2014-03:psychiatrie recht

Aus grünes blatt
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Psychiatrierecht: Basiswissen für Betroffene & Laien

Das folgende Kapitel ist ein Text der Gruppe Autopilot // Psychiatrie-Erfahrene Limburg a.d. Lahn. Er wird auch als Kopie einzeln verteilt und ist im Internet zu finden. Unter dem Motto „Unbeschadet das Kuckucksnest überfliegen!“ hat die Gruppe versucht, die aktuelle Rechtslage für juristische Laien verständlich zu erörtern. Die Kapitel 1 bis 3 stellen die derzeitige Situation und die verschiedenen Rechtsgrundlagen für Unterbringungen dar. Für die verschiedenen Arten der Unterbringung werden Möglichkeiten, sich zu wehren, genannt. Kapitel 4 beschreibt, wie sich jeder im Voraus schützen kann. Der Text ist, gekürzt um Elemente, die durch die Einbettung in diesem Schwerpunkt überflüssig wurden, wiedergegeben.

Nach wie vor laufen Menschen mit psychiatrischer Diagnose Gefahr, ihrer Freiheit beraubt zu werden, mit Psychopharmaka oder Elektroschocks zwangsbehandelt zu werden. Dieser Zwang wird durch Gesetze legalisiert, die mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik nicht vereinbar sind:

  • Artikel 1 (1): Die Würde des Menschen ist unantastbar. - Es sei denn, man sagt diesem Menschen eine psychische Krankheit nach.
  • Artikel 2 (1): Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt. - Es sei denn, man bezeichnet ihn als psychisch krank. Dann wird die freie Entfaltung, wenn sie zu sonderlich erscheint, zum behandlungsbedürftigen Symptom, gegen das nötigenfalls Gewalt aufgebracht wird.
  • Artikel 2 (2): Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. - Einem Menschen, dem die Einsichtsfähigkeit abgesprochen wird, z.B. aufgrund einer psychischen Erkrankung, kann dieses Recht unverschuldet genommen werden.
  • Artikel 3 (1): Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. - Bis auf die Menschen, die als psychisch Kranke und geistig Behinderte gebrandmarkt werden und deren Grundrechte mittels Sondergesetzen verletzt werden können.
  • Artikel 3 (3): Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. - Es sei denn, man spricht ihm die freie Willensbestimmung ab und mach ihn zum Objekt psychiatrischer Gewalt.
  • Artikel 4 (1): Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. - Ausgenommen, man erklärt sonderliche Weltanschauungen zu Symptomen einer Geisteskrankheit, um sie einem Menschen mit Gewalt zu nehmen.

Der aufmerksame Leser wird anmerken, dass Grundrechte durch andere Gesetze eingeschränkt werden können. So beruht etwa das Strafrecht auf Einschränkungen von Grundrechten für einen gewissen Zeitraum. Allerdings ist die Bedingung für solche Einschränkungen, dass das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten muss. Also für alle Menschen und nicht nur für „psychisch Kranke“. Wenn etwa ein Mensch für seine Mitmenschen nachweisbar gefährlich ist, muss ein Einsperren dieser Person mit der Gefährlichkeit begründet werden und nicht mit einer psychischen Krankheit. Psychisch Kranke per Sondergesetzen schlechter zu stellen ist verfassungswidrig.

Sind sog. „Irre“ gefährlicher als „normale Menschen“? Nach Bölker und Häfner haben Menschen mit psychiatrischer Diagnose kein höheres Risiko, gewalttätig zu werden als die Durchschnittsbevölkerung. Selbst bei der Diagnosegruppe Schizophrenie gibt es keinen Konsens darüber, ob die so Diagnostizierten gefährlicher sind; die Studienergebnisse sind widersprüchlich. Im Kontrast dazu ist mittlerweile gut belegt, dass so genannte psychisch Kranke deutlich häufiger Opfer von Gewalt werden als Normalbürger. So werden sie etwa fünfmal häufiger Opfer eines Mordes.

