2008-01:Neuromantik

Aus grünes blatt
(Weitergeleitet von 2007-04:Neuromantik)
Zur Navigation springenZur Suche springen

Für die Neuromantik kämpfen lernen – heißt Siegen lernen! Re-edit 0.1

von Orland@ T. Riemensznaider

"Ich möchte nicht, daß meine Liebe und emotionalen Beziehungen sich auf einige wenige Personen beschränken.“ Mit diesem Manifest beginnt ein Beitrag über eine „Utopie emotionaler Beziehungen“ im Heft Frühsommer 2007. Der Begriff Utopie schon ist schwammig – bedeutet er zunächst doch nur Nicht-Ort. Gerade in Beziehungsfragen zwischen Menschen aber ist der Verwirrungsgrad durch wilde Gefühlsstürme im Dasein schon mehr als groß. Gesellt sich ein utopischer Anspruch hinzu kann ein Artikel leicht in eine individuelle Meinung abkippen, bei der sich der Lesende fragt: „Was will der Schreibende seiner Leserschaft eigentlich mitteilen?“ Bei der Lektüre des Konglomerats aus Text, Kästchen und Exkursen stellt sich aber bald freudiges Erstaunen ein. Streckenweise liest sich der umfangreiche Text wie Auszüge eines Tagebuches, dann wieder scheint der normative Charakter des Manifestes durch. Vermischt mit klaren Erwartungshaltungen an die Menschen, auf die sich der Schreibende beziehen will. Ein Donnerschlag für einen neuen Romantizismus fährt durch das grüne blatt.


Mir scheint der Text entwirft zunächst zwar ein leeres Lebewesen, daß nach Gusto geprägt werden könnte. Erfreulicherweise wird nicht die personalisierte (oft als böse dargestellte) „Macht“ mit unheilvoller Absicht bemüht, aber wirklich klar werden die „Strukturen“ dann aber doch nicht benannt, welche die Sozialisation des unschuldigen Wesens herbeiführen. Was aber am Ende herauskommt sind meist heterosexuelle romantische Zweierbeziehungen. Pfui, Auseinander! Und diese scheinen Schuld zu tragen an den herrschenden Verhaltensweisen und Normen. Denn: „Von Anfang an werden unsere Wünsche nach Zuneigung und Berührungen unterdrückt, damit wir später problemlos für die Arbeitsmaschine funktionieren: alles »Naturhafte« an uns lernen wir zu verdrängen. Durch Bücher, Fernsehen und Eltern, die es uns vorleben, wird uns die traute Zweisamkeit als höchstes Glück und als die Lebensform von Menschen schlechthin präsentiert. Das tausendfach wiederholte happy end, wo Mann und Frau sich in die Arme fallen, soll uns einreden, daß es persönliche Erfüllung im totalen Unglück geben könnte. Die Zweierkiste ist der einzige Ort, wo Zärtlichkeit und körperliche Nähe begrenzt erlaubt sind - obwohl viele durch die pausenlose Unterdrückung und Angst gar nicht mehr fähig sind, zärtlich zu sein.“(Dose auf – Ratsch: OOhhhh!)

Eine textliche Ungereimtheit scheint die Voraussetzung einer Sozialisation durch die umgebende Gesellschaft zu sein. Was die Gesellschaft ist, wird anhand des Geschriebenen nicht greifbar klar. Sind es die primären Bezugspersonen in den jeweiligen „Ideologischen Staatsapparaten“ (Louis Althusser)? Also Familie, Schule, Verbände, Betriebe, Institutionen, Organisationen. Ist die Gesellschaft die amorphe Masse der jeweiligen Volxgemeinschaft? Oder ist mit ihr das Diskursuniversum aller denkbaren Narrative die gesellschaftlich produziert werden gemeint (Sprache, Bilder, Medien)?

