2010-02:Auseinandersetzungen Wietze

Aus grünes blatt
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Auseinandersetzungen um den Schlachthofneubau in Wietze

Besetzer_in In Wietze bei Celle baut die Firma Rothkötter mit 27.000 getöteten Tieren pro Stunde gerade Europas größten Schlachthof. Zur Auslastung müssen mindestens 420 neue Hühnermastanlagen mit jeweils ca. 40.000 Tieren gebaut werden. Gegen dieses mit 9 Millionen Euro subventionierte Mega-Projekt gibt es seit dessen Bekanntgabe massiven Protest durch die mittlerweile fast 1000 Mitglieder starke Bürgerinitiative (BI Wietze) und einen losen Zusammenschluss von Tierrechts-, Öko-, Menschenrechts- und antikapitalistischen Aktivist_innen. Letztere hielten das Baugelände für ca. 3 Monate besetzt, wurden dann jedoch nachdem die Baugenehmigung vom Landkreis erteilt wurde mit einem enormen Polizeiaufgebot geräumt.

Räumung

Am 10. August 2010 umzingelte die Polizei mit 200 Uniformierten, Hunde- und Pferdestaffel sowie unterschiedlichsten Räumfahrzeugen das besetzte Baugelände um 6 Uhr in der Früh.
Nachdem alle Aktivist_innen rechtzeitig an ihre geplanten Blockadeplätze gelangt waren, begannen schwarz vermummte Polizist_innen des SEK die ersten Festgeketteten in 10m Höhe zu räumen. Andere Einsatzkräfte brachten zwei für die Kommunikation zwischen Angeketteten und Polizist_innen verantwortliche Besetzer_innen vom Gelände bevor es diesen möglich war lebenswichtige Hinweise zu den Blockadepunkten zu geben.
So gefährdete die Polizei insbesondere die Leben der beiden Aktivist_innen, die im als Bunker umfunktionierten unterirdischen Wohnwagen befestigt waren: Das instabile Dach wurde mit zu hohem Gewicht belastet und so beinahe von der Polizei zum Durchbruch gebracht.
Der unverantwortliche und lebensgefährdende Umgang zieht sich durch die gesamte Räumung, so dass schlussendlich ein Aktivist kollabierte, was erst 20 Minuten später bemerkt wurde. Er wurde anschließend ins Krankenhaus gebracht.
Die restlichen Beamt_innen standen während der 12 Stunden dauernden Räumung tatenlos in der Gegend herum und unterbanden jeglichen Kontakt zwischen Presse und Besetzer_innen.
Alle beteiligten Besetzer_innen erhielten ein Betretungsverbot für halb Wietze. Zwei Paar Schuhe wurden aufgrund des Rautenprofils beschlagnahmt und den mutmaßlichen Besitzer_innen wurde einige Wochen später mitgeteilt, dass gegen sie wegen Brandstiftung an der in Sprötze abgebrannten Hühnermastanlage ermittelt werde. Weiterhin hat die Polizei wichtiges und teures Material weggeschmissen, anstatt es zu beschlagnahmen. So zum Beispiel:

  • zwei „Alex“-Zelte für jeweils ca. 10 Personen
  • eine Bierbankgarnitur
  • eine ganze Kiste mit Tellern, Besteck und Kochutensilien
  • ein Pavillon
  • einige Decken und Schlafsäcke
  • Wasserkanister
  • Planen
  • Spaten

Für Hilfe, dieses Material wieder zu besorgen wären die Besetzer_innen sehr dankbar. Kontakt: aif ÄT riseup.net [1]

Seitdem hat der Bau der Schlachtfabrik in Wietze begonnen. Laut Rothkötter-Sprecher Marcus Pontzen und des Wietzer Bürgermeisters Wolfgang Klußmann liegen alle Bauarbeiten im Zeitplan und die Fabrik soll wie geplant im Frühjahr 2011 in Betrieb genommen werden können. Mitte Oktober wurde bereits mit dem Bau von Schächten für Versorgungsleitungen, Rohbauarbeiten für die Kläranlage, sowie den Fundamenten für das Betriebsgelände begonnen. Nun ist die erste Halle schon fast fertig. Bei einer weiteren soll in Kürze mit dem Bau begonnen werden.

Doch Rothkötter scheint Angst um seine Baustelle zu haben, denn er lässt sie rund um die Uhr bewachen. Mit einem 2 Meter hohen Sicherheitszaun ist das 21 Hektar große Gelände eingegrenzt, immer taghell erleuchtet, alle 20m mit Kameras ausgestattet und Securities mit Hunden laufen Patrouille. Zudem wurden über Monate hinweg bei Nacht alle Baustellenfahrzeuge vor dem Security-Wohnwagen abgestellt. Doch außer montäglichen Mahnwachen der BI hat bisher direkt am Baugelände keine weitere Aktion stattgefunden.

Das heißt jedoch nicht, dass nach der Räumung nichts mehr passiert wäre. Eine Geländebesetzung für einen geplanten Zulieferbetrieb des Rothkötter Schlachthofs in Alvesse und um die 50.000 Beschwerde- bzw. Hass-Mails an den Wietzer Bürgermeister Klußmann sind nur zwei weitere Aktionen.

Weiterhin hat die BI Klage gegen die Entscheidung des Wietzer Verwaltungsausschusses, das Bürgerbegehren abzulehnen, eingereicht. Verhandelt wird dazu voraussichtlich erst im Frühjahr 2011, wenn die Anlage bereits in Betrieb genommen werden soll.

