2009-02:Theorie des Aktivismus

Aus grünes blatt
Zur Navigation springenZur Suche springen

Die Theorie des Aktivismus

Paul und Hannes Zunächst: wir sind mit den aktuellen Zuständen in der linken Szene nicht zufrieden. Nicht dass wir den Anspruch hätten, es besser zu wissen oder gar DAS Rezept parat hätten, dem "Volk" oder wahlweise der "Arbeiterklasse" ihre beschissene Situation klar zu machen und sie in ihre Befreiung zu führen. Spaß beiseite, es gibt etwas zu tun. Anstatt nämlich über die scheinbare Unfähigkeit einer emanzipatorischen Bewegung in Lethargie zu verfallen sollten wir uns lieber überlegen, woran das liegen könnte und die Ursachen beseitigen. Oder anders gesagt: nach Ansätzen suchen, es besser zu machen und wieder Schwung in die Bude bringen...

Zerfleischungen sind an der Tagesordnung. Nicht etwa zwischen Aktion und Reaktion, das wäre tatsächlich eine angenehme Abwechslung, sondern zwischen denen, die eigentlich selbst für eine emanzipierte Gesellschaft eintreten. Der Konflikt, auf den in diesem Text eingegangen werden soll, ist der Streit zwischen Vertretern von theoretischen und Anhängern von aktivistischen Ansätzen. Oder anders gesagt: Die Frage der Verkürzungen.

Der Aktionismus

Der Aktionismus kann mitreißen, begeistern. Er schafft scheinbar alle Möglichkeiten, die Welt zu verbessern, so klein die Schritte auch sein mögen. Er schafft es, Menschen mit Idealen zusammenzuführen und Andere dafür zu begeistern, mitzukämpfen. Ob Infostände gegen die Urwaldzerstörung, Demos gegen Faschos oder Waldbesetzungen, mensch tut schließlich das Richtige. Gezielt werden offensichtliche Missstände angegriffen, mit verschiedensten öffentlichen Resultaten.

Wenn dabei Forderungen an die Öffentlichkeit kommen, stellen wir manchmal erstaunt fest, wie einfach die Lösungen sind, gerade so als reiche der Atomausstieg oder das Stürzen der 'profitgeilen Manager' um eine lebenswertere Welt zu schaffen. Egal ob in der Jugendumweltbewegung, bei Attac, in Antifakreisen oder bei der MLPD, die Inhalte sind leicht verständlich und einfach gehalten und nicht selten ist jede weitergehende Theorie verpönt und uncool. Das ruft eine ganze Reihe von Verkürzungen hervor, denn die bestehende Gesellschaftsordnung ist extrem komplex und jeder Versuch, sie in voneinander unabhängige Einzelstücke zu zerlegen und sich einige davon herauszugreifen wird an den Strukturen scheitern, die in der Gesellschaft in den unterschiedlichsten Lebensbereichen immer wieder in gleichen oder ähnlichen Formen erscheinen. Anders gesagt: Wir haben die Vermutung, dass nicht wenige 'AktionistInnen' nicht viel Plan haben, was sie eigentlich gerade tun und vielleicht eher aus persönlicher Sympathie als aus strategischen und überlegten Gründen in dieser Szene aktiv sind. Oder dass sie vielleicht für ein angenehmeres Leben streiten, ohne aber die bestehenden Umstände und Gegebenheiten selbst zu hinterfragen und zu bekämpfen in der Lage sind. Der Feind scheinen nicht das Spiel, sondern die SpielerInnen zu sein, und deshalb gibt es auch keine Strategie, die das Spiel zu erkennen und zu transformieren versucht.

Die Theorie

Spätestens jetzt ist es also Zeit für ein wenig Theorie. Und davon gibt es wirklich eine ganze Menge. Marx, Bakunin, Lenin, Kropotkin, Mao, Adorno, Horkheimer, anarchistische und kommunistische, poststrukturelle und wertkritische, antideutsche und antiimperialistische etc...

Womit mensch anfängt ist eigentlich egal. Wichtig ist ein umfassenderes Verständnis der Geschehnisse, eine genaue Analyse unserer Gesellschaft, und das lernt leider niemand einfach so. Das hat auch einen einfachen Grund, denn moderne Herrschaft will sich als solches gar nicht zu erkennen geben und reproduziert sich im Denken jeder Einzelnen. Ein Erkennen von Herrschaft ist also meist an die Fähigkeit gebunden, zu abstrahieren und auf einer höheren, einer 'Metaebene' zu analysieren, im Grunde das eigene Denken zu hinterfragen. Vieles, was an Theorie durch die Welt geistert mag ebenfalls verkürzt sein, herrschaftsförmig oder im besten Fall veraltet, aber lernen lässt sich aus Allem.

