2010-02:Will "das Volk" "oben bleiben"

Aus grünes blatt
Zur Navigation springenZur Suche springen

Will "das Volk" "oben bleiben"?

WennVolkersichzuVölkernvöllert Einige Gedanken zu Fußball, Opium, Volk, Polizei, postlinks- destruktiver- sowie emanzipatorisch-konstruktiver Bewegungskritik, Integrationsmaß-nahmen, Direktdemokratie und Bewegungseliten...

„Wir sind das Volk“ hallt es derzeit wieder etwas lauter durch die Lande. Und da frage ich mich, was würde eigentlich passieren, wenn „dem Volk“ das Opium abgesetzt würde? Würde es sich dann eventuell seiner eigenen Konstruktion bewusst werden, und darüber, dass ein Kolektivbewusstsein gar nicht möglich ist? Würde es also just im Moment seines ersten nüchternen Gedankens aufhören zu existiern, in sich selber implodieren und von der ganzen Geschichte verwunderte Individuen zurücklassen, die sich plötzlich ihrer misslichen Lage bewusst werden? Und würden diese übrig gebliebenen Individuen sich dann vielleicht weniger für die „Volks“wirtschaft interessieren, und ihre Zeit nicht länger per Lohnarbeit unter ihr Diktat stellen, sondern, sagen wir, sie nutzen für Subsistenzwirtschaft und Widerstand gegen allerelei Unfug, der auf einmal keinen Sinn mehr macht, wenn nicht mehr an einen übergeordneten Volkswillen geglaubt wird.

Um ehrlich zu sein weiß ich nicht, ob das die Folgen eines Opiumentzuges für „das Volk“ wären. Auch nicht, ob es solche Gedanken oder ähnliche gewesen sein mögen, die den vielsternigen Polizeiräten, den Fußballfunktionären (muss wohl nicht gegendert werden) oder anderen Entscheidungsträgis durch den Kopf gegangen sind, als sie sich dagegen entschieden, den 12. Fußball-Bundesliga Spieltag abzublasen. Genau das stand nämlich zur Debatte. Von der Polizei angeregt, als sie am Ende ihrer Kräfte waren, nachdem der Castor von ihnen nach Gorleben geprügelt wurde, mit freundlicher Unterstützung einiger Kolleg_innen von der CRS (französische Eliteprügeleinheit, welche im Zuge der Aufstände von 68 aufgebaut wurde).

Die Überforderung der Polizei, sowie die angestrengte internationale Polizeikooperation zeigt eines: Es rumort an vielen Orten - und zwar nicht nur in Deutschland - soweit, dass der polizeiliche Normalbetrieb anstrengend wird. Stuttgart 21 bringt die süddeutsche Polizei schon seit mehreren Monaten dauerhaft an die Belastungsgrenze. Für den Castortransport war der größte Polizeieinsatz in der BRD überhaupt nötig, um seine Ankunft gewährleisten zu können, und dennoch fehlte es an allen Ecken und Enden an Einsatzkräften. In anderen Ländern (Griechenland, Frankreich, Irland,...) stellt sich die Frage längst nicht mehr nach der Belastungsgrenze der Polizei, sondern ob sie es überhaupt schafft in der Aufstandsbekämpfung erfolgreich zu sein. Die Prioritätensetzung darauf, das Opium unter keinen Umständen auszusetz-en, zeigt etwas anderes: Die Chance, die rumorenden Konflikte unter Kontrolle zu behalten, wird darin gesehen, zusammenge-schummelte Konstrukte - wie das Volk - nicht durch allzuviel Nüchternheit auffliegen zu lassen. Sollen die Leute also lieber mal zum Fußball gehen und sich ablenken, auch wenn es anstrengende Polizeieinsätze nur wenige Tage nach dem Einsatz im Wendland bedeutet (bei dem viele Beamte tagelang im Einsatz waren ohne Schlaf und Versorgung), bevor sie (die Leute) zuviel nachdenken, und dann vielleicht auch aktiv gegen den Atom- und Polizeistaat werden, und die gleichen Beamten gegen die gleichen Leute morgen vielleicht in ganz anderen Zusammenhängen Einsätze schieben müssen.

