2015-03:Verschwinden des Politischen

Aus grünes blatt
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Vom Verschwinden des Politischen aus dem alternativen Leben ...

jb Mit dem Aufschwung vieler Mitläufer-Protestformen (Demos, Klicktivism ...) gewinnt auch die Debatte um alternative Formen des Lebens, des Wirtschaftens und des Miteinanders wieder an Fahrt. Leider zeigt sie das gleiche Gesicht wie andere Sphären vermeintlicher gesellschaftlicher Umgestaltung: Hasenfüßig, angepasst, orientiert an Normalität und unter weitgehendem Verzicht auf politische Analyse und Kritik präsentieren sich Projekte und Betriebe solidarischer Ökonomie oder geldfreien Lebens, ganz ähnlich sieht es in Kommunen oder Ökodörfern aus.

Weichgespülte Protestformen, eingebettet in bürgerliche Welten, sind „in“: Beim Kongress „Solidarische Ökonomie“ im September 2015 in Berlin dominierten Infostände und Workshops, bei denen das Wort und die Idee von Antikapitalismus gar nicht mehr vorkamen. Fast überall und hinter dem Kongress selbst steckten Fördergelder zweifelhafter bis ekliger Geldgeber. Oder politische Beliebigkeit. Der – ziemlich unpolitische – Talkshow-Quotenkönig in Sachen Geldfrei und Essenretten, Raphael Fellmer, schwärmt in seinem Buch vom Verschwörungsfilm „Zeitgeist“ und hält die Verbraucher_innen für mächtiger als die Regierungen. Da passt es, dass gerade in letzter Zeit mehrere Bücher über alternative Lebensprojekte erschienen sind, die eines gemeinsam haben: Sie stellen Wohlfühlprojekte in den Vordergrund und behandeln die Frage des politischen Engagement gar nicht mehr. Dabei sind die Bücher in sehr unterschiedlichen Verlagen herausgekommen und hätten so unterschiedliche Orientierungen erwarten lassen. Das Buch „Ökodörfer weltweit“ von Kasha Anja Joubert und Leila Dregger erschien im esoterischen Neue-Erde-Verlag (2015, 191 S., 16,90 €). Es zeichnet sich durch die internationale Streuung der ausgewählten Projekte über verschiedene Kontinenten aus. Gegenüber der zeitgleich erschienenen englischen Fassung sind mehr deutschsprachige Gemeinschaften vorgestellt. Doch so oder so verdrängt der Rückzug ins Innere in fast allen Texten die letzten politische Ideale. Im Kapitel über die Geschichte des Netzwerkes wird bejubelt, dass einige Aktivitäten jetzt massiv von der Bundesregierung gefördert werden.

Diese Ankunft als Farbtupfer im Normal-Kapitalismus bezeugen auch die anderen Bücher und Filme über vermeintlich alternative Lebensansätze. Dass sie dabei wenigstens nützliche und übersichtliche Verzeichnisse schaffen können, beweist „Eurotopia – Leben in Gemeinschaften“ aus dem Würfel Verlag im Ökodorf Sieben Linden (2014, , 520 S., 20 €). Es stellt 430 Ökodörfer, Alternativ- und Wohnprojekte vor – in klarer Gliederung der wichtigsten Informationen plus erklärendem Text. Dass es in Deutschland entsteht, ist deutlich zu spüren angesichts der Spitzenposition, die das Land bei der Anzahl der Projekte hat. Aber: Das Verzeichnis wächst auch in anderen Ländern, inzwischen liegt sogar eine englischsprachige Ausgabe vor. Wer nicht nur anders leben, sondern sich politisch engagieren will, erhält aber kaum Informationen. Offenbar ist das den Projekten nicht wichtig – und auch die einleitenden, ansonsten sehr informativen Texte lassen das Thema komplett aus. Bis auf eine Ausnahme: Positiv wird auf Seite 18 beschrieben, wie Kommunemitglieder beim Aufbau eines Militärstützpunktes halfen. Ging der Weg zu einer „anderen Welt“ (der Leitspruch steht immer noch auf dem Buchrücken) früher nicht anders?

