2007-03:Eine mögliche Utopie

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Eine mögliche Utopie

fb Auch dieser Text entstand beim Utopien-Seminar im September 2007 in Magdeburg. In einem OpenSpace-artigen Prozess stellten sich die TeilnehmerInnen gegenseitig ihre Vorstellungen von einer anderen Gesellschaft vor, trugen diese zu "Utopien-Steckbriefen" zusammen und tauschten sich darüber aus. Weitere Steckbriefe und Auswertungsmaterial zum Seminar liefert die Dokumentation unter http://herrschaftsfreie-welt.de.vu.

Ausgangsmotivation

Ich wünsche mir eine Welt, in der ich mich weitestgehend frei entfalten kann. Ich mache Dinge, die mir Spaß machen, die mir „etwas geben“. Ich kann mir soviel Zeit nehmen wie ich will, um zu träumen, die Natur und Wesen in ihr intensiv wahrzunehmen, sensibel für meine Umwelt (Menschen, Tiere, Pflanzen, Luft etc.) zu sein.

Aber ich will mich auch weiter entwickeln, Wissen aneignen, neue Gedanken/Sichtweisen zu entwickeln ... Meta-Ebene ausbauen, geistige Weiterentwicklung.

In dieser – vor allem geistige - Evolution sehe ich einen wichtigen „Sinn des Lebens“.

Widersprüche Hier & Jetzt

Ich kann mich in der jetzigen Welt aber nicht einfach so verhalten:

  • Viele Entwicklungen (technischer, geistiger und gesellschaftlicher Art) finden nicht statt, weil Machtausbau und -erhalt dominierend sind und dabei Kraft und Zeit kosten.
  • Ich kann nicht „frei“ entscheiden, da die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen dem entgegenstehen, u.a. in Form von Repression, Umweltzerstörung, diskursiver Herrschaft, Zugangsbeschränkungen.
  • Ich kann mich u.a. auch deshalb nicht so entfalten, wie ich das möchte, weil Andere ebenso fremdbestimmt werden und nicht frei entscheiden können - Kooperationen mit ihnen kommen zum Teil aufgrund dieser mangelnden Freiheit nicht zustande.
  • Die Rahmenbedingungen, die ich möchte, erfordern eine andere Gesellschaft – Kooperation statt Konkurrenz, Horizontalität etc. sind Prinzipien, die in einer herrschaftsförmig durchzogenen Gesellschaft kaum anzutreffen sind.
  • Ich sehe die Notwendigkeit, Kraft, Gedanken und Zeit in die Bekämpfung von Unterdrückung, Zwang, Umweltzerstörung etc. statt in meine Selbstverwirklichung zu stecken, weil diese letzterer entgegenstehen.

Die Welt, die ich möchte, funktioniert nicht, wenn ich meine Entfaltungsmöglichkeiten als Privileg denke – ich müsste viel Zeit und Kraft aufbringen, um diese Privilegien zu erhalten, mich gegen den Neid Nicht-Privilegierter zu schützen, in Angst um den Verlust leben. Am ehesten kann ich mir vorstellen, dass ich mich – möglichst – frei entfalten kann, wenn Andere diese Möglichkeiten auch haben.

Konflikte

Wenn sich alle frei verhalten, gibt es m.E. Konflikte, weil Menschen unterschiedliche Wünsche, Bedürfnisse, Grenzen etc. haben und sich diese auch diametral gegenüber stehen werden. Für solche Konfliktsituationen bedarf es praktikabler Lösungsansätze, die wiederum herrschaftskritisch sein müssen, weil Herrschaftsmechanismen sonst leicht wieder aufkommen werden. Hierfür halte ich keine einfachen Entwürfe für möglich, da Herrschaft und auch soziale sowie gesellschaftliche Beziehungen komplex sind. Dieser Komplexität müssen Lösungsansätze gerecht werden.

