2005-03:Schacht Marie: Rüstungslager, Broilerzucht und Giftmüll

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Schacht Marie: Rüstungslager, Broilerzucht und Giftmüll

fb Bis Mitte des 19. Jahrhunderts waren in der Gegend des Oberen Allertals nur sogenannte Salzbrunnen, welche salzhaltiges Wasser führten, bekannt gewesen. Diese Solequellen wurden bis dahin ausschließlich zu Kurzwecken betrieben. Im Jahre 1872 wurde die Genehmigung zur Errichtung eines Solquellenbergwerks im Oberen Allertal erteilt. Mit dem zunehmenden Bedarf an Industriesalzen begann auch der massive Abbau dieser Rohstoffe in Salzstollen. Die Betreiber wollten Stein- und Speisesalz fördern und hatten mit Probebohrungen in den vorangegangenen Jahren den Salzstock entdeckt.

Der Schacht Marie wurde im September 1898 abgeteuft. Er wurde bis auf die zugelassene Endtaufe von 300 m vorangetrieben. Die Erträge des Schachtes und anderer Gruben im Allertal bewog die Betreiber schon um 1900 in unmittelbarer Nähe des Schachtes Marie eine Saline (ein Salzbergwerk) zu errichten und die Gruben weiter auszubauen. Es entstanden riesige Schachtsysteme, deren Stollen nach der Förderung des Salzes leer standen.

Rüstung in Marie

Im Jahre 1934 wurde ein Teil der Stollen des Schachtes Marie an das Rüstungswesen des Deutschen Reiches verpachtet, da dieses zunehmend Bedarf an unterirdischen Lagern angemeldet hatte. 1937 wurde in der Anlage eine Munitionsanstalt errichtet. Unter Tage wurde in 150 Kammern hauptsächlich Fliegermunition gelagert.

Ab 1940 wurde die Grube mit Beton ausgebaut. Mit der Verlegung von kriegswichtigen Produktionsstätten der Nazis unter Tage gegen Ende des Zweiten Weltkrieges wurden in den unterirdischen Anlagen in großem Stil Rüstungsmaterial wie die Steuerung der V1 produziert. Es stellte sich jedoch bald heraus, dass sich die unterirdischen Anlagen nicht zur Produktion von der oft sehr filigranen Technik eigneten. Die Teile waren zum Teil so stark korrodiert, dass sie nicht einmal den Testlauf überstanden. Im Schacht arbeiteten 1944 bis 1945 Tausende Angestellte und Zwangsarbeiter unter den unmenschlichsten Arbeitsbedingungen. Nach Ende des Krieges wurden die Fabriken demontiert und zum größten Teil als Reparation in die UdSSR geschafft; zuvor gelang es den Fabrikbesitzern noch 250 Maschinen zu veräußern.

Broiler-Zucht in Marie

Während in anderen Bergwerken der Region zum Teil noch große Salzmengen abgebaut wurden, gab es erst 1958 wieder einen Vorschlag zur Nutzung der Anlagen in Marie. Sie sollten zu Hähnchenmastanlagen ausgebaut werden. Ab 1960 begann also in den alten Bergwerkshallen eine Masthähnchenzucht unter Tage. Dieses Verfahren war kostengünstig und so wurde die Zucht weiter ausgebaut. Nach jeweils einer Mastperiode wurden die Anlagen komplett gereinigt und desinfiziert. Ein Teil der Abwässer scheint in die Grube abgelassen worden zu sein. Die schlachtfertigen Hähnchen wurden in einem eigens dafür errichteten Schlachthof über Tage verarbeitet.

Erst Mitte der 80er Jahre wurde mit dem Abbau der Anlagen im Stollen begonnen. Die konventionellen Zuchtmethoden waren weiterentwickelt worden und hatten sich im Laufe der Zeit als wesentlich rentabler erwiesen. Die Schlachtanlagen wurden noch einige Jahre von den umliegenden LPGs genutzt.

Giftmüll in Marie

Unter Tage wurde unterdessen mit der Einlagerung von Härtereialtsalzen im Probebetrieb begonnen. Der hohe Bedarf an Entsorgungsmöglichkeiten führte jedoch Anfang der 90er Jahre dazu, dass weit über die genehmigten Mengen hinaus Sondermüll aller Art eingelagert wurde.

