigung oder Klimaschutz sind nur Nebenwirkungen davon. Und genauso meinen die Befürworter_innen der Agro-Gentechnik, wenn sie von deren vermeintlichen Wohltaten reden, nicht die Gründe, sondern die Nebenwirkungen dieser Technologie.

Lösung des Welthungers

...ist eine dieser angeblichen Wohltaten. Dies ist jedoch völliger Unsinn, da eine gesteigerte Produktion von Nahrungsmitteln das Problem nicht lösen wird. Es werden jetzt schon weltweit genug Nahrungsmittel produziert, um die gesamte Menschheit zu ernähren. Ursache des Welthungers ist nicht die zu geringe Produktion, sondern die Verteilung von Nahrung.

Für die ungerechte Verteilung der Lebensmittel sind aber in vielen Fällen wiederum Kapital und bürgerlicher Staat selbst verantwortlich. Einige der zahlreichen Gründe für den Welthunger:

  • Nahrung ist im Kapitalismus nicht für die da, die sie brauchen, sondern für die, die sie bezahlen. Wenn der Verkauf von Soja in der 1. Welt profitabler ist, dann verhungern in der 3. Welt Menschen direkt neben riesigen Sojaplantagen.
  • Dasselbe gilt für Saatgut. Ein großer Teil der weltweit hungernden Menschen sind arme KleinbäuerInnen, die nicht die Möglichkeit haben, Saatgut oder andere Produktionsmittel zu erwerben. Hybridsaatgut verschärft ihre Probleme zusätzlich.
  • Das Kapital ist in der Praxis oft eher an einer künstlichen Verringerung der verfügbaren Nahrungsmittel interessiert. Je seltener eine Ware existiert, desto höher ist ihr Preis – auch schon mal ein paar Tonnen genießbarer Lebensmittel aus der Mülltonne eines Supermarkts gezogen?
  • Viele KleinbäuerInnen werden wirtschaftlich ruiniert, weil sie der Konkurrenz mit den deutlich größeren Kapitalisten nicht standhalten. Das Großkapital und die hoch entwickelten bürgerlichen Staaten drängen einerseits auf den Abbau von Zollschranken, um Zugang zu den Märkten der 3. Welt zu erhalten. Andererseits überschwemmt das hochsubventionierte Großkapital die Märkte mit sehr billigen Waren – lokale Produzenten können da oft nicht mithalten und knicken ein.
  • Ein weiterer Grund, der zunehmend an Wichtigkeit gewinnt, ist der globale, menschengemachte Klimawandel. Auch dieser ist hauptsächlich der kapitalistischen Wirtschaftsweise und ihrem ständigen, rücksichtslosen Wachstum auf Kosten von Mensch und Umwelt geschuldet.
  • Krieg und Vertreibung: Es wäre zu einfach, den Kapitalismus für alle Kriege verantwortlich zu machen. Ein Hauptgrund für Kriege ist aber meistens der ungleiche Zugang zu Ressourcen – dieser ist wiederum eine der Grundlagen des Kapitalismus.

Dass die Agro-Gentechnik den Welthunger lösen hilft, ist aus einem weiteren Grund sachlich falsch: Genetisch manipuliertes Saatgut und die damit verbundenen Produktionsmethoden können sich die meisten BäuerInnen im Trikont schlicht nicht leisten.[5]

Weitere Gründe

Auch die weiteren Gründe für den Einsatz der Agro-Gentechnik fallen bei näherer Betrachtung wie ein Kartenhaus in sich zusammen.

Es heißt, die Gentechnik würde den Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln senken. Hierzu ist zunächst anzumerken, dass der Einsatz dieser Stoffe erst seit der Verbreitung der industriellen monokulturellen Landwirtschaft schlagartig angestiegen ist. Der Siegeszug dieser landwirtschaftlichen Methode ist ebenfalls der kapitalistischen Wirtschaftsweise mit ihrem Zwang zur größtmöglichen Produktivität geschuldet – und heute längst nicht mehr notwendig. Immerhin wird mehr Nahrung produziert als für die Weltbevölkerung benötigt wird, obwohl 78% der Ackerflächen für die Massentierhaltung verschwendet werden (diese Flächen könnten bis zu 21 mal soviel Menschen mit pflanzlicher Nahrung versorgen). Wiedermal soll die Agro-Gentechnik systemkonforme Lösungen für Probleme der kapitalistischen Gesellschaften liefern.

