2011-01:Direct Action und ziviler Ungehorsam

Aus grünes blatt
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Was ähnlich aussieht und doch so unterschiedlich ist: Direct Action und ziviler Ungehorsam

jb Mensch sieht sie oft zusammen: Locker verbundene oder auch getrennt agierende AktivistInnen, die ihre Aktionen – wenn überhaupt ein Label benannt wird – als „Direct Action“ bezeichnen. Und meist in größeren Gruppen agierende Menschen, die ihr Tun als „zivilen Ungehorsam“ definieren. Viele von ihnen tun das ohne große Überlegung – doch bei näherem Hinsehen stecken hinter den Begriffen Unterschiede. Dieses liegen auch, aber gar nicht in erster Linie in den Aktionsmethoden, sondern mehr in der Grundeinstellung dazu, ob die Wahl von Aktionsformen Sache der handelnden Menschen oder mehr Sache einer übergeordneten Moralentscheidung ist.

Lesen wir zur Unterscheidung einmal an anderer Stelle nach. Uri Gordon schreibt in seinem 2010 erschienenen Buch „Hier und jetzt“ auf S. 31: „Zwischen der direkten Aktion und einem verwandten Konzept, dem des ‚zivilen Ungehorsams’ sollte unbedingt unterschieden werden. Unter dem Letzteren ist meiner Ansicht nach jede Art kollektiver Verweigerung gegenüber dem Gesetz zu verstehen, wobei dies entweder aus moralischen Motiven geschieht oder um Druck auf die Regierenden auszuüben, damit sie schließlich auf Forderungen eingehen. So schreibt Henry D. Thoreau: ‚Wenn die Alternative darin besteht, entweder alle Gerechten einzukerkern oder Krieg und Sklaverei abzuschaffen, wird der Staat bei der Wahl nicht zögern.’ Demnach ist ziviler Ungehorsam im Grunde eine konfrontative Form des Dialogs zwischen Bürgern, die sich nicht unterordnen, und dem Staat. Dieser Dialog stellt die grundlegende Legitimität des Staates nicht infrage (denn es wird vom Staat erwartet, dass er auf die Forderungen der Ungehorsamen reagieren und beispielsweise ein ungerechtes Gesetz ändern wird). Oft geht der zivile Ungehorsam mit einer Rhetorik der Aufrufe an die Gesellschaft einher, sie möge sich doch ihren eigenen Idealen gemäß verhalten. Auf diese Weise wird der Status quo der gesellschaftlichen Verhältnisse und der Institutionen eher bestätigt als herausgefordert.“

