2012-01:Wietze und Widerstand

Aus grünes blatt
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Hat der Widerstand gegen Europas größten Geflügelschlachthof in Wietze nach seiner Eröffnung noch eine Perspektive?

Claudia Am 5. August eröffnete Rothkötters Schlachthof in Wietze, ohne viel trara und ohne Presse wurde von Seiten des Konzerns versucht, sich heimlich in die Normalität der Warenproduktion und scheinbar nicht verhinderbaren Dingen in der überschaubaren Ortschaft einzuschleichen.

Beliefern lässt sich der Schlachthof nicht wie geplant und propagiert von 400 Mastanlagen aus der Region sondern aus dem Emsland, den Niederlanden und Dänemark.[1] Was das für die ursprünglichen Geschäftsideen bedeutet, verschweigt der Konzern und auch sonst zeigt er wenig Bereitschaft, auf Fragen der Presse zu reagieren. Warum „einer der Marktführer des Deutschen Geflügelmarktes“ keine Pressearbeit zu der Eröffnung seines einst gefeierten Zukunftsprojekts macht, lässt sich nur spekulieren.

Laut einer kleinen Anfrage der Grünen beim Landtag, muss der Schlachthofkonzern Rothkötter bis Ende 2012 ausreichende Verträge mit über 400 Großmästern nachweisen – ansonsten müssten die 6,5 Millionen Euro schwere Landesförderung zurückgezahlt werden.[2]

Davon sind zur Zeit laut verschiedener Presseartikel gerade mal 20 in Planung und das obwohl Rothkötter versucht, mit erheblichen Aufwand verschiedene Landwirt_innen für seine Interessen zu knebeln.

Bei der Kategorie Fragen und Antworten auf der Internet Plattform des Tochterunternehmens „Celler Frischgeflügel GmbH“ wird die Frage „Wie viele Landwirte haben Sie, die für Ihr Unternehmen Hähnchen mästen wollen?“ mehr oder weniger geschickt mit der Antwort „Wir befinden uns angesichts des allg. Planungsstandes grundsätzlich auf einem guten Weg. Die Resonanz/das Interesse ist durchaus gegeben und zufriedenstellend“ umgangen.

Das Familienunternehmen hat laut eigenen Angaben über 60 Million € in den Schlachthof investiert, in diesem Verhältnis wirkt eine mögliche Rückzahlung von 6,5 Millionen € nicht ausschlaggebend. Aber welche weiteren Geldeinbußen (Abweichungen des ursprünglichen Geschäftsplans z.B. durch weite Transportwege, einen deutlich geringeren Absatzmarkt für Futtermittel und Küken, Imageschäden etc.) zustande kommen, ist mir zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Artikels noch unbekannt.

  • „Meine Berufskollegen sind wütend und fassungslos. Da gibt es zurzeit wenig Motivation, neue Anlagen zu planen. Dem Risiko setzt sich keiner mehr aus“

Wilfried Henties vom Peiner Landvolk im Interview zu den Brandanschlägen in der Peiner allgemeinen Zeitungam 13.10.11.

Die Notwendigkeit des Widerstands gegen den Mega-Schlachthof in Wietze und den Konzern Rottköther hat also keineswegs an Bedeutung verloren und ist keineswegs perspektivlos in der Hinsicht, das Schlachthof-Projekt als profitmindernd zu degradieren und damit der Widerstandsbewegung gegen (Massen)Tierhaltung insgesamt eine Perspektive und Dynamik für noch viele bevorstehende Kämpfe und Auseinandersetzungen mit der Agrar- und Tierhaltungsindustrie zu verleihen.

Die Zulieferbetriebe entpuppten sich als Achillesverse des Schlachthofs.

Während die verschiedenen Bürgerinitiativen, die sich in der gesamten Region um den Schlachthof herum gründeten, mit Klagen, Petitionen und Öffentlichkeitsarbeit den Bau von so mancher Mastanlage verzögerten oder blockierten, gab es diesen Sommer auch wieder eine Vielzahl von Aktionen die direkt in den Bau von verschiedenen Mastanlagen eingriffen. So gab es insgesamt 3 Besetzungen von Bauflächen auf denen „Zulieferbetriebe“ gebaut werden (sollen)[3] und 2 Brandanschläge auf Mastanlagen, die sich kurz vor der Inbetriebnahme befanden. Wobei eine Halle fast komplett ausbrannte und einen Schaden von ca. einer halben Million € verursachte. Bei dem zweiten Anschlag in Mehrum wurde der Brand leider frühzeitig von einen vorbeifahrenden Autofahrer entdeckt, so das er noch von den anrückenden Cops gelöscht werden konnte und nur einen geringen Schaden auslöste.