Wenn, wie angedeutet wird, die gesellschaftlichen Einflüsse komplex sind – somit auch kontingent, vielfältig, und inhomogen – wie erklärt sich dann die Schlußfolgerung, daß die angestrebte Zurichtung sich auf nur ein „mehr oder weniger offen formuliertes Ziel: Anpassung und Reproduktion der herrschenden Verhaltensweisen und Normen“ beziehe? Gleich danach wird konstatiert ein „Ausbruch“ aus diesen Verhältnissen sei „wahrscheinlich ‚naturbedingt‛ schwierig“. Würde die Allmacht der Prägung „naturgemäß“ so sein, wie vorgestellt, wie sollten dann Menschen überhaupt ausbrechen wollen? Vielleicht schleicht sich ein Freiheitskämpfer der dem jeweils Geknechteten die rote und die blaue Pille hinhält durch die Telephonleitung und dieser entscheidet sich für diejenige, welche ihn aus der Schein-Natur (The Matrix) herausreißt?

Daran anschließend wird eine Normalität dargestellt, wie sie sich in die preußische Kaiserzeit hineinphantasieren ließe. Als würde in den tatsächlich vielfältigsten Lebens- und Beziehungsweisen, welche die zeitgenössischen Menschen mit/untereinander pflegen oder mitunter auch einander antun, nicht alles – und ich meine buchstäblich alles erlaubt ist. Da ist von BDSM bis offener promiskuitiver Multisexualität, der fetischistischen Liebe zum Ballerspiel und der multi-tantrischen Chakra-Wiedergeburt der Anima, von Liebe zu „Kindern“ bis zum gechannelten Sex mit Rudolf Höß alles drin – und kein Mensch versucht ernsthaft „die Normalität“ mit moralischen Mitteln durchzusetzen (mal abgesehen von religiösen SpinnerInnen). In der Epoche des 3W wäre dies auch kaum möglich, außer das blatt wendete sich irgendwann einmal und sinistre religiöse FaschistInnen unterjochten die Netzwerk-Gesellschaften. Aber dann gäbe es wahrscheinlich auch kein grünes blatt mehr, um die letzten Widerstands-UtopistInnen für eine bessere Welt gewinnen zu können.

Bedenklich finde ich die Forderung es solle ein vom „Mainstream getragenes Bild davon, wie offene, freie Beziehungen allumfassend (sic!) funktionieren können“ geben. Ich wöllte mir ein solches Bild gar nicht vorstellen können. Aber ein Tip: Wer sich Bilder von Hieronymus Bosch betrachtet kann schon viel freier in die Welt hineinschauen. Einen Filmtip gibt es obendrein: Code 46 ansehen, und dann weiter vom Mainstream der Angepaßten, der nur dieses oder jenes monochrome Bild vorgöbbelt herbeivisionieren.

Später versackt der Text in psychologischem Geraune: „Da sind einerseits die eigenen Unsicherheiten im Umgang mit einer Situation, mit der es auch im Allgemeinen (sic!) kaum wahrnehmbare Erfahrungen gibt.“ Eines scheint klar zu sein: es geht um GEFÜHLE. Nebulös bleibt jedoch der Versuch individuelle Gefühle zu rationalisieren. Was einerseits daherkommt wie eine der üblichen linken „Kritiken der RZB“, entpuppt sich zuweilen als verwirrender Monolog über die Untiefen eben des romantischen Verliebtseins, an dem eigentlich nichts auszusetzen ist, außer mensch fühlt sich als dogmatischeR LinkeR, alles vermeintlich „bürgerlich“ riechende verachtend. Denn „Bürgerlichkeit“ ist das böse, von dem mensch sich abheben muß zwecks Distinktionsgewinn. Aber zurück zu den unschuldigen Verliebtseinsgefühlen. Das empfinden von romantischen Gefühlen verwirrt den linken Menschen. Sowas darf nicht sein, weil ja romantisch – und deswegen böse, weil bürgerlich und aufoktruiert. Rückschrittlich. Deshalb stürzt es den linientreuen AnarchoHippieLinken in ein Dilemma: „Die Gefahr ist groß, daß die Bedürfnisse weiterwirken, ich sie nur sehr lange nicht mehr bemerke, bis sie sich unangenehm Geltung verschaffen.“

