2015-01:Zensur: Vorwurf gegen das Böse, Praxis im eigenen Lager

Aus grünes blatt
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Zensur: Vorwurf gegen das Böse, Praxis im eigenen Lager

jb Die endlosen Listen mit Vorwürfen wegen Zensur bieten eine perfekte Anschauung über das zentrale Wirkungselement vereinfachter Welterklärungen: Die eigene Matrix, das politische Interpretationsmuster, wird auf die Angelegenheit gedrückt. Mitunter geht interessengeleiteten Analyse eine eigene, wertvolle Kritik der Mainstream- bzw. herrschenden Meinung voraus.

Die Leier wiederholt sich ständig - in Vorträgen, Videoportalen und Blogs, bei Demoreden und in den zahlreichen Büchern z.B. des im Thema führenden Kopp-Verlages. Beispiel: In „Die Akte Wikipedia“ von Michael Brückner werden die Manipulationen in der Online-Enzyklopädie minutiös aufgelistet - durchaus zumindest eine Fleißarbeit. Der Blick auf führende Personen und ihre Interessenlagen zeigt, welch ein machtdurchdrungendes Werk das ehemals recht offene Lexikon geworden ist. Dann aber wird die eigene Matrix auf die Beschreibung gedrückt: Hinter Zensur und Steuerung werden linke Eliten verortet. Belege dafür fehlen - und dürften auch schwer zu erreichen sein. Denn z.B. der SeitenHieb-Verlag, Herausgeber von „grünes blatt“, ist auf Wikipedia grundsätzlich zensiert. Das geben die Machthaber dort ganz offen zu. Die Brillen der vereinfachten Welterklärer rund um den Kopp-Verlag werden solch leicht zugänglichen Informationen zuverlässig herausfiltern, damit die eigene Weltsicht nicht in Frage gestellt wird.
Vom gleichen Autor, zusammen geschrieben mit dem ebenfalls als Enthüllungsschreiber mit bemerkenswertem Buchausstoß bekannten Udo Ulfkotte, stammt „Politische Korrektheit“. Es ist eine dramatisch daherkommende Sammlung von Fallbeispielen für vermeintlich absurde gesellschaftliche Zustände und Akzeptanz des Schlechten. Fast überall lauert das Böse - stets bereit, die Rechtschaffenen und das Lieblingsopfer aller bösen Mächte, die Deutschen und ihr Land, zu unterdrücken. Klassisch die Zweiteilung: Zum Teil gute Kritik herrschender Meinungen, gepaart mit überwiegend quellenlosen und regelmäßig frei konstruierten Herleitungen, in denen die vorab vorhandene Interpretationsmatrix deutlich wird. Auffällig ist die Schludrigkeit des Buches, welches - angesichts der Schreibwut der Autoren vielleicht nicht überraschend - bemerkenswerte Schnellschüsse an die Stelle von Argumenten und Logik setzt. Nicht immer ist es dabei so seltsam wie auf Seite 200, wo oberflächliches Wissen über Kriminalitätsstatistiken mit der Matrix des Ausländer_innenhasses belegt wird: „Dabei sind in Deutschland bei Mord und Totschlag 28 Prozent aller Täter Ausländer - Tendenz steigend“ (immerhin mit Quellenangabe: Die BILD-Zeitung). Dann folgt der Satz: „Nimmt man Totschlag noch mit hinzu, dann stellen Ausländer mehr als ein Drittel der Tatverdächtigen.“ Eine schöne Kombination: Erstens war Totschlag beim ersten Satz schon drin, zweitens wechselt der Begriff ganz unmerklich von „Täter“ auf „Tatverdächtiger“. Dass häufiger Nicht-Deutsche verdächtigt oder z.B. kontrolliert und deshalb gefasst werden, könnte auch ganz andere Ursachen haben ... z.B. der Hass gegen alles Fremde, den die Autoren zwei Seiten weiter offen zeigen: „Deutsche werden regelmäßig von Migranten grundlos auf der Straße zu Tode geprügelt.“ Welch ein Satz - und schon rein logisch ganz unverständlich: Was ist denn mit regelmäßig gemeint? Jeden Dienstag um 12.21 Uhr? So geht es Thema für Thema, alles wird irgendwie angerissen und dann oft nur oberflächlich abgetan. Kostprobe: „Dummerweise ist Gender bei näherer Betrachtung nichts anderes als Blödsinn“ (S. 279).
Besser macht es da der gleiche Autor, Udo Ulfkotte, in seinem Buch „Gekaufte Journalisten“. Hier ist vieles zusammengetragen, was tatsächlich zeigt, wie abhängig Journalismus ist. Das ist sicherlich keine Überraschung. In einem profitgetriebenen System ist alles käuflich, weil der finanzielle Ertrag das Ziel allen Handelns ist. Wenn ein Artikel mehr Geld bringt, wenn er mit einem „Deal“ mit einem Konzern verbunden ist, wird das gemacht. Alles andere könnte zur Entlassung führen. Denn Journalist_innen sind auch nur Rädchen im System, welches Geld verdienen muss. Hier liegen die Ausblendungen des Buches, welches aber ansonsten recht akribisch Fälle zusammen bringt, wo Machtinteressen eine freie Presse verdrängt oder instrumentalisiert haben. Das ist sogar mit vielen Quellenangaben verbunden. Und es verzichtet zwar nicht ganz auf Vereinfachungen (z.B. ist eine starke Neigung, die USA als Haupttäter zu nennen, unübersehbar), aber einigen typischen „Verschwörungstheorien“ tritt das Buch sogar entgegen. Auf Seite 209 geht es um die Bilderberger. Überraschend für ein Buch aus dem Milieu des Kopp-Verlages steht dort der Satz: „Aber die Bilderberger sind nun einmal nur einer von vielen ähnlichen elitären Zirkeln“. Genau so ist es - und genau darauf beruht die Beeinflussung der Medien. Sie sind Teil der Funktions- und Deutungseliten, die als Sphäre des Eine-Hand-wäscht-die-andere bestimmen, wie Menschen denken, interpretieren, welche Nachrichten wo gestreut und wie Verhalten gesteuert wird.
„Unzensiert 2013“ von Andreas Rétyi ist ein deutliches Beispiel für den Zwiespalt zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Wer „Zensur“ schreit, müsste eigentlich einen besonderen Scharfsinn zeigen. Doch die 335 Seiten enthalten keine einzige Quellenangabe. Offenbar scheint der Autor der Meinung zu sein, dass das einfache Erzählen von Stories, die empören sollen, reicht. Schon das steht im Widerspruch zum Ruf nach einer Veränderung der Nachrichtenlandschaft. Hinzu kommt, dass fast alles, was hier als „zensiert“ dargestellt wird, tatsächlich doch schon aus den Mainstreammedien bekannt ist. Es sind also gerade keine unterdrückten Informationen, die nun über dieses Buch ans Tageslicht kommen, sondern all das, was als zwar von der Durchschnittsmeinung abweicht, aber durchaus längst bekannt ist. Sehr ähnlich agieren „Jan van Helsing & Co.“ (so die Autorenzeile auf dem Cover) in ihrem Werk „Politisch unkorrekt“. Es ist ein bunter Reigen durch alle möglichen Themen, die in der Welt der vereinfachten Politerklärer_innen so angesagt sind. Von Michael Vogt über Andreas Popp, Udo Schultheis und Johannes Holey bis zu einigen weiteren Autor_innen dürfen hier vor allem die Vielschreiberlinge der Szene ihre Lieblingsthemen abhandeln: Der 11.9.2001 ist immer noch dabei, dazu Fliegende Untertassen, das Impfen, die Ehrenrettung von Rudolf Heß, das so schrecklich verfolgte Christentum, die vielen Migranten und natürlich die Lüge vom Klimawandel. Zwar gibt es durchschnittlich für zwei bis drei Seiten eine Quellenangabe, aber das sind meist nur Verweise auf Texte der Autor_innen oder ähnlicher Kreise, wo das gleiche nochmal steht - also kein Hinweis auf einen Beleg.