Und ein weiteres Mal ist selbst hier die Eignung der Gentechnik eine krasse Lüge: Der Einsatz von Gentechnik führt mittelfristig schlicht und ergreifend zu einem gesteigerten Einsatz von Spritzmitteln.[6] Dies führt zur Vergrößerung des Marktes für Pestizide – ein Glücksfall für alle Kapitalisten die damit ihr Geld verdienen. Fast alle Konzerne die genetisch manipulierte Kulturen entwickeln, verkaufen auch Pestizide. Sicher kein Zufall...

Es heißt, die Gentechnik würde Pflanzen resistenter gegen bestimmte Krankheiten machen. In vielen Fällen hat jedoch erst das kapitalistische Diktat der Produktionssteigerung zum Anbau weniger, hochgezüchteter, ertragreicher und besonders krankheitsanfälliger Sorten geführt. Alte, krankheitsresistentere Sorten haben in der verwertungsorientierten Wirtschaft keinen Platz und verschwinden zunehmend.

Die Gentechnik soll den Standort Deutschland sichern und Arbeitsplätze schaffen. Was innerhalb einer kapitalistischen Gesellschaft als das wichtigste überhaupt gilt, ist rational betrachtet, kompletter Unsinn. Es ist technisch längst möglich, allen Menschen auf diesem Planeten ein Leben in relativem materiellen Wohlstand zu ermöglichen. Das einzige, was dem im Wege steht, ist die ungleiche Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Hätten alle Menschen die gleichen Zugangsmöglichkeiten zum erwirtschafteten Reichtum, würden sie freiwillig arbeiten und nicht aufgrund materieller Zwänge. Endlich würde nicht jeder Mist gerechtfertigt werden, weil er Arbeit verursacht. Damit wäre dann auch der unsinnige und menschenfeindliche Irrsinn des Standortnationalismus Geschichte. Was dem im Wege steht? Mal wieder die kapitalistische Gesellschaftsordnung!

Ich erspare den Leser_innen dieses Artikels eine weitere Analyse der Scheinvorteile der Agro-Gentechnik, und verweise auf die überzeugenden Widerlegungen vieler angeblicher Vorteile auf der Seite der Projektwerkstatt.[7]

Zwischenbilianz 2

Alle angeblichen Vorteile der Agro-Gentechnik entpuppen sich bei näheren Hinsehen als nicht haltbar.

Sie kann weder den Welthunger stoppen, noch den Einsatz von Pestiziden senken. Schlimmer noch: In vielen Fällen (Beispiele Welthunger, Pestizide und Arbeitsplätze) verschleiert der Pro-Gentechnik-Diskurs gleich doppelt: Einerseits die wahren Gründe für das Interesse an der Gentechnik, andererseits weitere fatale Folgen der kapitalistischen Produktionsweise (Hunger, Umweltzerstörung, materielle Zwänge). Stattdessen wird versucht, systemkonforme Lösungen für Probleme anzubieten, deren Ursache im Kapitalismus selbst zu suchen sind – obwohl diese Probleme nur mit der Aufhebung der kapitalistischen Wirtschaftsweise dauerhaft gelöst werden können.

Eine emanzipatorische Kritik an der Gentechnik sollte daher auch klar antikapitalistisch sein: Denn nur innerhalb einer kapitalistisch organisierten Gesellschaft (in der das Kapital und nicht die einzelnen Menschen im Mittelpunkt stehen!) macht der Einsatz der Grünen Gentechnik mit all seinen fatalen Folgen überhaupt Sinn. Steilvorlage für emanzipatorisch-antikapitalistische Kritik. Betrachtet mensch jedoch die deutsche Bewegung gegen die Gentechnik, zeigt sich schnell, dass vieles was hier propagiert wird der Entwicklung einer solchen Kritik im Weg steht.

