2014-03:Waldgänger im Unterholz

Aus grünes blatt
Zur Navigation springenZur Suche springen

In "Gǎi Dào" # 41 erschien der Artikel „Ein Kampf um mehr als einem Wald“ unterschrieben mit „Domino“. Er behandelt die Räumung der dritten Besetzung des Hambacher Forst. Zumindest oberflächlich gesehen. Denn in erste Linie geht es im Text – wie es sich für die sensible Linke gehört – um die Frage „Wie geht uns damit?“. Es geht uns damit nicht gut. Freund Baum ist tot – „Ich erklimme den Stamm, an dem ich immer auf dem Weg nach oben vorbei geklettert bin. Selbst auf dem Boden liegend, geht er mir immer noch bis zur Hüfte“.

Fassungslos steht der Autor da: „Ich betrachte die tiefen Kerben der eichentypischen Rinde und beobachte mit einer Mischung aus Zuneigung und Melancholie die riesigen Waldameisen, die scheinbar wie gewohnt ihrer Wege gehen.“ Scheinbar! – Kaum denkbar, dass die Ameisen nicht so berührt seien von Baumtod, wie der Autor. Schließlich standen sie Pate bei der ganzen Aktion: „Ants Squat - nach ihnen war der Ort benannt, die Ameisenbesetzung.“ Warum lohnt es sich, dieses Meisterstück von Naturkitsch näher zu untersuchen? Vielleicht weil der anonyme Freund von Bäumen und Ameisen mit Menschen unendlich härter ins Gericht geht. „Sie zerstörten gedankenlos was ich immer mit Liebe, Respekt und samtenen Fingern bedacht hatte um so wenig Schaden wie möglich anzurichten. Und auch wenn tagtäglich auf der ganzen Welt so viel von dem zerstört wird, was ich liebe und wir alle zum Leben brauchen, habe ich selten so viel Hass und Wut empfunden wie in diesem Moment und in meinen dunkelsten Träumen wünsche ich ihnen das schlimmste [sic!] dafür.“

Eigene Liebe und Respekt sind natürlich meist schon so, dass sie das Handeln anderer Menschen, die etwas anderes lieben und respektieren, als pure Gedankenlosigkeit erscheinen lassen. Und wer jetzt mal wieder einen Text über Verknüpfungen von Ökologismus und Menschenfeindlichkeit samt unumgänglichen Nazi-Vergleich erwartet – weit gefehlt. Das Problem legt tiefer, es ist nicht einfach die Tatsache, dass Domino ein Ökoromantiker von atemberaubender Geschmacklosigkeit ist, und dass der Pluralismus von "Gǎi Dào" alles verdauen kann. Das Problem ist, dass Domino ein Musterbeispiel für die Begründung der linken Politik aus dem Geist des Heroismus bietet. Es gibt sicherlich gute Gründe für Proteste im Hambacher Frost und es gibt auch gute Grunde was anderes zu tun, als sich an Bäume anketten und „die tiefen Kerben der eichentypischen Rinde“ mit einer „einer Mischung aus Zuneigung und Melancholie“ zu betrachten. Der springende Punkt ist ein anderer: Domino verplappert sich: „In einer Welt, in der wir die Außenseiter*innen sein sollen, ohne feste, finanzielle Quellen, eine Welt, die nur in Geld Wert erkennt, mit Regeln, denen wir niemals zugestimmt haben und in der wir nur etwas bewirken dürfen, wenn wir uns unterwerfen, wollen wir nicht leben. So bauen wir Alternativen auf, entwerfen Lebenskonzepte und schulen unsere Kreativität. Deshalb können sie uns mit ihren Knüppeln, Gerichtsverfahren und ihrer Hetze auch nichts anhaben.“ Der Kampf um den Forst ist ja verloren, es geht nur noch darum sich selber zu überzeugen, dass das eigene – nüchtern betrachtet recht erfolglose – Tun Sinn macht. Domino kennt die Antwort: Wir sind Helden. Viel zu toll für diese Welt – die leider gar nicht nachfragt, ob wir sie gut finden. Selbst finanzielle Quellen versagt einem die Welt, die gemeinerweise aber nur in Geld Wert erkenne.

