2016-02:Bessere Welt-Romantik als Buch

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Bessere-Welt-Romantik als Buch

jb Gut geförderte Filme, in denen Oberschichtmenschen mit wohlgeformten Körpern und Sprechweisen den bessergestellten Zuschauer_innen in bequemen Kinosesseln weichgespülte Weltrettungsideen zeigen, sind nur eine Variante der geistigen Verwirrung, die Umwelt- und andere politische Bewegungen in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten gegangen sind. Überall ist in Mode gekommen, die Metapher der Revolution und den Schreckbegriff der Anarchie in Bessere-Welt-Ideen zu integrieren und das gute Gefühl vermitteln, dass Weltrettung ganz einfach ist. Mitunter kommen dabei sogar brauchbare Einzelideen heraus, doch die Ansätze im Gesamten fallen zum Haareraufen aus.

Eine andere Art, mit der Idee der Anarchie umzugehen, wählt James C. Scott, Professor für Politikwissenschaften an der Yale University, mit seinem „Applaus dem Anarchismus“ (2014, Peter Hammer in Wuppertal, 175 S., 24 €). Er reiht Gedankensplitter und Beispiele aneinander, vor allem Beobachtungen aus seinem eigenen Leben, aber auch einige weltgeschichtliche Ereignisse über die er quasi schreibend nachdenkt. Rein intuitiv entdeckt er, die Geschehnisse nach eigener Meinung durch eine Art anarchistischer Lupe betrachtend, das Grauen von Bürokratie und Machtgebrauch in allen Lebensbereichen. Aufklärerisch erläutert er, welchen Schaden diese in der Welt anrichten. Leider schreitet er von dort nicht weiter und unterzieht seine Beobachtungen einer genaueren Herrschaftsanalyse. So verliert er sich in Details und schont zudem die ökonomischen Machtverhältnisse. Auch wenn er sich schon zu Beginn von der abstrusen Ideenwelt des Anarchokapitalismus distanziert, liefert er mit seinem Buch doch eher eine Werbeschrift genau dafür ab: Der Staat soll sich zurückziehen und die Welt dem freien Spiel der Kräfte überlassen. So lobt Scott Verstöße gegen starre Verkehrsregeln, hinterfragt aber nicht das herrschaftstriefende System „Autoverkehr“. An anderen Stellen bejubelt er das Kleinbürgertum aus Grundbesitzern und Ladeninhabern – alles durchgehend ohnehin frei von Belegen und Quellen (außer einigen Zitaten). Anarchie muss mehr sein.

Scotts Gedanken könnten auch Rainer Fischbach gefallen. Der ist ein typischer Technikfetischist, der in der weiteren Entfesselung der Produktivkräfte die Hoffnung wittert. Weil er geschickt Marxsche Gedanken in seine Weltsicht einpflegt, wurde er selbst in linken Kreisen hoffähig. Sein Buch „Mensch, Natur, Stoffwechsel“ erschien dieses Jahr im linken Papyrossa-Verlag in Köln (285 S., 19,90 €). Seine Kritik an den bestehenden Verhältnissen lohnt die Lektüre, bei seinen Vorschlägen für eine ingenieursgerechte Gesellschaft scheut er aber selbst vor einem Pakt mit den Kapitalisten nicht zurück (S. 208): „Ein entsprechendes, hegemoniefähiges linkes Projekt, das die Aufgabe des Re-Engineerings des menschlichen Stoffwechsels mit der Natur unter einer humanistischen Zielsetzung aufnimmt, wird auf Diskursangebote, die die Funktionseliten des industriellen Systems nicht von vornherein als dilettantisch abzuweisen vermögen, nicht verzichten können. Ein linkes Projekt mit der Aussicht, das Bündnis der Führungsschichten der Finanz- und der Industriesphäre, das konstitutiv für das neoliberale Regime war, aufzulösen, wird es ohne einen, wenigstens partiellen, Einbruch in die industriellen Führungsschichten nicht geben.“

