2005-02:Skandalöse Justiz in Halle: Ordnungshaft wegen Befangenheitsantrag

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Skandalöse Justiz in Halle: Ordnungshaft wegen Befangenheitsantrag

fb In Halle/Saale wurde am 28. September ein Politaktivist mitten aus einer Verhandlung gegen ihn verhaftet, weil er sein Recht als Angeklagter nutzte, Anträge zu stellen. Schon nach wenigen Minuten war der Prozess zu Ende, da der Vorsitzende Richter Maynicke einen Befangenheitsantrag gegen ihn zum Anlass nahm, eine fünftägige Ordnungshaft wegen "ungebührlichen Verhaltens vor Gericht" zu verhängen.

Der Angeklagte hatte gleich zu Beginn der Verhandlung die Aussetzung des Verfahrens beantragt, weil ihm keine Akteneinsicht gewährt worden war und er sich nicht auf den Prozess vorbereiten konnte. Richter Maynicke wollte davon nichts wissen und unterbrach die Antragstellung. Die daraufhin beantragte Aufnahme der Verwehrung prozessualer Rechte ins Protokoll beantwortete Maynicke mit einem Ordnungsgeld von 100 Euro. Nach weiteren Repressalien gegen den Angeklagten stellte dieser einen Befangenheitsantrag. Der Prozess wurde für eine halbe Stunde unterbrochen.

Noch in der Verhandlungspause ließ Richter Maynicke den Angeklagten festnehmen, um die Ordnungshaft zu vollstrecken. Der Prozess wurde rechtswidrig unter Ausschluss der Öffentlichkeit trotz Unterbrechung beendet. Nach der Verhandlung erfolgte ein martialischer Polizeieinsatz, in dessen Verlauf das Justizzentrum umstellt und vermeintliche Prozess-ZuschauerInnen und offensichtlich Unbeteiligte kontrolliert werden sollten. Maynicke hatte Polizeikräfte angefordert und von einer "Massenschlägerei im Gerichtssaal" phantasiert, die Gerichtsdiener hätten die Kontrolle verloren. Für diese Vorgänge fehlte selbst aus Sicht der sichtlich irritierten Polizei jegliche Grundlage.

Der eigentliche Hintergrund für das Strafverfahren war eine Anklage wegen angeblichen Widerstands gegen Vollzugsbeamte und Beleidigung. Bei einem Antirepressions-Workshop im Hallenser Hauptbahnhof vor zwei Jahren hatten BGS-Beamte den Angeklagten in Gewahrsam genommen. Als keine Öffentlichkeit mehr anwesend war sei er dann angegriffen worden. Daraus wurde später - nicht ganz ungewöhnlich - eine Widerstandshandlung. Beim Prozess hat sich diese Taktik der OrdnunghüterInnen nun wiederholt. Nach der Räumung des Saales, die Maynicke für die Pause angeordnet hatte, wurde der Angeklagte von Gerichtsdienern zu Boden gestoßen. Allerdings befanden sich diesmal noch ZeugInnen im Raum. Zynischerweise endete der Prozess damit mit einem Ablauf analog den Polizeiangriffen, die das Verfahren ausgelöst hatten.

Die gegen die offenkundige Rechtsbeugung eingelegte Eilbeschwerde wurde zunächst verschleppt. Zuerst erklärte das Gericht einem nachfragenden Journalisten, der zuständige Richter sei für zwei Tage im Urlaub und könne nicht darüber entscheiden, dann wurde dem eingeschalteten Anwalt erklärt, die Akte sei wegen "Umzug" gerade nicht auffindbar. Nachdem dieser Druck machte, fand sich die Akte dann doch, aber das Gericht wollte dem Antrag nicht stattgeben und ihn stattdessen an die nächste Instanz weiterreichen. Das war dann schon am Freitag, eine Entscheidung wäre erst nach dem Ende der Haft zu erwarten gewesen. Zum Glück für den Eingesperrten hatte das direkte Anrufen des Oberlandesgerichts in Naumburg Erfolg und er konnte "schon" nach zwei Tagen wieder aus dem Knast.

Gerichtsverfahren mit Rechtsbeugung, Freiheitsberaubung, Ordnungsstrafe und Verschleppung Oberlandesgericht erklärt Amtsrichterhandeln als rechtswidrig!

Zu Beginn eines Gerichtsverfahren wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt, das am 28.9.2005 stattfinden sollte, verhängte der Richter Maynicke eine drakonische Ordnungsstrafe von 5, spätervon 4 Tagen. Es kam zu massiven Rechtsbrüchen. So wurde der Angeklagte im Gerichtssaal eingeschlossen (Freiheitsberaubung), das Publikum ohne weitere Begründung komplett aus dem Saal geräumt, dem Angeklagten Antrags- und Akteneinsichtsrecht verwehrt. Nach Verhängung der Ordnungshaft verschleppte das Amtsgericht den Widerspruch um mehrere Tage und folgte damit exakt dem bekannten Hamburger Richter Ronald Schill, der mit solchen Rechtsbrüchen berühmt geworden war.