Nun ist die Logik dieses Artikels vielleicht auch ein bißchen konstruiert. Denn erstens hat der Bundesligaspieltag vielleicht nicht die herausragende Bedeutung dabei die Menschen ruhig zu stellen, und zweitens ist das Opium ja nichts, was einem „Volk“ von außen verabreicht werden könnte. Es ist vielmehr der Glaube an seine Existenz (des Volkes) selbst. Es sind weniger Brot und Spiele, die die Menschn ruhig stellen, sondern die mediale Diskurs-Produktions-Maschinerie, die den Glauben an „das Volk“, und dessen Wille aufrecht erhält. Einmal in der autoritär-konservativen volkstümmelnden Variante der herr-schenden Politik, nach dem Motto „Wir sind das Volk“, weil von ihm gewählt, und einmal in seiner linksliberalen volkstümmelnden Kehrseite, die das gleiche „Wir sind das Volk“ dahingehend inter-pretiert, dass das Volk noch mehr herrschen müsse, also für mehr Demo-kratie eintritt.

Der Kater nach dem Drogenkonsum (also das Bewusstwerden darüber, zu welch sinnlosen und autoritären Projekten und Prügelorgien die Herrschaft des Volkes führt - siehe S21, Atomkraft,...) führt nicht dazu, dass die Droge abgesetzt wird. Im Gegenteil: Die Dosis soll erhöht werden (was nicht heißen soll, dass direktere Demokra-tie kein Fortschritt sein kann - gedacht in realpolitischen Nuancen).

Aufbauend auf der Annahme irgendein Volk sei der einzig mögliche Refferenz-rahmen, innerhalb dessen Entscheidungen getroffen werden können, beginnt nun ein bitterernstes Spektakel um die Diskussion wie das Volk denn nun herrschen solle, das für jene die ganz andere Bezugsrahmen für Entscheidungen möglich sehen nur noch absurd und lächerlich sein kann.

In Stuttgart sind sich Zehntausende sicher, dass sie das Volk sind, und das der unterirdische Bahnhof desshalb nicht gebaut werden dürfe. Die Gegenseite, also die Projektbefürworter_innen und /-umsetzter_innen hingegen meinen zu wissen, dass es zutiefst undemokratisch sei, also gegen die Herrschaft des Volkes, wenn ein durch alle demokratishe Instanzen gegangenes Projekt am Ende durch Widerstand undurchsetzbar gemacht wird. Wenn das Volk entschieden hat, hat das Volk nichts mehr mitzureden. Wo „Volk“ gegen „Volk“ steht, wird es aber noch bunter und es kommt noch ein drittes hinzu: Die Volkswirtschaft, die natürlich am besten weiß, was „dem Volk“ gut tun würde, und dass es Zukunftsfähig bleiben müsse. Pardon, bunter wirds dadurch natürlich nicht, das ist nur so eine bescheuerte deutsche Redewendung. Meistens wird es eher recht grau wenn die Volkswirtschaft hinzukommt.

Der Taschenspieler_innentrick ist leicht zu durchschauen: Jedes Profit- und Herrschaftsinteresse wird damit legitimiert, im Sinne des Volkes zu sein. Dabei tun genau jene, die die eigenen Interessen damit legitimieren wollen, denen ego-istische Interessen vorwerfen, die betroffen von Großprojekten sind, die nur wenigen nutzen, aber durch ein konstruiertes „Volksinteresse“ oder „Gemeinwohl“ legitimiert werden, dem sich die Betroffenen unterordnen müssten.

Von der anderen Seite her könnte mensch nun behaupten, dass die Interpretation darüber, was „das Volk“ wirklich will von den Abstraktionsebenen (Parlamentarismus, Volkswirtschaftsinteressen,...) her-untergeholt werden, und direkter stattfinden müsste. Das stellt einen aber vor ein weiteres Problem: „Das Volk“ ist Einzahl. Also Anti-Pluralistisch. In der Suggestion, „das Volk“ könne als solches einheitlich entscheiden oder handeln, ist also immer schon die Notwendigkeit für Werkzeuge mitinbegriffen, mit denen der Wille „des Volkes“ gemessen, bestimmt und umgesetzt werden soll. Wobei schnell klar wird, dass es einen einheitlichen Willen genausowenig geben kann wie „das Volk“ selber, sonden nur eine direktere Bestimmung von Mehrheiten, wie in der propagierten Direktdemokratie. Auch wenn diese in Einzelkämpfen, beispielsweiße gegen Großprojekte, im Vergleich zum Parlamentarismus ein echtes Werkzeug sein könnte, bleibt sie bloß eine andere Form der Fremdbestimmung. Ein abstrakter Wert, der Volkswille, bleibt über die Interessen, Wünsche und Ideen der einzelnen Menschen gestellt und muss durch eine ausführende Gewalt gegen diejenigen durchgesetzt werden die nicht einverstanden sind, die also beispielsweiße beim Volkentscheid in der Minderheit waren.

