2013-02:rez engagement

Aus grünes blatt
Zur Navigation springenZur Suche springen

Bücher zu politischem Engagement

Klaus Schönberger/Ove Sutter (Hrsg.)
Kommt herunter, reiht Euch ein ...
(2009, Assoziation A in Berlin, 269 S.)
Ein anregend gestaltetes Buch voller Ideen und Beispiele. Der Schwerpunkt liegt auf Straßenprotest und den dortigen Klassikern vom Fahneschwenken über T-Shirt-Parolen bis zu Graffities. Etwas unverständlich ist, vor allem angesichts des breit auslegbaren Buchtitels, dass viele bekannte Aktionsformen wie Militanz, Sabotage, verstecktes Theater und viele Formen der Kommunikationsguerilla nicht oder kaum erwähnt werden. Wer die Internetsammlung www.direct-action.de.vu anschaut, wird im Vergleich die erheblichen Lücken schnell erkennen.

Ulrike Laubenthal/Reiner Steinweg
Gewaltfreie Aktion
(2011, Brandes&Apsel in Frankfurt, 287 S.)
Fast alle, die Rang und Namen haben in gewaltfreien Bewegungen des deutschsprachigen Raumes tragen hier ihre Sichtweise zusammen. Seite für Seite wird spürbar, wie verbissen sich die AkteurInnen an den Strohhalm „Gewaltfreiheit“ klammern. Der schafft Identität, schweißt zusammen und führt zu aggressiven Distanzierungen von allem, was nicht dazu gehört. Eine gute Theorie der Gewaltfreiheit ist dabei im gesamten Buch nicht benannt. Stattdessen werden alle möglichen erfolgreichen Kampagnen als eigener Erfolg dargestellt - was sie aber nie waren. Denn in der Definition auf Seite 159 „Die anonyme Sabotage ist keine Form der gewaltfreien Aktion“ steckt eine Absage an Handlungen, die sowohl beim Castorprotest wie auch in der Kyritzer Heide oder bei Stuttgart 21 immer wieder vorkamen. Das Buch lohnt aber, zu lesen - um im Original nachzulesen, wie dogmatisch, fast religiös die Gewaltfreiheit in der Praxis aussieht, verbunden mit internen Hierarchien und zentraler Steuerung, wie sie in den Texten der Führungsfunktionäre Jochen Stay und Jörg Rohwedder als Ziel vorgegeben werden.

Michael Sontheimer
„Natürlich kann geschossen werden“
(2010, DVA in München, 224 S., 19,95 €)
Es gibt inzwischen sehr viele Bücher, die sich als geschichtlicher Abriss der RAF verstehen. Dazu gehört auch dieses, welches eher eine Light-Version darstellt. „Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion“ heißt denn auch der Untertitel. Das Buch liest sich angenehm und ist gespickt von Zitaten, die zumindest suggerieren, den O-Ton der damals Beteiligten wiederzugeben. Nur für einen Teil sind Quellen angegeben, so dass es - wie immer zu diesem Thema - schwer ist, die Nähe zum tatsächlichen Geschehen einschätzen zu können. Dass der Autor aber bei der Beschreibung bleibt und sich nicht als letzter Richter über die Geschichte aufspielt, schafft ihm einen angenehmen Abstand zu manch anderen Schreiberlingen der Zunft.

Susan Zimmermann
GrenzÜberschreitungen
(2010, mandelbaum in Wien, 272 S., 24,90 €)
Auf eine solche Fragestellung muss mensch erstmal kommen: Welche Wirkung hatten große internationale Reformbewegungen auf die Stärkung nationaler Gerechtigkeiten und Gleichheiten - und auf die internationaler, also der Lebensverhältnisse im Vergleich zwischen Nationen, Staaten oder Kontinenten? Das steht nämlich, wie im Buch an einigen Beispielen globaler Kämpfe um Arbeitsbedingungen, gegen Sklaverei, Gleichberechtigung oder christliche Missionierung (eine etwas sonderbare Zusammenstellung) oftmals im Widerspruch zueinander. Die Autorin will auch keine politische Programmatik liefern, sondern beschreibt Dillemata, Wirkungen und einige Lösungsversuche.

Andreas Pitter/Helena Verdel
Der große Traum von Freiheit
(2010, Promedia in Wien, 239 S.)
Ist es ein Buch für alle, die gern auf dem Sofa von revolutionären HeldInnen träumen, aber sich genau dadurch abhalten lassen? Oder doch eine Anregung für eigenes Handeln? Die AutorInnen stellen 30 Persönlichkeiten vor, die Geschichte geschrieben oder das zumindest versucht haben. Viele von ihnen sind in ihren Wirkungskreisen zu bekannten Namen geworden - viele wurden zu Lebzeiten verfolgt, später aber verehrt. Für einen widerständigen Alltag taugen sie eher nicht als Vorbild, aber schon als politisches Fanal, wie fortschrittsfeindlich die Welt, allen voran die westliche Welt einschließlich der herrschenden Demokratien doch ist. Was voranbringen könnte, wird meist niedergemetzelt.

