2007-02:Gentechnik-Skandale am laufenden Band

Aus grünes blatt
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Gentechnik-Skandale am laufenden Band:

Was wussten die Gießener Versuchsleiter?

prowe Eher unfreiwillig sickert seit einigen Tagen durch, dass der in Deutschland schon vielfach angebaute und am 23. April auch in Gießen ausgebrachte Mon810-Mais der Firma Monsanto seit dem 17. Oktober letzten Jahres nicht mehr legal ist. An diesem Datum lief die vorläufige Genehmigung für den Agro-Weltkonzern aus, verbunden mit der Auflage, bis zu diesem Zeitpunkt ein Konzept über die Überwachung der Umweltauswirkungen vorzulegen. Monsanto kam dieser Auflage nicht nach. Die Genehmigungsstellen im Bundesministerium für Verbraucherschutz und Landwirtschaft verschwiegen die ausgelaufene Zulassung und setzten auf Verzögern und Vertuschen. Alt-Genehmigungen würden weiter gelten, war eine ihrer skandalösen Festsetzungen, obwohl nun klar war, dass das Ausbringen von Mon810-Mais ein unkalkulierbares und ungeprüftes Risiko darstellte. Am 27.4.2007, also über ein halbes Jahr später, teilte das BVL der Firma Monsanto endlich mit, dass die Genehmigung nicht mehr gelte. Zu diesem Zeitpunkt war die Aussaatphase gerade beendet – Zufall? Wohl kaum, argwöhnen viele GentechnikkritikerInnen und fühlen sich bestätigt in ihrer Annahme, dass mit der Risikotechnologie gemauschelt und betrogen werde. Der ganze Ablauf wird die Frage nach der Unabhängigkeit und Seriösität der Fachbehörden in Sachen Gentechnik auf.

Was geschah in Gießen?

Noch mehr fragen stellen sich nun für den Mon810-Mais-Versuch in Gießen, denn dieser fällt nicht unter die Altgenehmigungen. Er wurde erst geplant, als der Mais bereits nicht mehr zugelassen war. „Entweder haben die Herren Friedt und Kogel das gewusst – dann sollen sie schnellstens abdanken, weil sie Lügner und Trickser sind. Oder sie haben es nicht gewusst, sich aber auch nicht gekümmert. Dann haben sie ihren Ruf als seriöse Wissenschaftler weiter verspielt“, schimpft Jörg Bergstedt von der Aktivistengruppe „FeldbefreierInnen“ über den neuesten Gentechnik-Skandal und seine Bedeutung für die Versuche der Universität Gießen. Wenn dann noch die Pressesprecherin, die sich im Jahr zuvor noch als Gentechnikkritikerin aufgeplustert hat, nun die Öffentlichkeit für dumm verkaufen will, indem sie behauptet, es würde versucht, mit dem Bundessortenamt in Kontakt zu kommen, wirke alles nur noch als abgekartetes Spiel: „Haben die keine Telefone in der Universität?“ Die neuerlichen Vorgänge sind Wasser auf die Mühlen der „FeldbefreierInnen“. Sie hatten bereits im Jahr 2006 deutliche Zweifel an der Seriösität des Gengersteversuchs angemeldet, der von der jetzt im Rampenlicht der Kritik stehenden Genehmigungsbehörde mit Sofortvollzug gegen viele Bedenken von BürgerInnen durchgeboxt wurde. Auch im konkreten Versuchsablauf meinten die „FeldbefreierInnen“ immer wieder Unregelmäßigkeiten und Vertuschungen entdecken zu können, die sie auf ihrer Internetseite www.gendreck-giessen.de.vu und auf Ausstellungen und Flugblätter anprangerten. „Bislang gab es eine seltsame Cliquenbildung zwischen Versuchsleiter, Umweltbürgermeisterin, SPD- und CDU-Führern, Unileitung, Genehmigungsbehörden und etlichen Medienvertretern. Es wird Zeit, dass das Kartell des Schweigens durchbrochen wird. Hier in Gießen wird betrogen, die wichtigen Details der Versuche werden verschwiegen und nur Beruhigungspillen verteilen“, setzt der militante Gentechnikgegner seinen Protest fort. Nach seiner Auffassung ist der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen nicht nur ein ökologisches und gesundheitliches Risiko, eine Zuspitzung der Abhängigkeitsverhältnisse in der Landwirtschaft und eine gefährliche Einengung der Sortenvielfalt im Saatgut, sondern auch rechtswidrig. „Die Koexistenz von Gentechnik mit nicht-gentechnischer Landwirtschaft und Imkerei ist technisch nicht möglich“, sagt Bergstedt. Da sie aber vom Gesetz her vorgeschrieben sei, sind alle aktuellen Gentechnikpflanzungen illegal. Das hätte am 9.5.2007 auch das Verwaltungsgericht Augsburg festgestellt, als es einem klagenden Imker Recht gab. Trotzdem werde nicht den LandwirtInnen, Konzernen und Versuchsleitungen der Prozess gemacht, sondern immer häufiger denen, die solchen Pflanzenbau verhindern wollen. Für den auch in Gießen bevorstehenden Prozess kündigt Bergstedt daher eine offensive Prozessführung an: „Wir haben nichts zu verlieren. Die Gesetzesbrecher laufen auf den Fluren der Universität herum – gedeckt von den Organen des Staates, der halt Konzerne mehr mag als die Menschen. Es ist aber unsere Chance der Anklage gegen uns, zu beweisen, dass Kogel, Friedt und andere die Gesetze brechen.“