Aber kann man psychisch Kranke nur durch Behandlung langfristig von Gewalttaten abhalten? Die Psychopharmaka, die bei Zwangsbehandlungen am häufigsten angewandt werden, sind der Gruppe der Neuroleptika zugehörig. Neuroleptikum heißt wörtlich übersetzt Nervendämpfungsmittel. Diese (dämpfende) Wirkung haben sie auf alle Menschen - egal ob sie als psychisch krank gelten oder nicht. Hinzu kommen quälende Nebenwirkungen von Krämpfen und Schmerzen bis hin zu Herzproblemen, Fettleibigkeit und oft unheilbaren chronischen Bewegungsstörungen. Das Neuroleptikum macht keinen Unterschied zwischen dem „gefährlichen Verrückten“ und einem Nazi-Schläger oder einem prügelnden Ehemann. Man kann jeden Menschen mit diesen Substanzen derart niederstrecken, dass er oder sie zu nicht mehr viel in der Lage ist.

Psychiater sind unfähig, die Gefährlichkeit einer Person vorherzusagen. Der forensische Psychiater Prof. Norbert Nedopil gab erst kürzlich zu, dass schätzungsweise 50% seiner Gutachten falsch seien. Georg Bruns schrieb 1993, dass klinische Vorhersagen nicht zuverlässiger sind als die Zufallswahrscheinlichkeit. Es gibt auch keine statistischen Nachweise dafür, dass sich psychiatrische Zwangsmaßnahmen positiv auf die Gewalt- oder Suizidrate bei sogenannten psychisch Kranken auswirken.


Mit internationalem Recht nicht vereinbar

Nicht nur das Grundgesetz wird von den menschenverachtenden Sondergesetzen gegen psychisch Kranke berührt. Auch zwei internationale Übereinkommen werden durch diese Gesetzgebung verletzt: Die UN-Antifolterkonvention und die UN-Behindertenrechtskonvention.

Die UN-Antifolterkonvention definiert als Folter „jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, (...) oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden.“

Seit Jahrzehnten schon bezeichnen Psychiatrie-Erfahrene die ihnen angetanen Zwangsbehandlungen als Folter in diesem Sinne. Im März 2013 wurde dies endlich auch von den Vereinten Nationen (UN) anerkannt: Der UN-Sonderberichterstatter über Folter, Juan E. Méndez, ordnet psychiatrische Maßnahmen wie Fixierung (Fesselung am Bett), Isolierung (Einsperren in eine Zelle) und Zwangsbehandlung mit Psychopharmaka oder Elektroschocks als Formen von Folter ein. Er fordert in seinem Abschlussbericht alle Staaten auf, die Gesetzesgrundlagen dieser Maßnahmen abzuschaffen. In der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichten sich die unterzeichnenden Staaten, dass „die volle Verwirklichung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behinderungen ohne jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung“ (Art. 4) gewährleistet wird. In regelmäßigen Abständen müssen die Staaten den UN einen Bericht vorlegen, der dann überprüft wird. Die erste Prüfung Deutschlands steht erst 2015 an. Vorhersagen über die Ergebnisse lassen sich aber bereits aus der Staatenberichtsprüfung über Österreich, das ähnliche Zwangsgesetze hat, ableiten. Darin forderte die UN Österreich im September 2013 mit Nachdruck auf, die Verwendung sämtlicher nicht einvernehmlicher Praktiken (wie Fixierungen) in Psychiatrien abzuschaffen. Der Bericht geht sogar noch weiter und sagt, dass auch ein bloßes Einsperren auf Grundlage einer Diagnose unzulässig ist.

Eigentlich haben beide Konventionen Gesetzeskraft. Allerdings muss sich jedes Mal zuerst ein Zwangsbehandelter durch die Instanzen klagen, bis sein Recht anerkannt und ein Gesetz genichtet (für ungültig erklärt) wird. Es wird noch viele Jahre dauern, bis unsere Grund- und Menschenrechte im deutschen Recht umgesetzt und endlich gewahrt werden.