Das ist bereits deutlich. Doch der Blick auf die Praxis zeigt noch mehr Einschränkungen. Wolfgang Sternstein schreibt in der Graswurzelrevolution Dez. 2010 (S. 7): „Ziviler Ungehorsam in diesem Sinne sollte ‚zivil’, also offen, dialogbereit und gewaltfrei sein.“ Drei unauffällige Worte, aber mit weitreichender Wirkung. Offenbar steht eine feste Moralvorstellung hinter der Idee des zivilen Ungehorsams. Wo die hier kommt und warum Aktionen immer „offen, dialogbereit und gewaltfrei“ sein müssen, erklärt niemand. Die Moral ist einfach da, wie ein Naturgesetz.
Mit ihr werden viele Aktionsformen ausgegrenzt. Offen und dialogbereit sind nur sichtbare Aktionen – alles was nachts oder heimlich geschieht, wird denunziert: Sabotage, Militanz, Graffities, Kommunikationsguerilla. Sogar das harmlose (aber durchaus wirkungsvolle) versteckte Theater fällt hinten herunter. Sternstein agiert politisch motiviert und damit betriebsblind. Er hat bestimmte Strömungen im Blick, die er ausgrenzen will. Dafür nutzt er das Sprachrohr des parlamentsfern organisierten, bürgerlichen Gutmenschenspektrums. Dort laufen seit Jahrzehnten solche Ausgrenzungen gegen militante Aktionsformen (wo gibt es die in Deutschland eigentlich?), vor allem aber gegen selbstorganisierte AktivistInnen, die mehr auf „Direct Action“, d.h. die dogmenfreie Aneignung vieler Aktionsmethoden und abwägende Anwendung der jeweils zur Situation passenden Mittel.
Als dritte Regel benennt Sternstein die Gewaltfreiheit. Das ist der am weitesten verbreitete Grundsatz unter dem Begriff „Ziviler Ungehorsam“. Praktisch ist diese mit „Gewaltfreie Aktion“ gleichsetzt, wie auch im Namen des Netzwerkes ZUGABe (Ziviler Ungehorsam, Gewaltfreie Aktion, Bewegung) zu erkennen. Doch auch das führt wieder nur zu Unschärfen, denn warum soll gewaltfreie Aktion immer offen und dialogbereit agieren – und warum soll ziviler Ungehorsam zwingend gewaltfrei sein? Die Verknüpfung liest sich eher wie ein Glaubensgrundsatz, d.h. bestimmte Regeln werden durch Wiederholung als Norm gefestigt. Gewaltfreiheit wird dabei als implizite Regel, also quasi wie ein Naturgesetz behandelt: „Die Erwähnung, dass der Ungehorsam gewaltfrei sein muss, ist eigentlich überflüssig, weil jede Gewaltanwendung gegenüber einer Drittperson impliziert, dass diese Person gehorsam handeln müsste, um der Gewaltanwendung zu entgehen.“ (Quelle: http://www.bastardserver.cz/de/Ziviler+Ungehorsam)
Das steigert zum einen die Unklarheit des Gewaltbegriffs, der bekenntnisartig ungefüllt bleibt, hier aber erkennbar nur die Gewaltanwendung gegen Personen meint. Die Festlegung, dass durch Gewalt ein Handeln erzwungen wird, schafft aber ebenfalls keine klare Grenze, sondern verwischt diese eher. Sie kommt hier der Nötigung nahe, d.h. der anonyme Bombenanschlag wäre danach nicht erfasst, weil er kein konkretes Handeln bei den Betroffenen einfordert. Andererseits wären auch andere direkte Angriffe auf Personen wie bei Mars TV, der Rebel Clowns Army oder einer geschlossenen Menschenkette um ein Objekt von der Definition erfasst, weil auch hier deutlicher Druck ausgeübt wird, sich in eine bestimmte Richtung zu verhalten (z.B. um nicht weiter von Clownsaktionen oder Mars TV gedemütigt zu werden). Sie wären also nicht gewaltfrei.
Es ist daher mehr als fraglich, ob Gewaltfreiheit überhaupt ein Aktionskonzept ist oder nicht eher eine Art Bekenntnis, dessen genaue Bestimmung unklar ist und das deshalb mit dem zivilen Ungehorsam verknüpft werden kann, aber nicht zu diesem gehört (siehe im Heft „Gewalt? Gewaltfrei? Oder was?“ und unter http://www.projektwerkstatt.de/gewalt).
Einen Schritt weiter gehen die, die Legalität als Kriterium für Aktionen in die Waagschale werfen. Klar – rein taktisch ist das Wissen um Legalität und Repressionsschutz nicht unbedeutsam, schließlich sollte mensch wissen, wann Strafe droht und wann nicht. Allerdings hat das oft nur am Rande mit dem Wortlaut der Gesetze zu tun, doch darum geht es auch nicht. Mit dem Kriterium des Legalen wird die Fremdbestimmung freiwillig in die eigene Aktion geholt. Ausgerechnet die, gegen deren Handeln oder Versagen sich der Protest regelmäßig richtet, werden als Quelle zur Bestimmung der Qualität eigener Aktion herangezogen.

