2014-03:herrschaft bewegung

Aus grünes blatt
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Bewegungsticker

Gewaltfreiheitismus

Wolfgang Sternstein hat ein Buch über die Anti-Atom-Bewegung geschrieben. Ich möchte ehrlich vorausschicken, dass ich schon vor Lektüre dieses Buches deutliche inhaltliche Differenzen zu Sternstein hatte. Nach der Lektüre von „Atomkraft - Nein Danke - Der lange Weg zum Ausstieg“ (2013, Brandes&Apsel in Frankfurt, 240 S., 19,90 €) sehe ich mich darin bestätigt, habe jedoch zusätzlich noch das Gefühl, schlicht nicht verstanden zu haben, für wen dieses Buch eigentlich sein soll. Abgesehen von einem Farbfoto neueren Datums auf dem Cover sprechen die ausgewählten Fotos schon eine deutliche Sprache: Von rund 30 Bildern stammt über die Hälfte aus den 70ern, etwa 10 aus den achtzigern und gerade einmal zwei sind von 1997. Etwas Neueres findet sich nicht. In der Beschreibung heißt es, es handle sich um eine Analyse der Bürgerbewegung von Wyhl bis Gorleben. Während sehr umfangreich auf die Geschehnisse in Wyhl und Brokdorf eingegangen wird, werden die letzten eineinhalb Jahrzehnte der Bewegung jedoch reduziert auf wenige Zeilen. Passender wäre gewesen, dem Buch den Untertitel „Momentaufnahmen und subjektives Allerlei von Wyhl bis zur Bohrlochbesetzung Gorleben“ zu geben.

Brennelementefabrik und Urananreicherungsanlage werden in Halbsätzen genannt, der Widerstand dagegen findet keinerlei Erwähnung. Den Grünen solle gedankt werden für ihre parlamentarische Unterstützung der Bewegung, heißt es noch in dem 2013 erschienenen Werk. Ich bin sehr froh, dass die Anti-Atom-Bewegung entgegen parteigrüner Empfehlung und trotz aller Regierungsversprechen weiterhin gegen Castortransporte auf die Straße gegangen ist und ich glaube, dass die parlamentarische Tätigkeit der Grünen in den meisten Fällen doch mehr Steine in den Weg gelegt hat, als dass sie der Bewegung geholfen hätte.

Womit sich das Buch primär beschäftigt ist, unentwegt zu betonen, dass die Art von Gewaltfreiheit und gewaltfreiem Widerstand, wie Sternstein selbst sie anwendet, die einzig richtige Art und Weise ist zu protestieren und dass Sabotage und Militanz der Inbegriff des Scheiterns seien. Um diese Behauptung zu belegen, werden immer neue Listen mit Gründen angeführt, was die Stärken und Schwächen des Widerstands an den jeweiligen Schauplätzen ausgemacht habe. Gebetsmühlenartig wird wiederholt, dass die Erfolge den gewaltfreien Teilen zuzuschreiben seien und die Misserfolge den militant-autonomen. Sternstein bemüht sich mit diesem Buch redlich um den Titel des dogmatischsten Gewaltfreien im Land.


