2008-01:Eine Brise reicht nicht

Aus grünes blatt
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Die Brise reicht nicht - Wir Brauchen einen Sturm!

von einigen Menschen aus dem Klimacampvorbereitungskreis

Unter dem Motto „A cool breeze of resistance“ findet in diesem Sommer vom 14. bis 25. August in Hamburg zusammen mit dem AntiRaCamp ein Klimacamp statt. Dieser Text will auf Debatten um das Camp eingehen, an verschieden Aspekten konstruktive Kritik üben und dabei erklären, warum uns die Brise nicht reicht. Wir wünschen uns den Prozess und das Camp als Orte, an denen darüber gestritten wird, wie sich eine linksradikale Bewegung zum Thema „Klimawandel“ verhalten will. Als Beitrag zu diesem Streit und zu der Diskussion darüber, wo wir mit einem Klimacamp und darüber hinaus hin wollen, möchten wir diesen Text verstanden wissen.


Warum eigentlich vom Klima reden (oder besser nicht)?

Eine Bewegung, die sich, in Abgrenzung zu der verkürzten Debatte in der breiten Öffentlichkeit, mit dem Problem der nicht umkehrbaren Veränderung der bio-physischen Welt ernsthaft auseinandersetzen will, muss sich auch Gedanken über die Sprache machen, die sie nutzt.

Das unkritische Aufgreifen des Begriffes Klimawandel verschleiert dabei das eigentliche Problem, denn Wandel ist in Bedeutung des Begriffes erst einmal neutral. Der „Klimawandel“ ist aber nur eines der vielfältigen Symptome einer gesellschaftlichen Warenproduktion, die dabei ist, die Lebensgrundlagen vieler Lebewesen zu zerstören. Weder die sozialen noch ökonomischen Konsequenzen sind dabei abzusehen oder einfach in Zahlen zu fassen. Es sollte jedoch darum gehen, die Probleme genau zu benennen und anzugreifen, und sich nicht, wie im Mainstream-Diskurs, auf die Bekämpfung einzelner Symptome einer zerstörerischen Wirtschaftsweise zu fokussieren. Die Auseinandersetzung mit diesen und das Finden von linksradikalen Perspektiven und Antworten darauf ist eine der Motivationen, dieses Jahr ein Klimacamp in Deutschland zu veranstalten. Die Popularität des Themas könnte dabei, mit allen damit verbundenen Schwierigkeiten, einen Ansatzpunkt bilden in der radikalen linken verbreitete Berührungsängste gegenüber ökologischen Themen zu überwinden.

Ungünstig ist es in diesem Zusammenhang das Camp selber bloß Klimacamp zu nennen.Der Vorläufer des Ganzen, das „Camp for Climate Action“ in Großbritannien bezog wenigstens die "Aktion" in seinen Titel mit ein. Eine Konzentration auf „Klima“ führt aber trotzdem zwangsläufig dazu, dass die vielseitigen ökologischen Probleme weltweit auf dieses Thema verkürzt werden. Doch neben der Zerstörung der Atmosphäre durch Treibhausgase gibt es eine lange Liste anderer negativer Folgen der vom globalen Norden geprägten Industrieproduktion. Die Zerstörung der Biodiversität, die nicht abschätzbaren Gefahren der Anwendung von Gentechnik und die damit einhergehende Patentierung von Gemeingütern und Wissen sind neben den anderen Emissionen und Giften, die unserem Industriesystem produziert werden, nur einige der Probleme, die es klar zu benennen gilt.

Dass diese Themen keineswegs bloß eine ökologische, sondern auch eine starke soziale Dimension enthalten, hat sich gerade beispielhaft am Thema „Biosprit“ in Bezug auf die Agro-Kraftstoffe gezeigt, welche im Konflikt zur Nahrungsmittelproduktion im Süden stehen. Auch die Arbeitsbedingungen, unter denen globalisierte Industriesysteme Rohstoffe im globalen Süden fördern lassen und die insgesamt sehr ungleiche Verteilung der schädlichen Folgen zwischen Arm und Reich zeigen, dass unter den Folgen einer lebensfeindlichen Wirtschaftsweise vor allem auch sonst sozial Benachteiligte leiden.