Selbstinszenierung als Verfolgte

Bleibt noch eine weitere Art, den Zensurvorwurf zu erheben. Der „Deutschland von Sinnen“-Autor Pirincci wandelt nämlich nicht nur beim Wettstreit um die plattesten Formen von Welterklärung und Diskriminierung auf den Spuren Thilo Sarrazins. Obwohl beide mit ihren Rekord-Auflagenhöhen und ständiger Erwähnung bis Auftritten in allen möglichen Medien selbst beweisen, dass es keine grundsätzliche Zensur gibt (sondern gezielte Meinungsmache, was aber etwas Anderes ist), gehören sie zu den größten Jammerern vermeintlicher Zensur. Geschäftlich scheint das nützlich, denn die Millionenauflagen ausschließlich mit dem extrem niedrigen Niveau der Schriften zu erklären, greift zu kurz. Zwar sind platte Parolen und kurzes Denken durchaus beliebt (sonst würde sich der tägliche Verkaufserfolg der BILD-Zeitung nicht begründen lassen), aber der Flair des Halb-Verbotenen gibt beiden Phrasendreschern einen revolutionären Touch und macht sie zu Wortführern der gefühlt Guten, aber Ohnmächtigen und Ausgebeuteten.


Zensur im eigenen Lager

Wer genauer hinschaut, erkennt die Muster gezielter Meinungsmache bis hin zur Zensur auch im Lager derer, die sich als Verfolgte darstellen. Etliche Bücher über den Status der BRD verschweigen die Existenz eines Vertrages zwischen Deutschland und den Siegermächten, in dem Letztere die volle Souveränität zurückgeben, schlicht ganz. Mitglieder von chemtrails-gläubigen Gruppen bekommen Ärger, wenn sie die Sache allzu sehr aufklären wollen. Als der Gentechnik- und Weltvereinfachungskritiker Jörg Bergstedt im Kulturstudio einen kritischen Satz zu sogenannten Verschwörungstheorien sagte, verschwand der im späteren Internetmitschnitt. Eigentlich wollte die Sendung aber zur Aufklärung unerwünschter Tatsachen beitragen ...