Da hilft dann nur noch ein Ausflug in ein Genduerilla-Camp in die Wüste zum workshop: „Kritik der romantischen Zweierbeziehung. Individuelle und kollektive Auswege?“! Mit der Überlegung: „..., daß mensch sich auch in Hinsicht auf Offenheit gegenüber mehreren Menschen trainieren (sic!) kann. Das kann ein bewußter Prozeß sein, bei dem ich mein Verhalten kritisch reflektiere und mit meinen Vorstellungen abgleiche. Daß ich meine Ideale nicht so schnell erfüllen kann, ist naheliegend. Solche Widersprüche muß ich auch akzeptieren können, um Schritt für Schritt meine Realität verändern zu können.“ TSCHAKA! Wo ist mein grünes DIN A4 blatt zum landen? Hier versucht uns der Schreibende zu blenden – so wird sehr schnell klar: Es soll nicht um Gefühle gehen, es soll um effektives self-management gehen! Enthaltsamkeit und beständiges Arbeiten am Selbst führt langsam zum Erfolg. Eigentlich eine Einstellung des Mainstream der Angepaßten. Spare in der Not, dann hast du in der Zeit. Aber Gefühle wirken als Ausdruck von elektro-chemischen Reaktionen im ZNS, dem Gehirn und des lymbischen Systems, da wird es schwierig sich zu beschneiden. Wer es nicht glaubt sollte ein paar (aber bitte nur mit erfahrenen „BegleiterInnen“ auf der Reise) Experimente mit MDMA (und Derivaten) oder für Mutige: LSD machen. (Aber ich will niemenschen dazu raten, Drogen zu nehmen ist böse – pfui, Finger weg!)

Aber der Weitblick geht dann doch nicht ganz verloren, denn: „Vielleicht ist aber gerade das in der (sic!) Subkultur, die ‚freie Beziehungen‛ idealisiert, schwierig. Zumindest ist meine Erfahrung, daß es unangenehm ist, Diskrepanzen zuzugeben.“ Warum nur? Weil von „dieser“ Subkultur ein normativer Druck ausgeht auf die Menschen, die sich ihr zugegeben relativ unkompliziert anschließen können – zunächst? Aber unterscheidet sich diese Subkultur tatsächlich vom Mainstream der anderen angepaßten Subkulturen? Ist sie frei von Codes? Benutzt sie keine eigene Sprache um sich von „den Anderen“ abzuheben? Verlangt sie keine Anpassungsleistungen? Gerade im Ernährungsbereich scheint ein normatives Moment jeder speziellen Subkultur auf. Konsumgewohnheiten werden meist plakativ ausgestellt und betont eingefordert, um „sich zu unterscheiden“. Mensch muß auf der „richtigen“ Seite stehen. Er soll „aktiv“ und „hochgefahren“ sein und die „korrekten“ Einstellungen teilen – bereit sein an „Aktionen“ teilzunehmen, und seien sie auch nur um der Aktion willen. Kurz es ist das Berufsrevolutionäri gefragt. Nicht der „runtergefahrene“ Bürgi.

Die Antwort fällt bald: „Es fehlt an einer toleranten, fragenden, veränderungsbereiten Atmosphäre.“ Diese Feststellung kann aber verschiedentlich interpretiert werden: Einerseits kann sie als Aufforderung an die betrachtete geschlossene Szene verstanden werden sich zu öffnen, von Verkrustungen abzurücken, Emanzipation kritisch zu überdenken. Dann wiederum als moralische Norm, daß der augenblickliche (so empfundene) Zustand so noch nicht „gut“ ist. Die Lesenden also noch an sich zu arbeiten haben, um den Idealzustand zu erreichen. Hier scheint ein esoterisches Verständnis des Lebens durchzuscheinen, als ein in Stufen der Weisheit und Reinheit gegliederter Fortschritts-Traum. Oder letztlich vielleicht doch die Utopie, daß durch eine tolerante, fragende, veränderungsbereite Handlungsweise der jeweiligen „Anderen“ sich alles zum „Besseren“ wenden mag? „Angesichts dessen, wie viel Gewalt und Entfremdung in unseren Beziehungen steckt, ist eine Auseinandersetzung um andere Beziehungsformen nur denkbar in Verbindung mit (Anti-)Sexismus und (sic!) allen anderen Unterdrückungsformen.“ (der berühmte „Antispeziesismus“ vielleicht?) Dem ist möglicherweise nichts hinzuzufügen, oder?