Grundprinzipien

In einer solchen herrschaftskritischen Gesellschaft, die sich dem Ziel der Herrschaftsfreiheit immer weiter annähern will, dabei bisher unsichtbare Herrschaftsmechanismen entdeckt und diese neu bewältigen muss, und die daher keinen Endzustand haben wird, ist wichtig:

  • die Gesellschaft, die in ihr wirkenden Prozesse und deren Wirkungen zu reflektieren,
  • Fähigkeiten zu entwickeln und auszubauen, um eine Meta-Ebene zu beziehen, das eigene Handeln und Wirken zu überblicken und sich bewusst zu verhalten.

Ich nehme an, dass jegliche Form von Herrschaft in dieser Utopie kontraproduktiv ist und bekämpft werden sollte. Eine Lösung, die den Rückfall auf Herrschaftsmechanismen konzeptuell beinhaltet, gefährdet die herrschaftsfreie Gesellschaft und sollte möglichst vermieden sowie durch andere Lösungen ersetzt werden.

Grundprinzipien dieser Gesellschaft sind u.a.:

  • Die Rahmenbedingungen sind so angelegt, dass sie nicht die Konkurrenz fördern, sondern sie fördern Kooperation.
  • Es gibt kein Eigentum und möglichst weitgehend auch keinen Besitz oder andere Nutzungsbeschränkungen.
  • Es gibt keine institutionalisierte Gerechtigkeit/Recht, sondern unterschiedliche Auffassungen müssen - auf Grundlage von „Horizontalität“ - ausgehandelt werden.
  • Statt Polizei oder anderen „Beauftragten“, die sich um Konflikte kümmern, wird direkte Interventionsfähigkeit trainiert und eine kritikfreudige Atmosphäre geschaffen.

Weg zur Utopie

Der Weg vom Hier & Jetzt zu dieser Utopie ist aufgrund der komplexen gesellschaftlichen Wechselwirkungen nicht genau beschreibbar; es ist auch nicht klar, ob sie erreicht wird. Aber ich gehe davon aus, dass der Versuch diese Utopie zu verwirklichen, bereits die Realisierung einzelner herrschaftsfreier Bestandteile eine Verbesserung der Bedingungen im Hier & Jetzt bedeutet und für eine grundlegende Verbesserung gesellschaftlicher Umstände notwendige Voraussetzung sind.

Zu fragen ist, welche Prinzipien und Methoden im Hier & Jetzt entwickelt und verbreitet werden müssen, um die Chancen für die Annäherung an die beschriebene Utopie zu erreichen. Es bedarf verstärkter Sensibilisierung, Experimente und der Schaffung von Handlungsfähigkeit verbunden mit intensiven Reflektionsprozessen.

Steckbrief Utopie

Kurz-Zusammenfassung:

  • komplexe Gesellschaft
  • schließt SpezialistInnen ein
  • Welt, in der viele Welten möglich sind, sofern sie diese vielen möglichen Welten weiter möglich lassen
  • keine institutionalisierten Entscheidungen
  • kein Eigentum
  • Wann soll deine Utopie anfangen?
    • Im Hier & Jetzt erste Ansätze, die Utopie selbst ist ein anzunäherndes Ideal (zeitliche Projektion)
  • Wo „spielt“ deine Utopie?
    • Hier, auf der ganzen Welt (globale Utopie)
  • Wer ist an deiner Utopie beteiligt?
    • Sie betrifft alle, die betroffen sind
  • Was ist deiner Meinung nach das „wichtigste“, charakterisierende an deiner Utopie?
    • Prinzip der Herrschaftsfreiheit, der die Menschen sich annähern wollen (idealisierte Annahme)
  • Was gefährdet deine Utopie?
    • Wenig Meta-Ebene, Lethargie, Denkfaulheit ...
  • Wie organisiert sich die Wirtschaft?
    • Die Menschen organisieren ihre Wirtschaft auf dem Prinzip von Autonomie und Kooperation
  • Wie willst du zu deiner Utopie gelangen?
    • Entwicklungsprozess von Bewusstsein, Kompetenzen, Wissensvermittlung + Aktionen + Beispielcharakter
  • Welche Voraussetzungen braucht deine Utopie?
    • Bereitschaft zur Veränderung, Offenheit, Risiko, Reflektion