Arten der Unterbringung und wie wir uns wehren können

Es gibt in Deutschland drei Wege, für einen längeren Zeitraum in der Psychiatrie zu landen: Auf öffentlich-rechtlicher Grundlage nach den Gesetzen der Bundesländer, nach Betreuungsrecht und nach Regelungen im Strafgesetzbuch. In diesem Kapitel sollen die Voraussetzungen für jede Art der Unterbringung erläutert werden.

a. Öffentlich-rechtlich

Diese Art der Unterbringung kann jeden treffen, der sich auffällig verhält, egal ob er einen gesetzlichen Betreuer hat oder eine Straftat begangen hat. Auch muss man nicht mit einer Axt durch die Fußgängerzone laufen oder auf der Brüstung eines Hochhausdaches balancieren, um in der Psychiatrie zu landen. Es kann schon ein Familienstreit, zu laute Musik oder seltsames Verhalten auf öffentlichen Plätzen zu einer Ingewahrsamnahme führen. Die Regelung ist kein Hilfegesetz („Hilfen“ sind im Sozialgesetzbuch geregelt!), sondern stammt aus dem Polizeirecht. In Hessen gilt das uralte „Gesetz über die Entziehung der Freiheit geisteskranker, geistesschwacher, rauschgift-und alkoholsüchtiger Personen“ (HFEG) aus dem Jahr 1952. Das Gesetz legt die Voraussetzungen fest, die erfüllt sein müssen, um jemanden einzusperren. Es muss von der Person eine Gefahr für sich selbst oder andere ausgehen, die:

  1. aus ihrem Geisteszustand resultiert
  2. erheblich ist und unmittelbar droht
  3. nicht anders abgewendet werden kann

Unsere Erfahrungen zeigen, dass diese drei Kriterien fast nie erfüllt werden. Psychiatern reicht oft schon eine Verweigerung der Behandlung, um eine Zwangsunterbringung zu beantragen. Erfreulicherweise haben wir erfahren, dass Richter vom Amtsgericht Hadamar in letzter Zeit deutlich strenger prüfen, ob jemand wirklich gefährlich ist. Dennoch ist es unheimlich wichtig, diese Kriterien selbst zu kennen, da Psychiater in den richterlichen Anhörungen zur Unterbringung gerne zu schmutzigen Mitteln greifen (Einschüchterung, falsche Behauptungen), um unseren Willen zu brechen, sodass viele Betroffene in einen vermeintlich freiwilligen Aufenthalt einwilligen.

Bevor Sie von einem Richter angehört werden, können Sie für 24 Stunden ohne Richterbeschluss auf einer geschlossenen psychiatrischen Station eingesperrt werden. Der Bürgermeister als oberste Ordnungsbehörde verfügt diese „Ingewahrsamnahme“ auf Hinweis eines Polizisten/Ordnungsbeamten oder eines Arztes. Ehe Sie von dem Richter angehört werden, sollten Sie sich weder körperlich wehren noch Psychopharmaka einnehmen! Auch wenn Ihnen gedroht wird: Die Ärzte dürfen in diesem 24-Stunden-Rahmen nichts zwangsweise verabreichen!

Die Zwangsbehandlung ist im HFEG besonders lasch geregelt. Dort steht lediglich: „Die Unterbringung umfasst auch die Behandlung mittels eines Heil- oder Entziehungsverfahrens.“ Wenn Sie also erst einmal zwangsuntergebracht sind (durch richterlichen Beschluss nach der persönlichen Anhörung), können die Ärzte Sie behandeln, wie sie es für richtig halten, ohne auf Ihre Wünsche und Bedürfnisse Rücksicht nehmen zu müssen. Man wird Sie auffordern, Psychopharmaka als Tabletten oder Flüssigkeit einzunehmen und drohen, dass man sie Ihnen ansonsten zwangsweise spritzen wird.

Daher sollte das oberste Ziel sein, die Unterbringung ganz zu verhindern, indem man in der richterlichen Anhörung überzeugt:

  • den Richter darauf hinweisen, dass die Unterbringungskriterien nicht erfüllt sind.
  • den Psychiater fragen, auf welche wissenschaftlichen Methoden er denn sein Attest gestützt hat.
  • den Psychiater fragen, welche Validität seine Aussagen haben.
  • ankündigen, dass Sie Strafantrag wegen Freiheitsberaubung und eventuell Körperverletzung stellen.

b. Nach Betreuungsrecht

Ein Betreuer ist ein gesetzlicher Vertreter, den das Amtsgericht für bestimmte Lebensbereiche bestimmen kann. Dies kann es mit der Begründung tun, dass Sie aufgrund einer Krankheit oder Behinderung nicht mehr in der Lage seien, sich um Ihre Angelegenheiten zu kümmern. Das Betreuungsrecht ist im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelt. Es gilt also für das gesamte Bundesgebiet und nicht nur für einzelne Bundesländer.