Die Sache mit der Vermittlung! „Gewalt ist kein Mittel, allerdings ...“

Inwieweit lassen sich Aktionsformen, die mit der Bürgerlichen Vorstellung von Rechtsstaatlichkeit brechen, einer Bevölkerungsschicht, die versucht den Industriezweig Massentierhaltung ausschließlich mit einen relligionsartigen „legalen Protest“ zu bekämpfen, vermitteln?

Antwort auf diese Frage könnte eine Analyse der von Sprecher_innen von Bürgerinitiativen und durch die Medien verbreiteten Diskurse der vergangenen durchgeführten militanten Aktionen geben.

Bei dem Brandanschlag auf eine Mastanlage von Alvesse wurden noch deutliche Distanzierungen von seiten der Sprecherin der Bürgerinitiative Alvesse/Üffingen gegenüber der Lokalpresse abgedruckt:[4]

  • „Ich finde es einfach nur entsetzlich. Das ist gegen unser Bestreben und gegen die Idee der Bürgerinitiative“, "Das ist Kriminell, und wir distanzieren uns davon. Wir sind in keinster Weise involviert“
  • "Ich hoffe, dass die Täter gefasst werden, damit die Verdächtigungen gegen uns aufhören."

Aber auch in diesem Zusamenhang wurde das Bekenner_innen schreiben, welches laut lokaler Presse ihnen per Mail zugesandt wurde, unzensiert abgedruckt.

"Bekenner_innen-Schreiben Mastanlagenbrand Alvesse:
Wir haben in der Nacht zum 16.07.11 eine Hähnchenmastanlage zwischen Alvesse und Üfingen in Brand gesetzt. Legaler Protest, sowie eine Besetzung der Baufläche konnten den Bau der Anlage nicht stoppen, weswegen wir uns für diese Aktionsform entschieden haben, um die Inbetriebnahme direkt zu verhindern. Diese Mastanlage ist nur eine von vielen Institutionen, zu deren Verhinderung Sachbeschädigung notwendig und legitim ist. Wir haben uns für dieses Ziel entschieden, weil die Haltung und Tötung von Individuen und die ökologischen und sozialen Folgen - von Gen-Soja-Anbau mit Totalherbiziden und Regenwaldabholzung über Grundwasserverseuchung zu subventionierten Hähnchenteil-Exporten - verhindert werden sollte. Es ist normal, dass die demokratisch legitimierten Stellvertreter_innen Entscheidungen so treffen, dass Privilegierte möglichst viel Geld verdienen können, anstatt dass die Betroffenen miteinander Individuallösungen koordinieren können. Wir finden direkte Aktionen wie z.B. die von uns durchgeführte auch an anderen Orten, die der Emanzipation im Wege stehen, z.B. wo Tiere (Mensch=Säugetier) verdinglicht werden, sehr zu begrüssen. Dabei sollte stets reflektiert werden, welche Aktionsform angemessen ist und wie Verletzungen von Lebewesen möglichst ausgeschlossen werden können.
Präzise gegen die Gesamtscheisse, widerständig voran!“ [5]


Nach den versuchten Brandanschlag in Mehrum wozu sich „die“ ALF (Animal Liberation Front) bekannte, klangen die Distanzierungen der Sprecherinnen der lokalen Bürgerinitiativen deutlich differenzierter:

Heike Kubow von der Bürgerinitiative Hähnchenmast Peine/Wendesse:

  • „Wir distanzieren uns ganz klar von Anschlägen auf Hähnchenmast-Anlagen. Das ist nicht unser Weg“

oder

  • „Gewalt ist kein Mittel. Allerdings bedeutet Hähnchenmast die Missachtung der Schöpfung und somit wenden sich auch die Betreiber solcher Anlagen gegen die Schöpfung. Die Hähnchen die sie halten, sind keine Tiere, sondern Fressmonster, die so gezüchtet werden, dass sie 30 Tage bei Tageslicht nur fressen, bis sie fast tot umfallen und dann geschlachtet werden.“ So wird Helga Laue von der Bürgerinitiative Ilsede/Lahstedt von der Peine Allgemeinen Zeitung Zitiert.[6]

Ein Tag später wurde ein Artikel in der Peiner Allgemeine Zeitung veröffentlicht, in dem niedersachsens Landwirtschaftsminister Gert Lindemann seine Besorgnis über Brandanschläge kundtut u.a. mit folgenden Zitat:

  • „Bei uns hat jeder das Recht zu demonstrieren oder seine Meinung über eine Bürger-Initiative zu äußern. Im Rechtsstaat gebe es aber Grenzen, an die sich alle zu halten haben.“

Dem Artikel folgt der Versuch der Definition der A.L.F.

