2007-02:Das war mein Gipfel - eine Woche Anti-G8-Aktivismus

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Das war mein Gipfel – eine Woche Anti-G8-Aktivismus

“Eine Woche Polit-Aktivismus”, “Campen mit ganz vielen Leuten an der Ostsee”, “Wahrnehmung meiner staatsbürgerlichen Rechte” – in diese und noch ganz andere unterschiedliche Bezeichnungen ließe sich die Woche vom 1. bis 9.6. 2007 verpacken. Aber was waren die chronologischen Inhaltsstoffe?

Los ging es mit der Auftaktdemonstration am 2.6., wo die Breite des versammelten Spektrums – von eher bürgerlichen ChristInnen bis zu links-autonomen Schwarz-Kapuzen – wohl die Herausforderung darstellte, die nicht wirklich gemeistert wurde. Zwar gelang es der tollen Moderatorin auf der Auftaktkundgebung am Bahnhof sehr gut, eine für alle DemonstrantInnen verständliche Ausdrucksweise zu finden, bei der Endkundgebung am Hafen sah das aber ganz anders aus: Die Moderatorin dort war sichtlich überfordert mit der Aufgabe, die unterschiedlichen politischen Verständnisse der Anwesenden zu erfassen. So wies sie angesichts der Auseinandersetzungen mit der Polizei wiederholt darauf hin, daß “wir eine ganz erfahrene Demo-Leitung haben, und die verhandelt gerade mit der Polizei.” Daß so ein Verweis auf Autoritäten und deligierte Verantwortlichkeiten für viele Leute ziemlich egal ist, schien ihr nicht bewußt zu sein. Diese Ignoranz von der Bühne herab hat meiner Meinung nach auch zur Eskalation des Geschehens beigetragen.

Aber es ging während der folgenden Aktionstage anders weiter: Am Sonntag zum Thema Landwirtschaft, am Montag zu Migration. Immer wurden inhaltliche Beiträge bereichert durch Kultur, u.a. durch eine wunderschöne satirische Show “Deutschland sucht den Superdeutschen.” Als wir uns am Montag der Großdemo erst später anschließen wollten, machte uns die Polizei einen Strich durch die Rechnung und hielt die Demo vor der Innenstadt auf. So haben wir uns die Wartezeit mit einer kleinen Spontandemo – doch noch in der Innenstadt! – vertrieben. Die Betreiberin eines Eiscafés, das wir zwischendurch besucht hatten, zeigte sich beiden Seiten gegenüber aufgeschlossen: Sie ließ DemonstrantInnen über den Hinterausgang an einer Polizeisperre vorbei, etliche PolizistInnen die Toilette benutzen und kommentierte letzteres mit “Ich muß auch immer auf's Klo, wenn ich Angst habe.” Sehr schön war es während der Demo- und Aktionstage, mit Changie, dem “radical emancipatory transformation dragon” unterwegs zu sein. Merke: eine Großpuppe macht bei vielen Leuten gute Stimmung, sieht nett aus – insbesondere wenn die Demo sich farblich durch gediegen-militantes Schwarz auszeichnet – und macht dadurch auch den TrägerInnen Spaß.

Den Dienstag hatten wir als Erholtag eingeplant, der leider durch den morgendlichen Tornada-Flug über'm Camp nicht gerade ruhig begann. So ein Militärflugzeug in 150m Höhe stellt schon ein recht beeindruckendes Erlebnis dar – auf das ich für den Rest meines Lebens gut verzichten kann.

Die Tag ab Mittwoch waren dann den Blockaden gewidmet und verliefen meiner Ansicht nach sehr erfolgreich. Es war ziemlich toll, bei der 5-Finger-Taktik so viele zu sein, daß ein einzelner Finger größer ist als sonst die ganze Hand! Am Zaun wurden wir einmal von einem Polizisten begrüßt mit der Frage “Ja, woher kommt ihr denn alle noch? Wir dachten, das Camp ist irgendwann mal leer? Kommt ihr aus der Erde oder was?” Darauf ließ sich dann nicht viel mehr entgegnen als “Tja, wir sind halt auch gut aufgestellt.” Auch am Strand konnten wir unmittelbar an den Zaun heran und dort baden, weitere Aktiönchen hatten wir uns angesichts des Hundes auf der anderen Seite dann aber doch gespart.

Auf der Abschlußkundgebung am Freitag wurden Eindrücke der unterschiedlichen Beteiligten (AktivistInnen, EA etc.) geschildert, was einen schönen Abschluß bildete. Nur war die Moderation erneut mit der Breite des Spektrums überfordert und würgte ein paar Leute unschön ab. Fataler war aber die Tatsache, daß nicht alle Beiträge übersetzt wurden – um Zeit zu sparen und mehr Leute zu Wort kommen zu lassen. Und die vorherige Frage, wie denn mit der Zeitnot und der Übersetzung umzugehen sein, wurde nur auf Deutsch gestellt! Das ist für die Abschlußkundgebung einer internationalen Protest-Woche schon ziemlich peinlich.