Gerade dadurch, dass im Denken von der Notwendigkeit zentraler Entscheidungen und (konstruierter) Kollektivsubjekten geblieben wird, wird der herrschende Diskurs unterstützt und lediglich um eine weitere mögliche Spielart davon erweitert. Der Gedanke, dass nach einer Überwindung von konstruierten Volksinteressen freie Menschen zurückbleiben könnten, die ihre Sachen ganz gut untereinander regeln könnten, ohne übergeordnete Institutionen oder Legitimationsrahmen, bleibt unangetastet.

Im aktuellen Diskurs über all das schießt mal wieder Greenpeace den Vogel ab. Irgendein Sprecher der Organisation behauptet, Merkel sei eine Kanzlerin ohne Volk. Womit er ja vollkommen recht hätte, würde er sich in Dekonstruktivismus üben, anstatt saublöden Populismus in noch blödere Rhetorik zu packen. Nicht weniger bizarr wirkte jene Gruppe von S21-Gegner_innen welche, nachdem sie allesamt den staatlichen Knüppel über den Kopf gehauen bekamen, teils noch mit bluten-den Platzwunden, anfingen die Nationalhymne in die Kameras zu singen, stellvertretend für das Grundgesetzt, welches sie vertei-digen wollten. So als ob also zu wenig Gesetzt und Staat dafür verantwortlich wären, wenn Gesetzt und Staat einem auf die Birne hauen. Seitdem halte ich das mit den Schlägen auf den Hinterkopf und dem Denkvermögen für ein Gerücht.

Die “jungle World” und andere anti-deutsch-postlinke Strömungen, benutzen solche Szenen dankend um damit ganzen Bewegungen, von S21-Gegner_innen über den Anti-Atom-Widerstand bis hin zu Beltmanbrücken- oder Flughafengegner_innen den Anschein der Anti-emanzipation und Regression zu geben. Wobei hier gerne technischer Fortschritt mit politischer Progression und Emanzipation gleichgesetzt wird, ohne der Betrachtung der Rahmenbedingungen. Die Differenz zur “Welt“ macht dann bloß noch aus, dass all diese Bewegungn hier den Stempel „Heimatschutz“ aufgedrückt bekommen anstatt dem weltschen „Egoismus“, was bei näherer Betrach-tung aber auch nicht weit auseinander liegt.

Offensichtlich geht es hier nicht um ein konstruktive Kritik, sondern darum, dem Umweltschutz und dem Widerstand gegen unliebsame Großprojekte, im Schulternschluss mit den Konservativen, einen Irrationalismus zu unterstellen. Aus dem Volkswohl wird hier ein Gemeinwohl gemacht welches rein auf der technisch-materiellen Ebene zu erreichen sei, und welches als Grundlage für Emanzipation gesehen wird.

Sowohl den diskursiven Anstrengungen der bürgerlichn Medien und Parteien, wie auch den antideutsch-postlinken Strömungen muss die Idee eines emanzipatorischen Umweltschutzes entgegen-gestellt werden. Welcher bedeutet, dass keine abstrakten Ideen von „Volkswillen“ oder „Emanzipation durch technische Progression“ über die konkreten Bedürfnisse der einzelnen Menschen gesetzt werden darf. Sondern andersherum: Jede Projektplanung, ob hochtechnisches Großprojekt, oder nicht, darf erst aus einer Dynamik heraus entstehen, in der die Individuen ihre Interessen gegenseitig aushandeln. Die Umsetzung ist erst dann möglich, wenn alle Betroffenen ihr Einverständnis abgeben.

Aus dieser Perspektive ist es dringend notwendig sich solidarisch an den Kämpfen gegen ungewollte Großprojekte zu beteiligen, aber auch eine solidarische Kritik zu äußern. Eine emanzipatorische Gesellschaftskritik kann niemals Voraus-setzung sein, für den Widerstand gegen Bahnhöfe und Endlager, kann sich aber währenddessen entwickeln. Denn dass ihre eigenen Bedürfnisse mit Staatsgewalt und Medienpropaganda übergangen werden ist für die Betroffenen spürbar. Die Bereitschaft mit Diskursen zu brechen, die die herrschenden Verhältnisse zusammenhalten ist also sicherlich erhöht.

