2014-02:Noch lange danach

Aus grünes blatt
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Manchmal wundert es mich, dass es mich gibt.
Dass ich gezeugt worden bin.
Dass ich nicht abgetrieben wurde.
Obwohl das doch nahe gelegen hätte,
in so einer Zeit, unter solchen Umständen.
Dass ich ohne verkrüppelte Glieder,
Wasserkopf oder lebensbedrohlichen Herzfehler
zur Welt gekommen bin.
Dass ich meine Geburt überlebt habe!
Dass ich nicht schon als Kleinkind gestorben bin.
Und dass ich auch jetzt noch gesund bin,
wie es scheint - obwohl ich schon sechzehn Jahre
erreicht habe.
Ich habe wirklich Glück gehabt!


Gudrun Pausewang:

Noch lange danach

fb Vierzig Jahre nach der Reaktorkatastrophe in der BRD spielt dieser Roman von Gudrun Pausewang. Die 16jährige Schülerin Bornwald gehört zur übernächsten Generation der Überlebenden und geht in eine Schule in Süddeutschland, wo viele Nachkommen der einst Evakuierten heute leben, da große Teile des Landes verstrahlt wurden, als 2020 eines der letzten noch nicht abgeschalteten Atomkraftwerke explodierte. Vida führt eine Gruppe chilenischer Besucher*innen durch ihre Schule und erzählt vom Leben nach der großen Katastrophe - und auch vom "Davor", sofern sie über Hörensagen davon erfahren hat. Viele Touristen aus aller Welt besuchen heute eines der ärmsten Länder des Globus, das einst zu den größten Wirtschaftsmächten gehörte.

Die bereits durch ihr Buch "Die Wolke" (Geschichte eines Atomunfalls im AKW Grafenrheinfeld) bekannte Autor*in Gudrun Pausewang beschreibt in ihrem neuen Roman, wie das Leben in der BRD nach einem Super-GAU aussehen könnte - und zeichnet damit nicht unbedingt das schlimmste Horrorszenario. Die alltäglichen Lebensumstände, unter denen die Menschen lange nach der Katastrophe leben müssen, erinnern heute an die Opfer von Tschernobyl. Der größere Kontrast des vorigen Reichtums und der atomkraftbedingten Armut wird in der Erzählung des Mädchens, deren Mutter stark depressiv ist, weil sie keine Perspektiven sieht, deutlich erlebbar. Das Buch ist als Interview mit Vida verfasst, von dem wir nur ihre Antworten lesen, die zugehörigen Fragen werden unserer Phantasie überlassen.

Pausewangs Buch ist sehr aktuell und ein Aufruf, sich heute und jetzt mit aller Kraft gegen die noch laufenden Atomreaktoren zu wehren - ihre Geschichte verdeutlicht, wie trotz Stilllegungsbeschluss und nur noch wenigen verbliebenen Atomanlagen zwei Jahre vor dem geplanten Ende des AKW-Betriebs in der BRD ein Super-GAU alles zerstören kann. Und macht damit eindringlich klar, dass kein Tag Weiterbetrieb akzeptabel ist. "Noch lange danach" ist damit ein wertvoller Beitrag in der heutigen Auseinandersetzung um die sofortige Stilllegung aller Atomanlagen.

Natürlich bin ich auch der Meinung, dass nicht alles so gekommen wäre, wenn die meisten unserer
Groß- und Urgroßeltern der Atomindustrie rechtzeitig Einhalt geboten hätten. Wenn sie sich
verantwortlich gefühlt hätten!
  • Gudrun Pausewang: Noch lange danach
  • 122 Seiten; 9,99 €
  • Ravensburger Buchverlag, Ravensburg 2012
  • ISBN 978-3-473-40075-1