2006-02:Castor2006

Aus grünes blatt
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Und ewig grüßt der Castor

Ein Castorbericht vom Jahr 2006

jes Mittlerweile ist es schon Tradition, dass einmal im Jahr ein großer Zug mit radioaktivem Material aus der sogenannten Wiederaufbereitungsanlage La Hague nach Gorleben fährt. Auch zigtausend Polizisten und Demonstranten sowie Aktionen und die üblichen Medienbilder sind für die meisten Menschen Normalität geworden. Sogar die Ankündigung, dass es im nächsten Jahr keinen Castor geben wird, ist, wie im letzten Jahr, wieder beschworen worden. Die gesamte Situation ist schon so traditionell geworden, dass es viele irritiert hatte, dass der Castor dann doch einen Tag früher als im letzten Jahr losfuhr. Aber war das schon der einzige Unterschied?

Nein, denn obwohl viele Dinge wirklich den letzten Jahren ähnelten, hatte auch dieses Jahr wieder seine Besonderheiten.

Da die Auftaktdemo dieses Jahr erst am Samstag des Castortransportes stattfand, blieben viele aktive Menschen gleich in den Camps und begannen die heiße Phase zu unterstützen, die schon Wochen vorher angefangen hatte. Mit Plakaten wie „Atomausstieg selber machen“ und einer Allgemeinverfügung gegen die Staatsmacht wurde schon seit Monaten mobilisiert und das Thema in die Öffentlichkeit gezerrt. Auch als „Warm up“ für den G8 in Heiligendamm hatten manche den diesjährigen Castortransport angekündigt.

Die Politik hingegen versuchte, wie jedes Jahr, die Proteste kleinzureden und diesmal endlich mit weniger Polizei auszukommen und den Castor schneller zum Ziel zu bringen. Diese Vorgabe führte vermutlich auch dazu, dass die Situation aggressiver als in den letzten Jahren war. Die Polizei, die zumindest zeitweise in den letzten Jahren ihr Gewaltpotenzial heruntergefahren hatte, setzte wieder mehr auf massive Repressionen. Sogar die Medien nahmen dies wahr; so wurde in einer Radiosendung berichtet: “Die Demonstration verlief friedlich, die Polizei setzte Schlagstöcke ein.“

Dass auch die Demonstranten nicht immer friedfertig waren, bleibt auch Tatsache. Ob mehr Gewalt dann aber zu weniger Gewalt führt, wage ich zu bezweifeln. Eine Wendländerin wies auch korrekterweise darauf hin, dass alleine die Gewalt vom strahlenden Müll für die Menschen eine größere Gefahr darstellt, als alle Eier die je auf Polizisten geworfen wurden. Das manche dann vom „totalen Krieg“ gegen die Polizei sprechen, geht meilenweit an der Realität vorbei und in solchen Momenten wünsche ich mir dann ein paar Antideutsche herbei, die diesen skandalösen Vergleich mehr in die Öffentlichkeit tragen. Selbst erlebt habe ich dann auch noch einen Polizist, der einen Demonstranten mit dunkler Hautfarbe mitteilte, dass er doch einfach näher kommen solle, er wollte schon immer einen „Nigger“ verprügeln. Erschreckend war vor allem das niemand der Kollegen dagegen das Wort erhob.

Die Polizei hingegen spricht davon, dass die gesamte Gewalt von bis zu 700 gewaltbereiten autonomen CastorgegnerInnen ausging, welche die Situation absichtlich immer wieder eskalieren ließen. Wie immer gehen dann doch die Einschätzungen der beiden scheinbar verfeindeten Seiten weit auseinander.

Einig sind sich Polizei und Castorwiderstand jedoch in der Bewertung, dass die Situation insgesamt aggressiver als in den letzen Jahren geworden ist. Mehr als 100 verletzte Demonstranten und mehr als 100 Strafanzeigen zeugen auch davon.

Dabei waren die meisten Aktionen wie immer vielfältig und bunt. Aus allen Teilen der Welt waren Demonstranten und Polizisten angereist und sorgten für ein kulturelles Rahmenprogramm, das seines Gleichen sucht. Mal als Clownsarmisten, die in alten Uniformen die Polizei nachäfften, mit Sitz- und Treckerblockaden, mit Kletteraktionen, Livemusik, Lesungen, Shows, der Rally Monte Göhrde, Laternenumzügen und Hunderten anderen Aktionen, die hier gar nicht alle aufgezählt werden können, auf Seiten der Demonstranten. Mal mit kuriosen Lautsprecherdurchsagen wie „Ich weiß, dass man mich gerade nicht verstehen kann“ oder Befehlen, die in einen solchen Dialekt gerufen wurden, dass selbst wenn man sie verstehen wollte nicht verstehen konnte, auf Seiten der Polizei.

Unverständlich hingegen sind die Medienberichte, die teilweise auch im Ausland über den Castor gebracht wurden und die behaupteten, das der Widerstand viel kleiner geworden wäre. Mehr als 5000 Demonstranten alleine bei der Auftaktdemo sprechen eine andere Sprache.

Vermutlich hoffen bestimmte Kreise noch immer, damit das Problem klein reden zu können. Aber auch das hat schon Tradition und bisher keinen Erfolg. Denn so leicht lässt sich leider der Atommüll und zum Glück auch der Widerstand dagegen nicht beseitigen.