Gerade noch bei der Trauerarbeit mit Ameisen, klopft sich der Anarch nun die Schultern wund:

„Nach gerade mal zwei Jahren wird über den Hambacher Forst nicht mehr nur im linken Untergrund,“ -- Untergrund, drunter geht‘s nicht, in einem Land, wo linke Politik größtenteils in Form von Wochenendemos stattfindet -- „sondern auf der ganzen Welt gesprochen. Immer mehr Menschen verstehen, dass wir alle für dasselbe kämpfen, ob nun im Schwerpunkt gegen Energiegroßkonzerne und Umweltzerstörung, gegen Rassismus, Landraub auf der ganzen Welt, die Waffenindustrie, Speziesismus, Transphobie, Macht und Hierarchie.“ Man könnte dagegen einwenden, dass der Verlauf der Kämpfe für Bäume in Rheinland erst mal keinerlei Auswirkung hat auf Kämpfe gegen Grenzregime in Mittelmeer oder gegen Anti-Homo-Gesetze in Russland, auf Umstrukturierungen an den Hochschulen oder Arbeitsbedingungen in Betrieben. Das macht den Kampf nicht schlechter oder unwichtiger, aber er behandelt einen anderen Gegenstand. Doch wenn man im Kampf gegen alles Böse für alles Gute ziehen möchte, dann sollte man sich bei solchen demotivierenden Gedanken gar nicht erst aufhalten!

Den Antrieb zum Kampf liefert der Weltschmerz. Je unwohler unser Waldgänger sich in der Gesellschaft fühlt, desto „wirklicher“ erscheint die Natur. „Ich erinnere mich an die Nächte dort oben unter freiem Himmel, in denen ich wohl mit einem Lächeln auf den Lippen eingeschlafen sein muss, beschienen von 1000 Sternen und einem faszinierendem Mond und mit dem ganz großartigen Gefühl, genau am richtigem Ort zu sein und gut behütet zu sein. Denn in 25 Metern Höhe kann die [sic!] keiner so schnell was.“ Von der Zivilisation auf den Baum gejagt, kann man bequem zwischen Selbstheroisierung und Selbstmitleid balancieren. „Wenn du eine Weile so eng mit wirklicher Natur zusammenlebst, sie kennen, beobachten und lieben lernst, wird dir nach einer gewissen Zeit bewusst, wie bescheuert, arrogant, naiv und respektlos all das, was als zivilisiert bezeichnet wird doch ist.“ Anarchismus kann so konservativ werden, wenn er sich auf die Suche nach dem Zusammenleben mit „wirklicher“ Natur begibt.

Die Bewunderung für eigenen Tiefsinn und Heroismus kommt natürlich nicht ohne Verachtung für die stumpfen Massen, die oberflächliche Gesellschaft, die wahre Werte vergessen habe und überhaupt das große Ganze vernachlässigt, auskommen. „Für viele bedeutet Natur nur noch der Rasen vor ihrem Haus, die Bäume am Straßenrand und sich an einzelne Elemente als Accessoires und Tischdekoration zu erfreuen. Wilde Natur erleben nur wenige, die wirklich nach ihr suchen. Und noch weniger können sie wirklich voll und ganz erleben. Vor allem in den Städten aber nicht nur da werden unsere Sinne so sehr mit Reizen überflutet, dass die kleinen Reize der Natur uns gar nicht so bewusst auffallen. Doch mit nur wenig Strom um dich herum, deinem Zuhause mitten in einem teilweise 12.000 Jahre alten, nicht industrialisierten Wald, entdeckst du nach und nach die Wunder dieses Planeten und des Lebens.“ Während die kleine Elite das Wilde zu erleben wagt, findet der reizüberflutete Rest, es gibt Interessanteres, als Ameisenbeobachten und sieht in der Stromversorgung einen Beitrag zur Lebensqualität. Wer wird es ihnen verübeln? Domino natürlich, denn er sucht das innere Erlebnis in der Gefahr. Gewitter setzen dich etwas auf Adrenalin, denn du weißt, du bist nicht sicher hier draußen, aber das macht dir keine Angst, denn du spürst das Leben und genießt es in jedem Augenblick.“ Gute Idee, könnte nämlich dein letzter sein. „Und wenn du morgens mit der Sonne aufstehst bist du immer wieder aufs Neue beeindruckt von der Ruhe eines kühlen Morgens, wenn selbst das Gras noch zu schlafen scheint unter einem frischen Taumantel.“