  • „ Sie wollen Tierversuche und Tötungen von Tieren verhindern und sind auch an Tierbefreiungsaktionen beteiligt. Die A.L.F. ist nicht organisiert, es gibt unabhängig voneinander agierende Kleingruppen. (…) Bei allen Aktionen sind alle notwendigen Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, damit weder Mensch noch Tier Schaden nehmen.“

Am interessantesten sind aber die Leser_innen Kommentare die auf der Internetseite zu diesem Artikel veröffentlicht wurden. In 5 Kommentaren gibt es keinen einzigen Negativbezug zu Brandstiftungen, sie sind viel mehr gezeichnet von einer deutlichen Wut über Massentierhaltung, die Aussichtslosigkeit legalen Protestes und den Landwirtschaftsminister .

  • „wenn ich das wieder lese, frage ich mich wirklich ob Herr Lindemann noch ganz bei Verstand ist ! Die Brandanschläge nimmt er sehr ernst, aber das Leid der Tiere ist ihm egal (…) Der Satz das jeder Bürger das Recht hat zu demonstrieren und eine Meinung zu äußern ist blanker Hohn, denn egal wie, viele, und wie oft demonstriert wird, es bringt meist eh nichts !! Siehe Mastanlagen und 380KV Leitung als Beispiel. (…) Sein Appell an die Bevölkerung, wachsam zu sein und Auffälligkeiten der Polizei zu melden würde ich umschreiben in: "Bürger, seid in solchen Fällen UNAUFMERKSAM und meldet es lieber nicht. Die Tiere danken es Euch :-)“
  • „Der Mann glaubt scheinbar seine eigenen Lügen. Jeder hat das Recht für seine Meinung zu demonstrieren, oder in einer Bürger Initiative zu äußern. Und was das ganze bringt haben wir doch alle gesehen. Und das Recht wird so ausgelegt, wie es der Recht(s)staat gerade braucht.“[7]

„bekenner_innenschreiben zum brandanschlag auf den maststall mehrum:
wir sind wütend! tiere werden ausgebeutet, eingesperrt, gequält und ermordet.deshalb haben wir in der nacht auf den 8.oktober feuer an dem im bau befindlichen hühnermaststall bei mehrum gelegt. dass massentierhaltung mit tierquälerei verbunden ist, wissen die meisten menschen. uns ist wichtig, dass die verwerflichkeit von nutztierhaltung an sich erkannt und gegen diese direkt vorgegangen wird. wir müssen uns aus der ohnmacht befreien, die uns durch legalitätsdenken auferlegt wird. aktiver widerstand ist wichtig, möglich und nötig. allen landwirt_innen raten wir: finger weg von mastanlagen! sie brennen leicht ab... für die befreiung aller tiere. alf (animal liberation front)“[8]

Bleibt zu hoffen das sich verschiedene Menschen weiterhin an den Widerstand gegen Europas größten „Geflügel“-Schlachthof beteiligen und sich nicht von staatlich konstruierten Gesetzen auf eine Aktionsform beschränken lassen. Das soll nicht heißen alles was legal ist, ist nicht hyp, nicht cool und kann per se nicht sinnvoll sein. Eine Überlegung welche Formen und Methoden ich anwende um Dinge die mich und andere stören und einschränken zu bekämpfen, sollte strategisch geführt werden und sich nicht von Dogmen beeinflussen lassen.


  1. Spiegel TV Sendung vom 16.10.2011
  2. Celler Heute 05.09.2011
  3. stopteplingen.blogsport.de , stopmunzelmast.blogsport.de , linksunten.indymedia.org/de/node/41369
  4. 26.07.2011 Braunschweiger Zeitung
  5. 25.07.2011 Peiner Allgemeine Zeitung
  6. 10.10.2011 Peiner Allgemeine Zeitung
  7. 11.11.2011 Peiner Allgemeine Zeitung
  8. 10.10. linksunten.indymedia.org