2007-02:Mächtige Rhetorik for Dummies

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Mächtige Rhetorik for Dummies

Ein kleiner Leitfaden zum wirkungsvollen Auseinandernehmen unliebsamer Texte

Luther Blisset <lutherblisset at no-log.org>

Ich kenne viele Menschen, die politische Texte Schreiben. Einer davon ist Achim Stößer. Was mir an den Texten von Achim Stößer oft auffällt ist das Vermögen des Autors, rhetorische Tricks anzuwenden. Aber fangen wir von vorne an.

Mein alter Schulfreund Jörg Bergstedt hat einen Text geschrieben, der sich mit dem auf ihre Ideologie inkonsequenten Verhalten vegan lebender Menschen befasst. Der Text ist vergleichsweise sachlich und daher ziemlich langweilig. Achim Stößer aber fühlt sich von diesem Text derart angegriffen, dass er einen Gegentext schrub. Nein, es ging dabei nicht um inhaltliche Kritik, sondern darum, die Lesendenschaft mit hochpräzisen rhetorischen Tricks zu verwirren.

Dieses Meisterstück rhetorischen Faustkampfes möchte ich zur Anschauung heranziehen, wenn ich nun eine kleine Einführung in die spannende Welt machtvoller Rhetorik vermittle.

Die goldenen Regeln machtvoller Rhetorik

Es kommt nicht darauf an, was Dein Gegenüber geschrieben hat, sondern nur, was deine Leserin wahrnimmt

Mit der Länge eines Textes steigt auch die reine Konsumhaltung der Leserin. Ein langer Text wird weniger genau unter die Lupe genommen, als ein kurzes Statement. Hierin bietet sich ein unglaublicher Vorteil. Atomisiere den Text Deines Gegenüber auf die kleinstmöglichen Fragmente. Achte dabei nicht auf deren Sinn. Nur die Worte Deiner Antwort müssen sich ähneln, damit die Leserin auf Deiner Seite steht. Hierin ist Achim Stößer ein wahrer Meister:

"Allerdings fällt auf, dass vielfach der Blick nur oberflächlich bleibt – beschränkt auf die erste Wirkungsstufe." (Bergstedt, a.a.O.)
Er unterstellt damit, dass Veganismus sich lediglich auf das Offensichtliche bezieht, das Enthaltensein von Leichenteilen etc. in Produkten.

Hätten Sie bemerkt, dass Jörg Bergstedt hier garnicht vom Veganismus gesprochen hat, sondern sich auf die Individuen, die diesen praktizieren, bezieht? Natürlich nicht, denn dies lässt sich nur erschließen, wenn der Originaltext vorläge. Tut er aber nicht, daher lässt sich Achim Stößers Aussage nicht im geringsten anzweifeln. Oder haben Sie Zweifel? Nein? Niemand hat Zweifel! Applaus!

Eine emotional aufgeladene Behauptung ist besser als fünf logische Beweise

Nirgendwo geht es weniger um die tatsächlichen Inhalte, als in Auseinandersetzungen in Bezug auf politische Themen. Ideologie ist nichts weiter als Emotion, Recht hat, wer ihr Gegenüber in den Augen des Lesenden auf moralischer Ebene beikommen kann. Doch plumpe Beleidigungen werden zu oft bemerkt. Beleidigen sie inhaltlich und versuchen Sie keinesfalls, ihre Aussagen irgendwie zu beweisen. Logik lenkt nur von der Emotion ab. Wieder muss ich mich an den Meister der mächtigen Rhetorik halten:

Typisch für solche Antiveganismuspropaganda ist, dass der Autor entweder nicht die geringste Ahnung von der Materie hat, oder aber sie bewusst verzerrt darstellt: typische speziesistische Hetze, wie sie an jeder Straßenecke zu finden ist, wo Unveganer ihre Taten zu rechtfertigen versuchen.

Würden Sie einem Text zustimmen, der als Hetze bezeichnet wird? Nein? Kein Mensch tut das! Bravo!

Du musst nichts beweisen, wenn Du eine ansprechende Analogie bilden kannst

Wie mein lieber Freund, der Logiker Kurt Gödel, eben nicht bewiesen hat, lässt sich nichts beweisen. Doch um Beweise geht es auch gar nicht, da die mächtige Rhetorik nicht rational argumentiert, sondern emotional. Analogien sind die neuen Beweise, fragen Sie Achim Stößer:

Dass das in einer speziesistischen Gesellschaft nicht mit beliebiger Rekursivität zu vermeiden ist, ist eine Binsenweisheit, die Veganern ebenso wenig angelastet werden kann wie es Antifaschisten unter der Naziherrschaft angelastet werden konnte, dass sie über Straßen gingen oder Kartoffeln aßen, die mit der Asche aus Krematorien gebaut respektive gedüngt worden waren.