Guten Morgen, Sonnenschein, Nein du darfst nicht traurig sein. „Und die Freude, wenn du nach einem langen Winter die erste Blume entdeckst. All diese Details und Faszinationen und Schönheiten lassen dich spüren, dass es nicht viel zum Leben braucht um glücklich zu sein.“ Richtig so, es sind nicht materielle Dinge, die uns glücklich machen, liebe Hartz IV-Empfänger und Lohnabhängige! Allerdings muss man irgendwie durch den Winter kommen, um danach die erste Blume zu entdecken.

„Es kommt mir ganz klar und offensichtlich vor, wie bescheuert diese Zivilisation doch ist und doch leben die meisten von uns immer noch vollkommen entfremdet von ihrem eigenen Leben.“ Ganz offensichtlich kommt es ihm vor, dass das größte Problem an unserem Leben die Entfremdung davon ist. „Wir überlassen […] unsere Gesundheit der Pharmaindustrie, unsere sozialen Konflikte der Polizei“ – und verlernen alte Künste der Selbstheilung und Selbstjustiz!

Die Suche nach dem „Wirklichen“ führt unseren Waldgänger ins trübes Gewasser: „Dieses Gefühl, dass Papa Kapitalismus für dich sorgt, erspart dir die wirklichen, zwischenmenschlichen Beziehungen, gaukelt dir Liebe und Fürsorge vor wo eigentlich nur Gier und Geiz dahinter stehen.“ Hier trifft sich alles. Moralische Kapitalismuskritik trifft auf Vorstellungen von „wirklichen“ zwischenmenschlichen Beziehungen, die irgendwie unverdorben, rein und uneigennützig sein müssen. Doch irgendwie entdecken die Sucher nach wirklichen Beziehungen, wahren Bedürfnissen und gänzlich unentfremdeten Leben meist dort, wo es Kämpfe, Aufopferung und Verzicht gibt. Der Weg vom linken Moralismus über kulturpessimistischen Litaneien hin zum elitären Dünkel der wenigen Mutigen ist vollendet. Auf einmal steht man doch neben Herrn Sloterdijk und Sarrazin und ist empört über Antriebslosigkeit und Passivität, Bequemlichkeit und Verweichlichung. Zerbricht sich den Kopf darüber, wie man diese Herdentiere von der Fernsehcouch ins risikoreiche, aber wirkliche Leben treiben könnte. Fernsehgerät wegnehmen, Strom abschalten, Bezüge streichen – dann ist Schluss mit Reizüberflutung, und mit Lustig sowieso? Ach, Fragen über Fragen!

Nein, natürlich will man nicht dasselbe. Nicht ganz. Domino will, dass Menschen das Überleben in „wirklicher“, also möglichst wilde Natur lernen, Sloterdijk und Sarrazin wollen die Überlebensprobe in der ungezähmten Marktwirtschaft, das abenteuerliche Herz eines anderen berühmten Waldgängers schlug für Stahlgewitter. Doch bei allen Differenzen ist man sich einig, dass die abgestumpfte Mehrheit es viel zu bequem hat, und für ihre profanen materialistischen Interessen die Verachtung der elitären Draufgänger verdient hat. Kostproben aus dem Hombacher Forts gefällig?

„Ich begegne RWE Arbeitern (es sind alles männlich wahrgenommene Personen) und weißen Range Rovern der privaten Securityfirma. Sie machen sich daran, die wertvollen Hauptstämme der Bäume weg zu schaffen. Diese werden ihnen noch jede Menge Geld einbringen. In ihren Augen ist das nur Ware und Geschäft. Und auch wenn ich mir viele Verhaltensweisen erklären kann (was sie wohlgemerkt nicht rechtfertigt) steigt in mir tiefe Verachtung empor. Sie pöbeln mich an, weil ich vermummt bin, doch ich habe keine Lust darauf einzugehen und verschwinde im Unterholz, wo ich sicher sein kann ihnen nicht weiter zu begegnen, da sie immer auf den offiziellen Wegen bleiben.“


Hyman Roth