„Weiter so?“ oder warum Reduktion Moppelkotze ist

Wenn mensch sich die öffentliche Diskussion um den "Klimawandel" anschaut, dann ist diese geprägt von einem Politikverständnis, das sowohl das Wissen, wie auch die Möglichkeiten an Veränderung mitzuwirken, fast ausschließlich Experte_innen zugesteht. Wissenschaftler_innen erklären uns vermeintliche Probleme, ein oben kritisierter "Klimawandel" und dementsprechende Lösungen werden präsentiert, die diesen "stoppen" sollen. Dabei wird viel mit Zahlen jongliert, welche die eigentlichen Probleme verschleiern. Es wird zum Beispiel oft von zwei Grad Temperaturveränderung geredet, unter denen es gilt, zu bleiben. Dass es an sich ein nicht hinnehmbarer Fakt ist, dass die Industrieregionen überhaupt in dieser Weise Treibhausgase emittieren, steht oft gar nicht zur Diskussion. Statt dessen gilt bei allen populäre Kampf dem CO2, dem Inbegriff des Bösen, mit dem sich dank Emissionsrechtehandel zufällig weitere Profite erzielen lassen. Einflussfaktoren und Folgen die nicht mit systemimmanenten technischen Lösungen bedienbar sind werden außen vor gelassen. Hier wird wieder ein Konflikt verkürzt und damit von den lokal oft viel dramatischeren Folgen der Zerstörung von Ökosystemen und des Zusammenlebens der Menschen in diesen abgelenkt.

Auch der Aufruf zum Klimacamp verliert sich an einigen Stellen sowohl in der Orientierung an Wissenschaft wie auch in der Fokussierung auf CO2. Wie so oft werden wissenschaftliche Analysen über die Erfahrungen und Bedürfnisse der Betroffenen gestellt. Dies steht einem partitzipatorischem Politikverständnis entgegen, welches versucht, alle Betroffenen in Meinungs- und Entscheidungsbildung angemessen einzubeziehen.

Die Veränderung der Rahmenbedingungen scheinen ausschließlich in den Händen von Politiker_innen und Wirtschaft zu liegen, das ist zumindest der Tenor von offizieller Seite. Zurecht muss dies auch von einer radikalen linken kritisiert werden, doch wie sieht eine linke Alternative aus, die eine Partizipation Vieler ermöglicht? Ein Klimacamp kann dafür nur ein Anfang sein, denn eine in Anlehnung an Heiligendamm symbolisch spektakuläre Politik, die sich an einem von Politik und Medien gesetzten Diskurs abarbeitet, läuft Gefahr, dort auch stehen zu bleiben. Hier wird es wichtig sein, das Camp als einen Ort der Diskussion darüber zu nutzen, wie wir uns die Welt, in der wir leben wollen, vorstellen und wie wir dort hinkommen.

Dass es dafür der Schaffung von Alternativen bedarf, sollte mensch trotz eines revolutionären Habitus nicht abtun. Für einen lebendigen Konflikt um dieses Thema sollte man sich über die Existenz des Öko-Anarchistischen Barrios, mit seinem Fokus auf gelebte Utopien auf dem Klimacamp freuen. Der Aufbau von Alternativen allein schafft das Problem aber nicht ab, und so sollte eine radikale Linke sich nicht scheuen, darüber zu reden, was eine konsequente Antwort auf zerstörerische Lebensweisen ist. Dass es eben auch darum geht, die schädliche Industrieproduktion selbst ernsthaft anzugreifen und dies zum Thema Atomkraft bereits teilweise linke Praxis war und ist, sollte in Erinnerung gerufen werden. Das "Klimacamp" könnte hierbei einen Meilenstein für den Anstoß einer Bewegung bilden, die in diese Richtung theoretisch und praktisch interveniert. Angefangen bei der Waffenindustrie über die Förderung von Rohstoffen bis hin zu der industriellen Nutzung von (auch Erneuerbaren) Energien sollte sich eine emanzipatorische Linke wieder in eine konfrontativere Rolle gegenüber der Industrie begeben. Und das trotz, oder eben gerade in, einer immer mehr auf Konsum ausgerichteten Welt.


Was heißt hier „Alles für Alle“?

Und hier kommen wir an einen Punkt, wo es zu einem scheinbaren Widerspruch zu einer in den letzten Jahren üblichen linken Praxis kommt. Eine Abkehr vom „Alles für Alle“ wollen wir nicht. Doch die Betonung muss auf das „für Alle“ verlagert werden, und damit sind nicht die 75 Millionen weißen Deutschen gemeint. Die Befriedigung von, auch gesellschaftlich produzierten, Bedürfnissen kann nur in dem Maße emanzipatorisch sein, wie die Produktion „für Alle“ nicht auf der totalen Übernutzung der Ressourcen dieses Planeten beruht.

Denn dass unsere für den Globalen Norden ausgerichtete Warenproduktion auf der global und sozial ungerechten Verteilung von Arbeit basiert beruht, ist dabei nur ein Aspekt. Ein anderer sind die sozialen und ökologischen Folgen dieser Produktion, die oft auch für die Zukunft im globalen Süden auf die sozial benachteiligten Schichten verteilt werden. Es sind hier beispielsweise die oft üblen Bedingungen, unter denen die Rohstoffe für unsere Industrien gewonnen werden, zu benennen, und auch der übliche Export von unserem Schrott in die entlegenen Regionen dieser Welt. Die Schadstoffbelastung auf der Erde ist entgegengesetzt zum Reichtum verteilt. Eine Linke, die diese Themen den Umweltverbände überlässt, schadet sich selbst.