Am Abend hieß es dann Abschiednehmen vom Camp Reddelich, also von einem schönen Beispiel von Selbstorganisation, mit leckerer Volxküche, architektonisch sehr schicken Dusch-Konstruktionen und überhaupt total vielen aktiven Leuten. Der Support, auch auf der Straße, lief extrem gut: Essen wurde zu den Blockaden gebracht, Sanis und das Legal Team waren vor Ort etc. In einer Gegend außerhalb des Wendlands, wo es also keine gewachsenen lokalen Unterstützungsstrukturen gibt, war das eine tolle Leistung. Wobei die Verständigung mit der Lokalbevölkerung offensichtlich erstaunlich gut geklappt hat: Die AnwohnerInnen haben beim Aufbau des Camps sehr viel Unterstützung geleistet, bei den Blockaden auf der Straße wurden Erdbeeren aus dem eigenen Garten hingebracht etc. Diese Dinge sind ja nicht unbedingt üblich, wenn Horden wütender junger Leute in eine politisch eher verschlafene Gegend einfallen. Vielleicht hat der Protest wirklich etwas beigetragen zur Aktivierung der Leute dort. Bei einer Door-Knocking-Aktion im letzten Sommer war deutlich zu merken, daß viele Leute politisch sehr unzufrieden sind, aber nicht glauben, selbst etwas ändern zu können. Wäre toll, wenn diese Sicht etwas aufgebrochen worden wäre.

Insgesamt bin ich also am Samstag überaus motiviert nach Hause gefahren. Ob die Blockaden wirklich viel “behindert” haben, ist zwar total fraglich, aber sie waren medial auf jeden Fall ein Erfolg – zum einen, weil sie mit Inhalten in Verbindung gebracht wurden, und zum anderen, weil sie auch als “Blockaden”, also als mehr als eine bloße Meinungskundgabe, wahrgenommen wurden.

Geärgert habe ich mich aber auch in diesen Tagen – über unangemessene Distanzierungen aus dem eher bürgerlichen Protest-Spektrum, aber auch über viele linksradikalen Reaktionen darauf. Der aufkommende Solidarisierungsdruck, der einen Maulkorb für Kritik darstellt, ist zwar verständlich, aber auch sehr nervig und meiner Meinung nach politisch unklug. Viele, auch militanz-befürwortende Leute fanden die Ausschreitungen am Samstag in Rostock strategisch falsch . Diese interne politische Kritik fand keinen Raum mehr, sie wurde nicht in größeren Runden thematisiert, soweit ich das mitbekommen habe. Die Fähigkeit zur Selbstkritik halte ich aber für eine wichtige Eigenschaft für Leute, die sich als politisch progressiv und links verstehen. Vielleicht kommen solche Debatten noch, ich hoffe es.

Ein weiterer Punkt, der mich sehr gestört hat, war ein übersteigertes Gefühl des Angegriffenwerdens im Camp: Es gab auf den Plena zeitintensive Planungen für eine potentielle Spontan-Räumung, ohne daß ich irgendwelche Anhaltspunkte für so eine Polizei-Maßnahme erkennen konnte oder von konkreten Erfahrungen in Deutschland wüßte. Ergebnis solchen vorverlagerten Sicherheitsdenkens ist etwas, was ich als eine Atmosphäre der übertriebenen Verteidigungsbereitschaft und Einschränkung der rationalen Wahrnehmung ansehe. Prompt gab es auch in DREI Nächten Räumungs-Fehlalarm – ziemlich unpassend, wenn ein paar Stunden später alle Leute zu Blockaden wollen und eigentlich ausgeschlafen sein sollten. Ein Mensch wurde fälschlich als Zivil-Polizist enttarnt und nachts vom Camp geschmissen. Bei solchen Aktionen frage ich mich immer, wozu wir diese Aufregung brauchen und ob wir unsere politische Identität nicht auch ohne ein zweites Genua klar haben. Die Einstellung “Viel Feind, viel Ehr” scheint mir doch sehr verbreitet zu sein. Zu präziser politischer Kritik und dementsprechend zielgenauen Aktionen trägt sie leider nicht unbedingt bei.

Insgesamt war es aber eine sehr schöne, motivierende Woche, die zwar viel Anlaß für kritische Reflexion bietet, aber auch Lust macht auf mehr Aktion und Selbstorganisation!