Verschleiern II – Die Gegenseite

Anti-Amerikanismus: Die Mehrheit der Bevölkerung und auch einige der radikaleren Gentechnikkritiker_innen denken bei Gentechnik als erstes an den US-Konzern Monsanto. Manchen gilt er als Synonym oder gar als Hintermann der Gentechnikbetreiber_innen überhaupt. Diese Analyse ist sachlich falsch. Eine Handvoll Großkonzerne und zahlreiche Kleinstfirmen forschen, entwickeln und verwenden Gentechnik – und mit BASF und z.B. den Universitäten in Rostock und Gießen ist auch deutsches Kapital und Forschung dick dabei.

Die in der Bevölkerung weit verbreitete emotionale Feindschaft gegen Monsanto, in Verbindung mit der Unkenntnis über deutsche Akteure im Bereich der Grünen Gentechnik, wird von der Politik gezielt genutzt, um diese Technik zu schützen. Dieselben Politiker_innen, die mit Hetze und Verboten gegen Monsanto medial punkten, unterstützen die deutschen Gentechnikbetreiber_innen politisch und finanziell wo sie nur können.

Aber die der Feindschaft zu Monsanto oft zugrunde liegenden anti-amerikanischen Ressentiments sind auch ein Hindernis bei der Entwicklung einer fundierten Kapitalismuskritik. Es ist in linken Kreisen weit verbreitet, die Regierung der USA und das dort ansässige Kapital für besonders schlimm und skrupellos zu halten. Diese Analyse stellt die Moral der Herrschenden in den Mittelpunkt, und wird daher der kapitalistischen Realität nicht gerecht. Das kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftssystem funktioniert nach klaren Gesetzmäßigkeiten (Verwertung, Konkurrenz...). Die Akteure in Wirtschaft und Staat haben innerhalb dieser Regeln nur sehr geringe Handlungsspielräume. Wer entgegen dieser Gesetzmäßigkeiten handelt, hat auf dem Markt keine Chance – die Zwangsgesetze der Konkurrenz lassen keinen Platz für moralische Erwägungen! Je mächtiger Kapitalisten und Staaten sind, desto destruktiver wirken sie. Die Destruktion liegt jedoch in den Spielregeln des Kapitalismus begründet – und diesen Regeln folgen alle Akteure gleichermaßen. Wer sich mit der Kritik einzelner Spieler begnügt, wertet nicht nur alle anderen Spieler auf, sondern wird auch unfähig die Spielregeln – den Kapitalismus inklusive Privateigentum an Produktionsmitteln, Konkurrenz und Verwertungszwang – zu kritisieren.

Und so ist es kein Zufall, sondern absolut logisch, wenn Antiamerikanismus die Gründe für die Anwendung und die Akteure beim Einsatz der Agro-Gentechnik verschleiert. Einer differenzierten, radikalen und emanzipatorischen Kritik der Gentechnik wird er daher immer im Weg stehen.

Personifizierte Kritik: In Deutschland hat sich ein dichtes Netzwerk zwischen Forschung, staatlichen Kontrollbehörden, Konzernen und Lobbygruppen gebildet, welches bemüht ist, systematisch die Agro-Gentechnik durchzusetzen.[8] Dieser Filz ist momentan einer der Schwerpunkte radikaler Gentechnikkritik in Deutschland. Im Vergleich zu vielen großen Verbänden, die sich nicht trauen, die in Deutschland tätigen Akteure zu benennen, ist dies sicherlich ein Fortschritt. Allerdings droht auch hier die Gefahr, in zu einfache Kritikmuster abzurutschen.

Ich habe im vorherigen Absatz zu zeigen versucht, dass der Kapitalismus nach klaren Regeln funktioniert, und einzelne Akteure innerhalb dieses Systems nur minimale Handlungsspielräume haben. Das gilt auch für Filz, Lobbygruppen und Ähnliches. Auch wenn sie den Einsatz der Agro-Gentechnik bewusst vorantreiben wollen – ob dies gelingt oder nicht liegt nicht in ihren Händen. Wie weiter vorne beschrieben ist die Gentechnik erfolgreich, weil sie dem Kapital hilft seinem Interesse an immer mehr Verwertung gerecht zu werden. Das ist der einzige Grund für ihren Erfolg – nicht etwa Korruption, Filz oder Verschwörung. Würden die Interessen der Akteure des Gentechnik-Filzes denen des Kapitals widersprechen, hätten sie nicht einmal einen Bruchteil ihres gesellschaftlichen Einflusses.