Aber was hat das alles mit Romantik zu tun? Die Grundsteine des Romantizismus sind Gefühle, Individualität (individuelles Erleben) und Seele (vor allem die psychisch gequälte Seele). Romantizismus entstand scheinbar als Reaktion auf das Monopol von vernunftgerichteter Philosophie der Aufklärung und auf die Strenge des durch die Antike inspirierten Klassizismus. Anstöße suchten seine AnhängerInnen in der Vergangenheit (vor allem im Mittelalter) aber auch in phantastisch/utopisch imaginierten Welten und in „exotischen“ Ländern. Im Vordergrund stehen irrationale Gefühle, die Sehnsucht, das Mysterium und das Geheimnis. Dem fortschrittlichen Optimismus der Aufklärung werden eine verzweifelte Hilflosigkeit und der Entschluß zum oft vergeblichen Opfer gegenüber gestellt. Diese Charakteristika sind bezeichnend für die romantische Kunst und für die entsprechende Lebenseinstellung. Mit dieser Beschreibung könnte darauf hingewiesen werden, daß das Bild welches all die „vernünftigen“ StreiterInnen der letztlich negativ dialektischen Aufklärung von der RZB zeichnen ein verzerrtes ist. Heimlich jedoch erstreben gerade die abgefeimtesten AutonomInnen einen romantischen Lebensentwurf, den sie sich jedoch selbstquälerisch – also wildromantisch – verwehren. Wer will da nicht an die „hohe Minne“ eines Hartmann von Aue denken?

„Ich empfinde intensive Gefühle – Euphorie, Faszination, intensive Wahrnehmung, Glück, Vertrauen, Freude – gar nicht so selten, wenn ich entspannt bin. Dann kann ich völlig unverhofft auf Menschen (meist in meiner Wahrnehmung von mir als ‚weiblich‛ konstruiert) stoßen und völlig eingenommen von ihnen sein. Ich schaue sie an und fühle mich dabei aufblühen, erwachen, glücklich und zufrieden seiend. Häufig bin ich dann viel mehr von diesen Emotionen erfüllt, als diese Menschen. Das ist auch nicht weiter schlimm, da ich auch ganz gut darüber glücklich sein kann, diese Gefühle zu haben, mich selbst so intensiv zu fühlen.“ Ja – das ist wahrhaftig romantisch! Mehr davon (und das meine ich ganz ehrlich!) All der rationalistische Schrott von „freier Liebe“ und „offenen Beziehungen“ verfault bei solcher zeitlosen Poetik für die Blaue Blume. (Ist IHR Name nicht ANNA?)

Von Gestrauchelten Liebenden wird oft ungehört eingewandt, daß die menschliche Freiheit nicht unbegrenzt sei und auch die menschliche Sexualität und Liebesempfindung eine Zielbestimmtheit (Finalität) aufweise, die nicht willkürlich umdefiniert oder als verhandelbare Ware gesehen werden könne. Freie Liebe mache die Person der PartnerInnen zum Objekt der wählbaren Befriedigung, was der menschlichen Würde widerspricht. Die Kehrseite der in der so genannten „offenen/freien Liebe“ intendierten Auflösung der Kleinfamilien seien zerrüttete Beziehungen und einsame Menschen, ohne andere Möglichkeiten ein solidarisches Miteinander zu finden. An immanenter Kritik der freien Liebe wird angeführt, daß entweder unmittelbar bei ihrem Vollzug oder erst im Nachhinein eine Ernüchterung (Desillusionierung) eintreten kann. Die rein sinnlichen Werte des Hedonismus werden dabei als ungenügend für das eigene Leben empfunden. Das Resultat kann entweder der völlige Absturz in den Nihilismus oder die Verzweiflung sein, oder aber auch eine Zuwendung zu personalen Werten und sinnstiftenden Elementen, wie der Ästhetik, dem selbstlosen Einsatz für die Mitmenschen und der Politik/Religion. Aus anderer Perspektive wird die einseitige Reduzierung auf Aushandlungen kritisiert, Liebe - freie wie „konventionelle“ - umfasse weitaus mehr, und Liebe könne auch ohne jede Art von Absprachen stattfinden. Schließlich begegnet uns auch das Fatale der verzweifelten Hilflosigkeit und das (selbst)zerstörerische Ende: „Aber aus mir nicht ganz klaren Gründen schwindet dieses Gefühl nach einer unbestimmten Zeit (meist nach spätestens drei Monaten) WHOW! wieder und bisher kam es danach in dieser Intensität nicht mehr oder höchstens für Augenblicke wieder auf.“ Und nun kommt der rationelle Part, bei dem sich mensch fragen könnte ob eine Betriebsanleitung für eine neue Rotationsdruckmaschine nicht doch eine bessere Einschlaflektüre ist für den aktivist@ der Postmoderne. „Dies könnte in psychischen Abwehrmechanismen begründet sein, daß ich meine Psyche aus der Erfahrung der Nichterwiderung (oder erst der eigenen Negativ-Empfindung bei Wegfall der eigenen Gefühle?) vor dem Neuaufbau dieser Empfindungen abschirme, daß damit diese Offenheit und intensive Wahrnehmung der anderen Person(en) nicht hergestellt wird.“ Deutlich ist der ästhetische Qualitätsverlust des letzten Absatzes nachzuempfinden. Welch eine schöne Wendung!