Bis mindestens 1988 lagerten die hochgiftigen Salze unter katastrophalen Sicherheitsbedingungen in einem Bunker in Beendorf bzw. als dieser voll war in einer Lagerhalle im Werk der Havelstraße Magdeburg. Da die dortigen Lagerkapazitäten erschöpft und auch der Zustand des Lagers nicht länger tragbar war, beschloss der Ministerrat am 25.07.1985 eine "zeitweilige Zwischenlagerung" zunächst für 20 Jahre im Schacht "Marie". Im Mai 1986 erteilte der Rat des Bezirkes Magdeburg die Standortgenehmigung für das erste Teilvorhaben "Versuchseinlagerung 1986" für das Investvorhaben. Einlagerungsbeginn war am 30.01.1987, obwohl in der DDR bisher keine wissenschaftlichen Grundlagen zur Einlagerung in Salzschächten, insbesondere über toxikologische Reaktionen vorhanden waren; die endgültige Überarbeitung des toxikologischen Sicherheitsnachweises sollte aufgrund der Einlagerungserkenntnisse nach Abschluss der Versuchseinlagerung erfolgen. Die Gesamteinlagerung erfordere einen toxikologischen Sicherheitsnachweis vom Kombinat Härtol Magdeburg, der zur Zeit nicht vorliege, so der Rat des Bezirkes Magdeburg in einem Schreiben vom 02.07.1987.

Im August 1987 wurde dann die Endlagerung "erprobt"; vorerst sollten 1.000 Tonnen Härtereialtsalze in vier Kammern á 250 Tonnen eingelagert werden (600 Tonnen aus der Industrie sowie 400 Tonnen aus Beendorf). Dabei sollte die Entstehung blausäurehaltiger Dämpfe getestet werden. Bis Ende 1987 war die Einlagerung von noch einmal 400 Tonnen sowie zusätzlich 700 Tonnen aus Beendorf (umgefüllt) im Schacht Marie angedacht. Außerdem war geplant, 1989/1990 jährlich mindestens 4.500 Tonnen Salze "zwischenzulagern".

Giftmüll-Einlagerungen

Bis zum 08.12.1987 wurden 3.733 Fässer (1.002,191 Tonnen) eingelagert, darunter keine Fässer aus Beendorf. Am 22.12.1987 berichtete die Stasi-Dienststelle Haldensleben, die "Versuchseinlagerung" sei positiv verlaufen und es sollten weitere Kammern ausgebaut werden. Ab 1988 sollten dann jährlich mindestens weitere 2.000 Tonnen eingelagert werden. Am 10.08.1988 waren es insgesamt 8.023 Fässer (2.189,3 Tonnen), davon wurden 4.106 (1.132,6 Tonnen) im Jahr 1988 eingelagert. Allerdings hatten im ersten Abschnitt der "Versuchseinlagerung" (30.01.1987-19.05.1987) 50 % aller Liefe-rer von Altsalzen erhebliche Sicherheitsmängel aufgewiesen, was eine Überarbeitung des Sicherheitsnachweis erforderlich machte.

Positionierung der Behörden

Offiziell hat sich keine der mitspracheberechtigten Institutionen gegen eine Einlagerung von Giftmüll ausgesprochen. Zudem schien keine Behörde (zumindest nicht alleinig) für eine grundsätzliche Entscheidung zuständig zu sein. Stetig wurden neue Sicherheitsauflagen und Komplexkontrollen gefordert, die aber nie negativ ausfielen. Insgesamt wirkt es, als scheuten die Behörden Interventionen.

In Versuchen wurde aber schon 1987 festgestellt, dass es bei der Einwirkung von Sole (wie sie im Schacht Marie vorliegt) auf cyanidhaltige Altsalze zur Entwicklung von Blausäure kommt. Des weiteren ist ein Nachbarschacht bereits abgesoffen; für den Fall eines Wassereinbruches im Schacht Marie wäre das eine nicht abschätzbare Bedrohung, besonders für das direkt angrenzende Atommüll-Endlager Morsleben. Daher wurden die Verbindungshohlräume zwischen Marie und Bartensleben sowohl vom SAAS als auch von unabhängigen Umweltgruppen als problematisch für die Atommüll-Lagerung betrachtet.

Der Schacht Marie war im Streit um den Standort Morsleben als atomares Endlager immer ein Problempunkt, da hier einige ungünstige Einflussfaktoren vorliegen. Die Broiler-Zucht hat zu einer zusätzlichen hohen Flüssigkeitszufuhr geführt, außerdem gibt es hier im sogenannten "Lager H" eine Tropfstelle mit Verbindung zum Deckgebirge. Der lange Zeit zwischengelagerte Giftmüll gefährdete auch das Atommüllendlager und der direkte Zugang von Marie zu Bartensleben bedeutete eine Gefahr im Falle eindringender Wässer oder sich entwickelnder Blausäure. Mittlerweile ist zumindest der Giftmüll wieder ausgelagert worden. Diese Stoffe finden sich nun in der Sondermüll-Deponie Herfa Neurode.