2008:Demokratie. Die Herrschaft des Volkes. Eine Abrechnung 2: Unterschied zwischen den Versionen

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(Neuanlage: Rezension von Bergstedt, Demokratie)
 
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Anarchistische Abrechnung
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Kritische Studie „Demokratie“ will die Volksherrschaft als Macht-Ideologie entlarven
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* ''Jörg Bergstedt: Demokratie. Die Herrschaft des Volkes. Eine Abrechnung. SeitenHieb-Verlag, Reiskirchen 2006. 206 Seiten, 14 Euro. ISBN 978-3-86747-004-9''
  
 
Der hessische Umweltaktivist und Buchautor Jörg Bergstedt ist in der Vergangenheit schon oft angeeckt. Die Jugendorganisation des NABU verließ er im Streit. Mit dem harten Arm des Gesetzes kam er in Konflikt, etwa durch Aktionen gegen Gen-Felder oder weil seiner anarchistischen „Projektwerkstatt“ in Saasen kriminelle Umtriebe unterstellt wurden. Nicht zuletzt dürfte er sich auch mit seinen Publikationen bei vielen unbeliebt gemacht haben, in denen er zum Beispiel Nichtregierungs-Organisationen, insbesondere Attac, Legitimation und Erfolg absprach.
 
Der hessische Umweltaktivist und Buchautor Jörg Bergstedt ist in der Vergangenheit schon oft angeeckt. Die Jugendorganisation des NABU verließ er im Streit. Mit dem harten Arm des Gesetzes kam er in Konflikt, etwa durch Aktionen gegen Gen-Felder oder weil seiner anarchistischen „Projektwerkstatt“ in Saasen kriminelle Umtriebe unterstellt wurden. Nicht zuletzt dürfte er sich auch mit seinen Publikationen bei vielen unbeliebt gemacht haben, in denen er zum Beispiel Nichtregierungs-Organisationen, insbesondere Attac, Legitimation und Erfolg absprach.
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Bei dem Buch handelt es sich dennoch um eine äußerst lesenswerte Studie – nicht nur für Bergstedts besondere „Freunde“ vom Bundesverfassungsschutz. Darum wird „Demokratie. Eine Abrechnung“ vom Rezensenten auch ausdrücklich empfohlen. Für diejenigen, welche sich bereits mit den Fragestellungen des Autors beschäftigt haben, ist sie sicherlich eine fundierte Zusammenfassung anarchistischer Gesellschaftskritik. Für Leser, denen solche Sichtweisen bisher eher fremd waren, kann sie eine spannende und anregende Aufforderung sein, eigene Standpunkte und Perspektiven zu hinterfragen. Denn eins stellt Bergstedt klar: Es sind keineswegs nur „bösartige Machteliten“, welche das Individuum in gesichtslose Gruppenschemen pressen wollen. Die „Selbstdisziplinierung“ des Einzelnen als unauffälliges Schaf in der Herde spielt dabei mindestens eine gleichbedeutende Rolle.
 
Bei dem Buch handelt es sich dennoch um eine äußerst lesenswerte Studie – nicht nur für Bergstedts besondere „Freunde“ vom Bundesverfassungsschutz. Darum wird „Demokratie. Eine Abrechnung“ vom Rezensenten auch ausdrücklich empfohlen. Für diejenigen, welche sich bereits mit den Fragestellungen des Autors beschäftigt haben, ist sie sicherlich eine fundierte Zusammenfassung anarchistischer Gesellschaftskritik. Für Leser, denen solche Sichtweisen bisher eher fremd waren, kann sie eine spannende und anregende Aufforderung sein, eigene Standpunkte und Perspektiven zu hinterfragen. Denn eins stellt Bergstedt klar: Es sind keineswegs nur „bösartige Machteliten“, welche das Individuum in gesichtslose Gruppenschemen pressen wollen. Die „Selbstdisziplinierung“ des Einzelnen als unauffälliges Schaf in der Herde spielt dabei mindestens eine gleichbedeutende Rolle.
  
Oliver Nowak
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''Oliver Nowak''
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Jörg Bergstedt:
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''Aus: [http://www.grueneliga-berlin.de/raberalf/ Der Rabe Ralf] Februar/März 08. Mit freundlicher Genehmigung des Autors.''
Demokratie. Die Herrschaft des Volkes. Eine Abrechnung
 
SeitenHieb-Verlag, Reiskirchen 2006
 
206 Seiten, 14 Euro
 
ISBN 978-3-86747-004-9
 
  
www.projektwerkstatt.de
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[[Kategorie:Rezensionen]]

Version vom 00:17, 15. Feb 2008

Rezension

Anarchistische Abrechnung

Kritische Studie „Demokratie“ will die Volksherrschaft als Macht-Ideologie entlarven

  • Jörg Bergstedt: Demokratie. Die Herrschaft des Volkes. Eine Abrechnung. SeitenHieb-Verlag, Reiskirchen 2006. 206 Seiten, 14 Euro. ISBN 978-3-86747-004-9

Der hessische Umweltaktivist und Buchautor Jörg Bergstedt ist in der Vergangenheit schon oft angeeckt. Die Jugendorganisation des NABU verließ er im Streit. Mit dem harten Arm des Gesetzes kam er in Konflikt, etwa durch Aktionen gegen Gen-Felder oder weil seiner anarchistischen „Projektwerkstatt“ in Saasen kriminelle Umtriebe unterstellt wurden. Nicht zuletzt dürfte er sich auch mit seinen Publikationen bei vielen unbeliebt gemacht haben, in denen er zum Beispiel Nichtregierungs-Organisationen, insbesondere Attac, Legitimation und Erfolg absprach.