Nicht die einzige unseriöse Vergehensweise

Die Liste an Vertuschungen, Abweichungen von den Genehmigungsauflagen und Irreführung der Öffentlichkeit ist inzwischen lang. Der inzwischen über ein Jahr alte Gengersteversuch am Steinbacher Weg weist dank fortgeschrittenen Alters eine längere Liste von Verfehlungen auf. Unterlassene Bodenuntersuchungen nach möglichen Verseuchungen, fehlende Wildschutzgitter, falsche Versuchsausführung – der Versuch hätte auch nach dem Genehmigungsbescheid längst untersagt werden müssen. Aufklärung tut daher not. Doch die wird behindert. Einerseits von der Universität, ihrem Präsidenten und der Pressestelle sowie den Versuchsleitungen um die offensichtlich unseriösen sogenannten Wissenschaftler Kogel und Friedt. Andererseits aber auch von denen, die Aufklärung eigentlich zu ihrer eigenen Sache machen müssten.

Während die größte Fraktion in der Gießener Stadtregierung inzwischen mit den typisch markigen Stammtischsprüchen ihres Fraktionschef selbst gemeinsame Beschlüsse aller Ratsfraktionen für irrelevant erklären, sind die Grünen und ihre Umweltbürgermeisterin erneut auf Tauchstation gegangen. Schon zur Gerstenaussaat 2006 hatten sie komplett geschwiegen. Als 2007 die Informationen zum Mon810-Mais durchsickerten, wusste Weigel-Greilich schon bescheid, schwieg aber. So ist es auch jetzt wieder. Alle Informationen, sei es zum Gerstenfeld 2006 oder die unfrohe Kunde vom Maisacker 2007 bzw. jetzt den Skandalen um die dort ausgesäte Sorte stammen von unabhängigen Gruppen im Raum Gießen, die nicht müde werden zu recherchieren, zu veröffentlichen und Anträge auf Abbruch der Versuche an die zuständigen Stellen zu schicken. Zu letzteren gibt es inzwischen mehrere, seitenlang voller Fakten. Antworten bleiben völlig aus. Auch die hiesigen Medien haben bislang solche Informationen verschwiegen oder, wenn ihnen Informationen aus unabhängigen Gruppen von GentechnikgegnerInnen übermittelt wurden, immer nur Versuchsleitung oder gleich die Staatsanwaltschaft zu Wort kommen lassen. Auch darüber regen sich die FeldbefreierInnen auf: „Das ist ein typischer provinzieller Filz. Offene Kritik und Aufklärung sind gar nicht möglich. Medien und Politik sind Teil des Desasters um die Gießener Gentechnikfelder.“


Chronik des Mon810-Skandals

(Quellen sind auf www.gendreck-giessen.de.vu benannt)

EU genehmigt Mon810 unter Auflagen und befristet bis 17.10.2006. Auszug: Der EU-Ministerrat beschloss im Juni 1999, dass der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen in der EU durch Beobachtungsprogramme zu begleiten ist. In der Folge wurden Monitoringprogramme fuer neue Genehmigungen im Oktober 2003 obligatorisch. Gleichzeitig sahen die Änderungen vor, dass bestehende Genehmigungen ohne Monitoring bis zum 17. Oktober 2006 begrenzt werden. Im Zusammenspiel mit neueren EU-Regelungen wurde diese Verpflichtung zum Monitoring für Altgenehmigungen hinausgeschoben.

Ab dem 17.10.2006 ist es also eigentlich aus. Doch - Pustekuchen, es wird alles verschwiegen. Zudem weigert sich Monsanto, die Ergebnisse ihrer bisherigen Forschungen zu Mon810 zu veröffentlichen. Greenpeace zieht in einem juristischen Kampf mit dem Unternehmen. Im Frühjahr 2007, über ein halbes Jahr nach dem Auslaufen der Genehmigung, wird trotzdem fleißig ausgesät. Erst nach der Aussaat (das soll Zufall sein???) wird der Mon810 dann am 27.4.2007 gegenüber der Firma Monsanto verboten. Die Öffentlichkeit wird gar nicht informiert. Auszug: Mit dem nun vom BVL an Monsanto ergangenen Bescheid wird das Unternehmen verpflichtet, ein der aktuellen EU-Rechtslage entsprechendes Monitoring durchzuführen.

Ende April entdeckte Greenpeace illegale Gentechnik-Maissorten von Monsanto – der Kapitän eines Frachters hatte den entscheidenden Tipp gegeben.