Gegen Ihren Willen kann das Gericht nur dann einen Betreuer bestellen, wenn Ihnen in einem Gutachten die Einwilligungsfähigkeit aberkannt wird. Wenn Sie keinen Betreuer wollen, sollten Sie Ihre Ablehnung schriftlich beim Amtsgericht einreichen. Besser ist es, wenn Verwandte oder Freunde schriftlich bestätigen können, dass eine Betreuerbestellung unnötig ist. Auch ein ärztliches Attest, dass Ihre Einwilligungsfähigkeit bestätigt, ist sinnvoll. Droht dennoch eine Betreuung, ist es ratsam, eine Person, der man vertraut, als ehrenamtlichen Betreuer vorzuschlagen. Es ist rechtlich festgelegt, dass ein ehrenamtlicher Betreuer einem Berufsbetreuer vorgezogen werden muss.

Wenn Sie einen Betreuer loswerden wollen, können Sie seine Entlassung beim Gericht beantragen und eine vertraute Person als Ersatz benennen. Ein guter Grund für einen Betreuerwechsel ist, wenn der Betreuer seinen Pflichten nicht nachkommt und nicht alle wichtigen Entscheidungen mit Ihnen bespricht. Solange Sie nicht als „mittellos“ eingestuft werden, müssen Sie die Kosten für das Verfahren und die Betreuung selbst übernehmen. Ein Berufsbetreuer ist deutlich teurer als ein ehrenamtlicher Betreuer, der „lediglich“ einen Aufwendungsersatz (Kostenrückerstattung) verlangen kann. Eine Vorsorgevollmacht kann die Einrichtung einer Betreuung rechtssicher verhindern (siehe letztes Kapitel).

Die Unterbringungsgründe für gesetzlich Betreute sind lascher als für nicht Betreute:

  1. Gefahr des Todes oder eines erheblichen Gesundheitsschadens aufgrund der Erkrankung
  2. nur die Unterbringung kann eine Untersuchung oder Behandlung ermöglichen, die diesen Schaden abwenden kann
  3. die Person kann die „Notwendigkeit“ der Unterbringung „nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln“

Diese Begriffe sind bewusst in Anführungszeichen gesetzt, weil der Arzt oder Betreuer diese Behauptungen jederzeit aufstellen kann. Z.B. werden Unterbringungen und Zwangsbehandlungen oft dann vorgenommen, wenn der Betroffene ganz einfach anderer Meinung ist als der Arzt oder Betreuer und eine Behandlung ablehnt.

Anfang 2012 war der Bundestag gezwungen, für die Zwangsbehandlung strengere Kriterien zu setzen. Es muss dem Betreuten der freie Wille abgesprochen werden, Ärzte müssen ihn vorher von der Behandlung zu überzeugen versuchen (es wird also gedroht, dass ansonsten Zwang angewendet wird), die Maßnahme muss erforderlich sein, um einen drohenden Gesundheitsschaden abzuwenden, der Schaden muss durch keine andere zumutbare freiwillige Maßnahme abwendbar sein und der erwartbare Nutzen der Maßnahme muss mögliche Beeinträchtigungen deutlich überwiegen.