Leider neigen aber auch Vertreter der theoretischen Richtung zu seltsamen Stilblüten. Anstatt der naiven Verkürzungen des Aktivististen treffen wir hier zu oft auf das Streben nach der reinen und wahren Lehre und deren dogmatische Verteidigung durch die Theoretikerin, in einer Sprache, die die Wenigsten verstehen. Der Anspruch ist diesmal umfassend, Revolution oder Verderben, aber wir suchen oft vergeblich den Ansatz, der eben diese hohen aber notwendigen Ansprüche verwirklichen soll. Wer mit Worten wie 'struktureller Antisemitismus' um sich wirft, sollte nicht erwarten, verstanden zu werden, von den Menschen, die doch eigentlich verstehen müssten, um das Spiel zu hinterfragen. Nicht grundlos drängt sich uns zuweilen der Verdacht auf, dass der hochgestochene Sprachgebrauch keinen eigenen kritischen Reflexionen, sondern der kritiklosen und damit häufig dogmatischen Übernahme bestimmter Ideologien entspringt. Strategie ist gut und wichtig. Was aber bewirkt die Strategie, und sei sie noch so präzise und gut, wenn sie immer in den selben Kreisen, Köpfen und Politgruppen zirkuliert ohne diesen erlesenen Zirkel je zu verlassen? Oder gar, wenn die Theoretikerinnen jede Praxis verteufeln, weil sie verkürzt sei? Die Antwort ist eigentlich ziemlich einfach: rein gar nichts!

was tun?

Wir haben es also mit dem Problem zu tun, komplexe Inhalte in einer verständlichen Art und Weise vermitteln zu müssen, sozusagen die 'Theorie des Aktivismus'. Unser Ziel ist eine emanzipierte Gesellschaft, und dafür brauchen wir eine sinnvolle Strategie, die nicht theoretisch bleibt, sondern hier und jetzt ansetzen kann.

Keine Aktionsform kann vollständig auf alle Herrschaftsmechanismen eingehen und 100% politisch korrekt sein. Das ist uns bewusst und bleibt vernachlässigbar, wenn in der Umsetzung das Bewusstsein für die Komplexität erhalten bleibt. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass wir nur in den bestehenden Verhältnissen ansetzen können, wenn wir irgendetwas verändern wollen. Es geht also darum, möglichst viele Freiräume aufzubauen, und diese Freiräume so zu gestalten, dass Menschen es lernen sich selbst zu organisieren und zu vernetzen, sodass ein weitgehender Austausch von Leuten aus verschiedenen Hintergründen stattfindet. Das ist die Voraussetzung für die Verbreitung von emanzipatorischem Gedankengut über die Grenzen der linkspolitischen Szene hinaus. Aus einer strategischen Sicht kann es dann auch durchaus sinnvoll sein, einzelne Themen herauszugreifen und als Kampagne zu erkämpfen oder bewusst zu verkürzen, aber trotzdem am Ende immer die größtmögliche Forderung, nämlich die der befreiten Gesellschaft, zu stellen.

Und Theorie bedeutet noch etwas: Es geht nicht nur darum, abstrakte Strategien aufzubauen, sondern auch darum, direkt Möglichkeiten zu finden, besser zu Kommunizieren, dominanzabbauende Entscheidungsfindungen zu entwickeln und zu versuchen, möglichst viel an Schenkökonomie aufzubauen. Doch nur mit dem Wissen um die vielfältigen und komplexen Herrschaftsstrukturen können wir verhindern, dass all diese Formen des Aktivismus nur zur Modernisierung von Herrschaft beitragen.

Für uns ist klar: Selbstorganisation, ein wichtiger Bestandteil von Emanzipation, übt sich nur in weitestmöglich selbst definierten Räumen, im aktiven Eingriff in bestehende Verhältnisse. Eine Bewegung, die in der Lage wäre, die Gesellschaft zu transformieren oder zu revolutionieren kann nur entstehen, wenn utopische Ideen und Analysen viel mehr Menschen zugänglich gemacht werden und wenn diese Bewegung mögliche Alternativen auch jetzt schon ansatzweise aufzeigen kann. Und: Freiräume verändern nicht die Welt. Sie sind temporär und können nie schon das Resultat einer emanzipatorischen Bewegung sein, vielmehr bieten sie aber den Raum für das Entstehen einer revolutionären Bewegung. Und die kann durchaus die Welt verändern...