Am 9.5.2007, nachdem (!) der geheim an Monsanto geschickte Verbotsbescheid bekannt geworden und zudem eine Imkergruppe (Mellifera) vor dem Verwaltungsgericht Augsburg durchsetzen konnte, dass Mon810-Mais nicht weiter den Honig verunreinigen darf, veröffentlichte das BVL dann plötzlich, dass es nun mit der Erforschung der Koexistenzfähigkeit beginnen würde - nachdem der Mon810-Mais schon über in der Landschaft steht, offensichtlich illegal, aber staatlich gedeckt. Auszug: Mit den bis 2009 ausgelegten Versuchen soll erprobt werden, wie das Nebeneinander des Anbaus von gentechnisch verändertem und konventionellem Mais (Koexistenz) realisiert werden kann, ohne dass ein wirtschaftlicher Schaden entsteht. Konkret geht es um Mindestabstände für den Praxisanbau, den Einfluss von Zwischenkulturen aber auch des Klimas oder der Drillrichtung auf die Auskreuzung. Des Weiteren sollen Auskreuzungsraten bei unterschiedlicher Nutzung als Körner- oder Silomais ermittelt werden.


Koexistenz

Im Anhang des Textes bei uni-protokolle.de erklärt das BVL das Koexistenz-Recht.

Auszug:

1. Das Forschungsprogramm
war 2004 war von der damaligen Ministerin Renate Künast initiiert worden. Die Umsetzung erfolgt in drei Ressortforschungseinrichtungen des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Bundesanstalt für Züchtungsforschung an Kulturpflanzen (BAZ), Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft (BBA) und Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL) und seit 2006 auch am Landwirtschaftlichen Technologiezentrum Augustenberg (LTZ). Die Koordination liegt bei der FAL. Im Jahr 2007 wird an 5 Standorten (Groß Lüsewitz, Wendhausen, Mariensee, Braunschweig und Forchheim) auf einer Fläche von 22,8 ha gentechnisch veränderter Bt-Mais angebaut. Unterschiedliche Versuchsanordnungen unter Einbindung von Feldern mit Klee/Gras, Getreide oder Sonnenblumen zwischen den Maisschlägen helfen, den Einfluss geschlossener Feldfruchtbestände zu bewerten.

2. Was ist Bt-Mais?
Das Bt-Toxin ist ein Eiweiß, das von Bakterien gebildet wird, die überall im Boden vorkommen. Es hat eine giftige Wirkung auf bestimmte Insekten, ist aber für Säugetiere und Menschen harmlos. Bt-Präparate sind seit 1964 in Deutschland als Pflanzenschutzmittel zugelassen und werden besonders im integrierten und ökologischen Landbau verwendet. Beim Bt-Mais ist das Bt-Toxin-Gen der Bakterien in das Erbgut der Maispflanzen eingebaut. Dieser somit gentechnisch veränderte Mais produziert sein eigenes Insektengift, das gezielt einen seiner ärgsten Feinde, den Maiszünsler vernichtet.

3. Was heißt Auskreuzung?
Wenn Maispflanzen blühen, bilden die männlichen Blüten Pollen. Der Maispollen gelangt mit dem Wind zu den weiblichen Blüten. Aus diesen bestäubten, weiblichen Maisblüten entwickeln sich die Samen, also die Maiskörner. Werden gentechnisch veränderter Mais und gentechnikfreier Mais benachbart angebaut, kann es bei gleichzeitiger Blüte beider Pflanzenbestände dazu kommen, dass der Pollen der männlichen Blüten des gentechnisch veränderten Mais auf die weiblichen Blüten des gentechnikfreien Mais gelangt. Die sich entwickelnden Maiskolben besitzen dann auch die neue Eigenschaft des gentechnisch veränderten Mais, in diesem Fall das Bt-Toxin-Gen. Je weiter zwei Maisbestände auseinander liegen, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit für eine solche Auskreuzung. Wind, Wege oder andere Pflanzenkulturen haben einen Einfluss auf die Auskreuzung.

4. Was bedeutet Koexistenz?
Wenn es zu einer Auskreuzung kommt, so kann im Erntegut des nicht gentechnisch veränderten Mais das Bt-Toxin-Gen nachgewiesen werden. Wenn mehr als 0,9% des Ernteguts das Bt-Toxin-Gen enthalten, muss der Landwirt seine Maisernte als "gentechnisch verändert" deklarieren. So hat es der Gesetzgeber geregelt. Der Landwirt kann dann unter Umständen seine Maisernte schlechter vermarkten und hat möglicherweise ökonomische Einbußen. Es handelt sich also um ein ökonomisches Problem, nicht um ein Sicherheitsproblem, da die neue Eigenschaft des Bt-Mais sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene geprüft und als unbedenklich bewertet wurde. Der Begriff "Koexistenz" beschreibt das Nebeneinander von gentechnisch veränderten und nicht gentechnisch veränderten Kulturpflanzensorten, ohne dass es zu einer Überschreitung des Schwellenwertes von 0,9% im Erntegut des letzteren kommt.