Die RomantikerInnen suchen die verloren gegangene Welt in Werken aus der „Kindheit der Menschen“, also in Märchen und Sagen, in Volxküchen und im Mystizismus der Jugend-Umweltbewegung. Das „Wahre“ wird nicht im Intellektuellen gesehen, sondern in dem als natürlich und wahrhaftig angesehenen Verhalten des „einfachen Volx“. Volxtänze fließen in die romantische Musik ein (Früchte des Zorns). Der SeitenHieb-Verlag sammelt die Sagen und Märchen der mündlichen Volxüberlieferung. Allerdings werden auch Gefahren (JA, JA!) in dieser „anderen Welt“ gesehen. Die Nachtseite der Romantik, geprägt von Teufelspakten (Plenum), Wahnsinn (Veganismus), Gespenstern (Sven Giegold), Schuld (Wegen deinem nicht-veganem Verhalten müssen alle Tiere leiden!) und Tod (Fernsehen), findet sich besonders ausgeprägt bei E. T. A. Hoffmann.

Im politischen Raum wird Romantik bis heute als Gegenströmung zur Aufklärung (Vernunft) begriffen und steht damit auch für einen aktuellen Konflikt. RomantikerInnen unterstellen einen Bruch, der die Welt gespalten habe in die Welt der Vernunft, der „Zahlen und Figuren“ (Novalis), und die Welt des Gefühls und des Wunderbaren. Treibende Kraft der Romantik ist eine ins Unendliche gerichtete Sehnsucht nach Heilung der Welt, nach der Zusammenführung von Gegensätzen zu einem harmonischen Ganzen. Hinführende Orte und Manifestationen dieser Sehnsucht sind nebelverhangene Waldtäler (der Castor), mittelalterliche Kloster-Ruinen (der „offene Raum“), alte Mythen und Märchen (wenn alle Menschen vegan leben würden, bräche der Kapitalismus zusammen, die Welt wäre eine bessere und alle Lebewesen würden einander achten und anlächeln), die Natur etc. Zentrales Symbol für diese Sehnsucht und deren Ziel ist die Blaue Blume, die wie kein anderes Motiv die romantische Suche nach innerer Einheit, Heilung und Unendlichkeit verkörpert. „Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.“ (Ricarda Huch) Im Gegensatz zur selbst gesetzten Aufgabe der Dichter der marxistischen Klassik sowie von Sturm und Drang und Dialektik der Aufklärung, nämlich der Erziehung des Volkes durch Literatur, sehen die Dichter der Romantik ihre Aufgabe in der Heilung des Risses, der durch die Welt und damit durch die Individuen geht. Eine Möglichkeit dazu bietet sich ihnen zufolge durch die Kunst, mystisch überhöht im Begriff des „Dichter-Priesters“, denn „die Welt hebt an zu singen / Triffst Du nur das Zauberwort“ (Eichendorff).