Sollten Sie in eine solch bedrohliche Lage kommen, gibt es verschiedene Möglichkeiten, sich zu verhalten:

  1. Sie machen die Maßnahme „freiwillig“ mit, um die Traumatisierung und Spätschäden durch Zwangsbehandlungen zu vermeiden. Nach Ihrer Entlassung aus der Psychiatrie bemühen Sie sich um eine Entlassung des Betreuers.
  2. Sie legen Widerspruch beim Gericht ein. Weisen Sie auf § 1901 a Art. 2 BGB hin: Der Betreuer ist verpflichtet, Ihren mutmaßlichen Willen (keine Behandlung zu bekommen) festzustellen. Stellen Sie ggf. Strafantrag wegen Körperverletzung.

c. Nach Strafrecht

Der wohl bekannteste Fall dieser Art der Zwangspsychiatrisierung ist der von Gustl Mollath, der nach sieben Jahren Psychiatrie auf freiem Fuß ist und nun sein Wiederaufnahmeverfahren bestreitet. Im Strafrecht ist geregelt, dass Personen mit Alkohol- oder anderer Rauschgiftsucht sowie Personen, denen eine psychische Krankheit nachgesagt wird, zwangsuntergebracht werden können, wenn Sie eine rechtswidrige Tat begangen haben und ein Psychiater vorhersagt, dass weitere Taten zu erwarten seien. Dabei muss es sich nicht um schwere Gewaltdelikte handeln. Auch Diebstahl, Drogenhandel, selbst Fahren ohne Führerschein können statt zu einer Verurteilung zu einer Unterbringung in der Forensik führen.

Suchtkranke können dann nach § 64 StGB in einer Entziehungsanstalt untergebracht werden. Menschen mit psychiatrischer Diagnose können nach § 63 StGB in der forensischen Psychiatrie (Maßregelvollzug) untergebracht werden. Im Strafgesetzbuch ist nur geregelt, in welchen Fällen eine Unterbringung erfolgt. Die Art und Weise der Maßregel wird in den Maßregelvollzugsgesetzen der Länder geregelt. Unseres Erachtens ist die Einweisung in den Maßregelvollzug eines der schlimmsten Dinge, die einem hierzulande passieren können. Man ist dort auf unbestimmte Zeit weggesperrt. Wann man wieder herauskommt, bestimmen Ärzte und Richter. Das können drei Jahre, aber auch fünfzehn sein.

Wie sehr ein Insasse des Maßregelvollzuges dem Gutdünken der Ärzte und anderen Personals ausgeliefert ist, macht dieser Auszug aus einem Brief des prominenten Strafverteidigers Rolf Bossi an Gustl Mollath deutlich: „Ich muss Sie als Rechtsanwalt darauf hinweisen, dass wir im Maßregelvollzug keinerlei rechtliche Handhabe besitzen, um wirkungsvoll auf die Durchführung des Maßregelvollzugs einwirken zu können. Hieraus wollen Sie ersehen, daß Sie im Maßregelvollzug rechtlich ohne jede Hilfe sind und ausschließlich auf die Beurteilung der Ärzte angewiesen sind inwieweit diese aus medizinischen Gründen Ihre weitere Unterbringung im Maßregelvollzug für notwendig halten oder nicht. (...) Jeder Arzt in einem Bezirkskrankenhaus ist daran interessiert, daß sein Haus voll ist, weil er für jeden Patienten Geld bekommt.“ Was Rechtsanwalt Bossi hier beschreibt, ist nichts anderes als ein rechtsfreier Raum.

Gustl Mollath sprach nach seiner Entlassung aus der Forensik in Bayreuth von mitunter „folterähnlichen Umständen“. Etliche Suizide von verzweifelten Mitinsassen hat er miterlebt, einige davon unter ungeklärten Umständen (z.B. mit Brüchen der Handknochen). Es gibt keine offizielle Todesfallstatistik zum psychiatrischen Maßregelvollzug. Möchten Sie im Maßregelvollzug keine Psychopharmaka nehmen und hat man vor, sie zwangszubehandeln, wird Ihnen dies in der Regel schriftlich angekündigt. Dagegen können Sie mit Hilfe Ihres Anwaltes widersprechen. Ihre Chancen stehen aber äußerst schlecht. 2011 ist es zum ersten und letzten Mal zwei Maßregelvollzugsinsassen gelungen, bis zum Bundesverfassungsgericht zu klagen. Dennoch mussten beide bis dahin die Psychopharmaka „freiwillig“ nehmen, um ein gewaltsames Verabreichen zu verhindern. Es ist nahezu unausgeschlossen, aus der Forensik herauszukommen, wenn Sie sich nicht dem Arztwillen beugen. Gustl Mollath und Ulvi K. sind Ausnahmefälle.