Auf seine Art ebenso Zeiger und Teilursache des Trends zu immer stärker nach innen gerichteten Gemeinschaften, die über das eigene Seelenheil und Messungen ihres ökologischen Fußabdruckes die Welt retten wollen, ist das eigentlich eher politisch gemeinte „Völlig utopisch – 17 Beispiele einer besseren Welt“ mit Marc Engelhardt als Herausgeber (2014, Pantheon/Random House in München, 272 S., 14,99 €). Ähnlich dem kurz zuvor erschienenen „Pfade durch Utopia“ des eigentlich anarchistisch orientierten Verlags Nautilus reiht das Buch Einzelberichte aneinander. Hier sind es vor allem professionelle Journalist_innen. Das liegt im Trend. Sie sind zwar häufig in der Sache ahnungslos oder liefern oberflächliche Recherchen, aber sie können schreiben – der Verlag spart das Lektorat. Was an den Darstellungen utopisch sein soll, erschließt sich in kaum einer der Geschichten. Wie im Nautilus-Buch findet sich als deutsches Beispiel das Zentrum für experimentelle Gesellschaftsgestaltung (ZEGG in Bad Belzig), obwohl dem Autor sogar bekannt war, dass gerade dieses Projekt mehr als umstritten ist. Engelhardt besucht dann auch ein Sex- und Streichelseminar, berichtet vom Meditieren auf Matratzen – und produziert so ein schlicht überflüssiges Buch.

Der Kapitalismus erobert alles - jetzt neu: Wühlen im Müll

Anderes Thema, ähnlicher Trend. Zwar ließ sich mit Müll schon immer Geld machen, denn auf dem Weg in den Mülleimer ist sie als Verpackung Werbeträger für Heilsversprechen, Kaufanreiz und Lügen aller Art. Riesige Branchen leben vom Hin- und Herkarren der Müllberge, Verbrennungsanlagen lechzen nach Papier und Kunststoffen, der Export in ferne Länder der Welt blüht ebenso wie illegales Müllabladen irgendwo in Urwäldern oder im Meer. Vor einigen Jahrzehnten lernten Buchverlage, Journalist_innen und Umweltverbände, dass sich mit den Hiobsbotschaften über die Folgen Kasse machen lässt. Neu ist eine Branche, die das Drama um weggeworfenes Essen zum Geschäftsfeld macht. Vor etwas mehr als zehn Jahren schwappte das Thema in die Medien. Aus dem exotischen „Mülltauchen“, auch „Containern“ genannt, wurde ein gesellschaftliches Modethema. Hatten sich vorher eher einkommensschwache Menschen oder kreative Außenseiter ohne viel Aufhebens bedient, so machten plötzlich Massenmedien aus dem Randthema einen öffentlichen Hype. Telegene echte oder vermeintliche Containerer_innen stiegen gegen Geld in Mülltonnen oder plauderten in Talkshows. Professionelle Journalist_innen sprangen auf, sei es per dann schnell hochdekorierten Filmen oder zur Massenware mutierenden Büchern. „Harte Kost“ von Valentin Thurn und Stefan Kreuzberger (2014, Ludwig in München, 320 S., 16,99 €) ist eines von ihnen - gut gemacht, d.h. informativ und unterhaltsam, aber doch blutleer aus der Feder derer, die das Feld längst profitabel abräumten. Immerhin ist ihr Buch aber noch empfehlenswert für alle, die sich in das Thema Lebensmittelproduktion und -verschwendung einlesen wollen. Manch Held_innen der im Windschatten professionellen Themen-Settings entstandenen Initiativen von Lebensmittelretter_innen & Co. sind nur noch peinlich. Raphael Fellmers „Glücklich ohne Geld!“ offenbart in einem tagebuchähnlichen Stil, was fehlende politische Analyse alles so bewirkt: Faszination für platteste Verschwörungstheorien und ein Glaube an das gut Gemeinte paaren sich mit Wissenslücken. So behauptet Fellmar, dass Valenthin Thurn 2011 der Initiator der Debatte um Lebensmittelverschwendung gewesen sei. Die Internetseite www.alltagsalternative.de.vu ging 2003 ins Netz und war die erste Adresse des damals entstehenden Hypes um das Thema. Aber in dieser medialen Welt schwimmen immer die gleichen Kreise oben. Sie räumen ab, was andere aufbauen zu Zeiten, wo es noch anstrengend ist. Im Rückblick werden sie als Held_innen wahrgenommen, weil sie mit der längst laufenden Welle nach oben gespült wurden - und zumindest einige aus dem Nischenthema nun ein Geschäft machen.