Abschließend will ich noch eine klare Gegenüberstellung versuchen zwischen der Klassik:

• Streben nach Vollendung, Ruhe, fester Ordnung, Klarheit, Maß und Harmonie

• Streben nach Objektivität, Typisierung, Gesetz, Vernunft, Gleichgewicht, nach gültiger und geschlossener Form; genaue Unterscheidung zwischen Lyrik, Epik und Dramatik; fordert Entsagung, Selbstbeschränkung, sittliche Willensstärke; lehnt Phantastisches, Verworrenes, Unklares ab; bemüht sich um Harmonie zwischen Gefühl und Verstand; verlangt genaue Grenzensetzung – Es ist genug, das Erforschbare zu erforschen, das Unerforschliche aber auf sich beruhen zu lassen.

Und der Romantik mit dem:

• Drang nach Unendlichkeit, Leidenschaftlich-Bewegtem, Dunklem, maß- und regellosem Sprengenwollen aller Grenzen

• Zerbricht die klassischen Grenzen, will Herrschaft der frei schöpferischen Phantasie (ist wichtiger als „edle“ Form und hochgeistiger Inhalt); will Grenzen sprengen: Grenzen des Verstandes, Grenzen zwischen Wissenschaft und Poesie und zwischen den einzelnen Dichtungsgattungen – Streben nach einer „Universalpoesie“, die gleichzeitig Wissenschaft, Religion und Dichtung und lyrisch, episch, dramatisch und musikalisch ist; will Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit niederreißen; will die ganze Welt „romantisieren“ und fordert völlige Subjektivität, Individualisierung, Freiheit und Unabhängigkeit und eine weltoffene, ewig unfertige Dichtungsform; Vorliebe für das Traumhafte, Wunderbare, Unbewußte, Übersinnliche

„Wenn ich dann feststelle, daß die bewunderte Person Verhaltensweisen an den Tag legt, die ich eigentlich (sic!) ätzend finde, ich eigentlich nicht viel mir ihr ‚anfangen‛ kann oder ihre ‚Selbstorganisation‛ meinen Ansprüchen nicht genügt, ist es wenig verwunderlich, wenn meine Faszination sinkt.“ Schon Adorno beklagt den Jargon des Eigentlichen. Auch aus dieser Passage läßt sich viel herauslesen. Die Frage danach, ob es sich um Liebe (bedingungslos) oder um eine bürgerliche Warenbeziehung (auf Verhandlung beruhend) handelt stellt sich den NeuroMantikerInnen immer wieder aufs Neue. Die ewig unfertigen Antworten auf die oft variierten Fragen nach dem: „Wie soll die „perfekte“ emotionale Beziehung (mit oder ohne Schmerz) aussehen, und wie kann mensch die „Anderen“ von der Richtigkeit der eigenen Ansichten überzeugen (möglichst wirkmächtig)? kommen nach einem Moment des Innehaltens zu folgendem (vorläufigen) Ergebnis: „Oder eigentlich doch verwunderlich, denn das Gefühl hat sich ja nicht aufgebaut, weil ich mit diesem Menschen gerade ein politisches Projekt machen wollte, sondern weil mich ihre Art, ihr Verhalten, ihr Äußeres (oh,la,la...) oder wie ich sie wahrgenommen habe, beeindruckt hat.“

Na, also. Wie Neil Tennant so schön zu singen wußte: “love comes quickly whatever you do – you can’t stop falling! Oh huh!”

“Eigentlich scheint mein ‚Abgetörnt‛-Sein darauf hinzuweisen, daß ich also im Hintergrund doch Ansprüche oder Vorstellungen habe, die sich dann als nicht realisierbar zeigen.“ Ja, aber was ist daran schlimm? Mir scheint daß der Spruch: „you’re perfect, I love you - now change!“ besonders auch in politisch korrekten Kreisen seine Wirkung frei entfalten kann. Enttäuscht werden Forderungen wie:

• Mit ihr/ihm politisch aktiv zu werden (und wenn schon, wie oft wird der andere „aktiv“ damit der andere nicht „abgetörnt“ wird, oder um dem angebeteten Menschen nahe zu sein, was der einzig wahre romantische Grund sein sollte! – die Überzeugungstat aus Liebe! – Toni Negri sagt das auch.)