Ein ganz anderes Problem, dass sich hier auftut, wovon “jungle World” und Co, nicht nur nichts schreiben, sondern auch nichts wissen, weil sie von Bewegungen genauso weit entfernt sind wie die “Welt” (passend dazu, schreibt die “jungle World”, dass Castorgengner_innen welche sich mit (mensch beachte!) den Füßen in den Gleißen festbetonierten, reformistisch seien, da sie darauf vertrauen würden, dass die Polizei sie unversehrt aus dem Gleiße befreit. Wie das eine nun mit dem anderen Zusammenhängt erklärt die “jungle Worl” leider nicht), ist das der andauernden Vereinnahmung und Wieder-eingliederung in formale Strukturen von sozialem Widerstand. Dort, wo tau-sende Einzelerfahrungen dazu führen, dass aus tausend verschiedenen Sichtweißen, mit der herrschenden Politik gebrochen wird, und wo ein Austausch und eine Organisierung von unten dazu führen könnte dass sich die Gründe und Erfahrungen gegenseitig ergänzen und erweitern und in eine umfassenden Gesellschafts-kritik münden könnten, dort ordnen sie sich in der herrschenden Praxis neuen Stell-vertreter_innen der Bewegungen unter, die die Thematik auf wenige Parolen verkürzten, welche intergrierbar in eben jene Verhältnisse sind, die die Ursache der Symptome sind gegen die sich der Widerstand richtet. Unfreiwillig ist die Hauptparole gegen S21 dabei aufschlussreich zweideutig: „oben bleiben“. Allgemein ist der Widerstand gegen S21 ein gutes Beispiel für die Verinnahmungs- und Integrationspolitik (siehe Seite 36/37): Obwohl ein Großteil der Gegner_innen gegen die Schlichtungsgespräche waren, da sie erkannten, dass es dort keinen Kompromiss geben wird, und dass die einzige Möglichkeit S21 zu stoppen der Widerstand ist, der in den Gesprächen riskiert wurde, beteiligten sich die Eliten der Bewegung, mit Ausnahme der „Parkschützer“, daran, mit dem Ergebnis, dass aus einer Wut gegen die herr-schend Politik, realpoitische Debatten darüber wurden, wie leistungsfähig welcher Bahnhof sei und so weiter. Gewarnt wird vor weiteren direkten Aktionen, da diese die Gespräche in Gefahr stellen könnten. Auch wenn im Widerstand gegen die Atomkraft etwas mehr Reflektion über eine Kooperation mit der herrschenden Politik vorhanden sein mag, ist es hier das gleiche Bild. Die komplette Bewegung ordnet sich Initiativen und Kampangen unter - und damit wenigen Politprofis, die berechnend die Problematik auf wenige, meist realpolitische Parolen verkürzen. Wo sich der Widerstand gerade hier in der Vergangenheit durch ein großes Maß an Selbstorga-nisation und Unab-hängigkeit auszeichnete, gibt es inzwischen (mit Castor? Schottern!) für jede Zielgruppe die passende Kampange. In der gewohnten Rolle der_des Kon-sumentin_en muss mensch sich nur noch dafür entscheiden was am besten zu einem passt und dann passiv, vorgeplante Aktionskonzepte ausführen. Strategische Überlegungen und die Vermittlung von Inhalten passieren an anderer, zentralisierter Stelle. Was die Rolle von Gewerk-schaften in Arbeitskämpfen ist, ist die Rolle dieser Initiativen in umweltpolitischen Auseinandersetzungen. Die Garantie dafür, dass der Widerstand auf kontrollierbaren Wegen verläuft, aber gleichzeitig das Bedürfnis auf Radikalität und Widerstand befriedigt wird. In Perfektion schafft das der Politklüngel, welcher nicht nur Castor? Schottern! ins Leben rief, sondern in letzter Zeit viele Proteste vereinnahmt. Vom Klimacamp in Hamburg, über „Wir zahlen nicht für eure Krise“ über die Klimaproteste in Kopenhagen und nun den Anti-AKW Widerstand. In Richtung der Bewegung, schaffen sie es mit radikalen Parolen und Aktionsformen viele Menschen mit einzubinden, in Richtung der Medien sind die Inhalte aber erstaunlich realpolitisch.