Die Gentechnik bietet dem Kapital viele Vorteile, stößt aber gleichzeitig auf breite Ablehnung in der Bevölkerung. Daher ist ein breites Instrumentarium zur Durchsetzung dieser Technologie notwendig. Zum Beispiel Knast, Greenwashing (siehe oben) oder eben auch Filz zwischen Staat, Konzern und Forschung. Die Akteure sind dabei vollständig austauschbar, außerdem haben sie meist kein Bewusstsein über ihre gesellschaftliche Funktion. Oder, um es mit den Worten von Karl Marx auszudrücken: „Die allgemeinen und notwendigen Tendenzen des Kapitals sind zu unterscheiden von ihren äußeren Erscheinungsformen.“(Das Kapital, Bd. 1)

Kleinbäuerliche Landwirtschaft als Utopie?: Die Einführung der Gentechnik führt zu Umstrukturierungsprozessen innerhalb der kapitalistischen Ökonomie. Während sich vor allem größere Betriebe den Einsatz von Gentechnik leisten können, sind unter anderem aufgrund der Unmöglichkeit der Koexistenz und der steigenden Abhängigkeit von großen Saatgutfirmen viele kleinbäuerliche Betriebe mittel- bis langfristig zum Untergang verurteilt. Dieser Angriff auf die kleinbäuerliche Landwirtschaft führt neben dem gesteigerten Einsatz von Pestiziden auch zum wirtschaftlichen Ruin vieler Existenzen.

Ein Teil der Gentechnikgegner_innen schreibt sich daher ein „Für kleinbäuerliche Landwirtschaft!“ auf die Fahnen. Aber auch hier verbergen sich viele Unreflektiertheiten. Kleinbäuerliche Landwirtschaft ist nicht per se etwas Tolles. Wie jede Art der Landwirtschaft hängt ihr Charakter von dem Wirtschafts- und Gesellschaftssytem ab, in das sie eingebettet ist. Wer die kleinbäuerliche Landwirtschaft so wie sie ist verteidigt, verteidigt damit auch, dass nur Wenige über Land verfügen, dass Menschen vom Markt abhängig sind, dass Menschen aufgrund wirtschaftlicher Zwänge zur Arbeit gezwungen sind und dass das Verhältnis der Produzent_innen untereinander durch Konkurrenz und nicht durch Kooperation geprägt ist.

Im Rahmen einer emanzipatorisch-antikapitalistischen Kritik sollte die kleinbäuerliche Landwirtschaft in ihrer derzeitigen Verfasstheit auch kritisiert werden – anstatt sie reflexartig zu verteidigen, nur weil sie von der Agro-Gentechnik bedroht wird.

Verkürzte Kritik an Abhängigkeiten: Agro-Gentechnik schafft Abhängigkeit von Landwirt_innen gegenüber bestimmten Großkonzernen. Dies geschieht einerseits durch die Abstimmung bestimmter Organismen auf bestimmte Pestizide, andererseits durch Verträge die Bäuer_innen über einen langen Zeitraum an einen bestimmten Konzern binden. Die Kritik von Abhängigkeiten steht im Mittelpunkt einer emanzipatorischen Kritik, wird in diesem Fall aber oft so vorgetragen, dass sie ihren emanzipatorischen Charakter zum größten Teil verliert.

Es wird kritisiert, dass wenige große Konzerne den Markt bestimmen, und die Bäuer_innen an einen dieser Konzerne fest gebunden sind. Zu Alternativen sagen die Kritiker_innen an dieser Stelle meist nichts. Daher steht ungefragt die Vision eines freien Marktes im Raum, wo die Hersteller_innen von Saatgut und Pestiziden sich noch ein richtig blutiges Hauen und Stechen liefern, wer unter den miesesten Bedingungen, d.h. am billigsten, d.h. am wettbewerbsfähigsten, produzieren und verkaufen kann – denn die Produkte sind immer noch Privateigentum, und stehen nicht allen die sie brauchen zur Verfügung. Das hat dann aber weder mit Antikapitalismus noch mit Emanzipation etwas zu tun. Monopole und freie Märkte sind beides Erscheinungen des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Daher sollte auch beides im Rahmen einer antikapitalistischen Kritik abgelehnt werden.