Schutz vor der Zwangspsychiatrie

Genug von Angst und Schrecken - es gibt seit einigen Jahren gute Möglichkeiten, sich gegen Zwangsbehandlung vorbeugend zu schützen. Wenn Sie noch nie etwas mit Psychiatrie zu tun hatten, werden Sie sich vielleicht auch fragen: „Was geht mich das eigentlich an?“ Unseres Erachtens gehen Menschenrechtsverletzungen gegen Minderheiten jeden etwas an. Aber selbst unabhängig davon sind es Ihre Krankenkassenbeiträge, mit denen Zwangsbehandlungen finanziert werden und Ihre Steuergelder, mit denen der äußerst teure Maßregelvollzug unterhalten wird. Und spätestens wenn wir alt werden, wird jeder von uns von unfreiwilliger psychiatrischer Behandlung bedroht sein: Neuroleptika werden in Altenheimen verteilt, als seien es Smarties - obwohl gerade alte Menschen sie besonders schlecht vertragen. Wichtig ist es, rechtzeitig vorzusorgen und nicht dann erst, wenn einem schon die Entscheidungsfähigkeit aberkannt wurde!

Seit September 2009 ist das neue Patientenverfügungsgesetz in Kraft. Geregelt ist es unter § 1901 BGB. Dort ist festgelegt: Wenn ein einwilligungsfähiger Volljähriger schriftlich bestimmt hat, wie und ob er im Falle einer Einwilligungsunfähigkeit medizinisch behandelt werden will, muss seinen Wünschen nachgekommen werden. Die Patientenverfügung gilt für ALLE Bereiche, auch die Psychiatrie! Damit haben wir nun endlich die Möglichkeit, unsere Behandlung oder Nichtbehandlung selbst zu bestimmen. Wenn Sie psychiatrische Behandlung grundsätzlich ablehnen, können Sie in Ihrer Patientenverfügung sogar eine Untersuchung verbieten. Dies hat den Vorteil, dass Ihnen niemand eine psychiatrische Diagnose verpassen kann. Keine Diagnose, keine Zwangsbehandlung. Keine Diagnose, keine Betreuerbestellung. Ein Entwurf einer solchen Verfügung nennt sich PatVerfü und wurde von einem Bündnis von Psychiatrie-Erfahrenen-Organisationen herausgegeben. Bei der Ausarbeitung waren Anwälte behilflich.

Die Formulierungshilfe kann kostenlos unter www.patverfue.de heruntergeladen werden. Haben Sie keinen Internetzugang, können sie sich an eine der Kontaktadressen im nächsten Kapitel wenden. Wer psychiatrische Behandlung nicht grundsätzlich ablehnt, aber selbst bestimmen möchte, wie genau er oder sie behandelt werden möchte, kann die Bochumer Willenserklärung nutzen. Dort können Sie im Detail festlegen, wer im Falle einer Krise benachrichtigt werden soll, was Ihnen hilft und welche Medikamente Sie bekommen dürfen.

  • Einen Vordruck finden sie hier.

Es wird empfohlen, zugleich eine Vorsorgevollmacht auszustellen. In einer Vorsorgevollmacht können Sie eine vertraute Person bestimmen, die im Falle Ihrer Einwilligungsunfähigkeit dafür sorgt, dass Ihr Wille umgesetzt wird. Es kann dann kein Betreuer mehr bestellt werden. Außerdem sollten Sie ein ärztliches Attest über Ihre jetzige Einwilligungsfähigkeit beilegen und die Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht von einem Notar beurkunden lassen. Haben Sie kein Geld für einen Notar, bitten Sie zwei Bekannte, schriftlich zu bestätigen, dass Sie die Unterschrift geleistet haben.

  • Rechtliche Informationen vom Werner-Fuß-Zentrum in Berlin finden Sie unter www.zwangspsychiatrie.de oder Tel. 030/2911001.
  • Die Seite des Bundesverbandes Psychiatrie-Erfahrener ist www.bpe-online.de. Telefonische Erstberatung und Informationen zur Mitgliedschaft unter 0234/68705552.