Doch die größten Probleme dürfte Rothkötter wohl in der Genehmigungskrise für Massentierhaltungsanlagen im Emsland und in einer Studie über antibiotikaresistente Bakterien entlang von Tiertransportstrecken sehen.

Genehmigungskrise

Zu der Schlachtfabrik in Wietze hat die Firma Rothkötter am 1. Juni 2010 auch eine Erhöhung der Schlachtleistung im Schlachthof in Haren im Emsland beantragt.

Im Emsland steht momentan jedoch die gesamte bisherige Genehmigungspraxis in Frage. Der Anwalt der BI in Bockhorst wies bei einem Erörterungstermin auf §20 der niedersächsischen Bauordnung hin. Darin heißt es, dass bauliche Anlagen so beschaffen sein müssen, dass bei einem Brand die Rettung von Menschen und auch Tieren sowie Löscharbeiten möglich sind.

Bisher wurde bei den Genehmigungen keine Rücksicht auf diesen Paragraphen genommen. Doch nun reagierte der Landkreis Emsland mit zahlreichen Aussetzungen von Genehmigungsverfahren. Von allen Antragsstellern werden umfassende Brandschutzkonzepte durch unabhängige Sachverständige mit besonderem Hinblick auf die Tierrettung gefordert. Solange diese nicht vorliegen, bleiben die begonnen Verfahren eingefroren.

Zudem soll ein unabhängiges Rechtsgutachten klären, ob der Tierschutz in der niedersächsischen Bauordnung hinreichend abgedeckt ist und ob Massentierhaltungsanlagen bei der Genehmigung als gewerbliche oder landwirtschaftliche Anlagen gelten. Zweiteres würde höhere Anforderungen an solche Bauten bedeuten.

Was mit den bereits bestehenden Mastställen geschehen soll, ist noch unklar. Der Emsländer Landrat sagte zu einer rechtlichen Neubewertung dieser Anlagen folgendes: „Auch wenn sich das einige so leicht vorstellen. Die haben aber keine Prozesse zu verlieren vor Gericht, die wir alle gegebenenfalls schadensersatzpflichtig zu verlieren haben.“

Ausgehend vom Emsland wurden mittlerweile auch Genehmigungsverfahren im restlichen Niedersachsen gestoppt. Dies dürfte in der Rothkötter-Führungsebene einige Schweißperlen verursachen, weil somit auch der 150km-Radius für die Wietzer Zulieferbetriebe betroffen ist. Viele Landwirte dürften zusätzlich auch durch die Prophezeiung des Geflügelmarkt-Zusammenbruchs durch Geflügelmarkt-Experte Prof. Hans-Wilhelm Windhors in der Fachzeitschrift „DGS Magazin“ (Ausgabe 35/2010) nochmals zum Überdenken ihr Pläne angeregt worden sein.

Auf Nachfrage, wie viele Mäster bisher für die Schlachtfabrik in Wietze unter Vertrag genommen wurden, macht Rothkötter keine Angaben.

Zusätzliche Kopfschmerzen dürften entstanden sein, als die BI Wietze eine US-amerikanische Studie übersetzen ließ und das erschreckende Ergebnis veröffentlichte: Entlang von Tiertransportstrecken gibt es eine hohe Konzentration „von Keimen, die zum einen gegen humanmedizinische wichtige Antibiotika resistent sein können und zum anderen eine Gefahr für die Gesundheit von Menschen darstellen“[2]. Vor allem in Wietze, bestehend aus einer langen Hauptstraße, an der Kindergärten, Schulen und Altenzentren und zahlreiche Wohnhäuser liegen, sind die zu erwartenden Auswirkungen fatal.

Die Studienergebnisse wurden an sämtliche Ministerien geschickt ‒ mit der Bitte um Stellungnahme und einen Baustopp in Wietze, bis sich ausführlich mit diesen neuen Fakten auseinandergesetzt wurde. Bisher gab es keinerlei Reaktionen von Seiten der Regierung.

Rothkötter hingegen scheint mittlerweile sichtlich genervt von den Protesten. Denn er erstattete bereits vor dieser Veröffentlichung Anzeige gegen den BI-Vorsitzenden Norbert Juretzko und eine weitere Person, unter anderem wegen Beleidigung, Ehrabschneidung, Geschäftsschädigung und Nötigung. Es scheint, als fühle sich Rothkötter durch den massiven, andauernden Widerstand bedroht.

Auch anderenorts zeigen Proteste ihre Wirkung. So sagte beispielsweise bereits ein Landwirt aus Malgendorf seine geplante Massentierhaltungsanlage für 300.000 Tiere ab, da ihm der Widerstand in seinem Ort zu groß war.

Es ist zu sehen, dass die Proteste Wirkung zeigen. Lasst sie uns weiterführen und uns der Ausbeutung von Menschen, Tieren und Umwelt entgegenstellen.

Stand: Mitte November 2010

  1. Zum Schutz vor automatischen Mailadressen-Robots, die nach Adressen suchen und diese dann mit Spam-Mails überfluten, ist diese Mailadresse für diese Robots unleserlich formatiert. Um eine korrekte Mailadresse zu erhalten muss ÄTT durch das @-Symbol ersetzt werden.
  2. http://www.bi-wietze.de/uploads/Eigen/Aktuelles/Haverkamp%20Tiertransporte.pdf