Effektiver Altruismus

Gleich zwei neue Bücher bieten Tipps für alle Menschen, die nicht Ursachen bekämpfen, sondern die Folgen besser lindern wollen. Der eine, Peter Singer, setzt sich schon lange mit solchen Fragen auseinander. Frühere Gedanken unter anderem zur Frage, ab wann menschliches Leben erhaltenswert ist, haben ihm viel Kritik eingebracht, ihn aber auch zur Ikone mancher Tierrechler_innen und missionarischer Humanst_innen werden lassen. Im neuen Werk mit dem Untertitel „Eine Anleitung zum ethischen Leben“ (2016, Suhrkamp in Berlin, 237 S., 24,95 €) präsentiert er seine Leitlinien, wie Geldspenden gezielter eingesetzt werden können. Sein Plädoyer ist hoch-moralisierend, sämtliche Machtverhältnisse und Optionen zu deren Veränderungen werden ausgeblendet - so als hätten Unterdrückung, Ausbeutung und Zerstörung von Mensch und Umwelt keine strukturellen Ursachen. In seinem Fahrwasser schwimmt William MacAskill mit „Gutes besser tun“ (2016, Ullstein in Berlin, 288 S., 18 €). Er steigert den Ansatz dann zu einer grundlegenden Kritik, dass persönliche Verhaltensänderungen und nachhaltiger Konsum nichts bringen, um am Ende genau solche Vorschläge zu machen – und dazu auch noch welche, die zeigen, dass der noch recht junge Autor vor allem eines hat: Gar keine Ahnung von politischen Kämpfen und Handlungsmöglichkeiten. Effektiver Altruismus ist die Krönung der Idee, die Machtlosen zu modernen Schadensbegrenzungstruppen des Weltkapitalismus zu machen.

Lieber an die Ursachen gehen!

Der beschriebenen Realitätsverweige- rung oder, schlimmer, bewussten Manipulation des Denkens zugunsten einer Akzeptanz der bestehenden Verhältnisse setzen Richard Wilkinson und Kate Pickett einen entschiedenen Ruf nach „Gleichheit“ (2016, Haffmans/Tolkemitt in Berlin, 336 S., 12,92 €) entgegen. Sie entlarven den „Pritzelkram“ (Hermann Löns vor vielen Jahrzehnten zu Umwelt- und Eine-Welt-Konzepten, wie sie heute wieder in Mode sind) als wirkungslos und fordern eine radikale Demokratisierung der Wirtschaft. Zwar bleiben sie in der alten Klassenidee hängen und wollen vor allem die Arbeiter_innen beteiligen – aber immer stellen sie die Machtfrage und beschreiben die Folgen der Ungleichheit selbst in den gesellschaftlichen Bereichen, die in den Gute-Miene-zum-bösen-Spiel-Filmen und -Büchern immer weggelassen werden: Soziale Ränder, Gefängnisse usw. Darüber muss mensch sich heute schon freuen, dass es überhaupt noch geschieht.

Einen konkreten Vorschlag unterbreiten Georgios Zervas und Peter Spiegel mit „Die 1-Dollar Revolution“ (2016, Pipier in München, 256 S., 20 €). Sie schlagen einen „Globalen Mindestlohn gegen Ausbeutung und Armut“ (Untertitel) vor und zeigen, welch bemerkenswerte Auswirkungen eine solch klein erscheinende Maßnahme hätte. Ein solcher Vorschlag wäre immerhin der Anfang einer Umverteilung, die nicht nur auf die Gnade der Bessergestellten setzt. Da die Kaufkraft eines Dollars in vielen Ländern sehr hoch ist, untergräbt der Vorschlag auch nicht die Mindestlohn- und Grundeinkommensdebatte in Deutschland, sondern fügt dieser eher ein Plädoyer für eine weltweite Umsetzung an.