David Graeber
Inside Occupy
(2012, Campus in Frankfurt, 200 S., 14,90 €)
Der Autor ist inzwischen einer der Prominenten von Occupy, bei denen eine Führung oder Stellvertretung eigentlich fehlen soll. Doch auf dem Buchrücken steht „Vordenker“, vorne „Initiator“ und in dem beiliegenden „Revolutions-Guide“ schreibt er wie selbstverständlich ein Vorwort. Auch das Buch selbst zeigt die Verfasstheit von Occupy ganz exemplarisch: Es ist ein Erzählbuch aus der Sicht des „Vordenkers“. Der verallgemeinert seine Auffassungen zu politischen Positionen, was kompatibel ist zu einer weitgehend inhaltsfreien Bewegung, die leichte Beute für Bewegungsagenturen und -apparate ist. Geradezu naiv wirbt Graeber für mehr Demokratie und interpretiert die so unscharf, dass er Anarchie für den „logischen Schluss“ der Demokratie hält (S. 104). Mit Kritiken an Konsens, modernen Hierarchien scheint er sich nie auseinandergesetzt zu haben. Occupy lebt davon, ganz unverschuldet zur Speerspitze von Bewegung erklärt worden zu sein. Graeber lebt davon, nur teilverschuldet zum Kopf von Occupy inszeniert zu werden.

Infogruppe Bankrott (Hrsg.)
Occupy Anarchy!
(2012, edition assemblage in Münster, 152 S., 9,80 €)
Eigentlich wäre das keine Bemerkung wert, sondern Selbstverständlichkeit. Aber in sozialen Bewegungen, in denen es ständig um Hegemonie und Pfründe geht und wie sind in Deutschland nun mal typisch sind, ist es doch eine bemerkenswerte Ausnahme: In diesem Büchlein sind unterschiedliche, zum Teil konträre Ansichten aus verschiedenen Ecken zusammengestellt. Allerdings sind es, bis auf eine abschließende Abhandlung (die aber auch nicht aus einer deutschsprachig-anarchistischen Ecke stammt), Übersetzungen. Somit fehlt ein Blick auf die Geschehnisse hier - für eine kritische Analyse vor allem der US-amerikanischen OccupystInnen ist das Buch aber sehr nützlich.

Die blutigen Tage von Genua 2001
(2011, Laika in Hamburg, 200 S., 24,90 €)
Ein Lesebuch über die Tage, als das Thema „Globalisierung“ endgültig in die europäische Debatte schwappte - mit viel Blut und Tränen(gas). Bis 2001 hatten nur ferne Berichte über Aufstände und Proteste den selbsternannten Nabel der Welt erreicht - am ehesten noch die Befreiung großer Teile von Chiapas in Mexiko durch die Zapatistas. 1999 folgte dann mit den Straßenkämpfen von Seattle der Sprung in die Nachrichten des globalen Nordens, aber erst Genua schuf den medialen Aufstieg zum Thema des Jahrzehnts. In mehreren Berichten, Interviews sowie insgesamt sechs Filmen auf zwei DVDs bringt das Buch einen intensiven Eindruck der Tage ins Gedächtnis zurück.

Florian Kessler
Mutbürger
(2013, Hanser Berlin, 240 S., 14,90 €)
„Die Kunst des besseren Demonstrierens“ will das Buch laut Untertitel vermitteln. Es liest sich hingegen eher wie das Tagebuch eines Viel-Demonstrierers, der nicht viel vorher überlegt, sondern hingeht, guckt und sich so seine Gedanken macht. Die erzählen viel über die aktuelle Verfasstheit politischer Bewegungen. Doch wer nur mitläuft, hat Grenzen der Wahrnehmung. Die liegen im Faktischen. Was nicht stattfindet (mitunter in der langweiligen, deutschen „Linken“ auch nicht stattfinden darf), ist nicht zu sehen und daher auch nicht existent. So schaffen es Abhandlungen über kreative Straßenprotestformen nicht einmal in die Literaturlisten, geschweige denn in die Überlegungen zur Praxis. Lesbar ist das Buch dennoch: Für alle, die auf Demos gehen, als Poesiebuch, was sie so ähnlich erleben dürften. Für alle anderen als Anschauung, wie wenig geht. Die Bewegung bekommt die Bücher, die sie verdient.