Fazit

Ich möchte hier noch einmal die grundlegenden Thesen dieses Textes formulieren, in der Hoffnung sie ausreichend belegt zu haben.

  1. Die Agro-Gentechnik ist wie maßgeschneidert für die Bedürfnisse des Kapitals nach Absatzmärkten und Verwertung. Dies ist der Grund für ihren Erfolg.
  2. Die sonstigen Vorzüge der Gentechnik sind mit Vorsicht zu genießen, denn:
    1. Die Gentechnik ist entweder technisch nicht geeignet die Probleme zu lösen.
    2. Oder es handelt sich um soziale Probleme, die technisch nicht gelöst werden können.
    3. Oder es wird verschleiert, dass das Kapital die Probleme, die gelöst werden sollen, selbst verursacht hat. Häufig trifft auch 1) bis 3) gleichzeitig zu.
  3. Aufgrund der ersten beiden Punkte bietet sich eine theoretische Verknüpfung der Kritik an der Agro-Gentechnik und Kapitalismuskritik an. Mehr noch: Ich denke die Verbindung dieser beiden Themenstränge ist zwingend notwendig, um das Thema Gentechnik in seiner vollen Komplexität erfassen zu können.
  4. Um diese Verbindung leisten zu können, muss vieles was derzeit in der Anti-GenTec-Bewegung kursiert, grundlegend überdacht, oder ganz über Bord geworfen werden.[9]


  1. Zu den Begriffen Kapital und Kapitalist: Wenn hier von „dem Kapital“ die Rede ist, sind damit die gemeinsamen Interessen der verschiedenen Kapitalisten gemeint. Diese stehen sich normalerweise als Konkurrenten gegenüber – insofern wäre es falsch zu behaupten, „das Kapital“ hätte eine einheitliche Organisation oder einen einheitlichen Willen. Kapitalist ist eine Person, die eine Anhäufung von Werten in der Form des Kapitals verwaltet.
    Den Begriff Kapitalist habe ich bewusst nicht gegendert, um deutlich zu machen, dass damit keine Menschen gemeint sind, sondern eine wirtschaftliche Funktion, bei der es irrelevant ist, wer sie in der Praxis ausübt. (Womit ich nicht behaupten will, dass diese tatsächlich von allen Geschlechtern gleich oft ausgeübt wird)
  2. Mehr über Kapitalismus und Krise: http://strassenauszucker.blogsport.de/2009/04/21/der-kriegt-die-krise-immer-wieder-finanzkrisen-und-kapitalismus/
  3. Da dieser kurze Abriss oberflächlich bleiben muss, empfehle ich allen, die sich gründlicher mit Kapitalismusanalyse und -kritik beschäftigen wollen, die Lektüre von: Michael Heinrich: Kritik der politischen Ökonomie, erschienen im Schmetterling Verlag
  4. Als Diskurs wird eine Aneinanderreihung von Aussagen bezeichnet, die das Denken und Handeln von Menschen innerhalb einer Gesellschaft beeinflussen.
  5. Vergleiche dazu: http://www.zeit.de/online/2008/17/nahrungskrise-china-klima-gentechnik
  6. Englischsprachige Studie zum Thema: http://www.greenpeace.de/themen/gentechnik/nachrichten/artikel/gen_anbau_fuehrt_zu_erhoehtem_pestizideinsatz/
  7. http://www.projektwerkstatt.de/gen/vorteile.htm
  8. Vergleiche hierzu: http://www.projektwerkstatt.de/gen/filz_brosch.htm
  9. Eine allgemeinere Auseinandersetzung zur Verbindung von Gentechnik und Herrschaft, inklusive Bewegungskritik findet sich unter: http://www.projektwerkstatt.de/gen/emanz_kritik.htm