• Mit ihr/ihm leben zu wollen (da ist mir Selbstorganisation wichtig) – (und was bitte soll das heißen?)

• Spannende Unterhaltungen zu führen, visionäre Gedanken entwickeln (auch da, ist der andere Mensch nur interessant, wenn er immer „spannend“ ist? Wer die Lockungen des Überdrusses, der Verzweiflung, der unsäglichen Langeweile, der Einsamkeit scheut – wird der nicht wie von selbst ein öder Mensch, der nicht viel zu bieten hat auf die Dauer? Und wahre romantische Liebe ist ewig, bedingungslos, unersättlich, unteil- und untilgbar – gegen jeden Widerstand.)


Aber es gibt noch viel mehr Forderungen die jetzt Knall auf Fall verkündet werden:

• Ich möchte nicht, daß meine Liebe und emotionalen Beziehungen (merke die feinsinnige Unterscheidung!) sich auf einige wenige Personen beschränken. (Wer mal auf Koks in einer Disko war, würde dem sofort zustimmen)

• Ich möchte emotional sehr nahe Beziehungen (was denn sonst?)

• Ich will keine Selbstverständlichkeit (durch die andauernden Variationen der „freien/offenen“ Beziehungsgeflechte wird dazu auch kaum ein Chance bleiben, da sind Unglücklichkeit, Wut, Trauer, Verlustgefühle und sämtliche anderen Annehmlichkeiten die einem das Leben zur Hölle machen können gratis inklusive – besser geht es in einer bürgerlichen Ehe-Gemeinschaft auch nicht zu bewerkstelligen)

• Ich will keine Beliebigkeit (wer einen Antagonismus selber kreiert, braucht sich über Selbstverständlichkeiten keine Sorgen mehr zu machen – das wird bunt und wenigstens für die ganz coolen auch lustig)

• Dazu brauche ich Zeit (und Raum, also wahrscheinlich eher eine eigene Raum/Zeit – oder?)

• Ich will nicht nur romantische Beziehungen, sondern Visionen (Pilze machen total geile Visionen) entwickeln und umsetzen und gemeinsam aktiv sein (und die Welt retten und alles bunt anmalen, und zur bitchun-society gehören...)

• Ich will keine Eifersucht und keine Besitzansprüche (Vielleicht lassen sich Bedürfnis und subversive Aktion zur Dekonstruktion von beispielsweise Zweigeschlechtlichkeit oder Ausschlußbeziehungen auch verbinden...)

• Ich will einen offenen Umgang miteinander (Aber es kann auch Momente und Dinge geben, in denen oder über die ich oder die andere(n) Person(en) nicht reden wollen.)

• Ich möchte, daß alles möglich ist, was wir miteinander tun wollen (wer wird denn da ein starkes WIR konstruieren wollen?)

• Ich möchte Beziehungsgeflechte unterschiedlicher Art und Ausprägung (Der Anspruch nach einer irgendwie – auch individuell – genormten Beziehungsweise steht der Kreativität und dem Entfalten der verschiedenen Persönlichkeiten, Befindlichkeiten und Wünsche im Weg und schafft mit der Vereinheitlichung etwas Ärmeres in Bezug auf die vorstellbaren Empfindungen, Konstellationen und Umgangsweisen.)

• Ich will keine Beliebigkeit (Ups, das hatte ich schon)

• Ich möchte mit einigen Menschen zusammen leben (zur Zeit anwesende Menschen ca. 6,4 Mrd. – reichen die erst mal, oder soll ich mich noch mal ins Zeug legen?)

• Ich möchte gemeinsame Perspektiven haben (Ich wünsche mir kein starres Beziehungsbild, sondern eine ständige Weiterentwicklung, die ruhig auch und besonders mit neuen Menschen stattfinden soll – wie neu sollen die denn sein? Ich wünsche mir ja auch endlich Fortschritte in der klonierenden Humangentechnik)

• Ich möchte keine Beschränkung auf heterosexuelle Beziehungen (wer will das schon?)