Umwelt-NGOs: Über Wirkungen und Nebenwirkungen ihrer Professionalisierung

So heißt eine Studie von Viola Köster, verlegt bei Lit in Münster (2012, 200 S., 29,90 €). Der Titel verspricht einen kritischen Blick auf die Entwicklung von Umwelt-NGOs. Der Begriff der Professionalisierung wird dann jedoch bedauerlicherweise sehr eng gefasst und es geht im Grunde im Buch nahezu ausschließlich um die Übertragung von Managementkonzepten der Betriebsoptimierung auf NGOs bzw. insbesondere deren Auswirkungen auf Festangestellte. Das Buch beschreibt zunächst die Wirkungsweise verschiedener auf Umwelt-NGOs angewandter Optimierungskonzepte (Supervision, Organisationsentwicklung, Selbstmanagement etc.) und lässt dann anonymisiert Verbandsangestellte zu Wort kommen. Durch die komplette Anonymisierung hinsichtlich Person, Funktion und Verband stehen diese Statements jedoch weitgehend im luftleeren Raum, wirken eher banal und lassen sich nicht geschichtlich einordnen. Dadurch werden zwar die zuvor beschriebenen Wirkungsweisen hinsichtlich Entfremdung, Erschöpfung, Flexibilisierung, Burnout, Prekarisierung und Konkurrenzdruck unter den NGO-Angestellten und damit ein zentraler Aspekt der Professionalisierung bestätigt, mir erscheint dies für eine Analyse der Professionalisierung jedoch zu wenig.

Der politische Bedeutungswandel einer NGO von einem zu Zeiten des Entstehens der Umweltbewegung revolutionären oder jedenfalls potentiell revolutionären Sammelbecken hin zu einer konterrevolutionären Institution wird in Kösters Werk vorrangig mit der zuvor geschilderten „Professionalisierung“ begründet. Damit wird die staatliche Vereinnahmung der Umweltverbände und die damit einhergehende Modernisierung und Stärkung des eigentlich durch Umsturz zu beseitigenden Staatsgebildes zwar im Resultat korrekt, aber verkürzt dargestellt. Viele weitere Faktoren, Rahmenbedingungen, Akteur_innen und politische Entwicklungen haben hier ebenfalls Einfluss, genannt seien beispielsweise das Grunddilemma der Festanstellungen in Verbänden (Verstetigung von einmal geschaffenen Jobs und Machtposten über Jahre/ Jahrzehnte), die systematische Korrumpierung durch Macht, die Nutzung von Umweltverbänden als Sprungbrett für eine parteipolitische Karriere, die Entwicklung vieler Menschen dahin, konsumierbaren Widerstand zu fordern bzw. die Revolution von ihrem Smartphone aus liken zu wollen und das Verschwinden des Anspruchs, Dinge selber machen zu wollen. Gerade der letztgenannte Aspekt wäre spannend gewesen zu untersuchen, da die Entwicklung der NGOs teilweise durchaus als Reaktion auf eine veränderte „Nachfrage“ zu werten ist. Auch innerhalb des Spektrums hochprofessionalisierter NGOs gibt es eine interessante Bandbreite an Organsiserungsmodellen, die sich tlw. besser und tlw. schlechter an die Erfordernisse der „modernen Zivilgesellschaft“ anzupassen oder diese auszunutzen wissen.Spannend hätten auch weitere Fragen sein können wie die nach verbandsinternen Widerständen gegen Professionalisierung und die Reaktion darauf oder die daraus resultierenden Machtkämpfe. Ebenso fehlt die Kritik an den Entwicklungen durch andere Initiativen und Zusammenhängen sowie die Debatte um Herrschaftsanalyse (bzw. des Fehlens derselben mit daraus folgender fehlender Herrschaftskritik und Verlust aller Utopien.

Der letzte Teil des Buches beschreibt umfangreich Marcuses „kritische Naturtheorie“ um dann die Logiken von Lebens- und Todestrieb auf die vorherigen Schilderungen zu übertragen. Mir erscheint die Übertragung nicht falsch, aber doch sehr schablonenhaft und wenig hilfreich für eine konkrete Organisierungsdebatte. Ganz am Ende des Buches wird benannt, wirksamer Widerstand entstehe nach Marcuse an den Randgrupen des Kapitalismus und sei dezentral, diffus und spontan. Genau diese Orte und Personen aufzusuchen und nach ihrer Perspektive auf den NGO-Apparat zu befragen, hätte dem Buch gut getan. Hanna Poddig


  • Die Filme über rechtslastige und weltvereinfachende Inhalte im Film „Friedlich in die Katastrophe“ sind wieder auf Youtube zugänglich.