Auch mit seiner Studie „Demokratie. Die Herrschaft des Volkes. Eine Abrechnung“ geht Bergstedt nicht auf Schmusekurs mit lieb gewonnenen Dogmen. Erschienen ist das Buch im hauseigenen SeitenHieb-Verlag.

Auf 206 Seiten geht der Autor hart mit dem Demokratie-Verständnis, wie es in Deutschland von Politik und Medien geprägt wird, ins Gericht. Anspruch des Buches ist es, die Demokratie kritisch zu analysieren und sie als perfide Macht-Ideologie zu entlarven, die ihre Ursprünge im dogmatischen Gut-Böse-Denken vergangener Jahrhunderte habe. Dabei würde der Fetisch „Volksherrschaft“ lediglich unpopulär gewordene Leitbilder wie Religion, Nation oder Rasse ersetzen und dennoch weiter zur Unterdrückung des Individuums beitragen.

Was sich möglicherweise zunächst nach paranoider Verschwörungstheorie anhört, kommt jedoch als durchdachte und belegbare Interpretation daher. Dabei gelingt Bergstedt der Spagat, eine fundierte Studie zu schreiben, welche gleichzeitig anschaulich und gut lesbar ist. Er beschreibt zunächst die sich wandelnden Bilder der Demokratie vom antiken Athen über die Römische Republik und romantische Vorstellungen des 19. Jahrhunderts bis heute. Dabei will der Autor dem Leser begreiflich machen, dass sich die vielen verschiedenen Demokratie-Formen fundamental unterscheiden und es keineswegs eine ungebrochene Traditionslinie von Wirken Perikles zum deutschen Bundestag und damit „hin zur Freiheit“ gibt. Wichtig ist ihm dabei, zu zeigen, dass Ideen wie „Demokratie“ oder „Volk“ keine geschichtlichen Wahrheiten sind, sondern immer gedankliche Konstrukte – das postmoderne Zauberwort „Diskurs“ ist demnach auch einer seiner zentralen Begriffe.

Konkrete Beispiele etwa zur politischen Arbeit in Parlamenten oder der schwer durchschaubaren Logik des Verhältniswahlrechts machen seine beißende Kritik anschaulich.

Für Bergstedt geht es nicht darum, etwaige „Fehler“ am bestehenden demokratischen System auszumerzen. Die Volksherrschaft selbst ist für ihn das Problem, welches es zu überwinden gilt. Denn die Demokratie hierzulande ist für ihn eine Art Oligarchie, in der die Machteliten dem Einzelnen nur vorgaukeln, seine Meinung zu repräsentieren und zu vertreten.

Nach dieser umfassenden und vernichtenden Abrechnung mit den bestehenden Verhältnissen fällt das Kapitel zu den Auswegen und Alternativen verhältnismäßig kurz aus. Die Lösung ist für Bergstedt die Emanzipation von vorgegebenen traditionellen Kollektiv-Werten. Als konkrete Positiv-Beispiele führt Bergstedt lediglich sehr kurz die Internet-Enzyklopädie Wikipedia und Sozialforen als offene ungebundene Versammlungen auf. Diese seien prinzipiell gute Ideen, würden aber zu oft von lobbystarken Machteliten missbraucht.

Zwar erhebt der Autor ausdrücklich nicht den Anspruch, die Thematik der Alternativen zum bestehenden System auszuleuchten. Dennoch bleibt beim Rezensenten der etwas schale Eindruck zurück, dass Bergstedt frei nach dem Motto des Slime-Songs „Brüllen, zertrümmern und weg“ geschrieben hat – denn Konzepte wie Kommunen und Projektwerkstätten lassen sich nicht ohne weiteres in allen menschlichen Lebensverhältnissen aufbauen.

Ein weiterer Kritikpunkt ist der leichtfertige Umgang mit Begriffen wie „Diskurs“ und „Diskurssteuerung“. Solche beliebten Worthülsen mögen als verlockend einfaches Erklärungsmuster dienen. Doch erläutert Bergstedt nie, was genau er darunter versteht. Konkret: Wenn der Autor meint, er könne quasi als „Außenstehender“ einen gesellschaftlichen Diskurs analysieren und kritisieren, dann erliegt er der Illusion, er hätte eine Art „privilegierten Zugang zur Wahrheit“. Doch letztendlich steht Bergstedt selbst in einer Denk- und Erzähltradition, die er besser ausführlicher reflektieren sollte.

Auch würdigt der Autor mit keinem Wort die relative Freiheit hierzulande, die es ihm überhaupt ermöglicht, ein solches Buch zu schreiben und zu publizieren.

Bei dem Buch handelt es sich dennoch um eine äußerst lesenswerte Studie – nicht nur für Bergstedts besondere „Freunde“ vom Bundesverfassungsschutz. Darum wird „Demokratie. Eine Abrechnung“ vom Rezensenten auch ausdrücklich empfohlen. Für diejenigen, welche sich bereits mit den Fragestellungen des Autors beschäftigt haben, ist sie sicherlich eine fundierte Zusammenfassung anarchistischer Gesellschaftskritik. Für Leser, denen solche Sichtweisen bisher eher fremd waren, kann sie eine spannende und anregende Aufforderung sein, eigene Standpunkte und Perspektiven zu hinterfragen. Denn eins stellt Bergstedt klar: Es sind keineswegs nur „bösartige Machteliten“, welche das Individuum in gesichtslose Gruppenschemen pressen wollen. Die „Selbstdisziplinierung“ des Einzelnen als unauffälliges Schaf in der Herde spielt dabei mindestens eine gleichbedeutende Rolle.

Oliver Nowak


Aus: Der Rabe Ralf Februar/März 08. Mit freundlicher Genehmigung des Autors.