Die Idee von „Direct Action“

So stark es in der Praxis dem zivilen Ungehorsam ähneln mag, was unabhängige AktivistInnen machen oder unter dem Begriff „Direct Action“ z.B. im gleichnamigen Reader und unter http://www.direct-action.de.vu/ veröffentlichen, so hat es doch eine grundlegend andere Herangehensweise. Denn hier gibt es keine übergeordnete Aktionsmoral. Immer stehen die handelnden Menschen im Mittelpunkt und ihre, auf eine reflektierte Abwägung folgende Entscheidung. Jegliche Bevormundung durch starre Regeln entfällt. Stattdessen geht es um die Aneignung von Handlungsmöglichkeiten – technischen, kommunikativen und vielen weiteren. Dadurch sollen die AktivistInnen in die Lage versetzt werden, in einer konkreten Situation möglichst gut ihre Ziel umzusetzen.
Damit ist „Direct Action“ die Kampfform emanzipatorischer Politik. Denn Emanzipation ist die Idee, gesellschaftliche Verhältnisse aus dem Blickwinkel der einzelnen Menschen und ihrer freien Zusammenschlüsse zu betrachten, zu analysieren und so zu verändern, dass sich die einzelnen Menschen – wohlgemerkt: alle! – möglichst frei und weit entfalten können. Es wäre absurd, wenn als erster Schritt hin zu diesem Ziel wieder nur Regeln und Dogmen gelten würden, wie es bei konventionellen Versammlungen oder Beteiligungsverfahren nach Recht und Ordnung üblich ist, aber auch im zivilen Ungehorsam.
Ein weiterer Unterschied ist der gewollte Verzicht, ausgerechnet solche Strukturen, die eine unerwünschte Lage heraufbeschwören oder zu sichern helfen, durch einen Appell, endlich zu handeln, auch noch zu legitimieren. Abschreckendstes Beispiel war der Slogan des Protestkonzerns Greenpeace beim Klimagipfel in Kopenhagen: „Politiker reden, Führer handeln“. Wie kann noch deutlicher der Wille dokumentiert werden, ein autoritäres System zu wollen – aber bitte mit anderen Zielen? Um Genversuchsfelder zu verhindern, kann mensch am einfachsten per vorgekauter Mail von Campact an Ilse Aigner oder Angela Merkel appellieren. Sinn macht das voraussichtlich wenig angesichts dessen, dass die sich längst entschieden haben, die Anwendung der Technik zu wollen. Oder mensch geht hin, besetzt den Acker, reißt die Pflanzen heraus, blockiert die Fabrik- oder Ministeriumstore, sabotiert die Propagandaveranstaltungen oder enthüllt die Verflechtungen und Geldflüsse. „Protest ist, wenn ich sage Das und Das passt mir nicht. Widerstand ist wenn ich dafür sorge, dass Das und Das nicht mehr passiert.“ (Ulrike Meinhof)
Direct Action basiert auf präziser Herrschaftsanalyse und will mit den Aktionen dazu beitragen, das Herrschaftsförmige aus den gesellschaftlichen Beziehungen und Verhältnissen zu jagen. Ob institutionelle Formen der Machtausübung, ökonomische Zwänge oder diskursive Beherrschung – alles ist Gegenstand von Direct Action. Zu ihr passt also eine ständige Skepsis gegenüber subtilen Formen der Beeinflussung und Fremdsteuerung, sie will nicht nur Institutionen angreifen, sondern auch Denkmuster, Kommunikationsverhältnisse und die ungeschriebenen Normen der Welt. „Nicht die Taten bewegen die Menschen, sondern die Worte über die Taten“, sagte schon Aristoteles. Direct Action ist eine Form gelebter Freiheit: Die AkteurInnen entscheiden selbst über das, was sie tun. Sie müssen auf keine Verbandslabel, staatlichen Zuschüsse, Vorstände oder AuftraggeberInnen Rücksicht nehmen. Ihre Selbstbestimmung steigt mit ihrem Reflexionsvermögen, d.h. mit der Fähigkeit, auch tatsächlich eigene Überzeugungen in eine Aktion zu verwirklichen statt nur plumpen Parolen, der Demagogie der führenden Bewegungsköpfe oder scheinbaren Sachzwängen zu folgen. Und sie steigt mit dem Knowhow der Beteiligten. Es ist emanzipatorisch, einen Molotow-Cocktail nicht zu werfen, weil das in der konkreten Situation nicht sinnvoll erscheint – statt es zu lassen, weil mensch es nicht kann.
Bei alledem ist Direct Action nicht alles. Sie versteht sich als gleichberechtigter Teil zu anderen kreativ-emanzipatorischen Handungsstrategien wie Gegenöffentlichkeit, Freiräume und Aneignung, versucht aber, Erstarrungen in den Aktionsformen und -strategien zu überwinden, z.B. die Wirkungslosigkeit vieler vereinheitlichender Aktionsformen (Latschdemo, Lichterkette …) oder das Gegeneinander aufgrund verschiedener Aktions- und Ausdrucksformen.


Begriffsabgrenzung im Detail: „Direkte Aktion“

Viele Kriterien werden auch von denen hochgehalten, die – meist unter anarchistischen oder anarchosyndikalistischen Vorzeichen – die direkte Aktion propagieren. Das klingt wie eine einfache Übersetzung von „Direct Action“ und hat auch Gemeinsamkeiten. Dazu gehört die Absage an das Appellative. Die Verhältnisse sollen selbst und direkt verändert werden. Der Castor kommt nicht durch, die Nazis gehen wieder nach Hause (oder schaffen bei guter Gegenwehr nicht einmal mehr das), gv-Saat kann nicht aufs Feld oder verschwindet wieder, Betriebe werden übernommen und selbstverwaltet weitergeführt.

Unterschiedlich ist vor allem der Kontext, in den direkte Aktion und „Direct Action“ von denen, die die Begriffe verwenden, gestellt werden. Zumindest im deutschsprachigen Raum ist die direkte Aktion stark auf ArbeiterInnenkämpfe und in der Logik von Klassenrivalitäten betrachtet wird. Da sind AktivistInnen, die ihr Handeln als „Direct Action“ verstehen, kulturell deutlich anders drauf: Jeder Mensch soll mit eigenen Ideen und möglichst Handlungs-Knowhow dort agieren, wo es passt, notwendig ist oder Spaß macht. Es gibt kein revolutionäres Subjekt.
Hinzu kommt die seltsame Neigung von AnhängerInnen direkter Aktion, den Streik als eine solche zu betrachten. Das ist beeindruckend, denn Streik ist (im Unterschied zur Fabrikbesetzung) ja gerade der Appell an die ProduktionsmittelinhaberInnen, netter zu sein. Er ist also die „kollektive Verweigerung“, die Uri Gordon als Kriterium für zivilen Ungehorsam wählt und darin eigentlich gerade den Unterschied zur direkten Aktion aufmacht.