Dabei ist es wichtig, sich von der Mainstream-Verzichtsdebatte abzugrenzen, die so gerne von den Umweltverbänden und seit kurzem auch von Politik und Medien als Lösungsansatz der Probleme präsentiert wird. Die damit einhergehende Individualisierung von Verantwortung auf den/die Einzelne_n geht am Problem vorbei und ignoriert die prekäre Situation vieler Menschen, die aufgrund ihrer sozialen Benachteiligung an sich schon wenig Spielraum haben.

Dass der individuelle Konsumverzicht als bürgerliches Wohlfühlprogramm daherkommt, sollte jedoch nicht zu einer Abneigung gegenüber einer faireren und besseren ökologischen Produktion von allen Gütern führen. Im Bereich der Nahrungsmittelproduktion zum Beispiel steht weltweit eine von Kleinbauern und -bäuerinnen geprägte, tragfähige und vielfältige Landwirtschaft einem durch Monokulturen und Massentierhaltung geprägten industriellen Landwirtschaftsmodell gegenüber. Gentechnik und global agierenden Saatgutkonzerne tun mit der Patentierung von Leben das Ihre zur Zerstörung dieser Existenzen hinzu. Der Kampf der Zapatistas in Chiapas ist nur ein bekanntes Beispiel dafür.

Einem „Alles für alle“ wollen wir deshalb ein „und zwar Autonom“ im Sinne von Autonomie anhängen. Es muss darum gehen, sich von einer ungerechten Ausnutzung der sozialen Schieflage im globalen Gefüge hin zu einer selbstbestimmten und unabhängigen Versorgung mit Allem zu bewegen. Den Rahmen des Möglichen "Alles" bildet dabei , was im gerechten Zusammenleben in und mit unserer Umwelt möglich ist. Es bedarf dafür sowohl der Schaffung von sofortigen Möglichkeiten der Nicht-Unterstützung ausbeutender Produktionsprozesse, als auch einem kontinuierlichen gemeinsamem Prozesses zur Findung von konkreten Inhalten einer ganz anderen Produktions- und Gesellschaftsgestaltung. Autonomiegewinn und Ernährungssouveränität sind dabei wichtige Stichpunkte, die für die deutsche Situation erstmal in weiter Ferne scheinen, aber um die viele Menschen des globalen Südens täglich kämpfen.


Hamburg nur, um mehr zu sein?

Dass die eben genannten Ungleichheiten eine starke Dimension des Rassismus enthalten, die sichtbar wird, wenn das Thema "Klimawandel aus der ökologischen Nische heraus in den Zusammenhang mit unserem Industriesystem gestellt wird, ist für uns der eigentliche Bezug zum AntiRa- Camp.

Denn die weitere Zerstörung der Lebensgrundlage von Menschen im globalen Süden durch Interessen des Nordens findet nicht nur indirekt über die Veränderung des Klimas statt. Die direkten Folgen der Förderung von Grundstoffen, z.B. die massive Verunreinigung von Trinkwasser bei der Förderung von Erzen, Bauxit u.a. sind meist viel dramatischer als der oft abstrakt wirkende "Klimawandel". Die Veränderung unserer Welt führt weltweit zu einer weiteren Verschärfung von Ungleichheiten. Flüchtlingsströme als Folge des "Klimawandels" sind dabei nur eins der populären Themen, mit denen eine rassistische Politik der Angst und eine repressive Politik der Überwachung und Militarisierung vorangetrieben wird. Die Militarisierung der Außengrenzen Europas stellt dann auch den Bezug zum dritten Thema her, das leider nicht nach Hamburg kommt, dort aber angebracht wäre. Eine antimilitaristische Politik ist nämlich sowohl antirassistisch als auch „klimafreundlich“. Die mit hohem Ressourcenverbrauch verbundene Produktion von Waffen und deren Nutzung sind wohl mit die größten Umweltfrevel weltweit und zählen mit ihrer gewollten Destabilisierung bestimmter Regionen zu den Hauptursachen von Flüchtlingsströmen.

Der Bezug der Themen aufeinander muss auf den Camps genauso wie darüber hinaus hergestellt werden, es kann nicht Zweck sein, sich in einem Gefühl des Post- Heiligendamm in einer großen Bewegung wohl zu fühlen. Wenn das Ziel ist, bloß viele zu sein und auf einem medialen Hype des letzten Jahres mitzuschwimmen, dann haben wir uns falsch verstanden. Denn es geht nicht darum, ein konsumierbares Event mit symbolischer Politik, die sich an die bundesdeutsche Politik richtet, zu schaffen. Uns geht es darum, Schritte in Richtung einer wirklichen Teilhabe an der Gestaltung unserer Welt zu organisieren und damit über das bestehende System hinaus zu weisen. Wichtig ist es, unser Handeln nicht an der Agenda der machtpolitischen Akteure auszurichten, sondern deren Legitimität mit der eigenen Politik grundsätzlich in Frage zu stellen.

In diese Richtung wollen wir diesen Sommer zusammen in Bewegung kommen!