• „Emotionale“ Beziehungen jenseits von „Liebe“ & co. (Ich möchte nicht, daß meine Liebe und emotionalen Beziehungen (merke die feinsinnige Unterscheidung!) sich auf einige wenige Personen beschränken...)

„Leider ist auch dieser Text ein Beispiel dafür, daß emotionale Beziehungen sehr stark als „Liebes“-Beziehungen gedacht werden. Vielleicht gelingt es einem neuen Artikel dieses Manko zu beseitigen.“ Nichts einfacher als das. Denn Liebe ist Liebe ist Liebe ist Liebe und nur in einer Form fühlbar: romantisch, und vielleicht ist sie auch irgendeine vernachlässigbare Art von „Beziehung“, aber wer könnte nach all den Offenbarungen noch das eine mit dem „anderen“ verwechseln? Ich will keine Trennung von Vernunft, Politik auf der einen, und Gefühlen und Liebe und Gefahr auf der anderen. „Wie soll ich Toleranz für abweichende Bedürfnisse aufbauen, wenn ich ständig meine Wahrnehmung verstärke, daß dieser konkrete Mensch, diese spezielle Beziehung für mein Leben von extremer Bedeutung sei?“ Aus der Zärtlichkeit eine Waffe machen? Join the Resistance: Fall in Love!

The world is a cold and horrible place – so intensify the feeling! Falling in love is the ultimate act of revolution, of resistance to today's tedious, socially restrictive, culturally constrictive, humanly meaningless world. Love is subversive, because it poses a threat to the established order of our modern lives. The boring rituals of workday productivity and socialized etiquette will no longer mean anything to a anyone who has fallen in love, for there are more important forces guiding her/him than mere inertia and deference to tradition. Marketing strategies that depend upon apathy or insecurity to sell the products that keep the economy running as it does will have no effect upon her/him. Entertainment designed for passive consumption, which depends upon exhaustion or cynicism in the viewer, will not interest her/him. says CrimethInc.



„Da hast du wohl Scheiße gebaut, Case. Hast mich einfach in dein Bild von der Wirklichkeit reinsortiert, als ich aufgetaucht bin.“

„Also, was willst du, Lady?“ Er lehnte sich gegen den Deckel.

„Dich. Lebendig und mit halbwegs intaktem Hirn. Molly, Case. Ich heiße Molly. Ich bring dich zu ‚nem Mann, für den ich arbeite. Der will nur mit dir reden, das ist alles. Niemand will dir was tun.“

„Wie schön.“

„Trotzdem kann ich manchmal unangenehm werden, Case. Schätze, so bin ich nun mal veranlagt.“


Neuromancer, William Gibson



Here are a few notes from the underground

Load them at your pleasure

These are the dusty pictures that I found

While on my search for treasure

Here is the hazy vision that I saw

Here’s what she said to me

For a scientist I am to raw

I know all about you, Can’t you see

She said, Don’t be makin’ no provocation

Unless you’re ready to handle the nation

I’m cold and bold and I don’t do what I’m

Told


She wore Mirrorshades

And I can’t explain a thing about her

Mirrorshades

And I know that I can’t live without her

Mirrorshades

And I kinda lose my mind about her

Mirrorshades

And the strange attractors that surround her


Remember as you bust North at her call

That you can never doubt it

No matter what you cannot have it all

Cuz she leaves home without it


But in the darkness we both where caught

In the hearbeat of El Nido

I had this VHS for her to slot

And now I never want to go


She said now you’re here you gotta show and prove

And do that dance until it don’t move

The Phone doesn’t work so won’t be going

Home


She was so absolutely digital

To jack in now was wrong

But cupid punches deck with chemicals

While dark Madonna sings her song


Mirrorshades, Information Society



Die NeuRomantik wird zur europäischen Geistesbewegung und erfaßt, von Amerika ausgehend, alle Bereiche Europas. Sie beeinflußt Philosophien, Dichtung, Künste, Religionen, Wissenschaften, Politiken und Netzwerkgesellschaften...