Auszüge aus dem Gedächtnisprotokoll des Angeklagten zu Prozessverlauf und Inhaftierung: "... Schon vor dem Prozessbeginn hatte ich in drei Schreiben um Akteneinsicht gebeten. Dieses Recht steht mir nach § 147, 7 der Strafprozessordnung zu. Eine Antwort bekam ich nicht. Ebenso hatte ich zwei Zeuginnen vorgeschlagen, die allerdings erst einen Tag vor dem Prozess eine Ladung erhielten und nicht mehr kommen konnten. ... Der Richter bejahte auch, dass ich den Antrag stellen könnte, machte dann aber einfach weiter. Als er mit der Belehrung der ZeugInnen begann, fragte ich nochmal nach, was mit meinem Antrag sei und forderte alternativ, dass im Protokoll vermerkt würde, dass ich einen Antrag stellen wollte, aber nicht konnte (damit später dieser nicht abgelehnt würde, weil er zu spät gestellt würde). Das reichte ihm schon, um ein erstes Ordnungsgeld zu verhängen von 100 Euro. "Wegen ungebührlichem Verhalten" ließ er ins Protokoll notieren. Darauf meldete ich mich und beantragte eine Änderung des Protokolls - auch das zum richtigen Zeitpunkt, nämlich in dem Moment, wo das aus meiner Sicht falsche geschrieben wurde. Ich beantragte, dass statt "wegen ungebührlichem Verhaltens" notiert werden sollte "wegen des Versuchs, einen Antrag zu stellen". Der Richter rastete aber nun völlig aus und verhängte eine Ordnungsstrafe von 5 Tagen, anzutreten nach dem Prozesstag. ... Daraufhin befahl der Richter die Räumung des Saales und das Einschließen des Angeklagten im Saal. So geschah es auch. Kurz vor Ende der festgelegten Pause erschien der Richter im Raum. Er war offenbar überrascht, mich dort anzutreffen - obwohl ich ja gar nicht mehr anders konnte. Sichtbar spontan wurde er wieder wütend und beschloss, mich jetztgleich abführen zu lassen. Dieser Beschluss und damit auch das Ende des Prozesstages, der (wie ich später hörte) nie wieder aufgenommen wurde, geschah sichtbar außerhalb der Verhandlung in der Pause."

Eilbeschwerde gegen Ordnungshaft vom Amtsgericht verschleppt

Die gegen die offenkundige Rechtsbeugung eingelegte Eilbeschwerde wurde zunächst verschleppt. Zuerst erklärte das Gericht einem nachfragenden Journalisten, der zuständige Richter sei für zwei Tage im Urlaub und könne nicht darüber entscheiden, dann wurde dem eingeschalteten Anwalt erklärt, die Akte sei wegen "Umzug" gerade nicht auffindbar. Nachdem dieser Druck machte, fand sich die Akte dann doch, aber das Gericht wollte dem Antrag nicht stattgeben und ihn stattdessen an die nächste Instanz weiterreichen - und zwar per Post. Das war am Freitag, der Brief wäre erst die Woche drauf beim Oberlandesgericht eingegangen und eine Entscheidung damit erst nach dem Ende der Haft zu erwarten gewesen.

Direkter Draht zum Oberlandesgericht brachte Erfolg

Der Rechtsanwalt rief nun das OLG direkt an und versorgte es mit seinen eigenen Unterlagen (das Amtsgericht rückte die ja nicht heraus). Zum Glück für den Eingesperrten hatte das direkte Anrufen des Oberlandesgerichts in Naumburg dann sehr schnellen Erfolg und er konnte "schon" am dritten Tag wieder aus dem Knast. Das OLG erklärte die Ordnungshaft für rechtswidrig, weil es die Gründe dafür gar nicht mehr überprüfen konnte, da der Richter keine mehr hatte protokollieren lassen.

Hinzuzufügen sei noch, dass über den OLG-Beschluss hinaus auch die Begründung im Beschluss falsch ist. Richter Maynicke behauptete dort, dass der Angeklagte "äußerte, sich hier wohl bei Richter Schill zu befinden". Erstens hatte das ein Zuschauer so formuliert und zweitens geschah es nach der Verhängung der Ordnungshaft (sonst hätte es ja auch keinen inhaltlichen Sinn gehabt), kann also nicht als Begründung für die Ordnungshaft herangezogen werden.

Irritierend ist auch, dass im Ordnungshaftbeschluss plötzlich "nur" noch vier Tage Ordnungshaft stehen, er im Prozess aber klar fünf verhängt hatte.

Die Parallele zu Schill

Aus dem Publikum wurde der Amtsrichter Maynicke nach der Verhängung der Ordnungsstrafe mit dem Hamburger Richter Ronald Schill in Verbindung gebracht. Der hatte auch in einem Prozess als Gegenwehr zu aufmüpfigen Anwesenden schnell Ordnungshaft verhängt. Die Inverbindung-Bringung ist also eine inhaltliche Kritik und sichtbar gerechtfertigt. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht klar, dass auch das weitere Prozedere zu den Vorgängen passte, die Schill berühmt machten. Schill hatte nämlich die Beschwerde gegen die Ordnungshaft verschleppt, um seinen Rachegelüsten nachzukommen. Das geschah nun in Halle auch: Das Amtsgericht behandelte die Beschwerde zwei Tage einfach gar nicht und hätte auch dann weiter verzögert. Nur weil das OLG anders agierte, kam es zur Aufhebung der Ordnungshaft.

Gegen Schill wurde damals ermittelt - der betroffene Angeklagte im Hallenser Prozess kündigte ebenfalls an, wegen Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung Anzeige gegen den Richter und andere beteiligte Personen stellen zu wollen.