Sind Sie ein Nazi? Nein! Niemand ist gern ein Nazi! Hut ab vor Achim Stößer!

Je absurder eine Folgerung ist, desto weniger wird sie hinterfragt

Je unverständlicher ihnen etwas erscheint, desto mehr sagt Ihnen ihr Gehirn, dass sie garnicht darüber nachdenken sollten. Glauben Sie nicht? Achim Stößer beweist Ihnen das Gegenteil:

Die Schlussfolgerung, die Bergstedt damit impliziert, ist natürlich absurd: weil Veganismus weder Erdbeben durch Plattentektonik verhindert noch bei der Berechnung der Bahndaten einer Plutosonde hilft, und weil Veganer weder auf einen von Unveganern freien Planeten auswandern noch ameisengefährdungsfrei über dem Boden schweben können, ist Veganismus, sind Veganer also unvollkommen, was diesem verschrobenen Gedankengang zufolge Gewaltkonsum rechtfertigt. Auch wenn er das vielleicht nicht explizit sagt, ist es das, was der Text transportiert.

Würden Sie sich auf eine Auseinandersetzung zu Plattentektonik und Plutosonden einlassen? Nein? Niemand würde das! Respekt!

Des anderen Fehler sind Deine Goldgrube!

Keine Freude ist schöner als Schadenfreude. Über nichts lässt es sich vortrefflicher schreiben als über die Fehler ihres Gegenüber. Haben Sie keine Angst, in Ihren Ausführungen noch verwirrender zu werden oder die Fehler gar fortzuführen. Wenn Sie einmal aufgezeigt haben, dass ihr Gegenüber Fehler macht, werden alle Fehler diesem angelastet werden:

"Vegane Ernährung ist der Verzicht auf den Konsum tierischer Produkte." (Bergstedt, a.a.O.)
Analysieren wird diese "Definition" einmal:
1. Veganismus wird auf eine bloße Kostform, eine Diät reduziert. Ein weit verbreiteter Manipulationsversuch, der meist dazu dient, basierend auf Fällen mangelernährter Anhänger obskurer Ernährungslehren Veganismus zu diskreditieren.
[...]
3. Vegane Ernährung als Nichtkonsum "tierischer Produkte" zu definieren ist natürlich Unfug. Was hat vegane Ernährung etwa mit dem Konsum von "tierischen Produkten" wie unveganem Shampoo oder "Leder"schuhen zu tun?

Ja, Vegane Ernährung entspricht nicht Veganismus. Achim Stößer treibt ein geschicktes Verwirrspiel um diese Begriffe. Wissen Sie noch worauf sich Achim Stößer bezieht, auf Veganismus oder Vegane Ernährung? Niemand weiß das! Klasse!

Wahrheit ist immer das, was Du schreibst

Jede Wahrnehmung ist Subjektiv. Daher kann keine ihrer Leserinnen beurteilen, ob das was Sie schreiben wahr ist oder nicht. Wozu auch, Ihre Lesenden werden alles was Sie schreiben als Wahrheit ansehen, wenn Sie diesen Anspruch nur vermitteln. Achim Stößer handelt nach diesem Prinzip:

Denn in Wahrheit ist Bergstedt nichts weiter als ein Speziesist von vielen, der mit diesem Sammelsurium aus Halbwahrheiten seinen Speziesismus zu rechtfertigen versucht.

Wenn das Die Wahrheit ist, würden Sie dann behaupten, Achim Stößer habe nicht recht? Niemand würde das! Achim hat recht!

Bücher wären notwendig um alle rhetorischen Tricks und Kniffe, wie sie in ihrer Vollkommenheit in Achim Stößers Text angewendet werden, zu beschreiben. Halten Sie die Augen offen. Mit einem kritischen Blick erkennen Sie all diese tollen mächtigen rhetorischen Tricks und können eine ganze Menge darüber Lernen, wie sie einen Text heruntermachen, ganz ohne inhaltlich auf diesen einzugehen oder ihn nur ansatzweise zu verstehen.


Quelle: Antispe Buchprojekt

<Dieser Text steht unter Public Domain>

Eine Antwort auf den Text sowie weitere Diskussion findet sich unter: http://www.gruenes-blatt.de/wiki/index.php/Diskussion:2007-02:Mächtige_Rhetorik_for_Dummies